corporAID: Die Welt befindet sich seit einem Jahr im Ausnahmezustand. Wie hat TTTech die Krise erlebt?

Kopetz: Ein Wesensmerkmal dieser Krise ist, dass sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich wirkt und kaum vorhersehbar ist. Es gibt Unternehmen mit 70 Prozent Auftragsrückgang und andere, die gewachsen sind. In den Geschäftsfeldern der TTTech war das ähnlich. Zu Beginn der Pandemie haben wir den Einbruch in der Autoindustrie stark gespürt. Im vierten Quartal war dort die Krise aufgrund der schnellen Erholung Chinas beinahe wieder vorbei. Die kommerzielle Luftfahrt hingegen leidet immer noch durch den Einbruch des Tourismus. Die Raumfahrt wiederum ist weiterhin ein sehr stark wachsender Markt, zunehmend auch im Bereich der privaten Player. Und es gibt ein neues Wachstumsfeld: die sogenannte Urban Air Mobility, eine Weiterentwicklung der Drohnentechnologie. Heute bringt fast alles, was auf Technologie basiert, Wachstum. Denn das ist im vergangenen Jahr klar geworden: Technologie ist der große Krisengewinner. Die entscheidende Frage lautet jetzt: Wie viel Technologie haben wir wirklich in Österreich und in Europa?

Ist Österreich ein guter Standort für ein Technologieunternehmen?

Kopetz: Österreich ist bislang ein guter Standort gewesen. Ob es auch ein guter Standort bleibt, wird wesentlich davon abhängen, welche Lehren wir aus der Krise ziehen. Österreich muss klare Schwerpunkte setzen, für welche Technologien das Land stehen möchte. Ich versuche mit TTTech Auto, in Wien autonomes Fahren als einen solchen Schwerpunkt zu promoten. Aber ob es in Österreich wirklich Interesse gibt festzulegen, wo wir führend sein wollen, ist unklar. Ich weiß beispielsweise nicht, ob es hierzulande ein über TTTech hinausgehendes Interesse gibt, beim Industrial Internet of Things vorne mitzuspielen. Ja, wir haben eine starke Industrie, aber wie gut ist die Industrie auf die digitale Welt vorbereitet? In Österreich haben wir immer noch ein etwas angespanntes Verhältnis zur Technologie. Das wirkt sich auch auf deren Finanzierung aus: Es herrscht die Annahme, Technologien würden sich von selbst durchsetzen, und jene mit der besten Technologie werden es ohnehin irgendwie schaffen. Dieser Zugang hilft aber nur den großen Playern. Auch bei den Mitteln der EU für den Wiederaufbau nach der Krise ist nicht klar, in welche Themen diese konkret investiert werden sollen. Es wird auf allen Ebenen mit Schlagwörtern wie green und digital herumjongliert, aber was steckt dahinter? Mit welchen Technologien und Industrien wollen wir weltweit reüssieren?

Ob Österreich ein guter Standort bleibt, wird wesentlich davon abhängen, welche Lehren wir aus der Krise ziehen.

Georg Kopetz, TTTech
Muss Globalisierung neu gedacht werden? Oder wird man bald zum Business as usual zurückkehren?

Kopetz: Die Pandemie wird sich nachhaltig auswirken. Grenzen wurden geschlossen, Lieferketten unterbrochen, Quarantänevorschriften verhängt. Wir merkten, wie abhängig wir von globalen Supply Chains sind und wie selbstverständlich freie Märkte waren. Das wird die Globalisierung sicherlich beeinflussen. Gerade Österreich als kleine offene Volkswirtschaft in der Europäischen Union sollte für eine neue Interpretation von Globalisierung eintreten. Ein wesentlicher Punkt wird sein, stärker auf lokale Präsenzen zu setzen. Das hat uns ein wenig gerettet im vergangenen Jahr. Nicht reisen zu können, ist gerade für die hochgradig globalisierte Technologieindustrie eine große Herausforderung. Es hat sich gezeigt, dass Routinetätigkeiten digital gut funktionieren, aber wenn es um kreative Prozesse oder um das Neugeschäft geht, stößt das Digitale an seine Grenzen. Gleichzeitig – und das wurde von Corona ein wenig verdeckt – wird es immer schwieriger, Technologie zu exportieren. TTTech ist etwa in China sehr aktiv, und ich würde gerne noch viel mehr gemeinsam mit China machen. Nur hätte das wiederum Auswirkungen auf das Geschäft in den USA. Europa sollte in dieser bipolaren Welt zwischen China und den USA eine eigenständige Rolle definieren – auch für den Rest der Welt, die nicht in dieser Bipolarität gefangen sein will. Mir fehlt hier eine europäische Antwort, denn der Status Quo kostet uns Wettbewerbsfähigkeit und auch Globalisierungschancen.

Hochtechnologie war über Jahrzehnte in den USA und Europa konzentriert. Wie verändert sich das?

Kopetz: Im Technologiebereich ist der Fortschritt Chinas, aber auch anderer asiatischer Länder beeindruckend. Dort gibt es tolle Unternehmen, die auf Augenhöhe operieren. Die Zeit von Europas Technologievorsprung ist vorbei. Gerade China setzt weltweit auf Marktentwicklung über Technologieexport. Und die Frage ist nun: Wie lange können wir mithalten? Noch vermisse ich in der europäischen Politik die Ambition, mit neuen Technologien neue Märkte zu erschließen und damit auch diesen neuen Märkten einen Schub zu geben und starke Handelspartner aufzubauen. Während die Chinesen das sehr systematisch machen, fehlt uns Europäern ähnlich wie in der Technologiepolitik der große Plan. Wir müssen viel konkreter sein in unseren Zielen und diese auch konsequenter verfolgen, um im globalen Konzert weiterhin eine wichtige Rolle zu spielen.

Wie passen Wachstum und Nachhaltigkeit für Sie zusammen?

Kopetz: Für mich hat Wachstum sehr viel mit dem Mindset zu tun. Man muss das Neue entdecken und Dinge verändern wollen. Das wird leider viel zu wenig verstanden, und Wachstum zu oft mit Kollateralschäden verbunden. Das quantitative Wachstum steht zu sehr im Vordergrund. Dabei ist die Qualität von Wachstum doch sehr stark, Neues zu schaffen, das besser ist als das Alte. Dieser Wachstumsprozess wird viel zu wenig diskutiert – man gibt sich lieber mit dem Status Quo zufrieden. Dabei ist für ein Unternehmen wie uns ein Umfeld extrem wichtig, das Wachstum zulässt und sogar will. Denn Technologiemärkte sind globale Märkte, die nach Lösungen suchen, die sich global durchsetzen. Und um global relevant und wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir skalieren. Dafür brauchen wir eine neue Art des Wachstums, das natürlich auch nachhaltig sein muss. Wir sehen ja schon heute durch Technologieschübe eine Entkopplung vom Ressourcenverbrauch: Wir werden viel effizienter, viel produktiver. Und hier gilt es, die relevanten Innovationen voranzutreiben, damit dieser Umbruch weitergeht. Durch die Coronakrise ist der Diskurs sehr einseitig geworden. Das ist ein Fehler, denn wir werden merken, dass viele Themen, die jetzt durch die Krise verdeckt sind, weiterlaufen.

Welche Rolle spielen die Sustainable Development Goals bei TTTech?

Kopetz: Bei manchen SDG erstaunt es mich, dass man darüber reden muss – es sollte eigentlich selbstverständlich sein. Es sind wohl eher Unternehmen, die aus einer anderen Ära kommen, die hier mehr Orientierung und Veränderung brauchen. Für ein Unternehmen, das Software entwickelt, ist das vergleichsweise einfach: Unser Footprint ist nicht sehr groß. Wobei natürlich auch in unseren Industrien ein starker Trend zu den SDG sichtbar ist. Für TTTech sehe ich die Relevanz der SDG eher implizit als explizit. Ob man durch eine explizite Betonung der SDG in unseren Unternehmenszielen oder -werten einen Qualitätssprung schaffen kann, müssen wir uns erst ansehen. Aber ich glaube, dass Nachhaltigkeit per se kein Wettbewerbsvorteil mehr ist, sondern einfach ein Must-have. Heute gibt es niemanden mehr, der ernsthaft widerspricht, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaft im Gleichklang gehen müssen. Es ist eher eine Frage der Umsetzbarkeit und deren Finanzierung. Und auch des Veränderungswillens der Menschen. Und da sehe ich in den letzten fünf Jahren einen extremen Schwenk zum Positiven.

Nachhaltigkeit per se ist heute kein Wettbewerbsvorteil mehr, sondern einfach ein Must-have.

Georg Kopetz, TTTech
Wo liefert TTTech konkrete Nachhaltigkeit?

Kopetz: Wir profitieren von vielen Nachhaltigkeitstrends und unterstützen diese gleichzeitig mit unseren Lösungen. Unseren größten Beitrag sehe ich ganz klar im Bereich der Mobilität. Nicht nur bei Autos, sondern auch bei Maschinen geht es ganz stark in Richtung CO2-Neutralität. Das betrifft einerseits die Antriebsform, aber auch die gesamten Wertschöpfungsketten. Dazu liefern wir Software- und Steuerungstechnologien. Wir sind zudem in vielen Wachstumsfeldern präsent, etwa in der Windkraft-Technologie. Wir liefern beispielsweise digitale Plattformen an Vestas, den Weltmarktführer bei Windturbinen. Ein weiteres Thema sind smarte Microgrids: Wie können alternative Energiequellen zusammengeschalten und Stromschwankungen ausgeglichen werden? Das sind entscheidende Enabler für eine grüne Wende.

Welche Veränderungen hat die Krise für Entwicklungsländer gebracht?

Kopetz: Hier sehe ich einen großen Umbruch. Es hat zwar immer schon geheißen: Man kann im digitalen Bereich von überall arbeiten, aber umgesetzt wurde das erst mit der Krise. Mit potenziell gewaltigen Konsequenzen, wenn man die Lohnkosten in Mitteleuropa mit denen der meisten anderen Länder vergleicht. Zudem sind viele Ausbildungen online und nicht mehr an eine physische Präsenz gebunden. Wir steuern also auf ein Level Playing Field zu, wo Länder mit weniger guten Voraussetzungen schneller aufschließen können. Als Regierungschef eines Entwicklungslandes würde ich stark auf diese neuen Technologen setzen. Vor allem im Softwarebereich bieten sich für dortige Unternehmen unglaubliche Möglichkeiten, schnell an globale Märkte heranzukommen und Wohlstand ins Land zu holen. Dadurch entsteht aber natürlich ein Risiko für Sozialökonomien wie Österreich. Als Unternehmen muss man hier eine Gratwanderung schaffen. Unser Betätigungsfeld liegt in den Hochindustrieländern, unsere Berührungspunkte mit Entwicklungsländern sind bislang überschaubar – mit Ausnahme des Bereichs Smart Farming. Ich glaube aber, dass europäische Unternehmen Entwicklungs- und Schwellenländer nützen könnten, um neue Technologien und Geschäftsmodelle zu erproben. Beispielsweise für Maschinen mit einfacher Bedienung und hoher Automatisierung, mit denen auch ein angelernter Arbeiter mehr Produktivität erreichen kann. Oder man schafft mit Technologie einen Produktivitätssprung, von dem Kunde und Hersteller im Rahmen eines Revenue-Sharing-Modells profitieren. Das heißt, Sie verkaufen nicht die Maschine, sondern die Nutzung der Maschine über Pay-per-use-Modelle. Die Technologien wären da.

Was macht Ihr Unternehmen zukunftsfähig?

Kopetz: Zentral ist zum einen unser Markt- und Technologieverständnis. Wir haben ein grundlegendes Know-how im Unternehmen, wie Dinge zum kritischen Zeitpunkt verarbeitet werden können, und orientieren uns stets stark am Markt. Wir analysieren Markttrends in den Anwendungsfeldern und verbinden die Technologie- mit der Anwendungskompetenz. Und das war und ist die zentrale Erfolgsgeschichte der TTTech. Dazu kommt der Wille, in Innovationen zu investieren, auch auf die Gefahr hin, dass manche Investitionen scheitern werden. Es braucht eine robuste Fehlerkultur, um nicht nur Erfolge zu erwarten, sondern auch mit Misserfolgen umgehen zu können. Wenn man aufhört, Misserfolge zu erleben, dann ist es der Anfang vom Ende.

Was treibt Sie als Unternehmer an? Und was lässt Sie trotz Erfolgs am Boden bleiben?

Kopetz: Wenn man sieht, wie man Märkte, Technologie, Mitarbeiter und Menschen bewegen kann, dann ist das unglaublich motivierend. Was mich antreibt, ist letztlich eine Kombination aus dem Willen, etwas zu bewirken und etwas zu hinterlassen. Man lebt nur einmal, und daher muss man mit seiner Zeit und seiner Energie möglichst effizient umgehen. Denn das ist eine Aufgabe, die einen voll fordert. Dabei hilft mir eine gesunde Portion Realismus zu erkennen, dass das Spiel jedes Jahr wiederum bei null beginnt. Es ist die Brutalität der Wirtschaft, die mich am Boden hält. Denn es gibt keine Selbstläufer. Klar, als Investor kannst du etwas aufbauen, es dann verkaufen und mit dem Geld ein schönes Leben führen. Als Unternehmer bist du jeden Tag gefordert, die Kunden und Mitarbeiter zufriedenzustellen. Da kommt man gar nicht dazu, abzuheben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person

Georg Kopetz ist Vorstand und Mitbegründer des Wiener High-Tech Unternehmens TTTech Group. Er verantwortet die Gesamtstrategie des Konzerns, Marketing, Vertrieb, Finanzen und Personal. Der 47-jährige Kärntner studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien.

Über TTTech

Globaler Player bei zeitgesteuerter Vernetzung

Die Wiener Unternehmensgruppe TTTech wurde 1998 als Spin-off der Technischen Universität Wien von Prof. Hermann Kopetz, seinem Sohn Georg und Dr. Stefan Poledna gegründet. Die Kerntechnologie des Unternehmens war damals die sogenannte Time-Triggered Technology, die eine besonders ausfallssichere und echtzeitfähige Vernetzung von Computersystemen auf Basis des weltweiten Ethernet Standards möglich macht. Heute ist die TTTech Group mit ihren vier Unternehmen TTTech Computertechnik AG, TTControl GmbH, TTTech Auto AG und TTTech Industrial Automation AG ein globaler Player bei zeitgesteuerten Netzwerktechnologien und Sicherheitssteuerungen in den Bereichen Automotive, industrielle Fertigung, Energie, Luft- und Raumfahrt. Mit Niederlassungen in 14 Ländern Europas, Asiens und Nordamerikas beschäftigt die TTTech-Gruppe mehr als 2.300 Mitarbeiter aus 60 Nationen, 2020 lag die Betriebsleistung bei über 200 Mio. Euro.

Fotos: Mihai M. Mitrea