In Südamerika ist einiges in Bewegung. Wie so häufig. Doch während hierzulande dabei meist an Schwergewicht Brasilien und dessen brennende Wälder, an den nächsten argentinischen Staatsbankrott oder aktuell an die schweren Unruhen im vermeintlichen Vorzeigeland Chile gedacht wird, lohnt ein Blick auf zwei vormalige Underdogs, die mit hohen Wachstumsraten, großen Infrastrukturmaßnahmen und spannenden Märkten aufhorchen lassen: Peru und Bolivien. Politisch ist auch dort einiges los, im von Korruptionsskandalen erschütterten Peru gibt es im Jänner vorgezogene Neuwahlen, in Bolivien klammert sich der sozialistische Amtsinhaber Evo Morales unter höchst fragwürdigen Umständen an seine Macht, die Bevölkerung protestiert. Europäische Unternehmen reagieren, was diese Märkte angeht, traditionell entsprechend skeptisch.
Peru geht voran
Dabei ähneln die Chancen des peruanischen Marktes für österreichische Unternehmen den Nazca-Linien in Südperu: Die jahrhundertealten Bodenzeichnungen in Form eines Kolibris oder einer Spinne können aufgrund ihrer immensen Größe nicht auf den ersten Blick, sondern nur von Anhöhen in gehöriger Entfernung oder aus der Luft gesehen werden. Auch der peruanische Markt mag sich aufgrund der politischen Instabilität und Korruptionsanfälligkeit nicht auf den ersten Blick aufdrängen, doch gewinnt man einen Blick auf das große Ganze, zeigt sich ein Land, das in den vergangenen zehn Jahren zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Lateinamerikas gehörte, ausländische Unternehmen ins Land holte und dafür die nötige Rechtssicherheit bot.
Der Ursprung der weltbekannten Nazca-Linien wird in Fruchtbarkeitsritualen vermutet, auch die wirtschaftliche Öffnung fruchtet immer mehr: Im vergangenen Jahr wuchs die peruanische Wirtschaft um 3,9 Prozent, für heuer wird ein ähnlicher Wert prognostiziert. Die österreichischen Exporte stiegen 2018 im Vergleich zu 2017 um mehr als ein Drittel auf rund 82 Mio. Euro deutlich an – insbesondere österreichische Maschinen sind gefragt. In der Infrastruktur und vor allem auch im Bergbau, der mit rund 60 Prozent zum Export des Landes beiträgt, gibt es reihenweise Großprojekte.
Der Amstettner Schalungsspezialist Doka hat das erkannt und im Juni sein Perugeschäft ausgebaut. Neben der Hauptniederlassung in Lima gibt es nun eine weitere in Arequipa, im Herzen des peruanischen Minenbaugebiets. „Wir sehen in Peru einen starken Markt mit hohem Potenzial, sowohl im Infrastrukturbereich und Bergbausektor als auch im Bau von großen Gebäudekomplexen in Lima“, sagt Doris Stübinger, Doka-Marketingchefin für Lateinamerika. Ihrer Meinung nach „bieten sich für viele europäische Unternehmen Chancen, vom Aufschwung in der Region zu profitieren und die Entwicklung proaktiv mitzugestalten“. Damit dieser Aufschwung nicht abebbt, strebt Peru eine Mitgliedschaft bei der OECD an – einzig Chile ist bislang als Südamerika-Vertreter beim Klub der Industrieländer dabei. Im Jahr 2021 feiert Peru 200 Jahre Unabhängigkeit, bis dahin soll die Mitgliedschaft unter Dach und Fach sein.
Und ewig grüßt die Korruption
Wenn nur der Korruptionsskandal um den brasilianischen Odebrecht-Konzern nicht wäre, der auch in Peru hohe Wellen schlägt: Im April dieses Jahres hat sich etwa der frühere Präsident des Landes, Alan García, vor einer geplanten Festnahme erschossen. Sein Nachfolger Pedro Pablo Kuczynski steht wegen Korruption unter Hausarrest. Und der aktuelle Präsident, Martín Vizcarra, hat nach einem monatelangen Machtkampf das Parlament aufgelöst und Neuwahlen ausgerufen. Was heißt all das für europäische Unternehmen, die in Peru tätig werden wollen? „Vor allem die Baubranche ist durch die politischen Ereignisse sehr volatil, Großprojekte stehen häufig still. Eine Investition braucht daher neben lokalen Kenntnissen auch das nötige Durchhaltevermögen“, sagt Stübinger.
Letzteres muss aktuell auch der Vorarlberger Seilbahnhersteller Doppelmayr unter Beweis stellen. Ende Februar dieses Jahres wurde nach siebenjähriger Vorbereitung der Grundstein für das erste Doppelmayr-Projekt in Peru gelegt: Eine Seilbahn soll den Besuch der Inka-Stätte Huchuy Qosko, die aktuell nur über mehrtägige Trekkingwege erreichbar ist, ermöglichen. Wenige Wochen später lag das Projekt aber schon wieder auf Eis, nachdem die lokalen Landbesitzer energisch protestiert hatten. „Es handelt sich um eine kleine Gruppe von etwa 50 Landbesitzern, mit denen vor der Grundsteinlegung Verträge verhandelt und unterzeichnet wurden. Nun kommen sie mit neuen Forderungen“, sagt Peter Baumann, Lateinamerika-Verantwortlicher bei Doppelmayr. Doch Baumann ist zuversichtlich, dass eine gütliche Einigung unmittelbar bevorsteht, die peruanische Regierung stehe helfend zur Seite: „Das unterstreicht, dass die Rechtssicherheit in Peru gilt.“
Grundsätzlich zeigen sich Perus Wirtschaft und Bevölkerung von all den politischen Turbulenzen einigermaßen unbekümmert. „Wie so oft, blieb es im Land trotz aller politischen Dramatik ruhig. Gemessen an der Gravitas der Ereignisse gingen vergleichsweise wenige Menschen auf die Straße. Wären nicht die reißerischen Titelseiten der Zeitungen, die ständig ein politisches Armageddon ankündigen, würde man von der politischen Dauerkrise im Alltag kaum etwas merken“, berichtet Sebastian Grundberger, Leiter des Auslandsbüros der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung, aus Lima.
Interview mit Drazen Maloca, Wirtschaftsdelegierter
Mondlandung
Bolivien will hoch hinaus
Auch Perus „kleiner Nachbar“ Bolivien galt lange als Sorgenkind. Noch heute ist Bolivien das ärmste Land Südamerikas. Und da unter der Ägide von Präsident Evo Morales reihenweise ausländische Unternehmen verstaatlicht wurden, meiden viele ausländische Investoren das Land nach wie vor. China hat sich unterdessen als wichtigster Geldgeber positioniert. Zeitgleich gilt Bolivien aber auch als absolutes Boomland, im Vorjahr ist die Wirtschaft um 4,1 Prozent gewachsen, auch heuer dürfte Bolivien als einziges Land Südamerikas die Vier-Prozent-Marke knacken. Der bolivianische Staat investiert derweil kräftig in Infrastruktur, Energie und Rohstoffförderung. Und während zeitgleich im heruntergewirtschafteten „Bruderstaat“ Venezuela die Supermarktregale leer sind und Medikamente fehlen, wird in Bolivien bei niedriger Inflation der Konsum angekurbelt und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung verbessert. Davon profitiert auch die Wiener Vamed AG, die aktuell ein öffentliches 200-Betten-Krankenhaus in der abgelegenen Ortschaft Villa Tunari baut und ausstattet.
Aus österreichischer Sicht sticht mit Blick auf Bolivien vor allem das viel gerühmte Stadtseilbahnnetz in La Paz hervor: Heuer wurde die zehnte und letzte Linie in Betrieb genommen, zu Buche steht damit das größte Projekt in der Firmengeschichte von Seilbahnhersteller Doppelmayr. Peter Baumann blickt mit Stolz auf das Erreichte: „Die bolivianische Bevölkerung hat ein überaus positives Bild von den Seilbahnen, der soziale Wert macht sie sehr beliebt. Und auch in den anderen Ländern Südamerikas wurde erkannt, dass Seilbahnen eine wertvolle Ergänzung zu den übrigen Verkehrsmitteln bieten können.“ Auch wenn es nicht nur dank der Doppelmayr-Gondeln mittlerweile hoch hinaus geht, hängt die bolivianische Wirtschaft noch immer stark von Erdölexporten ab – und ist entsprechend volatil, vor allem auch weil die beiden Hauptabnehmer Brasilien und Argentinien selbst wirtschaftliche Sorgenkinder sind.
Voller Akku
Ein Ende dieser Abhängigkeit soll dank des Salar de Uyuni, der größten Salzpfanne der Welt, erreicht werden. Als Tourist lässt es sich mit dem Jeep über die endlos weißen Weiten fahren, für die bolivianische Wirtschaft ist aber neben den überschaubaren Einnahmen durch Rucksacktouristen vor allem spannend, was darunter wartet: die weltgrößten Reserven an Lithium, mit 21 Millionen Tonnen wahrscheinlich mehr als die Hälfte des globalen Vorkommens. Als Hauptbestandteil von Batteriezellen gilt das Alkalimetall Lithium als Schlüsselrohstoff. Lithium-Ionen-Akkus treiben Handys, Laptops und Elektroautos an – und haben ihren Entwicklern soeben den Nobelpreis für Chemie 2019 beschert. Die Preisträger hätten eine „wiederaufladbare Welt geschaffen“, hieß es vonseiten des Nobelpreiskomitees. Nun möchte Bolivien mit Lithium also die eigene Wirtschaft aufladen.
Bei der industriellen Förderung des „weißen Goldes“ baut die Regierung zur Frustration der chinesischen Mitbewerber auf eine öffentlich-private-Partnerschaft mit dem deutschen Unternehmen ACISA, in dieser Form ein Novum unter Evo Morales. Eine eigene Batteriefabrik und der Aufbau lokaler Wertschöpfungsketten sollen gar eine eigenständige bolivianische Industrialisierung in Gang setzen und damit dem Land helfen, vom reinen Rohstoffexport wegzukommen.
Bislang steht in der Salzwüste aber nur eine Pilotanlage. Und es gibt Proteste der bolivianischen Bevölkerung, die befürchtet, dass sie nicht von den Gewinnen aus dem Lithiumabbau profitiert. Ein Generalstreik wurde in der Region ausgerufen, Straßenblockaden errichtet – die Verträge zwischen dem bolivianischen Staatsunternehmen YLB und ACISA sind aber bereits unterzeichnet, die Laufzeit beträgt 70 Jahre.
Mehr als Machu Picchu
Auch viele heimische Unternehmen spüren nach wie vor Blockaden, wenn es um Geschäfte in Bolivien und Peru geht. Noch sind es vor allem Touristen, die sich ins Flugzeug nach Lima oder La Paz setzen. Sie besuchen besonders gerne die spektakulär in den Anden gelegene Ruinenstadt Machu Picchu, das Aushängeschild Perus und vielleicht gar des ganzen Kontinents. Doch während Peru im Mai aufgrund zu hoher Besucherzahlen den Zugang zu den hunderte Jahre alten Inka-Bauten vorerst einschränkte und damit dem ausufernden Tourismus Einhalt zu gebieten sucht, öffnet sich der Markt des Andenlandes mehr und mehr für internationalen Handel und bietet auch österreichischen Unternehmen verstärkt Geschäftsmöglichkeiten. Und auch Bolivien wird nicht nur dank der Lithiumreserven, unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen, zukünftig ein spannender Markt sein. Der andine Aufbruch könnte also von Dauer sein, ähnlich wie die archäologischen Schätze.