Alljährlich im September treffen die Staats- und Regierungschefs der Welt in New York zur Generalversammlung der Vereinten Nationen VN zusammen. Es ist die Woche unzähliger offizieller Sitzungen, informeller Treffen und Politiker-Handshakes. Vielleicht weniger bekannt: Auch hunderte Spitzenmanager und Führungs-kräfte reisen jedes Jahr im Frühherbst in die US-Metropole, um am „UN Global Compact Leaders Summit“ teilzunehmen. Dabei handelt es sich um ein CEO-Treffen, das vom Business-Netzwerk der VN veranstaltet wird – jener, wie Global Compact-Chefin Lise Kingo nicht ohne Stolz erklärt, „mit 9.500 Mitgliedern weltgrößten Initiative für nachhaltiges Unternehmertum“. Mitglieder – zu denen in Österreich Palfinger, Raiffeisen Bank International und die Post zählen – verpflichten sich, die zehn Global Compact-Prinzipien in den Bereichen Arbeitsnormen, Menschenrechte, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung einzuhalten.

Seit drei Jahren sind sie zusätzlich gefordert: Unternehmen sollen, so der Aufruf der VN, im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit und mit innovativen Produkten und Dienstleistungen an der Umsetzung der „Agenda 2030“ mitwirken. Gemeint ist jenes ehrgeizige Paket von 17 Sustainable Development Goals SDG, auf das sich die Weltge-meinschaft im September 2015 geeinigt hat. Es ist so etwas wie ein Aktionsplan für eine bessere Welt, der vorsieht, bis 2030 extreme Armut zu beseitigen, die Ressourcen des Planeten zu schützen sowie Gesundheit und einen gewissen Wohlstand für jeden Menschen zu erreichen.

Zukunftsfähig

Paul Polman, Unilever
Paul Polman, Unilever

Ein Teilnehmer des Leaders Summit 2018 war Paul Polman. Der charismatische CEO des niederländisch-britischen Unilever-Konzerns gilt als unermüdlicher Advokat der globalen Ziele, und einmal mehr brachte er seine zentrale Botschaft an die Kollegen: „Nur Unternehmen, die zur Umsetzung der SDG beitragen, haben einen Zweck. Wer kein Dinosaurier sein will, sondern zukunftsfähig, ist gut beraten, den SDG zu dienen. Dazu braucht es keine moralischen Gründe. Es handelt sich um die größte Business Opportunity der Geschichte.“ Polman spricht damit den weltweit enormen Bedarf bei Infrastruktur und Energie, Gesundheitsservices, Bildung und Wohnen an. Zukunftsorientierte Unternehmen können anhand der 17 Ziele Handlungsfelder identifizieren, um negative Einflüsse auf Umwelt und Gesellschaft zu reduzieren und positive Wirkungen zu steigern. Daraus können sich wiederum neue Unternehmensstrategien und Marktchancen ergeben.

Zumindest Unternehmen innerhalb des Global Compact-Netzwerks dürften sich mit den Zielen tatsächlich auseinandersetzen. Laut des in New York vorgestellten Fortschrittsberichts, für den tausend Mitgliedsunternehmen befragt wurden, integrieren bereits 80 Prozent die SDG in ihre Geschäftsstrategie. Und, freut sich Kingo, „diese Auseinandersetzung passiert auf hoher Ebene, denn 68 Prozent der Vorstände sind persönlich in die Entwicklung involviert“. Auch Polman lobt, dass die SDG immer öfter zum Referenzrahmen für Unternehmen werden. „Die Richtung stimmt also,“ sagt er, „doch aus heutiger Sicht werden bis 2030 viele der 17 Ziele nicht erreicht werden. Daher muss es nun darum gehen, die Geschwindigkeit und Größe der Aktivitäten deutlich zu steigern.“

Den Mehrwert im Blick

Für die Erreichung der Agenda 2030 auf Unternehmensebene braucht es laut Global Compact vor allem eins: überzeugte Führungskräfte, die im Idealfall auch andere inspirieren. In New York wurden daher eine Reihe von sogenannten SDG Pioneers vor den Vorhang geholt: Topmanager, die sich, so Kingo, der Agenda 2030 verpflichtet fühlen und unternehmerisches Handeln und gesellschaftlichen Mehrwert erfolgreich verknüpfen.

Eine Jury hat aus 150 Bewerbungen zehn Pioneers selektiert (siehe Kurzporträts unten) und dabei sichtlich darauf geachtet, das Spektrum SDG-affiner Manager möglichst breit abzubilden: Ausgewählt wurden sechs Frauen und vier Männer, die für Unternehmen unterschiedlicher Größen und Branchen in allen Weltteilen arbeiten: für global tätige Konzerne wie Suez, BASF und L‘Oréal, für regionale Player wie die indonesische Kosmetik-Gruppe Martha Tilaar oder das libanesische Postunternehmen LibanPost sowie für kleinere Unternehmen im humanitären Bereich (Committed to Good) und für Sozialunternehmen (wie Winya Indigenous Furniture).

Die SDG als Chancen-Katalog

Leaders Summit Führungskräfte tauschen sich zur Rolle der Unternehmen in der Gesellschaft aus
Leaders Summit:  Führungskräfte tauschen sich zur Rolle der Unternehmen in der Gesellschaft aus

In einem sind sich alle zehn Pioniere einig: Unternehmerische Verantwortung muss im Unternehmen selbst stattfinden. Teressa Szelest, Nordamerika-Managerin des deutschen Chemieriesen BASF, empfiehlt beispielsweise: „Unternehmen sollten sich auf ihre Produktwert-schöpfungsketten konzentrieren und mit Kunden und anderen Stakeholdern Chancen identifizieren. Gemeinsam lassen sich Partnerschaften aufbauen, um Innovation, Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu fördern.“ Gerade die Chemie-Branche biete viele innovative Lösungen für nachhaltige Entwicklung, so Szelest. Der Konzern steuert mittlerweile sein Produktportfolio aktiv in Richtung Nachhaltigkeit und strebt auf der Suche nach neuen Lösungen auch Innovationspartnerschaften an.

Hanaa Helmy, CSR-Managerin des ägyptischen Finanzdienstleisters EFG Hermes und Chefin der gleichnamigen Stiftung, ist ebenfalls überzeugt, dass die globalen Ziele direkt in die Geschäftsstrategie einfließen sollten. „Viele Menschen denken vielleicht, dass eine SDG-Orientierung zu Verlusten führt, aber das Gegenteil ist wahr, es erhöht die Gewinne. Bei uns werden die SDG bei allen Invest-mententscheidungen berücksichtigt, das hilft uns beim Risiko-management und bei der Identifikation von Chancen.“

Auffällig: Gut die Hälfte der ausgewählten SDG Pioneers engagiert sich schwerpunktmäßig für die berufliche Einbindung von Frauen. Wie Martha Tilaar, Grande Dame der indonesischen Kosmetikindustrie, die Frauen-Empowerment als zentrale Aufgabe ihrer Tilaar Gruppe definiert. Oder Khalil Daoud, CEO der libanesischen Post, der Frauen in allen Hierarchiestufen des Unternehmens einsetzt und darin einen Beitrag gegen kulturelle Vorurteile sieht: Das sei „besonders wichtig in einer Region, in der Frauen Rechte verweigert werden.“

Mehr Pioniere

Auf die Frage, wie sich noch mehr Unternehmen für die Erreichung der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung gewinnen lassen, schlägt Paul Polman vor, dass Unternehmen verstärkt mit ihren Zulieferern sowie mit Branchenorganisationen kooperieren sollen, hier stecke nämlich „der wahre Hebel zu mehr Impact“.

Das Thema „Partnerschaften zur Erreichung der SDG“ steht übrigens auf der Agenda eines CEO Roundtables, zu dem das österreichische Global Compact Netzwerk am 8. November 2018 bei den Vereinten Nationen in Wien lädt. Diese Veranstaltung soll helfen, die SDG verstärkt auch in den Chefetagen heimischer Unternehmen zu platzieren. Vielleicht nimmt ja bereits ein künftiger SDG Pionier aus Österreich daran teil?


Die 10 SDG Pioneers 2018

Innovative Lösungen für nachhaltige Wasserversorgung und Klimaschutz

Teressa Szelest, zuständig für Market & Business Development beim deutschen Chemiekonzern BASF, setzt auf mehr Nachhaltigkeit im Portfolio: Accelerator-Produkte sind neue Lösungen – vom Reiniger über Leichtbaukunststoffe bis zu Zementmischungen – mit substanziellem Nachhaltigkeitsbeitrag (z.B. Ressourceneffizienz)

Klimaschutz durch Ressourceneffizienz im Wasser- und Abfallmanagement

Jean-Louis Chaussade, CEO des französischen Wasser- und Abfallkonzerns Suez, hat eine Fünfjahres-Roadmap für nachhaltige Entwicklung auf den Weg gebracht, um Millionen Menschen mit sauberem Wasser und sanitären Anlagen zu versorgen. Zum Erhalt wertvoller Ressourcen setzt Chaussade stark auf Kreislaufwirt-schaft.

Fortschrittliche Unternehmensethik

Emmanuel Lulin hat als Chief Ethics Officer für den französischen Kosmetikriesen L‘Oréal eine umfassende Ethikstrategie entwickelt, das die Ethik-, Diversity-, CSR- und Philanthropie-Programme des Konzerns an den SDG ausrichtet. Lulin ist außerdem für das erste Antikorruptionsprogramm, für eine Whistleblowing-Website und das Menschenrechtskomittee im Konzern verantwortlich.

Grüne Infrastruktur und kohlenstoffarme Wirtschaft

Esther An ist Chief Sustainability Officer des Immobilienentwicklers City Developments Limited CDL in Singapur. Sie setzt sich für umweltgerechtes Bauen und die Einhaltung von Nachhaltigkeits-prinzipien bei CDL und in der internationalen Immobilienbranche ein. An entwickelte für CDL einen Aktionsplan zur konkreten Umsetzung von zehn SDG.

Förderung der sozialen Entwicklung

Hanaa Helmy hat für den ägyptischen Finanzdienstleister EFG Hermes Richtlinien für nachhaltiges und verantwortungsvolles Investment entwickelt sowie eine Stiftung für soziale Entwicklung gegründet, die auf Armutsbekämpfung, Krankheitsprävention und Jugendentwicklung fokussiert. Helmy macht sich für die SDG auch an der ägyptischen Börse stark.

Geschlechtergleichstellung und wirtschaftliche Integration

Khalil Daoud ist CEO von LibanPost. Das libanesische Postunternehmen stellt Frauen in allen Hierarchiestufen, vom Zustelldienst bis zum Topmanagement ein. LibanPost bietet mehr als klassische Postservices: Bürger können auf den LibanPost-Zweigstellen im ganzen Land auch Finanztransaktionen und Behördenwege erledigen – ein Beitrag gegen die Korruptionsgefahr.

Förderung von Nachhaltigkeit durch Community Engagement

Martha Tilaar, Gründerin des gleichnamigen Kosmetikunternehmens in Indonesien, bietet Frauen aus einkommensschwachen Familien Trainings und Jobs und bewahrt sie so vor Ausbeutung durch Menschenhändler. Sie lässt zudem Kleinbauern in biologischer Landwirtschaft ausbilden und setzt sich für die Erhaltung medizinischer und kosmetischer Pflanzen in Indonesien ein.

Wirtschaftliche Stärkung der indigenen Bevölkerung

Greg Welsh ist CEO des australischen Büromöbelherstellers Winya Indigenous Furniture. Winya beschäftigt Angehörige der einkommensschwachen indigenen Bevölkerung Australiens. Im Büro sind es vor allem Frauen, in der Möbelherstellung Bewohner von abgelegenen Dörfern sowie Häftlinge. Zudem entwickelt das Unternehmen recyclingfähige Büromöbel.

Empowerment von Frauen in Konfliktgebieten

Alice Laugher ist CEO bei Committed to Good CTG mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten. CTG vermittelt Ärzte, Fahrer, Sicherheitsleute und andere Experten für humanitäre Projekte in Afrika, Zentralasien und im Nahen Osten. Durch Trainings- und Awarenessprogramme gelingt es Laugher, die Frauenquote bei humanitären Einsätzen laufend zu erhöhen.

Unterstützung für weibliche Flüchtlinge

Danielle Pieroni ist Chief Operating Officer beim brasilianischen Jobvermittler Foxtime Recursos Humanos. Foxtime vermittelt Bewerber nur an Unternehmen mit fairen Arbeitsbedingungen und fördert insbesondere die Einstellung von Frauen. Pieroni leitet außerdem ein Programm zur Unterstützung weiblicher Flüchtlinge auf der Suche nach einer formellen Beschäftigung.

Fotos: Joel Sheakoski / UN Global Compact