Tradition und Moderne liegen in Afrika mitunter eng beinander.

Veye Tatah erinnert sich noch gut an ihre Ankunft in Dortmund, im Westen Deutschlands, vor mehr als 30 Jahren: „Ich wurde dort, durch das Fernsehen oder in Form von Plakaten, mit Afrikabildern konfrontiert, die ich selbst aus meiner Kindheit und Jugend gar nicht kannte. Unterernährte Kinder mit Fliegen im Auge hatte ich in Kamerun noch nie gesehen.“

Die Unternehmerin lebt trotz des damaligen Kulturschocks noch immer in Deutschland und gibt dort das Magazin Africa Positive heraus. Sie verortet auch heute noch ein dominantes Afrikabild, das andere Narrative in den Schatten stellt: „Das Erste, das die meisten Menschen in Deutschland oder Österreich mit Afrika verbinden, ist Armut. Dieses Bild ist äußerst resistent, denn wer hier aufwächst, wird permanent damit gefüttert, dass schwarz arm ist. Das passiert in der Schule, in der Werbung, auf Spendenplakaten.“ In diesen Darstellungen fehlten entwickelte Städte und gebildete Menschen: „Man sieht nur arme Kinder, die betteln – und das steckt tief“, so Tatah. Arm, gewaltbehaftet oder aber Sehnsuchtsort für exotische Traumreisen – der Rahmen der Darstellung Afrikas ist im deutschsprachigen Raum eng gesteckt.

Tatsächlich stellt Armut in vielen Teilen Afrikas nach wie vor ein großes Problem dar. Doch zugleich auch nur einen Aspekt unter vielen, der in westlichen Köpfen häufig auf den ganzen Kontinent projiziert wird. Die rein krisenfokussierten Bilder blenden aktuelle, positive Entwicklungen aus, werden der Vielseitigkeit des Kontinents nicht gerecht – und hemmen indirekt Afrikas weitere Entwicklung.

Wirtschaftliche Auswirkungen

Denn die wirtschaftlichen Auswirkungen negativ überzeichneter und pauschalisierender Afrikabilder sind nicht zu unterschätzen. Österreichische Unternehmen haben 2020 Waren im Gesamtwert von 1,7 Mrd. Euro nach Afrika exportiert. Das ist weniger als nach Schweden und macht nur etwa 1,2 Prozent der gesamten Exportleistung aus. In einer beim Afrikatag der Wirtschaftskammer Österreich im Jahr 2019 vorgestellten Studie betonte dessen Autor, der deutsche Ökonom Philipp von Carlowitz, dass es den österreichischen Unternehmen an Präsenz vor Ort fehle sowie an der Bereitschaft, sich auf die dortigen Märkte einzulassen und diese effektiv zu bearbeiten. Laut Veyeh Tatah liegt die Ursache für die Gehemmtheit, mit der viele heimische Unternehmer auf Afrika blicken, auf der Hand: „Würde ich als Unternehmer Geld in Länder stecken, in denen den Bildern zufolge alle barfuß gehen und, gelinde gesagt, nur Chaos herrscht? Sicher nicht.“

Die in Johannesburg ansässige Organisation Africa No Filter, die es sich zum Ziel gesetzt hat, stereotype Erzählungen durch die Förderung einer vielseitigen Berichterstattung vom Kontinent sowie Forschungsarbeiten sukzessive zu verändern, hat im Februar einen „Business in Africa Narrative Report“ vorgelegt. Für diese Studie zur Wirtschaftsberichterstattung über Afrika in internationalen Medien wurde eine Keyword-Analyse von 750 Millionen Stories über Afrika sowohl in Medien innerhalb als auch außerhalb Afrikas durchgeführt. Es wurde deutlich, dass die Wirtschaftsberichterstattung über Afrika in Medien außerhalb des Kontinents wesentlich negativer ist als in afrikanischen Ländern selbst, sich diese vorrangig auf die drei dominanten Länder Südafrika, Ägypten und Nigeria bezieht und dass die mediale Aufmerksamkeit sehr stark auf den Maßnahmen afrikanischer Regierungen – statt etwa auf Unternehmen – liegt.
Laut der Geschäftsführerin von Africa No Filter, Moky Makura, zeigt sich darüber hinaus: „Bei den problembehafteten Afrikabildern, die Afrika selbst keine Handlungsmacht zugestehen, handelt es sich um ein globales Narrativ. Dieselben Muster sind also etwa in Frankreich, China, im Nahen Osten oder den USA zu finden. Besonders problematisch ist das Framing aber in deutschsprachigen Publikationen.“ Das unterstreicht auch eine groß angelegte Analyse der deutschen Afrikaberichterstattung des Medienwissenschaftlers Lutz Mükke aus dem Jahr 2009, die den Titel „Journalisten der Finsternis“ trägt. Auf die österreichischen Medien bezogen kommt der Afrikanist und Kommunikationsberater Martin Sturmer in seinem Werk „Afrika! Plädoyer für eine differenzierte Berichterstattung“ (2013) zu ganz ähnlichen Ergebnissen.

Kritik an Hilfsindustrie

Entwicklungszusammenarbeit läuft Gefahr, die Armut, die sie zu lindern versucht, durch die Nutzung immergleicher krisenbehafteter Bilder zu zementieren.

Laut Veye Tatah trägt neben einem krisenorientierten Journalismus vor allem auch die Entwicklungszusammenarbeit eine Mitverantwortung: „Wenn die europäischen Regierungen behaupten, die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas vorantreiben zu wollen, sollten sie aufhören, Hilfsorganisationen zu unterstützen, die die Armut Afrikas hervorheben“, so Tatah.

Dabei ist das Spendensammeln, das diesen Kampagnen zugrunde liegt, ein fester Bestandteil der Entwicklungszusammenarbeit und eine tragende finanzielle Säule, wenn öffentliche Gelder nicht ausreichen. Problematisch wird es, wenn übermäßig emotionalisierende Spendenwerbungen Schuldgefühle evozieren und die Darstellung von Not und Elend in keinem angemessenen Verhältnis zu den vermittelten Informationen sowie der Partizipation der Betroffenen stehen. In einem Handbuch namens „How to write about Africa“ macht Africa No Filter auf diverse problematische Kampagnen aufmerksam, unter anderem von Unicef und dem Welternährungsprogramm.

Trendsetter und Watchdog

Positive Entwicklungen gibt es vor allem im Kulturbereich. Doch dass etwa die afrikanische Musikszene immer mehr Beachtung auch in anderen Teilen der Welt findet und ihre Protagonisten wie Burna Boy die Cover westlicher Lifestyle-Magazine zieren und Grammys einheimsen, ist laut Moky Makura nicht genug: „Dieser rein kulturelle Fokus nährt auf seine Weise auch wieder das Klischee, dass Afrika vorrangig für seine Musik bekannt ist. Afrika möchte aber auch im Bereich Technologie und Investment wahrgenommen werden.“

Makuras im März 2020 gegründete Organisation Africa No Filter hat viel vor, um die einseitigen Narrative zu ändern: So werden junge afrikanische Content Creator und Medienschaffende bei der Erzählung neuer, facettenreicher Geschichten mit bis zu 20.000 US-Dollar unterstützt. Die hauseigene Medienagentur Bird versorgt afrikanische Medien mit Geschichten, etwa zu den Themen Innovation, Kunst oder Finanzen. Gleichzeitig sieht sich Africa No Filter als Watchdog, der Negativbeispiele ausfindig macht und dokumentiert. Eine mediale Praxis fällt dabei immer wieder auf: „Statt Geschichten ereignis- und landbezogen zu erzählen, wird häufig aus Einzelphänomenen ein Trend für den ganzen Kontinent konstruiert“, meint Makura. Sie nennt das Beispiel der Ebola-Epidemie im Jahr 2014 in den vier westafrikanischen Ländern Guinea, Sierra Leone, Nigeria und Liberia: „Angesichts von Schlagzeilen über ‚Ebola in Afrika‘ sagten viele westliche Touristen ihre Reisen nach Kenia, Südafrika oder Ägypten ab – aus Angst, sich anzustecken“, so die Nigerianerin.

Dem Anspruch, den erzählerischen Rahmen für Afrika maßgeblich zu erweitern, gehen Makura und ihre sieben Mitarbeiter zukünftig auch in der virtuellen Welt nach: Ende vergangenen Jahres wurde eine Kooperation mit Meta (Facebook) ins Leben gerufen, die unter dem Titel „Future Africa: Telling Stories, Building Worlds“ stereotypen Afrikabildern entgegenwirken soll. Gefördert werden afrikanische Storyteller, die mit Virtual, Augmented oder Mixed Reality arbeiten. Für Jessica Hagan, Leiterin des Kunst- und Kulturprogramms bei Africa No Filter, zeigt die Vielzahl an Bewerbungen, „dass Afrika auch am Puls der globalen Innovation und der Techniktrends ist, die die Art und Weise, wie Geschichten erzählt und erlebt werden, neu definieren“.

Virtual Reality Made in Africa wird von der Organisation Africa No Filter – gemeinsam mit Meta (Facebook) – gefördert.

Vorstösse für Vielseitigkeit

Inhalte für eine differenziertere Berichterstattung stellt auch die in Oberndorf bei Salzburg ansässige Nachrichtenagentur afrika.info bereit, die 2007 von Martin Sturmer gegründet wurde. Sturmer arbeitet seit Jahren intensiv am Aufbau und Ausbau eines Korrespondentennetzwerks an afrikanischen Journalisten, das heute 150 Kontakte umfasst und dessen Informationen er auch immer mehr Unternehmen zur Verfügung stellt. Investitionschancen in Kenias Start-up-Szene, Ernährungskrise in Simbabwe, Umweltprobleme durch die steigende Nachfrage nach Holzkohle, afrikanische Online-Shops mit stetig wachsenden Kaufzahlen oder die aktuellsten Zahlen zu den Corona-Entwicklungen in Afrika – auf afrika.info werden Probleme und (unternehmerische) Erfolgsmeldungen gleichberechtigt dargestellt. Der Ton: unaufgeregt. „Bis die Geschichten der technologischen Entwicklungen und erfolgreichen Start-ups und Unternehmen bei uns im medialen Kanon ankommen, ist es aber noch ein weiter Weg“, gibt Martin Sturmer zu bedenken.

Interview mit Martin Sturmer, afrika.info

Alte Narrative

Laut dem Afrikanisten Martin Sturmer gründen stereotype Afrikabilder auf spezifischen Krisen.

Für eine vielseitige Afrikaberichterstattung setzt sich auch Katja Scherer ein. Die deutsche Journalistin betreibt den Blog Wirtschaft in Afrika, der den Untertitel Fakten statt Vorurteile trägt. Slums in Nairobi, Kinderheime, Brunnenprojekte – bei früheren Recherchereisen hat auch sie zunächst jene Ausschnitte der afrikanischen Realität erfahren, die die Entwicklungsperspektive gerne präsentiert. Bei späteren Reisen erweiterte sie den Blick und suchte bewusst den Kontakt zu afrikanischen Start-ups und sah sich Klimaschutzprojekte vor Ort an. Dabei will sie die Probleme des Kontinents weder verharmlosen noch verschweigen. Deutlich werden diese aktuell etwa in Teilen West- und Zentralafrikas, die von politischen Unruhen geprägt sind. Alleine in den vergangenen Monaten gab es in Guinea, Mali, Burkina Faso, im Tschad und auch im ostafrikanischen Sudan erfolgreiche Militärputsche – dazu kamen gescheiterte Versuche in Niger und in Guinea-Bissau. „Es ist ja nicht so, als gäbe es in allen afrikanischen Ländern eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung. Und die Probleme, mit denen Afrika konfrontiert ist, werden auch nicht in zehn Jahren gelöst sein. Es ist ein langfristiger und, je nach Land, individueller Prozess“, sagt Scherer. Dennoch verortet sie auf dem afrikanischen Kontinent – trotz aller Rückschläge – vor allem wirtschaftlich grundsätzlich eine positive Entwicklung.

Das Normale zeigen

Damit sich dieser auch die Menschen in Europa gewahr werden, bräuchte es eine vielseitigere Berichterstattung, die verstärkt Aspekte rund um Wirtschaft und Innovation, Literatur oder Mode aufgreift. Dafür wirbt auch Veye Tatah: „Ich plädiere dafür, ausgewogene Bilder über die verschiedenen Länder Afrikas in die Gesellschaft zu transportieren. Man kann und soll über Herausforderungen und Problematiken reden. Aber die Normalität und der Alltag dürfen nicht unter den Teppich gekehrt werden.“

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