50 Schüler sitzen durchschnittlich in einer Schulklasse im ländlichen Kenia. Es bestehen kaum Möglichkeiten für eine individuelle Förderung. Daheim fehlt das Geld für Lernmaterialien, und einen Internetanschluss haben nur die wenigsten. Während Homeschooling für viele Eltern hierzulande nach den heurigen Erfahrungen ein Reizwort ist, ist es in Kenia ein Fremdwort. In die Bresche springt das Sozialunternehmen Eneza Education aus Nairobi. Seit acht Jahren bringt es Kindern per SMS Inhalte näher – mindestens ein Handy hat nämlich mittlerweile auch im ländlichen Afrika fast jede Familie.

Mithilfe der Funktion „Ask a Teacher“ können die Kinder und Jugendlichen mit einem Pool von Lehrern in Kontakt treten und gemeinsam an Aufgaben arbeiten. Etwa drei Cent kostet eine SMS-Unterrichtsstunde pro Schüler. Angesichts mehrerer Millionen junger Kunden, die in Kenia, Ghana, der Elfenbeinküste und Ruanda bereits erreicht wurden, kann sich Eneza finanziell einigermaßen über Wasser halten – während es eine bemerkenswerte soziale Wirkung erzielt.

Mit seiner SMS-Lernplattform trifft das Sozialunternehmen Eneza auf großen Bedarf.
Lernplattform per SMS Mit seinem Angebot trifft das Sozialunternehmen Eneza auf großen Bedarf.

Sozialunternehmen leiden unter fehlenden Einnahmen

Eneza Education ist wie viele Sozialunternehmen vor allem auf sein gemeinnütziges Ziel hin orientiert und kann sich fernab von staatlichen Zuschüssen über den Verkauf seiner Leistung selbst tragen, Gewinne werden großteils in die Ausweitung oder Verbesserung des Angebots investiert. Vielerorts sind Sozialunternehmen zu einem wichtigen Teil eines fragilen sozialen Netzes und zu einem Innovationsmotor geworden. Sie tragen unter anderem zu einer leistbaren Gesundheits- und Energieversorgung bei, stellen die Lebensmittelversorgung sicher und bieten psychosoziale Unterstützung an. 

Nun wankt angesichts der Krise die ohnehin häufig knappe finanzielle Basis bei vielen Sozialunternehmen gewaltig. Die Gewinne brechen weg, Rücklagen gibt es kaum, unzähligen Sozialunternehmen droht der Bankrott. Das könnte zu enormen Engpässen in den Sozialsystemen vieler Entwicklungsländer führen, da sich die Sozialunternehmer ja gerade darauf verstehen, kreativ bestehende Lücken zu füllen. Besonders deutlich zeigt sich das in der aktuellen Krise: Viele Sozialunternehmen setzen sich über ihr normales Geschäftsfeld hinaus für das Gemeinwohl ein.

Kräfte bündeln für die Sozialunternehmen

Um die Krise durchzustehen, brauchen sie aber Unterstützung. Eneza kann unter anderem auf den US-amerikanischen Impact Investor Sorenson Impact Foundation bauen. Um aber den gesamten Sektor der Sozialunternehmen zu erreichen, hat sich dieser kurz nach Ausbruch der globalen Gesundheitskrise mit rund 60 weiteren großen Organisationen zusammengeschlossen – von denen die Mehrheit in Entwicklungsländern aktiv ist. Gemeinsam haben sie die Covid Response Alliance for Social Entrepreneurs ins Leben gerufen, um „Unterstützung für Sozialunternehmen zu mobilisieren und das Bewusstsein für die entscheidende Rolle zu schärfen, die diese bei der Bewältigung der Krise und darüber hinaus spielen.“

Federführend hat die auf den Gründer des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab zurückgehende Schwab Foundation for Social Entrepreneurship gemeinsam mit dem in Frankfurt ansässigen Venture-Capital-Fonds Yunus Social Business alle an einen (zurzeit noch digitalen) Tisch gebracht: Stiftungen, Investoren, Konzerne, Philanthropen und internationale Organisationen. Mit an Bord sind bereits bestehende Förderer sozialen Unternehmertums wie Ashoka und die Skoll-Foundation, Konzerne wie SAP, Johnson & Johnson oder die Stiftungen von Ford und Ikea sowie multinationale Organisationen wie die Internationale Arbeitsorganisation ILO und eben Investoren wie die Sorenson Impact Foundation. 

Johanna Mair sitzt als Expertin für Sozialunternehmen im Kuratorium der Schwab Foundation.
Johanna Mair, Hertie School Berlin

„Es gibt eine Fülle an Organisationen, die Sozialunternehmer unterstützen, aber bisher oft parallel agiert haben. Nun tun sich diese Akteure erstmals zusammen und bündeln ihre Ressourcen, Erfahrungen und ihr Wissen. Das zeigt die Dringlichkeit der Situation“, sagt Johanna Mair, Professorin für Innovation und Leadership an der Hertie School in Berlin und als langjährige Expertin im Bereich des sozialen Unternehmertums Mitglied des Kuratoriums der Schwab Foundation.

Netzwerkfunktion

Als Soforthilfe für Sozialunternehmen hat das neue Bündnis bereits im Frühjahr 75 Mio. Dollar aufgebracht. Nun sollen weitere Gelder akquiriert sowie die Sozialunternehmen individuell bei der Beschaffung zusätzlicher Mittel unterstützt werden. Die US-amerikanische Duke University, mittlerweile ebenfalls Teil dieser Initiative, hat mit Covidcap.com ein Portal eröffnet, das eine globale Übersicht über Corona-Notfallfonds gibt. Das Volumen der gelisteten Hilfsangebote in 62 Ländern übersteigt bereits die astronomische Summe von einer Billion Dollar.

Für Johanna Mair liegt der doppelte Nutzen des Bündnisses darin, dass es nicht nur Geldnöte adressiert, sondern auch eine Plattform- und Netzwerkfunktion erfüllt. Übergeordnete Organisationen und die Sozialunternehmen selbst erhalten Rechtshilfe, technologische Unterstützung und können sich untereinander austauschen, was ihre Bedürfnisse sowie Möglichkeiten zur gegenseitigen Unterstützung anlangt. „Indem sie die Infrastruktur für den Austausch bereitstellt, hat die Allianz die einzigartige Chance, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Sozialunternehmen zu fördern und diesen Best-Practice-Transfer besser zu gestalten“, sagt Mair. Dabei seien die vergangenen Monate bereits als großer Erfolg zu sehen: „Vielen Sozialunternehmen wurde es ermöglicht, durch die finanziellen Zuwendungen Resilienz aufzubauen. Und viele Sozialunternehmen haben in dieser Krise von anderen gelernt, weil sie sich intensiver austauschen konnten.“

Selbst wenn es sich zurzeit noch nicht so anfühlen mag, auch die Coronakrise wird früher oder später überwunden sein. Die Covid Response Alliance for Social Entrepreneurs soll aber über ihren Gründungszweck hinaus weiter bestehen. Und sie könnte zukünftig einen Prozess begleiten, der zu strukturellen Veränderungen im Bereich des Sozialunternehmertums führt. So verzweifeln viele Sozialunternehmer, die von den USA oder Europa aus in Entwicklungsländern agieren, seit Monaten an den weltweiten Reiserestriktionen. „Während das bis dato bei vielen Sozialunternehmern – ähnlich wie etwa bei der Weltbank – ein ‚flying in, flying out‘ war, sehen wir einen Trend dahin, dass man langfristig lokale Kapazitäten, die viel resilienter sind, aufbauen wird“, sagt Mair.

Sponsoren helfen Sozialunternehmen durch die Krise

Im ländlichen Kenia haben erst kürzlich nach mehr als sechs Monaten coronabedingter Schließung die Schulen wieder geöffnet. Für Eneza Education bedeutete das erzwungene Homeschooling eine enorme Steigerung der Nachfrage. Doch anstatt die Preise zu erhöhen, bot das Sozialunternehmen seine SMS-Lernplattform für ein halbes Jahr lang gratis an, um möglichst vielen Schülern in der Krise helfen zu können – finanziert wurde das Service mithilfe des kenianischen Mobilfunkriesen Safaricom. „So konnten wir in dieser Krise mehr als zwei Millionen junge Menschen erreichen und eine entsprechend große Wirkung erzielen“, freut sich Noan Njogu, Sprecherin von Eneza.

Zukünftig möchte Eneza sein Angebot ausweiten. Es laufen konkrete Gespräche mit Organisationen aus dem Landwirtschafts- und Gesundheitssektor. Mithilfe des Eneza-Netzwerks könnten so nicht nur die Kinder in den abgelegensten afrikanischen Dörfern besser lernen, sondern auch ganze Communities wirksam zu Gesundheitsthemen aufgeklärt werden. Und Herausforderungen gäbe es auch in diesem Bereich mehr als genug.

Fotos: Eneza (2), Hertie School