corporAID: Sie sind seit Sommer Geschäftsführer der Austrian Development Agency. Was hat Sie zu diesem Schritt motiviert?

Stift: Mit Entwicklungszusammenarbeit bin ich erstmals als Schüler durch die Katholische Jugend und die Sternsingeraktion in Berührung gekommen. Seither habe ich mich für globale Entwicklung und interkulturellen Austausch interessiert. Auch meine Erfahrungen im Außenministerium und als Botschafter in der Volksrepublik China, welches noch vor kurzem das größte Entwicklungsland war, sowie im Iran und in Saudi-Arabien helfen mir bei meiner Aufgabe. Geschäftsführer der ADA zu sein, ist eine besondere Aufgabe, die mich mit Freude und Demut erfüllt. Österreich gehört zu den reichsten Ländern der Welt mit einem hohen Sozialstandard sowie einem sehr guten Bildungs- und Gesundheitssystem. Es ist ein Akt der Solidarität, weniger privilegierte Menschen zu unterstützen. 

Hat sich Ihre Sicht auf Entwicklungszusammenarbeit verändert, seit Sie ADA-Geschäftsführer sind? 

Stift: Die Entwicklungszusammenarbeit steht weltweit vor enormen Herausforderungen. Während vor der Pandemie die Zahlen der globalen Armut im Sinken begriffen waren, hat Covid-19 bereits erreichte Entwicklungsfortschritte teilweise wieder zunichte gemacht. Darüber hinaus sehen wir uns mit der Klimakrise konfrontiert, die gerade in den ärmsten Regionen der Welt die größten Folgewirkungen verursacht. Bedauerlicherweise hat sich in den vergangenen Monaten auch die Sicherheitslage in einigen unserer Schwerpunktländer verschlechtert. So in Äthiopien, das sich in einem Bürgerkrieg befindet, oder in Uganda und Burkina Faso, wo es zu einer Reihe von Terroranschlägen gekommen ist. 

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Arbeit der ADA aus?

Stift: Die Bewältigung der Covid-19 Pandemie ist auch für die Entwicklungszusammenarbeit eine große Herausforderung. Vor allem Menschen in Ländern mit mangelhafter Gesundheitsversorgung benötigen jetzt unseren Schutz, zumal sich die Lebensbedingungen für die Menschen deutlich verschlechtert haben. Viele Frauen, die im informellen Sektor arbeiten, haben ihre Jobs verloren. Frauen tragen zudem die größte Last, weil sie zu Hause und in Spitälern verstärkt in der Pflege tätig und daher am stärksten exponiert sind. Da müssen wir ansetzen. 

Welche Schwerpunkte wollen Sie nun setzen?

Stift: Um an das eben Gesagte anzuschließen: Wir müssen schauen, dass Frauen aus dieser Benachteiligung herausgeholt werden. Mein besonderes Augenmerk gilt dem Umwelt- und Klimaschutz. Denn nur durch nachhaltiges Wirtschaften und sorgsamen Umgang mit der Natur können wir hier etwas erreichen. Insgesamt sind die Schwerpunkte der ADA durch das Dreijahresprogramm der Österreichischen Entwicklungspolitik vorgegeben. Das sind auch jene Bereiche, in denen wir über langjährige Expertise verfügen: Diese reichen von Menschenrechten und guter Regierungsführung über Berufsausbildung und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung bis zu Wasserversorgung und erneuerbarer Energie. Dabei berücksichtigen wir Geschlechtergleichstellung und forcieren soziale Themen wie die Rechte von Kindern und Jugendlichen sowie die Inklusion von Menschen mit Behinderungen. 

Nur durch nachhaltiges Wirtschaften und sorgsamen Umgang mit der Natur können wir etwas erreichen.

Die Kompetenzen eines Landes manifestieren sich nicht zuletzt in erfolgreichen Unternehmen. Was kann Österreich international beitragen?

Stift: Österreich verfügt über viele innovative Unternehmen. Die ADA bemüht sich, deren Interesse an der Entwicklungszusammenarbeit zu wecken und zu fördern. Unternehmertum ist aus meiner Sicht eine innere Haltung und gelebte Alltagspraxis: Es geht darum, kundenorientiert, effizient, verantwortungsvoll und umsichtig zu agieren. Wir möchten, dass diese Werte durch unsere Unternehmen – von den großen Corporates bis zu den sozialen Entrepreneuren – bei deren Projekten im Ausland vermittelt werden und sie so auch zur Erreichung der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung beitragen.

Wie kann die Entwicklungszusammenarbeit das fördern? 

Stift: Unternehmen leisten einen wichtigen Beitrag zur globalen Entwicklung. Ein leistungsfähiger Privatsektor mit seinen Innovationen, seinem Kapital und den Jobmöglichkeiten ist unverzichtbar im Kampf gegen Armut. Wir arbeiten eng mit Unternehmen zusammen, die nachhaltige Geschäftsmodelle verfolgen. Die Entwicklungszusammenarbeit nimmt hier schon seit längerem eine Rolle als „Enabler“ wahr. So etwa eröffnet das Förderinstrument der Wirtschaftspartnerschaften Unternehmen die Möglichkeit, insbesondere durch Know-how-Transfer Wertschöpfungsketten nachhaltig zu stärken. Wirtschaftlich greift die ADA den Unternehmen mit finanzieller Unterstützung unter die Arme, wobei das Engagement von den Unternehmen selbst kommen muss. Seit 2012 sind insgesamt 160 Wirtschaftspartnerschaften umgesetzt worden. Im Jahr 2020 haben beispielsweise knapp 3,6 Millionen Menschen und mehr als 77.000 Unternehmen von unseren Wirtschaftspartnerschaften profitiert.

Ein leistungsfähiger Privatsektor ist unverzichtbar im Kampf gegen Armut.

Wie kann die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft in der derzeitigen Situation stimuliert werden?

Stift: Durch die Covid-19 Pandemie sind viele Arbeitsplätze verloren gegangen. Daher ist es umso wichtiger, die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zu stärken und die sozialen und nachhaltigen Ziele weiter zu verfolgen, um die verschlechterte Lebenssituation besonders benachteiligter Menschen zu verbessern. 

Sehen Sie die Entwicklungszusammenarbeit in Österreich im Vergleich mit Ländern wie der Schweiz oder Schweden gut aufgestellt?

Stift: Die Bundesregierung hat in ihrem Regierungsprogramm ein klares Bekenntnis zur Entwicklungszusammenarbeit abgelegt. Wie Sie wissen, wurde in den vergangenen Jahren das Budget für die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit sukzessive erhöht. Wir sehen uns gleichzeitig mit zunehmenden Konflikten, Naturkatastrophen und Krisen, wie jetzt die Covid-19 Pandemie, konfrontiert. Die Ereignisse haben innerhalb kurzer Zeit humanitäre Krisen ausgelöst und das Leben hunderttausender Menschen gefährdet. Daher wurde auch der Auslandskatastrophenfonds substanziell aufgestockt: von knapp 15 noch im Jahr 2019 auf 55 Millionen Euro für 2022. Diese Mittel werden ebenfalls zumeist von der ADA abgewickelt. Unsere Aufgaben sind also mehr geworden. Damit wir den zukünftigen Anforderungen gerecht werden können, werde ich mich als ADA-Geschäftsführer dafür einsetzen, dass wir zur Erfüllung unserer gestiegenen Aufgaben auch in Zukunft mit den nötigen Budgetmitteln ausgestattet werden.

Zu den Zukunftsthemen der ADA gehört die Weiterentwicklung von einer Förder- zu einer Durchführungsorganisation. Worum geht es dabei?

Stift: Im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags vergibt die ADA nicht nur Förderungen, sondern setzt mit Mitteln, die ihr andere Geber anvertrauen, auch selbst Projekte um. Das sind beispielsweise die Europäische Union, andere Geberstaaten oder österreichische Bundesländer. Seit 2018 sind wir außerdem beim Green Climate Fund akkreditiert und können uns um Gelder für Projekte bewerben, die Entwicklungsländer beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen. In den vergangenen Jahren haben wir unseren Drittmittelbereich, der ein wichtiges strategisches Ziel unseres Unternehmenskonzeptes ist, kontinuierlich ausgebaut. Insgesamt haben wir hier bis dato 14 Projekte für die Europäische Union mit einer Vertragssumme von knapp 90 Millionen Euro erfolgreich abgeschlossen. Die Anzahl der Projekte sowie die Höhe der Mittel steigen dabei kontinuierlich. Aktuell setzen wir Projekte in der Höhe von 127 Millionen Euro um.

Die ADA wird mitunter auch als bürokratisch beschrieben. Wie wollen Sie die ADA für Partner aus der Wirtschaft attraktiver machen?

Die ADA arbeitet mit Steuergeldern. Unsere Verantwortung ist es daher, die Abwicklung von Förderungen nach festgelegten Kriterien auszuführen. Das mag für manche vielleicht als zu bürokratisch oder zu kompliziert angesehen werden. Aber wie gesagt, wir sind den österreichischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern verpflichtet. Wir arbeiten jedoch laufend daran, unsere Vorgaben und Richtlinien auf Serviceorientierung zu überprüfen, um weiterhin ein attraktiver Partner sein zu können. 

Wir überprüfen unsere Richtlinien laufend auf Serviceorientierung.

Wo sehen Sie die Stärken und Schwächen der ADA?

Stift: Unsere größte Stärke ist die Expertise, die Verlässlichkeit und das beeindruckende Engagement unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir sind in unseren Schwerpunktländern mit Auslandsbüros, Expertinnen und Experten sowie entsprechender Infrastruktur präsent. So stellen wir sicher, dass die ADA-Mittel zielgerichtet eingesetzt werden und die Maßnahmen den Bedürfnissen der Menschen vor Ort entsprechen. Als Schwäche muss man festhalten, dass uns Grenzen gesetzt sind, was die langfristige Planbarkeit unserer Mittel betrifft: Unsere gesetzliche Basis ist das Entwicklungszusammenarbeitsgesetz, welches ein jährliches Arbeitsprogramm und ein Jahresbudget vorsieht.

Welche persönlichen Ziele haben Sie sich gestellt? Wo soll die ADA in ein paar Jahren stehen?

Stift: Mir ist wichtig, dass die ADA ein attraktiver und konstruktiver Partner für die Schwerpunktländer der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit ist. Unsere Partnerländer wissen am besten, in welchen Bereichen sie unsere Unterstützung am notwendigsten brauchen. Wir legen auch großen Wert auf eine gute, von Vertrauen getragene Zusammenarbeit mit österreichischen NGO, die vor Ort die Projekte umsetzen. Und wir bemühen uns weiterhin ein guter Arbeitgeber zu sein, mit dessen Werten und Zielen sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter identifizieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Friedrich Stift

Friedrich Stift ist Geschäftsführer der Austrian Development Agency (ADA). Der Spitzendiplomat übernahm im Sommer 2021 die Leitung der österreichischen Entwicklungsagentur, die mit rund 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Umsetzung von bilateralen Programmen und Projekten mit einem Gesamtvolumen von 550 Millionen Euro verantwortlich zeichnet. Zuvor war Stift als Botschafter in China, im Iran sowie in Saudi-Arabien tätig. In Wien leitete der promovierte Jurist vier Jahre die Nahostabteilung im Außenministerium und war stellvertretender politischer Direktor.

Fotos: Wilke