Was bedeutet Globalisierung für die OMV und für den Standort Österreich?
Seele: Die zentrale geografische Lage, ein gutes Ausbildungssystem sowie hochwertige Technologien sind eindeutig Stärken, die in der Globalisierung Vorteile bringen und von Österreich auch genutzt werden. Gleichzeitig hat das Land eine relativ hohe Steuerquote, die im internationalen Wettbewerb Nachteile bringt. Die OMV hat ihre Wurzeln aber in Österreich, und das Land ist für die OMV die Kernzelle für unser technologisches Know-how. Hier machen wir Technologieentwicklung, und die wirtschaftliche Umsetzung unserer Technologie erfolgt mit aller Innovationskraft durch die Globalisierung. Und das streben wir derzeit auch an: in die internationalen Märkte hinaus expandieren. Die Globalisierung ist also sowohl für die OMV als auch für den Standort Österreich eine große Chance.
„Es wäre nicht sehr intelligent, die riesigen Wachstumschancen in unserer Branche nicht wahrzunehmen.“
Wo liegen die neuen Wachstumsmärkte für die OMV?
Seele: Unsere Wachstumsstrategie ist auf die Internationalisierung unseres integrierten Geschäftsmodells ausgerichtet. Der geografische Fokus bei der Öl- und Gasförderung liegt auf den vier bestehenden Regionen CEE mit Österreich und Rumänien, Nordsee, Russland sowie Mittlerer Osten und Afrika. Zusätzlich entwickeln wir mit Australasien eine weitere Region. Die OMV wird aber auch das Raffinerie- und Petrochemie-Geschäftsmodell in internationale Wachstumsmärkte exportieren. Erste Schritte wie eine gemeinsame Absichtserklärung mit der Abu Dhabi National Oil Company wurden bereits gesetzt. Ein weiteres Wachstumsfeld sehen wir im europäischen Gasmarkt.
Muss die OMV als Unternehmen überhaupt wachsen?
Seele: Die Weltbevölkerung wächst, gleichzeitig haben weite Teile der Welt einen erheblichen Nachholbedarf bei der wirtschaftlichen Entwicklung – und die Bereitstellung kostengünstiger Energie kann diese unterstützen. Wachstum ist kein Muss, aber wir wollen am Wachstum der Märkte partizipieren. Das gibt unserem Geschäft eine Perspektive und erhöht die Attraktivität der OMV als Investment. Es wäre nicht sehr intelligent, die riesigen Wachstumschancen in unserer Branche nicht wahrzunehmen.
Sehen Sie Grenzen für das langfristige Wachstum?
Seele: Es gibt individuelle Grenzen, die letztendlich durch die Kapitalkraft und die Entwicklung der Märkte bestimmt werden. Dann gibt es auch regulatorische Grenzen, insbesondere aufgrund von ökologischen Auflagen, so dass bestimmte Wachstums-perspektiven nicht mehr gegeben sind. Wir sehen einen klaren globalen Trend, nämlich die Vermeidung des Primärenergieträgers Kohle sowohl in der Stromerzeugung als auch in der Basischemie. Hier gibt es einen Umstellungsprozess. Langfristig wird es aufgrund der höheren Ökoeffizienz gerade beim Erdgas Wachstums-potenziale geben – und das ist für uns spannend.
Spielt Peak Oil, also der Zeitpunkt, ab dem die globale Ölförderung abzunehmen beginnt, heute noch eine Rolle?
Seele: Peak Oil ist eine Frage der Produktionskapazitäten, wir machen uns eher Gedanken zum Peak-Demand. Sagen wir so: Die maximal mögliche Ölförderung verschiebt sich je nach Preissituation – die Reserven wären da. Die interessantere Frage lautet: Wo liegt die Nachfrage? Trotz der europäischen Diskussion über Elektromobilität nimmt die weltweite Rohölnachfrage jedes Jahr um mehr als eine Million Barrel am Tag zu. Wir haben also ein dynamisches Nachfragewachstum. Wann wir den Peak Demand sehen, darüber streiten sich die Experten. Ich gehe davon aus, dass der Erdölverbrauch in den nächsten drei bis fünf Jahren weiterhin wachsen wird. Denn dieser hängt vor allem von der Entwicklung der Weltkonjunktur ab. Und hier stellt sich die Frage, inwieweit sich geopolitische Spannungen und Handelskonflikte negativ auf die Weltwirtschaft auswirken werden.
Erwarten Sie global gesehen nicht auch langfristig eine kräftigere Nachfrage?
Seele: Wenn wir die Emerging Markets betrachten: Ja. Sehr starkes Wachstum wird von China ausgehen, das derzeit einen Erdgas-Anteil am Primärenergiemix von nur sechs Prozent hat. Das ist im Vergleich zu Europa niedrig. Da wir auch hier den erwähnten Umschichtungsprozess von Kohle zu Gas erwarten, rechnen wir mit einer stärkeren Nachfrage aus dieser Region. Indien ist, mit einer zeitlichen Verzögerung, ähnlich zu sehen. Die Wachstumsimpulse kommen aus dem asiatischen und pazifischen und sehr viel längerfristiger auch aus dem afrikanischen Raum.
„Wir sind eine wunderbare Adresse als Infrastruktur-provider für Elektromobilität. Hier sind wir bereit zu investieren.“
Welche Auswirkungen hat Elektromobilität auf die OMV?
Seele: Wir sehen E-Mobilität als Geschäftsoption und sind aufgrund unseres Netzwerks natürlich eine wunderbare Adresse, um Infrastrukturprovider für E-Mobilität zu sein. Und hier sind wir bereit zu investieren. Wir gehen aber auch davon aus, dass in Europa langfristig die Nachfrage bei Benzin und Diesel zurückgehen wird. Daher werden wir unsere Raffinerien in Richtung petrochemische Komplexe umgestalten und Öl stärker zu Endverbraucherprodukten verarbeiten. Bei der Elektromobilität muss man sich dabei immer auch die Frage stellen, woher der Strom letztlich kommt. Und das sehen wir als Chance, weshalb wir stärker in die Erdgasproduktion und -infrastruktur investieren werden. Das wird aber kein radikaler Umstellungsprozess sein sondern sich evolutiv entwickeln.
Wie geht die OMV mit dem Thema Dekarbonisierung um?
Seele: Wir setzen auf Erdgas als den primären Energieträger mit der besten Zukunftsperspektive. Wir haben auch stark auf Petrochemie fokussiert. Angesichts der Trends haben Öl- und Gas-Unternehmen im Prinzip zwei Möglichkeiten: Entweder Sie definieren sich als Energieunternehmen und gehen den Weg in Richtung Elektrizität. Das machen einige Firmen und engagieren sich daher auch im Bereich Erneuerbare Energie. Oder Sie gehen ans andere Ende der Wertschöpfungskette und betrachten die Produkte, die Sie fördern, nicht als Energieträger, sondern als Rohstoff für eine Veredelung. Das ist der Weg in Richtung Chemie. Selbst Elektroautos basieren nicht unwesentlich auf Erdöl: Sie brauchen Kunststoffe, Reifen, Lacke. Sie brauchen auch die Straße – und auch im Asphalt steckt Erdöl. Das Gleiche gilt übrigens für Gebäude, für die wir Isolationsmaterialien herstellen.
Wie haben sich die Rahmenbedingungen in puncto Nachhaltigkeit im Erdölgeschäft in den vergangenen Jahren verändert?
Seele: Es geht immer stärker darum, ein umsichtiger Betreiber zu sein – ein sogenannter Prudent Operator. Wir verfügen heute über einen strengen Governance Kodex, der beispielsweise eine ganz klare Absage gegenüber Korruption und ein Bekenntnis zu Menschenrechten als integrativen Bestandteil unserer Entscheidungsprozesse darstellt. Ich kann hier zwar nicht für die gesamte Branche sprechen, aber ich erkenne schon sehr deutlich, dass sich der Großteil unserer Industrie zu solchen Regeln verpflichtet fühlt. Auch bei Themen wie Gesundheit, Arbeitsschutz, Sicherheit und Umwelt sind die Ansprüche an uns stetig gestiegen. Es gab einige Ereignisse, die letztendlich die Industrie dazu bewegt haben, ein klares Bekenntnis zu umweltverträglicher Produktion abzulegen und sich wesentlich stärker zu engagieren. Themen wie der Verzicht auf das Abfackeln von Begleitgas werden von der Industrie sehr aktiv aufgegriffen, so dass wir heute wesentlich umweltfreundlicher arbeiten.
Wer treibt im Unternehmen die Themen Verantwortung und Nachhaltigkeit voran?
Seele: Es sind vor allem die Investoren, die gewisse Ansprüche an die Entwicklung und an die Verantwortlichkeit des Unternehmens stellen. Und diesen Investoren müssen wir klare Antworten geben. Hier steht die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells im Vordergrund: Nachhaltigkeit heißt allerdings nicht nur, dass man nachhaltig Gewinne erwirtschaftet, sondern dass man nachhaltig über eine Akzeptanz seitens der Finanzmärkte, der Gesellschaft und der Politik verfügt. Diese dreifache Akzeptanz ist eine wichtige Voraussetzung für die OMV. Nachhaltigkeit stellen wir auch bei der Kommunikation mit Investoren verstärkt in den Vordergrund, weil wir so zeigen können, dass die OMV auch langfristig ein attraktives Investment ist. Wir haben ein Investitionsbudget von zwei bis zweieinhalb Milliarden Euro jährlich – und diese Investitionen rechnen sich nicht innerhalb von ein paar Jahren, sondern wir sprechen hier in der Regel von Jahrzehnten. Aufgrund dieses Geschäftsmodells müssen wir das Thema Nachhaltigkeit präsent haben, um solche langfristigen Investitionen tätigen zu können.
Wie managen Sie Verantwortung?
Seele: Das Thema Verantwortung ist beim Vorstand angesiedelt: Sie können das nur in eine Organisationskultur implementieren, wenn Sie es von oben in das Unternehmen hineintragen. Dazu versuche ich, Verbündete zu finden, wie in jedem anderem Geschäftsbereich auch. Sie können Verantwortung nur übernehmen, wenn Sie möglichst viele finden, die mit Ihnen gemeinsam die Verantwortung tragen. Im Endeffekt geht es um einen kulturellen Wandel, der in den Köpfen der Mitarbeiter stattfinden muss – was allerdings nicht sehr schwierig ist. Schauen Sie: Wir sind in einem Geschäft, das eigentlich jeden mehr oder weniger betrifft. Ob es die Energieversorgung oder das Auto ist, ob es um eine saubere Umwelt oder um den Klimawandel geht. All das interessiert unsere Mitarbeiter so wie jeden einzelnen auf der Straße. Diese Verantwortung als Unternehmen anzunehmen ist keine Aufgabe, die man umständlich aktivieren muss – das können Sie relativ einfach erreichen. So kann man das schultern, allein kriegen Sie das nicht hin.
„Die nachhaltige Akzeptanz seitens der Finanzmärkte, der Gesellschaft und der Politik ist eine wichtige Voraussetzung für
die OMV.“
Kooperieren Sie mit der Entwicklungszusammenarbeit?
Seele: Wir haben mehr als zehn Jahre lang mit der Austrian Development Agency ADA bei verschiedenen sozialen Entwicklungsprojekten zusammengearbeitet. In der Mehrzahl ging es um Projekte zu Gesundheit und Bildung zugunsten der lokalen Bevölkerung an unseren Standorten. So haben wir zum Beispiel ein Projekt zur Hepatitis-B-Impfung in Pakistan durchgeführt. In Tunesien haben wir mit „Skills to Succeed“ dazu beigetragen, das Einkommen der lokalen Bevölkerung unter anderem durch Berufsausbildung zu erhöhen. In Libyen unterstützen wir die Versorgung der lokalen Bevölkerung in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Wasser. Wir stehen im Dialog mit verschiedenen Organisationen und suchen nach Kooperationen in Ländern, in denen wir aktiv sind.
Was macht ein Unternehmen zukunftsfähig?
Seele: Eine gesunde Wirtschaftlichkeit mit einer nachhaltigen Zukunftsperspektive.
Vielen Dank für das Gespräch!
ZUR PERSON
Rainer Seele, 58, ist seit Juli 2015 CEO des österreichischen Energiekonzerns OMV AG. Der gebürtige Bremerhavener absolvierte ein Doktoratsstudium in Chemie und heuerte 1987 beim Chemiekonzern BASF an. 1996 wechselte Seele zur Öl-und Gastochter der BASF, Wintershall, und verantwortete dort die Stabstelle Strategische Planung. Ab 2002 war Seele Mitglied des Vorstands bei Wingas, von 2009 bis 2015 Vorstandsvorsitzender bei Wintershall.
ZUM UNTERNEHMEN
Energieriese auf Expansionskurs
Der Öl- und Gaskonzern OMV AG entstand 1956 aus der sowjetischen Mineralölverwaltung. Heute ist das teilstaatliche, in Wien börsennotierte Unternehmen in den Bereichen Exploration und Produktion, Gas und Power sowie Raffinerien und Marketing tätig. Im September 2018 wurde die OMV in den Dow Jones Sustainability Index aufgenommen. Der Konzern sucht und fördert Öl und Gas in den Kernregionen CEE (Österreich, Rumänien), Nordsee, Russland, Mittlerer Osten und Afrika und fokussiert zusätzlich auf die neue Kernregion „Australasien“ mit großen Zukäufen etwa in Neuseeland und Malaysia. Das Unternehmen betreibt außerdem drei Raffinerien und rund 2.000 Tankstellen in zehn Ländern. Mit dem österreichischen Gasleitungsnetzwerk und vier Gasspeichern liefert die OMV Gas nach ganz Europa. 2017 erzielte der Konzern mit 20.700 Mitarbeitern einen Umsatz von 20,2 Mrd. Euro.