corporAID: Sie leiten den Entwicklungshilfeausschuss der OECD nun seit etwas mehr als einem Jahr – was waren die größten Fragen, mit denen Sie sich beschäftigt haben?

Moorehead: Ich habe mich auf zwei Themen konzentriert. Zum einen war das die Verknüpfung von Entwicklung, humanitärere Hilfe und Friedenssicherung. Im Jahr 2030 werden 80 Prozent der ärmsten Menschen in von Konflikten betroffenen Gebieten leben. Deshalb ist es absolut entscheidend, dass wir mehr zur Prävention dieser Konflikte tun, darüber hinaus aber auch humanitäre Hilfsmaßnahmen besser mit der langfristig orientierten Entwicklungszusammenarbeit verschränken. Ein zweites Thema – und Österreich war hier maßgeblich beteiligt – betraf die Verhinderung von sexueller Ausbeutung, Missbrauch und Belästigung in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe. Der Entwicklungshilfeausschuss hat hier in Rekordzeit eine rechtsverbindliche Empfehlung verabschiedet: Alle Mitglieder haben sich darauf geeinigt, sich gegenseitig zur Rechenschaft zu ziehen, und sicherzustellen, dass unsere eigenen Behörden sowie die Organisationen, die für uns arbeiten, über robuste Richtlinien und Schutzmechanismen verfügen, um solche Missstände zu verhindern. 

Wie hat sich die Rolle und Arbeit des OECD DAC in den vergangenen Jahren verändert?

Moorehead: Die Geberlandschaft verändert sich zunehmend. Damit der DAC für seine Mitglieder relevant und nützlich bleibt, muss er sich ebenfalls anpassen. Wir konzentrieren uns jetzt beispielsweise viel mehr darauf, wie wir mit dem Privatsektor zusammenarbeiten können, als das noch vor zehn Jahren der Fall war. Und wir verbringen viel Zeit damit, mit anderen Gebern außerhalb des DAC zu kooperieren. Unser Ziel ist es, zusätzliche Mittel für unsere Entwicklungsbemühungen zu lukrieren. Wir wissen, dass die Kosten für die Erreichung der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung SDG in die Billionen gehen, die öffentliche Entwicklungshilfe macht hingegen nur 150 Mrd. Dollar pro Jahr aus. Angesichts dieser Finanzierungslücke ist es von großer Bedeutung, ein Gespräch zwischen Entwicklungsakteuren und dem Privatsektor in Gang zu bringen. Und zu schauen, wie wir effektiver zusammenarbeiten und mehr private Investitionen nicht nur in Ländern mittleren Einkommens, sondern auch in den ärmsten Ländern fördern können.

Klar, Unternehmen haben hier ganz andere Prioritäten und Motivationen, aber wir versuchen, eine gemeinsame Grundlage zu finden, um private Investitionen zu fördern und gleichzeitig deren Entwicklungswirkung zu steigern. Wir arbeiten dazu an einer Reihe von Instrumenten, die öffentliche und private Gelder bündeln. Ich will ehrlich sein: Wir sind hier noch in den Anfängen, und die größte Herausforderung besteht darin, dass die meisten dieser Instrumente bislang nicht in den ärmsten Ländern angewandt werden. Ob das machbar ist? Ich denke, wir sollten es in jedem Fall versuchen! Es gibt immer mehr Unternehmen und Aktionäre, die Risiko neu überdenken und eine breitere Wirkung ihres Investments anstreben. Und das bietet enorme Möglichkeiten.

Unsere oberste Priorität ist die Frage, wie wir die Klimaschutzdebatte besser mit der Entwicklungagenda verknüpfen können.

Wo liegen neben der Finanzierung die größten Herausforderungen in der Erreichung der SDG?

Moorehead: Wir konzentrieren uns oft zu sehr darauf, wie weit wir abseits vom Kurs liegen. Dabei gibt es einige enorme Fortschritte und Erfolgsbeispiele, auf denen wir aufbauen sollten. Unsere oberste Priorität in diesem Jahr ist die Frage, wie wir die Klimaschutzdebatte besser mit der Entwicklungsagenda verknüpfen können. Der wahrscheinlich größte Stolperstein für die Erreichung der SDG wird darin liegen, dass wir im Bereich Klimaschutz Maßnahmen ergreifen, die insbesondere arme Länder daran hindern, ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung fortzusetzen. Wir wissen noch nicht, wie der ideale Übergang zu emissionsarmem Wachstum aussehen kann. Wir wissen aber, dass dieser in einem bevölkerungsreichen asiatischen Land ganz anders aussehen wird als in einem kleinen, dünn besiedelten afrikanischen Land. Die Tatsache, dass die Kosten für erneuerbare Energie so schnell sinken, bietet gerade für Länder, in denen viele Millionen Menschen noch immer keinen Zugang zu Strom haben, enorme Chancen. 

Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, dass es sich um universelle Ziele handelt. Die Staatengemeinschaft hat sich im Rahmen der SDG dazu verpflichtet, niemanden zurückzulassen. Wenn wir unsere Verpflichtung zur Gleichstellung der Geschlechter nicht bald ernster nehmen, werden wir viele der anderen 16 Ziele nicht erreichen können. Mädchen und Frauen eine Ausbildung und ein größeres Mitspracherecht in der Gesellschaft zu ermöglichen, kommt letztendlich allen zugute. 

Wie hat sich die Entwicklungszusammenarbeit Österreichs seit dem letzten Peer Review 2015 aus Ihrer Sicht entwickelt?

Moorehead: Der Peer Review soll keine Prüfung, sondern ein Lernprozess sein. In einigen Bereichen hat Österreich Fortschritte erzielt. Die Austrian Development Agency zum Beispiel hat ihre Leistungskapazität erhöht und es gibt ein dreijähriges Regierungsprogramm. Aus den Partnerländern kommen einige sehr positive Rückmeldungen, dass Österreich ein starker, flexibler, berechenbarer Partner ist. Aber es gibt noch eine Menge in anderen Bereichen zu tun. Das Wichtigste: Als DAC-Mitglied hat sich Österreich zu einem Ziel von 0,7 Prozent des BNE verpflichtet, der aktuelle Trend geht nicht in diese Richtung. Ich würde mir wünschen, dass Österreich nach Möglichkeit mehr tut. Und ich weiß, dass dies derzeit diskutiert wird und es ein diesbezügliches Commitment gibt.

Aber es geht nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität der Entwicklungszusammenarbeit. In Österreich sind viele verschiedene öffentliche Stellen beteiligt, was in gewisser Weise eine gute Sache ist. Denn es bedeutet, dass das Thema Entwicklungszusammenarbeit nicht nur in einer kleinen Ecke der Verwaltung konzentriert ist und alle anderen denken, dies hätte nichts mit ihnen zu tun. Doch die Kehrseite ist die Fragmentierung. Gerade in Anbetracht des begrenzten Budgets halte ich eine übergreifende Strategie für essenziell, so dass jeder sehen kann, welche Rolle und welchen Beitrag er zu leisten hat. Außerdem wäre es gut, wenn ein größerer Anteil der österreichischen bilateralen Hilfe Österreich tatsächlich verlassen würde. 45 Prozent der bilateralen Hilfe bleiben aktuell in Österreich. Die ADA hat sich seit dem letzten Peer Review besser aufgestellt, also sollten ihre Kapazitäten auch stärker genutzt werden! 

Der Peer Review soll keine Prüfung, sondern ein Lernprozess sein.

Wie kann Österreich seine Bemühungen in der Entwicklungszusammenarbeit besser fokussieren?

Moorehead: Letztlich sind dies politische Entscheidungen. Ein Ansatz für Österreich wäre, seinen komparativen Vorteil auszuspielen. Das Land verfügt über großes Fachwissen und Erfahrung im Energiesektor, insbesondere bei erneuerbarer Energie. Ich möchte Österreich also wirklich ermutigen, gerade in der Debatte darüber, wie wir Klimaschutz mit Entwicklungszusammenarbeit verbinden können, mitzuwirken. Denn ich denke, hier kann Österreich einen wesentlichen Beitrag leisten. Auch im Bereich Konfliktprävention hat Österreich eine guten Track Record, wenn man an seine Nachbarregion denkt, wo Österreich früh bei der Stabilisierung und beim Wiederaufbau unterstützt hat. 

Was kann Österreich von anderen Ländern lernen?

Moorehead: Der Peer Review ist eine gute Möglichkeit, ein Licht auf das zu werfen, was funktioniert und was nicht. Aber die eigentliche Arbeit beginnt jetzt. Zunächst braucht es so etwas wie eine Managementreaktion. Alle Akteure werden sich zusammensetzen, sich den Peer Review anschauen und festlegen, was sie wie ändern können und wollen. Das ist in gewisser Weise der wichtigste Teil des Prozesses. Anstatt zu sagen, dass es ein Vorbild gibt, an dem sich Österreich orientieren sollte, würde ich eher auf eine Art à la carte-Ansatz setzen, je nachdem, mit welchem Aspekt man sich als erstes beschäftigen möchte. Das OECD-Sekretariat in Paris und auch die Mitgliedsländer sind sehr daran interessiert, bei Reformbemühungen Hilfestellung zu leisten. Ich halte diesen Peer-to-Peer-Prozess für sehr wichtig. Denn ich glaube nicht, dass es etwas in den Empfehlungen des Peer Review gibt, das nicht schon einmal einem anderen Land empfohlen wurde. Es gibt also in den meisten Fällen einen Peer, der diese Art von Reformen und Veränderungen bereits durchgemacht hat. Und das ist die Essenz des OECD DAC: Es ist eine Gruppe gleichgesinnter, werteorientierter Geber, deren größte Stärke die Unterstützung durch die Peers, die Rechenschaftspflicht und das gegenseitige Lernen ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

 


ZUR PERSON

Susanna Moorehead ist seit Februar 2019 Vorsitzende des Development Assistance Committee der OECD und damit für die Entwicklungszusammenarbeit der OECD-Staaten zuständig. Moorehead ist seit 30 Jahren im diplomatischen Dienst sowie in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, zuletzt als britische Botschafterin in Äthiopien.

Foto: Christoph Eder

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