Nepal mag zwar Eintrittspforte zu den höchsten Gipfeln der Welt sein, doch auf den schwer zugänglichen Hängen des Himalaya-Gebirges sind sie ein rarer Anblick: Skisportler. Allenfalls in Kuri, einem auf 3.200 Meter Höhe gelegenen Dorf, konnte man in den vergangenen Monaten mit Menschen auf zwei Brettern oder einem Snowboard rechnen: Hier, rund sechs Jeep-Stunden von Kathmandu entfernt, betreibt die Ski and Snowboarding Foundation Nepal NFSS nämlich das „erste Skigebiet des Landes“ – und das mit einfachsten Mitteln: 2019 wurde ein 60 Meter langer Seillift errichtet, der den bequemen Aufstieg auf ein unpräpariertes Schneefeld auf den Berg Kalichnok möglich macht. Sherpas, Trekkingführer und Tourismusstudenten lernen hier die Grundzüge des Alpinsports. Unterrichtet werden sie von deutschen und österreichischen Lehrern.
In Kuri geht es allerdings nicht nur um ein bisschen Spaß im Schnee, sondern um den Aufbau von Wintersportkompetenz, erzählt Skilehrer Julius Seidenader: „Nepal könnte sich als Destination für Skitourengeher und Splitboarder etablieren. Die vielen 5.000er, 6.000er und 7.000er bieten perfekte Bedingungen und eröffnen eine komplett neue Saison für den nepalesischen Tourismus.“ Erste Machbarkeitsstudien hätten gezeigt, dass auch Skigebiete in Nepal realisierbar wären, dafür allerdings massive Investitionen – auch in Beschneiungsanlagen – nötig wären. Daher liegt der Fokus zunächst einmal auf der Vermittlung des Sports selbst: Rund 900 Nepalesen haben bisher an Ski- und Snowboardtrainings teilgenommen, so Seidenader, „200 sind wieder gekommen und rund 30 Schüler lassen sich zu Skilehrern ausbilden“.
Auf allen Kontinenten
Über die bescheidenen Anfänge Nepals kann man in der größten Skiregion der Welt, den Alpen, wohl nur schmunzeln. Laut Laurent Vanat, Herausgeber des internationalen Berichts zu Schnee- und Bergtourismus 2019, sorgen in den Alpenländern (Österreich, Schweiz, Frankreich, Italien, Liechtenstein und Slowenien) mehr als 10.000 Liftanlagen für den komfortablen Gipfeltransport von Millionen Alpinsportlern. Hier befindet sich ein gutes Drittel der weltweit rund 2.100 Skiresorts – das sind Skigebiete mit mehr als vier Liftanlagen – und hier werden auch 44 Prozent der jährlich 350 Millionen Skitage konsumiert. Amerika gilt als zweitgrößter Markt. Rund 21 Prozent aller Skitage werden vor allem in nordamerikanischen Skigebieten wie Vail (Colorado) oder Whistler Blackcomb (British Columbia) verbracht.
Interview mit Laurent Vanat, Consultant
Alpine Ambition
Weltenbummler können aber aus einer Vielzahl exotischer Ski-Destinationen wählen. Denn Pisten gibt es auf allen Kontinenten. 67 Länder, von Australien über Japan bis Zypern, haben zumindest ein Outdoor-Skigebiet mit Schnee und Lift. Indiens bekanntester Wintersportort Gulmarg, zu finden in der Region Kaschmir an der Grenze zu Pakistan, bietet etwa eine Gondelbahn auf den Berg Apharwat. Mit dieser gelangt man auf 3.980 Meter Seehöhe, womit Gulmarg zu den höchsten Skigebieten der Welt zählt. Auch in Nordafrika, genauer gesagt 70 Kilometer entfernt von Marrakesch, ist Alpinsport kein Fremdwort: Marokkos traditionsreiches Skigebiet Oukaïmeden im Atlasgebirge umfasst zehn Pistenkilometer und sieben Liftanlagen – darunter ein Doppelmayr-Sessellift. Pistentouristen werden auch zwischen Marmarameer und Zentralanatolien in den mehr als 30 Skigebieten der Türkei fündig – zu den besten zählt der Wintersportort Erciyes bei Kayseri, der 55 Pistenkilometer, darunter die längsten Abfahrten des Landes, auf den Hängen eines Vulkans bietet. Und durch die vertauschten Jahreszeiten sind Argentinien und Chile bekanntlich schon lange beliebte Trainingsstätten für Ski- und Snowboardteams.
Auch in Algerien, Bolivien und Kolumbien gab es einst Liftanlagen, diese wurden aber aufgrund von Bürgerkrieg, Gletscherschmelze beziehungsweise mangelndem Interesse stillgelegt – nichtsdestotrotz sind Skitouren in diesen Ländern möglich. Im bergigen Afghanistan wurde 2019 – nach 40 Jahren Pause – wieder ein Lift in Betrieb genommen. Zwar handelte es sich hier, wie in Nepal, nur um einen kleinen Seillift, doch dieser erleichtert der lokalen Skicommunity in der Provinz Bamiyan einen angenehmen Aufstieg und bescherte ihr darüber hinaus auch reichlich mediale Aufmerksamkeit.
In weiteren 14 Ländern, darunter Bhutan, Myanmar, Äthiopien, Kenia, Peru und Nicaragua, gibt es Berge, auf denen Skifahren laut Schneetourismusreport zumindest technisch möglich wäre. Nimmt man noch das Angebot an Indoor- sowie Trockenskipisten dazu, erweitert sich die Liste der Wintersportorte gar um Wüstenstaaten wie Dubai oder Ägypten oder um flache Länder wie die Niederlande. In rund hundert Ländern könnte man also skisporteln – wenn gleich das kommerzielle Potenzial häufig sehr überschaubar sein dürfte.
Rising Star
In vielen kleinen und großen Skigebieten steckt alpines Know-how aus Österreich. Eine fünfstündige Autofahrt von Johannesburg entfernt hat beispielsweise der Tiroler Unternehmer Roderich Urschler in den 2000er Jahren Afri-Ski im Königreich Lesotho mit aufgebaut: Das kleine Resort (1,8 Pistenkilometer) sorgt für ein wenig Pistenzauber im südlichen Afrika, die technische Ausrüstung kommt aus Österreich. Die ATC Austrian Tourism Consultants aus Wien haben wiederum Heli-Skiing nach Georgien gebracht, Pisten für die Olympischen Winterspiele in Russland geplant und Masterpläne für Bergresorts in der Türkei erstellt. Weltweit im Einsatz sind bekanntlich die Seilbahnen von Doppelmayr aus Vorarlberg: Sie befördern Alpinsportler auf Gipfel in Argentinien, Usbekistan, Georgien, Kasachstan, Aserbaidschan oder in der Türkei. Skidata aus Salzburg hat wiederum Zutrittssysteme für Skigebiete von Georgien über Japan bis Argentinien realisiert.
Auf „rund hundert Milliarden Euro pro Jahr“ schätzt Vanat die Größe des globalen Wintersportmarkts. In puncto Entwicklungspotenzial gilt besonders ein Land als Hoffnungsträger: China. Dass im Februar 2020 Chinas Premiere als Austragungsort eines Skiweltcups (in Yanqing) aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie ins Wasser fallen musste, ist hoffentlich nur als temporärer Dämpfer einer an sich recht dynamischen Entwicklung zu sehen: Noch in den 1980er Jahren gab es in der Volksrepublik nur vereinzelt Pisten, die vor allem für Trainingszwecke von Skirennläufern errichtet wurden. Das Interesse am Skifahren gewann an Fahrt, als Yabuli in der Provinz Heilongjiang zum Austragungsort der Asiatischen Winterspiele 1996 erkoren wurde. Neben der für die Spiele notwendigen Infrastruktur begannen sich damals auch Skihänge rund um Großstädte zu entwickeln. Und seit Peking 2015 den Zuschlag für die Austragung der Olympischen Winterspiele 2022 erhielt, sprießen Skigebiete und Indoorskihallen in fast allen Provinzen nur so hervor. Das China Ski Industry White Book, eine alljährliche Bestandsaufnahme der Skibranche, berichtete 2019 bereits von 742 Indoor- und Outdoor-Skigebieten. Allein im Großraum Peking existieren mehr als 20 Möglichkeiten zum Rutschen und Wedeln.
Aktiv in China
Bei der Mehrzahl dürfte es sich allerdings um Übungsflächen und Schneeparks handeln, in denen Skinovizen für ein paar vergnügliche Stunden vorbeischneien. Rund ein Dutzend Resorts wie Beidahu, Cuiyunshan, Fulong oder Wanlong seien laut Vanat hingegen „echte Skigebiete“: Sie bieten neben Pisten und Liftanlagen auch Unterkünfte.
Martin Glatz, WKO-Wirtschaftsdelegierter in Peking, erzählt, dass sich „österreichische Unternehmen in der noch sehr jungen Wintersportbranche Chinas gut etabliert haben“, etwa bei Liften, Zutrittssystemen und Beschneiungsanlagen. Skiresorts mit besonders viel Equipment „Made in Austria“ sind laut Glatz das Vanke Lake Songhua Resort im Nordosten nahe der Stadt Jilin sowie das Genting Resort Secret Garden in Hebei, einer der Austragungsorte der Winterspiele.
Doppelmayr ist schon seit den 1990er Jahren in China aktiv und führt nahe Peking eine Niederlassung. „China ist ein sehr wichtiger Markt für die Doppelmayr/Garaventa-Gruppe“, erklärt Sprecherin Julia Schwärzler. Das Unternehmen baut neun Seilbahnanlagen im Olympischen Skigebiet Yanqing National Alpine Ski Center und hat insgesamt bereits 30 Anlagen in chinesischen Skigebieten realisiert. Auch Sunkid bietet Aufstiegshilfen, die vor allem für Anfänger gedacht sind: Das Tiroler Unternehmen stellt Personenförderbänder, so genannte „Zauberteppiche“, her und hat laut Sprecher Michael Peinter in China an die 20 Projekte umgesetzt, „vor allem in Resorts mit internationaler Ausrichtung und einem bestimmten Anspruch an Qualität und Sicherheit.“ Auch für Axess, Spezialist für Ticketing und digitale Zutrittspässe aus Salzburg, ist China ein wichtiger Markt, der von Peking und Shanghai aus direkt bearbeitet wird: Zwölf Skiresorts wurden von Axess bereits ausgestattet.
Für heimische Skimarken, allen voran „The Big Four“ (Atomic, Blizzard, Fischer und Head) sind chinesische Skifahrer ebenfalls attraktiv, auch wenn der Markt noch klein ist. „An Alpinskiern werden pro Jahr circa 25.000 bis 30.000 Paar der österreichischen Marken beziehungsweise österreichischer Produktion nach China verkauft. Das stellt momentan eine überschaubare Menge dar, aber der Markt entwickelt sich sehr positiv und wächst rasch“, so Wolfgang Mayrhofer, Atomic-Chef und Sprecher der Skiindustrie. Die erwartbare Dynamik unterscheidet China von anderen Emerging Markets wie Indien, Chile oder Argentinien, in die nur einige wenige tausend Paar Ski pro Jahr verkauft werden. In China dürfte, so Mayrhofer, das Verkaufsvolumen bis 2023 bei rund 250.000 bis 300.000 Paar Ski liegen und gut die Hälfte davon könnte mit österreichischen Markennamen versehen sein. Im Falle von Atomic handelt es sich ohnehin bereits um ein chinesisches Unternehmen: Atomic-Mutter Amer wurde im März 2019 durch chinesische Investoren übernommen.
Learning by skiing
Für eine stärkere Positionierung in der Volksrepublik haben die Skierzeuger übrigens das Projekt Austria Snow Case 2022 lanciert. Mittelfristig sollen tausend chinesische Skilehrer im Rahmen des von WKO und Wirtschaftsministerium unterstützten Projekts ausgebildet werden. Gerade in Ländern, in denen Wintersport keine starke kulturelle Verankerung hat, muss nämlich erst die Basis geschaffen werden: regelmäßige und begeisterte Skifahrer. Selbst ein Großereignis wie Olympische Spiele sei nämlich kein Garant für Trubel auf den Pisten, warnt Vanat: „Die Winterspiele in Südkorea 2018 haben keine positiven Impulse für die Skiindustrie gebracht, die Besucherzahlen in den Skigebieten sind rückläufig.“
Ein Versprechen der Olympia-Bewerbung Chinas war es, mittelfristig 300 Millionen Menschen für Wintersport zu begeistern, davon 120 Millionen Skifahrer. Angesichts von weltweit rund 130 Millionen Skifahrern ein ambitioniertes Ziel. Immerhin: Heute stellt China – nach den USA und Deutschland – mit 13,2 Millionen Skifahrern und Snowboardern bereits die drittstärkste Nation der Welt.