Im Grenzgebiet zwischen Nordmazedonien und Albanien erzeugt die Familie Nelkoski seit Jahrzehnten „Krem“, ein Haselnussmus, das als Brotaufstrich oder zum Verfeinern von Müslis, Eiscremes, Saucen und dergleichen weithin geschätzt wird. Im Jahr 2018 erhielt die Familie Besuch aus Österreich. Hans-Jörg Hummer und Christopher Opancar, zwei Mitbegründer des jungen Wiener Handelsunternehmens Balkan Express, boten der Familie an, ihr Erzeugnis zu branden und am EU-Markt zu verkaufen. Zentrale Bedingung war, lediglich zertifizierte Bio-Nüsse zu verwenden und diese händisch zu lesen und zu verarbeiten. Für die nötigen Investitionen stellte Balkan Express Unterstützung in Aussicht. Die Nelkoskis sagten zu.

„Für den Aufbau unseres Business klapperten wir ab 2016 zahlreiche Manufakturen am Westbalkan ab“, erinnert sich Hans-Jörg Hummer an die Anfänge. „Die allermeisten winkten ab, weil sie vor dem Umstieg auf Bio zurückschreckten oder uns nicht ausreichend vertrauten.“ Schließlich hatten die Österreicher Verträge mit vier Partnern in der Tasche: mit Radanska Ruža in Südserbien, mit Nelkoski Organik in Nordmazedonien, mit Optimist in Südostserbien und EkoLife in Bosnien-Herzegowina. Mit deren Produktauswahl lasse sich die kulinarische Welt des Balkans gut darstellen, zeigt sich Hummer zufrieden. 

Doppelte Zielsetzung

Damit lag das erste Ziel in Reichweite, nämlich, so Hummer, unter der Marke BioBalkan „erlesene Spezialitäten vom Balkan auf die Tische anspruchsvoller, kritischer und neugieriger Konsumenten in Österreich zu bringen und damit eine Marktlücke zu füllen“. Neben dem mittlerweile auch in Österreich bekannten Ajvar, einem Aufstrich aus gegrilltem enthäuteten roten Paprika, führt Balkan Express weitere Gemüsezubereitungen wie Pindschur, Malidschano und Mackalo aus Paprika, Melanzani und Tomaten sowie Pürees aus Hagebutten, Feigen, Beeren und Haselnüssen.

Auch der soziale Mehrwehrt lag BioBalkan von Anfang an am Herzen. Hummer erklärt: „Wir wollten zeigen, dass man mit einem durchdachten Geschäftsmodell in einer der ärmsten Gegenden Europas Arbeitsplätze schaffen kann.“ Auf das Abenteuer waren die Neounternehmer nicht unvorbereitet. Denn Hummer wie Opancar waren mehrere Jahre für die Austrian Development Agency ADA und die deutsche Entwicklungsagentur GIZ am Balkan tätig gewesen und kannten daher die Sprachen, Stärken und Schwächen der Region. „Wir wollten unsere Lieferanten – alles Kleinbetriebe, die im ländlichen Raum Arbeitsplätze für marginalisierte Bevölkerungsgruppen schaffen – begleiten und fördern“, sagt der gelernte Jurist.

Lieferkette stärken

Radanska Ruža erzeugt in Südserbien echten Ajvar und andere Köstlichkeiten nach Originalrezepten.
Radanska Ruža erzeugt in Südserbien echten Ajvar und andere Köstlichkeiten nach Originalrezepten.

Um hierbei erfolgreich zu sein, setzte Balkan Express Anfang 2020 auf eine Crowdfunding-Kampagne zugunsten des Partners Radanska Ruža. Mit 22.000 Euro blieb diese finanziell überschaubar erfolgreich, trug aber viel zur Bekanntmachung von BioBalkan bei. Umso wichtiger war die Zusage der ADA im Frühjahr 2020, den Aufbau nachhaltiger Lieferketten für Biospezialitäten aus dem Balkan über eine Wirtschaftspartnerschaft zu fördern. 

Im Hintergrund genießt Hans-Jörg Hummer den Besuch bei dem für ihn sehr wichtigen Partner Radanska Ruža.

Im Rahmen der Förderung wurden als erstes die vier Erzeugerbetriebe weiterentwickelt. Wo die Schwachstellen bei jedem einzelnen lagen – beim Management, den Produktionskapazitäten, -standards oder dem Personal –, zeigte sich laut Hummer in der täglichen Zusammenarbeit. Er gesteht: „Jeder Partner muss intensiv betreut werden.“ Allen gemeinsam ist daneben eine geringe Kapitalausstattung und ein fehlender Zugang zu Krediten, weshalb Balkan Express seinen Partnern neben langfristigen Abnahmeverträgen zinslose Vorauszahlungen für die Erzeugnisse bietet. „Diese Zahlungen müssen frühzeitig erfolgen“, sagt Hummer, „damit die Partner Betriebsmittel für den Anbau, die Wildsammlung oder die Verarbeitung der Ernten beschaffen können.“ 

Zudem erhielten die Erzeuger Mittel zum Ausbau der betrieblichen Prozesse. So konnten sich die Nelkoskis eine leistungsstarke Nusstrocknungsanlage zulegen, und alle installierten Abfüllanlagen und Etikettiermaschinen. Bis zum Ende der Wirtschaftspartnerschaft Anfang 2023 stehen weitere Investitionen an. Hummer: „Unsere Partner sind nun soweit ausgestattet, dass die Ware fix und fertig abgefüllt, etikettiert, verpackt und auf Paletten geladen nach Wien gelangt, wo ein Logistikpartner die Auslieferung besorgt.“

Unterstützung erhielten auch die Obst- und Gemüsebauern, die die Verarbeitungsbetriebe beliefern, bis hin zur Biozertifizierung und den Bau von Gewächshäusern, durch welche die Saison verlängert und die Erträge erhöht werden. Und nicht zuletzt half die Wirtschaftspartnerschaft beim Ausbau von Marketing und Vertrieb von BioBalkan. Die rund um den Webshop sympathisch gestaltete Webseite des Händlers zeugt von den erfolgten Investitionen. Interessierte finden hier neben der Einkaufsmöglichkeit lesenswerte Berichte über die Hersteller, Rezepte, News und vieles mehr. 

Die Bemühungen fruchten. Allein in Wien gehören BioBalkan-Spezialitäten bereits bei gut 50 Greißlereien, Fleischereien und Bäckereien zum Sortiment. Hans-Jörg Hummer über weitere Pläne: „Wir blicken bereits auf ein erstes Geschäftsjahr mit kleinem Gewinn zurück und wollen nun behutsam weiterwachsen.“ 


Das Unternehmen

Handverarbeitet, bio und sozial 

Die Balkan Express GmbH ist ein von drei Österreichern und Balkankennern 2018 in Wien gegründetes Handelsunternehmen für Balkanspezialitäten – Aufstriche und Pürees aus biologisch angebauten und händisch verarbeiteten Gemüsen, Nüssen und Beeren. Der Vertrieb der rund 15 teilweise preisgekrönten Produkte erfolgt unter der Marke BioBalkan online sowie über Handelspartner. Größter Absatzmarkt ist Ostösterreich, gefolgt von Restösterreich und Deutschland. Balkan Express unterstützt gleichzeitig seine aktuell vier Produzenten – Manufakturen und Familienbetriebe – in drei Balkanländern. 

Fotos: Kristina Mukoska, BioBalkan, Jürgen Schmücking

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Finden Sie hier Berichte über frühere Wirtschaftspartnerschaften der Austrian Development Agency mit verschiedenen Partnern:

Fuß fassen in Afrika: Wie sich der Blumen- und Nahrungspflanzenexperten Delphy aus den Niederlanden über Pilotprojekte einen Markt in Subsahara Afrika aufbaut. 

250 Sofas und mehr: Über die Stärkung eines Lieferanten im Kosovo durch den Objekteinrichter Foness (corporAID Magazin Ausgabe 94, Winter 2021/22)

Rückholung des Waldes: Über ein Aufforstungsprojekt im Kosovo durch den Zellulosefaserkonzern Lenzing (corporAID Magazin Ausgabe 92, Herbst 2021)

Weide statt Kohle: Über dem Ausbau des Biomassemarkts in Serbien durch ein internationales Konsortium unter der Führung von E3 International (corporAID Magazin Ausgabe 91, Sommer 2021)

Fenster für Innovationen über die Unterstützung des Sozialunternehmerförderers Ashoka Austria beim Transfer erfolgreicher Tools nach Ostafrika (corporAID Magazin Ausgabe 90, Frühjahr 2021)

Hören können! über die Einrichtungen eines breiten Angebots im Bereich Hörgesundheitin Bangladesch und der Elfenbeinküste durch den Hörimplantatehersteller MED-EL (corporAID Magazin Ausgabe 89, Winter 2020)

Hygiene am Bauernhof über Marktvorbereitungen der Firma Calvatis in Brasilien (corporAID Magazin Ausgabe 88, Herbst 2020)

App hilft beim Thema Nr. 1 über eine Covid-19-Beratung für Ärzte und Pfleger in Entwicklungsländern durch MedShr (corporAID Magazin Ausgabe 87, Sommer 2020)

Nutzen statt Verbrennen über das Lobbying für Fackelgas statt importiertem Diesel im Verkehr in Nigeria durch ETEFA (corporAID Magazin Ausgabe 86, Frühjahr 2020)

Fachkräfteschmiede über den Aufbau einer Ausbildungsstätte für technische Berufe im Kosovo durch Hysni Ymeri (corporAID Magazin Ausgabe 85, Anfang 2020)

Cashew-Business über den Aufbau einer lokalen Verarbeitung von Öko-Nüssen in Tansania durch Umweltberater Paul Schreilechner