corporAID: Die Corona-Pandemie beschäftigt die Welt bald zwei Jahre. Wie sehr ist Komptech von der Krise betroffen? 

Leitner: Angesichts des ersten Lockdowns im Frühling 2020 gab es natürlich einen Schockmoment. Wenn man wie wir global agiert, ist es schwierig, plötzlich nicht mehr reisen und seine Kunden vor Ort betreuen zu können. Auch logistisch war das eine riesige Herausforderung. Zudem verzeichneten wir für einige Monate einen Einbruch bei den Aufträgen, was sich aber rasch wieder normalisierte. Und aufgrund unserer lokalen Präsenz und des Netzwerkes unserer Partner konnten wir schnell zu einem mehr oder weniger normalen Geschäft zurückkehren. Ende 2020 erreichten wir wieder das Vorkrisenniveau, mittlerweile liegen wir sogar deutlich darüber.  

Globalisierung wird durch die Pandemie kritischer gesehen als zuvor. Erwarten Sie einen Paradigmenwechsel? 

LeitnerWir sind eindeutig ein Global Player und wir werden unser Geschäftsmodell nicht verändern. Sehr wohl stellt sich aber die Frage: Wie geht man mit Sourcing um? Wir beziehen den Großteil unserer Komponenten aus Europa, und das hat sich auch in der Krise bewährt. Allerdings werden Erstausrüster wie wir von sehr vielen unterschiedlichen Herstellern beliefert. Daher ist es sehr schwierig, sich von Lieferanten, die außerhalb Europas sitzen, völlig unabhängig zu machen. Ich glaube nicht, dass ein schneller Wandel hin zur lokalen Fertigung funktionieren kann. Insgesamt bin ich eher skeptisch, dass es eine tiefgreifende Änderung geben wird. 

Ich glaube nicht, dass ein schneller Wandel weg von der Globalisierung hin zur lokalen Fertigung funktionieren kann.

Wie finden Sie die Rahmenbedingungen für Komptech am Standort Österreich? 

Leitner: Im Großen und Ganzen gut. Als auch von der Geschäftsausrichtung her sehr nachhaltiges Unternehmen bekommen wir hier hochqualifizierte junge Talente. Was wir in Österreich zudem schätzen, ist die Forschungsinfrastruktur, gerade in der Steiermark. Neben der Grazer und Leobener Universität gibt es viele Fachhochschulen und Kompetenzzentren, die nicht zuletzt auch den entsprechenden Nachwuchs ausbilden. Auch die Forschungsförderungsprogramme sehen wir positiv. Handlungsbedarf gäbe es bei den Lohnnebenkosten sowie bei der Förderung von Lehre und technischen Berufen. Das Image ist hier nicht gut genug, es fehlt uns teilweise der Nachwuchs. In den nächsten Jahren könnte das zu einem großen Problem werden. 

Wo sehen Sie die Wachstumsmärkte von Komptech? 

Leitner: Wachstumsmärkte gibt es für uns weltweit, sowohl in den traditionellen Märkten in Europa als auch außerhalb. Momentan wachsen wir in Asien, in den USA und auch in Afrika stärker als in Europa. Der Grund dafür ist, dass unsere Geschäftsbereiche, die Behandlung fester Abfälle und die Aufbereitung von Biomasse, in Europa eine längere Tradition haben und damit auch weiter entwickelt sind. In den außereuropäischen Märkten gibt es daher in den nächsten Jahrzehnten ein großes Potenzial, Länder auf ein Niveau zu bringen, wie wir es in Mitteleuropa bereits erreicht haben. 

Ohne gesetzlichen Rahmen würden die Menschen überall auf der Welt die billigste Variante der Abfallbeseitigung wählen: ein großes Loch.

Was ist entscheidend, um sich in einen neuen Markt zu wagen?

Leitner: Für unser Geschäftsfeld der Abfallwirtschaft ist die lokale Gesetzgebung ein ganz großer Treiber. Ohne gesetzlichen Rahmen würden die Menschen überall auf der Welt die billigste Variante der Abfallbeseitigung wählen: Ein großes Loch, und rein damit! Für uns sind Abfälle hingegen Rohstoffe an der falschen Stelle. Wenn die Rahmenbedingungen in einem Land nicht gegeben sind, dann ist es sehr schwer, dort Anlagen zu betreiben. Abfall- und Kreislaufwirtschaft haben eine sehr langfristige Perspektive. Wir schauen uns daher ganz genau an, in welche Märkte wir proaktiv hineingehen. Wenn wir uns für ein Land entschieden haben, nehmen wir an Veranstaltungen teil und suchen ganz gezielt nach Anknüpfungspunkten. Für uns ist wichtig zu verstehen, wie der Sektor lokal organisiert ist. Auch der kulturelle Zugang zum Thema Abfall spielt eine große Rolle.

Welche Märkte sind für Sie derzeit besonders interessant?

Leitner: Ein Land, in dem wir derzeit sehr erfolgreich tätig sind und das wir als Türöffner für den ganzen Kontinent sehen, ist Ghana. Hier konnten wir in den vergangenen Jahren viel bewirken, nämlich nicht nur Maschinen verkaufen, sondern auch Know-how-Transfer und Ausbildung bieten. Wir hatten erst Mitte November wieder eine große Delegation mit 25 Leuten aus der ghanaischen Abfallwirtschaft zur Weiterbildung in Österreich. Ein anderer Markt, der zwar noch in Kinderschuhen steckt, aber über viel Potenzial verfügt, ist Indien.

Vor welchen Herausforderungen steht Komptech bei der Internationalisierung?

Leitner: Ganz entscheidend ist ein interkulturelles Verständnis im Unternehmen. Es hilft nichts, nur die passende Technologie und gute Anlagen zu haben – man muss auch verstehen, wie ein potenzieller Kunde tickt. Gleichzeitig muss man sich mit den lokalen Gegebenheiten intensiv auseinander setzen. Das geht nicht aus der Ferne, dazu muss man vor Ort sein. Abfallwirtschaft bedeutet zumeist eine Kombination aus staatlichen Vorgaben und privater oder kommunaler Wirtschaft. Und hier muss man die Zusammenhänge und auch den Mindset der Beteiligten verstehen.

Das Thema Wachstum wird immer wieder kontrovers diskutiert. Wie sehen Sie das? 

Leitner: Die Frage lautet: Wie definiert man Wachstum? Als Unternehmen sehe ich Wachstum auch relativ zu anderen Firmen. Und wenn wir wachsen, ist das eine Bestätigung, dass unser Geschäftsmodell erfolgreich ist und die Bedürfnisse am Markt befriedigt. Und wenn man sich Megatrends wie das Bevölkerungswachstum anschaut, dann brauchen wir Wachstum, um all die Bedürfnisse der vielen Menschen, die zukünftig auf dem Planeten leben werden, zu befriedigen. Wenn man mit Wachstum Umweltzerstörung verbindet, dann liegt das an einer linearen Vorstellung von Wirtschaft. Ich sehe die Zukunft der produzierenden Wirtschaft als Kreislauf mit möglichst hohen Recycling-Quoten. 

Wenn wir nicht mehr Stoffe recyclen, werden wir den Ressourcenbedarf der nächsten Generation nicht decken können.

Welche Megatrends bestimmen die Abfallwirtschaft? 

Leitner: Der wichtigste ist das Bevölkerungswachstum. Dann sehen wir ganz klar auch den Trend zur Dekarbonisierung und zu erneuerbaren Energien. Dieses Thema betrifft uns stark, da wir ja in erster Linie biogene Abfallströme bearbeiten. Aktuelle Themen sind auch Recycling und Kreislaufwirtschaft: Wenn wir nicht mehr Stoffe recyceln, werden wir den Ressourcenbedarf der nächsten Generationen nicht decken können. Und last, but not least, ist Digitalisierung ein ganz großer Trend, der uns hilft, Anlagen effizienter zu betreiben und Kunden besser zu servicieren. 

Ist Klimawandel auch für Komptech das große Zukunftsthema? 

Leitner: Um Dekarbonisierung herrscht momentan ein gewisser Hype, wobei das ein langfristiges und nicht mehr umkehrbares Thema ist. Aktuell geht es darum, beispielsweise den Europäischen Green Deal in gesetzliche Vorgaben zu gießen und mit Recyclingquoten und Energieeffizienzprogrammen entsprechend umzusetzen. Wir sehen das positiv und als eine Riesenchance für Europa und ganz speziell für Deutschland und Österreich. Als Vorreiter in der Abfallwirtschaft, haben wir die Chance, Technologien weltweit zu exportieren und Länder, die hier Aufholbedarf haben, zu unterstützen. Das hilft der Umwelt, der Gesellschaft und am Ende des Tages unserer Wirtschaft.

Welche Bedeutung haben die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung SDG für Komptech?

Leitner: Unsere Strategie beruht im Wesentlichen auf den SDG. Unser Ziel ist es, gesellschaftliche Probleme mit technologischen Ansätzen zu verbessern und zu lösen. Wir haben das Commitment des Eigentümers, zukünftig ausschließlich auf nachhaltige Geschäftsmodelle zu setzen. Man sieht nicht zuletzt in unserem Nachhaltigkeitsbericht klar, dass die SDG für uns von allerhöchster Relevanz sind. Wir haben drei Ziele ausgewählt, zu welchen wir mit unserem Geschäftsmodell den größten Beitrag leisten. 

Wie treiben Sie Innovation in Ihrem Unternehmen voran? 

Leitner: Innovation bedeutet bei Komptech nicht nur klassische Produktentwicklung, sondern auch, neue Geschäftsmodelle, neue Prozesse und neue Zugänge zu entwickeln. Dazu braucht man die passende Kultur und die passenden Mitarbeiter. Daher bieten wir unseren Leuten etwa einen breiten Blumenstrauß an Weiterbildungen. Wir nehmen bei der Ideenentwicklung auch methodische Hilfen wie Design Thinking in Anspruch. Aber der Grundspirit und die Grundeinstellung – das ist eine Frage der Unternehmenskultur. Und die muss man top down vorleben und fördern. All diese Dinge helfen, Innovation und neue Ideen ins Unternehmen zu bringen und wirklich über den Tellerrand hinauszuschauen. 

Wie wichtig ist die Unternehmenskultur bei Komptech?

Leitner: Zukunftsfähig und erfolgreich ist nur, wer die Mitarbeitenden motiviert, im Unternehmen hält und einen Sinn vermittelt. Wir werden in Zukunft niemanden haben, der nur des Geldes wegen bei uns arbeitet. Wir wollen Mitarbeitende, die begeistert davon sind, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Entscheidend dafür sind eine offene Kommunikation, Eigenverantwortung und Offenheit für andere Kulturen.

Sie haben den Megatrend Digitalisierung angesprochen – welchen Einfluss hat diese auf Ihre Branche?

Leitner: Digitalisierung spielt bereits eine wesentliche Rolle und wird zukünftig noch wichtiger werden. Wir haben uns vor fünf Jahren zum Ziel gesetzt, in unserer Branche Leader in der Digitalisierung zu sein. Wir möchten zum einen alle Informationen, die ein Kunde braucht, jederzeit ohne Einschränkungen zur Verfügung stellen können. Und zum anderen geht es um die Betreuung der Technik: Jede Maschine, die wir seit 2018 ausliefern, ist mit einem Tool ausgestattet, über das wir live auf sie zugreifen können. Damit können wir nicht nur dem Kunden im Fall des Falles schnell helfen, ohne selbst vor Ort sein zu müssen, sondern auch Service-Einsätze gezielt vorbereiten und Kundentouren besser planen. Wir sprechen hier von Kosteneffizienz und von einer massiven Unterstützung unserer Kunden. Und in die Richtung wird es weitergehen. 

Und wie sieht das bei Künstlicher Intelligenz aus?

Leitner: Mit Big Data und Künstlicher Intelligenz können wir die Effizienz im Einsatz der Produkte steigern und gleichzeitig eine Basis für die Entwicklung der nächsten Maschinengenerationen schaffen. Die Idee ist, einen durchgehenden Datenfluss von der Sammlung bis zum Recycling der Abfälle zu haben. Das heißt zu erkennen, was aus der Mülltonne in den Lkw gekippt wird und diese Information an die Anlage weiterzureichen, damit diese weiß, welches Material auf sie zukommt und wie sie die Recycling-Quote optimieren kann. 

Kann ein Mittelständler diese Entwicklungen allein stemmen?

Leitner: Komptech war ein klassisches Maschinenbauunternehmen. Bei Industrie 4.0 reden wir von neuen Kompetenzfeldern, die man abdecken muss, ohne sie alle selbst entwickeln zu können. Wir arbeiten hier sogar mit konkurrierenden Unternehmen zusammen. Wenn man ganz klar die Erwartungen absteckt und fair spielt, kann man gemeinsam sehr viel erreichen. Auch im steirischen Green Tech Cluster kooperieren wir mit vielen Firmen aus der Umwelttechnik, etwa um eine gemeinsame Plattform zu entwickeln. 

Kooperieren Sie auch mit der Entwicklungszusammenarbeit?

Leitner: Wir sehen hier einige Anknüpfungspunkte beispielsweise in Ländern wie Ghana, wenn es darum geht, mit Kunden und öffentlichen Stellen das Geschäftsumfeld weiter zu entwickeln. Ganz wesentlich ist, dass Entwicklungsagenturen auch unsere Bedürfnisse und jene der Kunden vor Ort verstehen. Dann ist die Perspektive von solchen Agenturen und auch NGO für uns sehr relevant: Nicht nur auf das Geschäft zu schauen, sondern sich zu fragen, wie man als Unternehmen fokussiert zu nachhaltiger Entwicklung beitragen kann. 

Eine abschließende Frage: Worum geht es Ihnen als Manager?

Leitner: Unser Firmengründer Josef Heissenberger hat einmal gesagt: Irgendwann werden uns unsere Enkelkinder fragen, was wir mit ihrer Zukunft gemacht haben – wir arbeiten an intelligenten Antworten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Heinz Leitner, 51, ist seit 2014 CEO des steirischen Abfallspezialisten Komptech. Leitner war mehrere Jahre Chief Technology Officer des Unternehmens gewesen, als er nach dem plötzlichen Tod des Firmengründers die Führungsposition übernahm. Zuvor war der Doktor der Montanwissenschaften an der Universität Leoben tätig. 

Über Komptech

Grüne Abfalltechnik für die ganze Welt

2022 feiert Komptech aus Frohnleiten bereits sein 30-jähriges Firmenjubiläum.

Die steirische Komptech-Gruppe mit Sitz in Frohnleiten ist spezialisiert auf die mechanische und biologische Behandlung fester Abfälle und die Aufbereitung von Biomasse als erneuerbarer Energieträger. Die Ursprünge des Unternehmens gehen auf das Jahr 1992 zurück, als in der Steiermark die getrennte Sammlung von Bioabfällen eingeführt wurde und der Umwelttechniker Josef Heissenberger eine erste Kompostwendemaschine entwickelte. Er gründete Komptech (der Name steht für KOMPostier-TECHnik), aus dem sich im Laufe der Jahre ein Global Player entwickelte. Unter dem Leitgedanken „Technology for a better environment“ beliefert das Industrieunternehmen heute Kunden in 80 Ländern (Exportquote: 95 Prozent). Rund 750 Mitarbeiter sind an den Standorten Österreich, Slowenien und Deutschland tätig. 2021 erwirtschaftete der zur Orasis Industries gehörende Abfallspezialist einen Jahresumsatz von circa 175 Mio. Euro.

Fotos: Komptech, Bernhard Weber