Wie beurteilen Sie den Standort Österreich im Hinblick auf die Chancen der Globalisierung? 

Baumgartner: Österreich ist ein attraktiver und unattraktiver Standort zugleich. Attraktiv, weil die Lebensqualität hoch ist und es durch die Nähe zu Osteuropa ein multikultureller Standort ist. Es ist einfach, Menschen mit internationalen religiös oder kulturell unterschiedlichen Hintergründen hierher zu bringen. Allerdings sind die administrativen Themen dabei immer wieder eine Hürde, und hier vor allem die Steuer- und Abgabenbelastung des Faktors Arbeit. Da ist Österreich nicht das bestgestellte Land. In der Lehrlingsausbildung und im Bereich der berufsbildenden Schulen wie HAK oder HTL findet man in Österreich hingegen eine Qualität, die ihresgleichen sucht.

Was assoziieren Sie mit Globalisierung?

Baumgartner: Wenn Sie mich vor zehn Jahren gefragt hätten, hätte ich gesagt: das, was ich in einem Land mache, global auszurollen, um dadurch weltweit Kunden zu bedienen. Das hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Die Welt ist weniger global geworden, wir haben mehr und mehr Länder, die sich abschotten. Während es früher für uns als Unternehmen wichtig war, global präsent zu sein, ist es heute eher wichtig, in Schlüsselmärkten tätig zu sein und dort eine relevante Position einzunehmen. Wenn daraus ein Fleckerlteppich wird, ist das okay. Konkret heißt das, ich muss beispielsweise in Russland vor Ort sein, um den russischen Markt zu erschließen. Denn es wird immer schwieriger, von einem einzelnen Standort aus den internationalen Markt zu bedienen.

Es wird immer schwieriger, von einem einzelnen Standort aus den internationalen Markt zu bedienen.

Wo liegen die Wachstumsmärkte der Constantia Flexibles?

Baumgartner: Hier gibt es zwei Perspektiven. Geografisch gesehen hängt unser Wachstum stark vom Wirtschaftswachstum im jeweiligen Land ab: Länder mit höherem Wirtschaftswachstum haben in der Regel auch eine steigende Nachfrage nach Verpackungen – vor allem für Konsumgüter. Demnach wird die EU in den kommenden fünf Jahren nicht zu unseren wachstumsstärksten Märkten zählen. Wir sehen heute starkes Wachstum in Indien, in Lateinamerika – wo wir eine relativ große Präsenz in Mexiko haben – sowie in den USA. Auf technologischer Seite gibt es ebenfalls Wachstumsmöglichkeiten, denn unsere Industrie befindet sich im Umbruch. Vor allem in der Kunststoffbranche ist Recycling derzeit das große Thema. Materialien wie Karton oder Glas verzeichnen Recyclingquoten von bis zu 90 Prozent und werden damit vom Konsumenten positiv wahrgenommen. Hier kann die Kunststoffindustrie derzeit nicht mithalten. Wir liegen in Europa bei einer Recyclingquote von maximal 15 Prozent. Wer hier Lösungen bietet, wird Wachstum generieren – selbst in an sich gesättigten Märkten.

Also nicht mehr Wachstum, sondern anderes Wachstum?

Baumgartner: Lassen Sie mich ein wenig ausholen: Was macht Verpackung? Sie schützt, sie informiert und sie stellt sicher, dass wir insbesondere Lebensmittel, die wir heute kaufen, nicht unbedingt auch heute verbrauchen müssen. Diese Features nutzen wir alle ganz selbstverständlich – nur leider assoziiert das niemand mit der Verpackung. Gerade die Kunststoffindustrie hat in der Vergangenheit technisch sehr versiert immer neue Materialien kombiniert, um Wasserstoff-, Sauerstoff- oder UV-Barrieren zu ermöglichen. Damit haben wir zwar erreicht, dass Kartoffelchips auch nach einem Jahr noch knusprig sind. Der Nachteil ist aber, dass diese Folien aus mehreren Lagen verschiedener Kunststoffarten bestehen und daher nicht einfach rezyklierbar sind. Die Lagen zu trennen und in Recyclingströme zu bringen, ist sowohl energetisch als auch finanziell sehr aufwendig. Aktuell entwickeln wir daher ein mehrlagiges Monomaterial, bei dem alle Lagen aus derselben Kunststofffamilie stammen. So können wir wirksame Barrieren aus rezyklierbarem Material anbieten. Das ist ein Riesenthema bei unseren Kunden. Gemeinsam mit einem Mitbewerber sind wir hier die Front Runner. Und ich erwarte mir durch diese Innovation nicht nur Wachstum, sondern auch einen Beitrag zu steigenden Recyclingquoten.

Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie im Umweltbereich?

Baumgartner: Für die Kunststoffindustrie gibt es zwei Hauptthemen: Globale Erwärmung und Abfall, vor allem Meeresmüll. Diese beiden Themen müssen wir zusammenbringen, was insofern komplex ist, als dass sie mitunter zielkonfliktär sind. Es gibt Materialien mit einer schlechten CO2-Bilanz, aber einer hohen Recyclingquote. Und wir haben Materialien mit einer guten CO2-Bilanz, aber einem Verwertungsproblem. Kunststoff zählt zu letzterem. Deswegen ist es für uns wichtig, die Recyclingquoten substanziell zu erhöhen. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass nur fünf Flüsse 90 Prozent des Meeresmülls transportieren – und die liegen alle in Asien. Ich will damit nicht sagen, dass wir in Europa keine Hausaufgaben zu erledigen haben, aber das große Problem liegt anderswo. Gerade weil wir hier vor einer globalen Herausforderung stehen, erwarte ich mir von Seiten der Politik Regelungen auf europäischer Ebene. Einzelmaßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten erhöhen letztendlich nur die Komplexität. Bei großen globalen Themen muss es möglich sein, dass die EU sich zu einem gemeinsamen Ziel mit einem gemeinsamen Fahrplan einigt und Vorreiter wird. Wir können uns das schon leisten, hier Vorbild für andere zu sein. Für viele Länder ist Europa in Umweltfragen die Benchmark: Die Welt schaut auf uns!

Alexander Baumgartner im Gespräch mit Bernhard Weber
Alexander Baumgartner im Gespräch mit Bernhard Weber
Wie sehen Sie die Veränderungsbereitschaft der Industrie insgesamt? 

Baumgartner: Lassen Sie es mich so formulieren: Jeder nimmt das Thema Umweltschutz ernst, aber nicht jeder hat verstanden, was sein Beitrag sein könnte. Unsere Industrie ist sehr fragmentiert, die zehn größten globalen Player haben zwanzig Prozent Marktanteil. Das ist viel weniger als bei Glas, Karton oder Wellpappe. Es gibt viele Unternehmen in unserem Bereich, die zwar lokal eine relevante Größe haben, aber weniger als hundert Millionen Euro Umsatz machen – und für die hat Recycling nicht immer höchste Priorität. Sind wir also schon dort, wo wir sein müssten? Nein!

Jeder nimmt das Thema Umweltschutz ernst, aber nicht jeder hat verstanden, was sein Beitrag sein könnte.

Welche Wachstumsambitionen verfolgt Constantia Flexibles?

Baumgartner: Es gibt natürlich organisches Wachstum, aber um den Umsatz mittelfristig zumindest zu verdoppeln, brauche ich Akquisitionen. In den vergangenen sieben Jahren haben wir dreizehn Unternehmen übernommen, und wir werden uns auch weiter aktiv an der Konsolidierung unserer Branche beteiligen. Wir kaufen dort, wo die Übernahme technologisch oder geografisch relevant ist. In unseren Märkten wollen wir zu den Top Drei der Branche gehören, und das tun wir heute in Vietnam, Südafrika, Russland, Mexiko, in der Türkei, in der EU, aber leider noch nicht in den USA. Mit dieser Logik wollen wir auch weiterwachsen.

Sie haben Werke in Südafrika. Wie sehen Sie den Kontinent?

Baumgartner: Die Übernahme der Afripack-Gruppe in Südafrika war aufgrund der ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung nicht die glücklichste unserer Akquisitionen. Und obwohl Südafrika die am weitesten entwickelte Volkswirtschaft auf dem Kontinent ist, ist es ein sehr herausfordernder Markt. Dementsprechend gemäßigt ist unser Appetit auf andere afrikanische Märkte. Dazu kommt das Compliance-Thema: Wir können nicht nach den afrikanischen Regeln der Kunst Geschäfte machen, sondern müssen das nach internationalen Regeln tun. Und das ist in vielen afrikanischen Ländern eine Herausforderung. Wir waren bereits in Kenia und Mauritius aktiv, haben aber beide Niederlassungen wieder verkauft, weil wir in diesen Märkten einfach nicht die notwendige kritische Größe erreichen konnten. Wir haben also unmittelbar keine Pläne, in Afrika weiter zu expandieren. 

Wie läuft es am Standort Indien?

Baumgartner: In unserem indischen Werk beginnen wir mit der Produktion der vorhin erwähnten recycelbaren mehrschichtigen Verpackung. Sie werden das wahrscheinlich nicht glauben, aber Indien hat uns zum Investitionszeitpunkt die größte Umfeldsicherheit geboten. Premierminister Modi verfolgt die Mission, Indien sauberer zu machen. Demnach stehen dort die Themen Müllvermeidung und Recycling ganz oben auf der Agenda. Und wir haben das Vertrauen, das sich in Indien viel bewegen wird – mehr als in Europa, wo zwar viel geredet und populistische Entscheidungen getroffen werden, im Endeffekt aber nicht viel getan wird. Daher war für uns Indien die bessere Wahl. Momentan beliefern wir von dort ausgehend die ganze Welt mit Probematerial. Aber letztlich ist das indische Werk für den indischen Markt da, weil es wenig Sinn macht, recyclingfähiges Material zu produzieren und dieses dann Tausende Kilometer zu transportieren. Wir werden daher bald auch in Europa eine zweite Linie in Betrieb nehmen. 

Wie wichtig sind die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele, SDG, für Ihr Geschäft? 

Baumgartner: Wir nehmen die SDG sehr ernst und haben uns zu vielen Themen entsprechende Ziele gesetzt. Die Hauptaufgabe der Verpackungsindustrie liegt darin, die flexible Verpackung umweltfreundlicher zu machen. Da haben wir eine Agenda, die heißt Recyclingfähigkeit und CO2-Reduktion. Und diese Ziele verfolge ich in Vietnam genauso wie in Indien, Mexiko oder Österreich. Weil wir viele Kunden weltweit beliefern, arbeitet unsere Branche schon heute weitgehend nach einheitlichen globalen Standards.

Die Politik hilft uns nicht wenn sie uns als die Bösen darstellt, anstatt gemeinsam mit uns Lösungen zu suchen.

Was macht ein Unternehmen zukunftsfähig?

Baumgartner: Im Endeffekt sind das die Strategie des Unternehmens und die Menschen. Es ist meiner Meinung nach sehr wichtig, sich mit engagierten Menschen zu umgeben. Denn letztlich sind es die Menschen, die mit ihren kreativen Ideen und ihrem Willen, Dinge voranzutreiben, den Unterschied ausmachen. Maschinen anschaffen kann hingegen jeder, der das nötige Geld hat. Und es ist heute schwieriger geworden, in einer Industrie wie der unsrigen junge Menschen für Verpackung oder Kunststoff zu begeistern. Die Politik hilft uns hier nicht, wenn sie uns als die Bösen darstellt, anstatt gemeinsam mit uns Lösungen zu suchen.

Worum geht es Ihnen als Manager?

Baumgartner: Ich möchte im Team an der Erreichung gemeinsamer Ziele arbeiten und mit den Erfolgen und Misserfolgen umgehen lernen. Mir geht es um ein offenes und faires Miteinander und ein Arbeitsumfeld, in dem man auch schlechte Nachrichten auf den Tisch legt. Wir werden dafür bezahlt, dass wir Probleme lösen, und nicht dafür, dass wir Dinge schönreden.

Vielen Dank für das Gespräch!

ZUR PERSON

Alexander Baumgartner ist seit Oktober 2015 Vorstandsvorsitzender der Constantia Flexibles Group. Zuvor war Baumgartner für das Europageschäft der Beauty and Home-Sparte der US-amerikanischen Aptar Group verantwortlich sowie unter anderem für die deutsche STI Group und die Mayr-Melnhof Gruppe tätig. Der heute 55-Jährige studierte Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien und an der Universität Luigi Bocconi in Mailand.

ZUM UNTERNEHMEN

Flexibler Verpackungsprofi
Wiener Headquarter der Constantia Flexibles

Constantia Flexibles ist Teil einer Unternehmensgruppe, die nach dem Zweiten Weltkrieg vom Industriellen Herbert Turnauer aufgebaut wurde. Mehrheitseigentümer ist heute der französische Finanzinvestor Wendel Group, einen Minderheitsanteil hält zudem die zur Turnauer-Familie gehörende Arepo Stiftung. Constantia Flexibles ist der weltweit viertgrößte Hersteller von flexiblen Verpackungslösungen aus Kunststoff- und Aluminiumfolie sowie Papier für Lebensmittel, Heimtiernahrung, Arzneimittel, Körperpflege und Haushaltprodukte. Die Unternehmensgruppe beschäftigt aktuell rund 8.500 Mitarbeiter an 38 Produktionsstandorten in 16 Ländern, davon 180 Mitarbeiter in der Unter-nehmenszentrale in Wien. Im Geschäftsjahr 2019 erwirtschaftete Constantia Flexibles einen Konzernumsatz von rund 1,5 Mrd. Euro.

Fotos: Mihai Mitrea, Constantia Flexibles