Am Dak Pone-Fluss, der nahe der Grenze zu Laos und Kambodscha durch das zentrale Hochland Vietnams fließt, erzeugt ein Wasserkraftwerk seit 2010 Strom für das öffentliche Netz. Eine chinesische Firma baute das 14 Megawatt starke Speicherkraftwerk binnen drei Jahren, die Jahresproduktion liegt bei 68 Gigawattstunden. Das Besondere an Dak Pone ist, dass es ein privates Investment darstellt, während vergleichbare Projekte in Vietnam staatlich sind. Allem voran ist es aber ein Klimaschutzprojekt, weil es als Wasserkraftwerk keine Treibhausgase erzeugt und zugleich Vietnam bei der Überwindung von Stromengpässen hilft. Als solches kann das Kraftwerk Erlöse nicht nur aus dem Verkauf von Strom, sondern auch von so genannten CO2-Minderungseinheiten gewinnen. Dak Pone wirft jährlich 57.000 Minderungseinheiten ab.
Über den Ankauf solcher Einheiten konnten Industriestaaten in der ersten Verpflichtungsperiode des Kyoto Protokolls zwischen 2008 und 2012 ihre im Inland nicht erreichten Emissionsreduktionen in begrenztem Umfang substituieren, um so ihr nationales Klimaziel zu erreichen. Die Klimakonferenz in Kyoto 1997 hatte dafür den Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism CDM) kreiert.
CDM-Projekte sind vielfältig, sie reichen von verbesserten Kochöfen über Energieeffizienz-Maßnahmen in der Industrie bis zur Errichtung von Windparks oder Wasserkraftwerken. In jedem Fall bringen die Projekte einen Nutzen für zwei Parteien: den Ankäufern, weil sie sich durch diese Emissionsrechte die Erreichung ihrer eigenen Klimaziele kosteneffizient sichern können, und den Entwicklungsländern, weil sie über den Verkauf dieser Rechte klimafreundliche Projekte finanzieren können.
Dak Pone verdankt seine Existenz dem CDM, die Investoren kalkulierten mit Erträgen aus dem Verkauf von CO2-Minderungseinheiten. Seit 2011 ist das Kraftwerk als CDM-Projekt registriert – und damit eines von bisher 8.100 Projekten in 111 Ländern, die bis dato mehr als 2.000 Milliarden CO2-Minderungseinheiten abgeworfen haben.
Freiwillige Kompensation
Neben dem Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung ist in den vergangenen 15 Jahren ein Markt für freiwillige Kompensation entstanden. Einzelpersonen, Unternehmen und Institutionen weltweit können hier Minderungseinheiten erwerben, um ihren eigenen, oft unvermeidlichen CO2-Fußabdruck auf freiwilliger Basis zu kompensieren. Dabei kann der Wunsch, CO2-neutral zu fliegen, auszuliefern oder zu wirtschaften oder einfach nur einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, über internationale wie nationale Projekte erfüllt werden.
Die 2008 von der Kommunalkredit Public Consulting KPC gelaunchte Plattform Climate Austria bietet beides an. In den zehn Jahren ihres Bestehens transferierte sie insgesamt 240.000 CO2-Minderungseinheiten an ihre Partner und Kunden. Die Gutschriften stammten zu fast gleichen Teilen aus nationalen und internationalen Projekten. Auffallend ist, dass das nationale Portfolio ganze 255 Projekte, das internationale nur 32 Projekte – darunter Dak Pone – umfasst.
Sowohl die A1 Telekom Austria als auch die Österreichische Post – mit der 2011 gestarteten Initiative „CO2-neutral zugestellt“ Vorreiter bei freiwilliger Kompensation in Österreich – kauften 2018 im Rahmen ihrer Klimaschutzziele unter anderem von Dak Pone erzeugte CO2-Minderungseinheiten. Eine Erklärung für das Interesse an dem Kraftwerk bietet dabei die Tatsache, dass das Projekt im Jahr davor von Gold Standard zertifiziert wurde.
Der vom WWF und anderen internationalen Organisationen 2003 gegründete Gold Standard bietet dem Käufer dabei eine dreifache Garantie. Er bürgt dafür, dass ein Klimaschutzprojekt ohne die zu erwartenden Erlöse aus dem Verkauf von CO2-Minderungseinheiten nicht zustande gekommen wäre. Und er bestätigt, dass das Projekt zu realen, messbaren und verifizierbaren dauerhaften Emissionsreduktionen führt. Darüber hinaus müssen Gold Standard-Projekte zu nachhaltiger Entwicklung beitragen. KPC-Experte Wolfgang Diernhofer betont in Hinblick auf die von Climate Austria angebotenen internationalen Kompensationsprojekte: „Wir bieten ausschließlich CO2-Minderungseinheiten aus Projekten an, von deren Qualität wir überzeugt sind. In der Regel sind es Gold Standard-Projekte.“
Neben Austrian Airlines, A1 und auch kleineren heimischen Unternehmen ist seit kurzem die Wirtschaftsuniversität Wien Climate Austria-Partner. Die Österreichische Post wiederum kauft über Climate Austria nationale Reduktionen, internationale bezieht sie direkt von Anbietern außerhalb Österreichs, etwa von South Pole. Das Schweizer Sozialunternehmen zählt mit 700 selbst entwickelten Klimaschutzprojekten zu den weltgrößten Akteuren im so genannten Carbonmarkt. Auch das Kraftwerk Dak Pone findet sich übrigens unter den Assets von South Pole.
Spreu und Weizen
Dass die Abwicklung von Climate Austria in die Hände von KPC gelegt wurde, erklärt sich aus deren einschlägiger Erfahrung. Im Auftrag der österreichischen Bundesregierung managte das Unternehmen bereits das Ankaufsprogramm für CO2-Emissionsrechte im Rahmen des Kyoto Protokolls. Österreich investierte damals in 71 Millionen CO2-Emissionsrechte und beteiligte sich direkt an 37 CDM-Projekten.
Die Suche nach geeigneten Investitionsobjekten erfolgte dabei über Ausschreibungen und den Austausch auf Carbon-Exportmessen. Diernhofer berichtet: „Wir haben uns viele Projekte, die an uns herangetragen wurden, sehr genau angeschaut: Großteils waren sie unreif, nicht weit fortgeschritten, unsicher. Wir hatten großes Interesse, wenn österreichische Planer oder Lieferanten an einem Projekt beteiligt waren. Das war für uns ein Qualitätsindiz und bot die Chance für einen indirekten wirtschaftlichen Effekt.“ Auf diese Weise wurde etwa der Düngemittelriese Abu Qir in Ägypten für Österreich eine Bezugsquelle von Klimazertifikaten.
Auf die erste Kyoto-Verpflichtungsperiode folgte mangels Ratifizierung keine zweite – diese war bis Ende 2020 geplant gewesen. Die Folge war ein Einbruch des Markts für CDM-Projekte ab 2015, nachdem bereits zuvor ein Überangebot an CO2-Emissionsrechten zu einem Preisverfall geführt hatte. Ein absehbares Ende solcher Vorhaben war dann aber mit dem Beschluss der Europäischen Union – bis dahin größter Financier von CDM-Projekten – besiegelt, in ihrem Klimapaket keine externen Emissionsreduktionen mehr anzurechnen. „Somit gibt es heute keinen frischen Impetus mehr, neue CDM-Projekte zu initiieren“, sagt Diernhofer.
„Schade ist, dass damit auch die Nachhaltigkeit zahlreicher bestehender Projekte gefährdet ist“, bedauert der KPC-Experte. Er sieht die Gefahr, dass Projekte aufgelassen oder technische Einbauten wie Filter und Katalysatoren am Ende ihrer Lebenszeit nicht mehr ersetzt werden. „Dann wird wieder genauso viel emittiert wie zuvor.“ Lediglich einzelne Player wie die Weltbank kaufen weiterhin Klimazertifikate aus CDM-Projekten, um hochwirksame Maßnahmen – etwa zur Eindämmung von Methanemissionen in Kläranlagen oder Stickstoffdioxidemissionen in Verbrennungsanlagen – aufrechtzuerhalten.
In Diernhofers Retrospektive war der Clean Development Mechanism ein Pionier: Durch ihn kamen viele gute Projekte zustande, wurden Standards für Klimaschutzmaßnahmen gesetzt, technisches und regulatorisches Know-how in Entwicklungsländer transferiert. Nicolas Kreibich, Experte für Klimapolitik am Wuppertal Institut, bewertet den CDM rückblickend als „eine Phase des Ausprobierens, des Learning-by-Doing, die mit einer großen Nachfrage und zahlreichen Projekten das große Potenzial eines solchen Mechanismus aufgezeigt hat, zugleich jedoch dessen Schwachstellen offenlegte“.
Viel Für und Wider
Am Weltklimagipfel in Paris 2015 wurden die Karten neu gemischt und ein neuer Zugang zur Senkung der globalen Treibhausgasemissionen gefunden. Während das Kyoto Protokoll 18 Jahre davor ausschließlich Industrieländer zu Emissionsreduktionen verpflichtete, setzt das Anfang 2021 in Kraft tretende Pariser Abkommen auf die Selbstverpflichtung aller Staaten inklusive der Entwicklungsländer. Eine Nachfolge des CDM wurde zwar prinzipiell vorgesehen, deren Ausgestaltung ist aber bis heute ungeklärt. Dass das Thema komplex ist, zeigte sich zuletzt bei der Klimakonferenz in Katowitz Ende 2018, wo alle Bereiche des Pariser Abkommens geregelt wurden – mit Ausnahme eines marktbasierten Mechanismus.
Kreibich hofft nun, dass der Klimagipfel in Santiago de Chile im Dezember 2019 robuste Regeln für den Nachfolgemechanismus des CDM vereinbart. Eine Nachfrage danach könnte dann entstehen, wenn einzelne Staaten – auch die EU – ihre derzeitigen Klimaziele nachschärfen, um sich dem Langfristziel der vollständigen Dekarbonisierung bis 2050 weiter anzunähern. Dieser Schritt könnte zugleich erleichtert werden, wenn die zusätzlichen Reduktionsverpflichtungen zumindest teilweise mit Minderungen aus dem Ausland gedeckt werden können. Eine praktische Erschwernis sieht der Experte darin, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer die „low hanging fruits“, also günstige Klimaschutzprojekte, die Investoren im Rahmen des CDM bisher gerne realisierten, künftig selbst nützen wollen, um ihre eigenen Klimaziele zu erfüllen.
Bei der Gestaltung eines neuen Mechanismus bleiben, so Kreibich, insbesondere zwei Knackpunkte zu lösen: die Entwicklung von Tools, mit denen Staaten die Minderungsergebnisse robust berechnen und somit den additionalen Nutzen von Projekten sicherstellen können, sowie die Vermeidung der Doppelzählung, damit Käufer und Verkäufer nicht die selben Emissionsreduktionen auf ihre Konten verbuchen.
Marktöffnung
Dabei mangelt es nicht an Interessenten für einen CDM-Nachfolger. Eine wichtige Rolle kommt Fluglinien und Reedereien zu, die vor der Herausforderung stehen, derzeit technisch unvermeidbare CO2-Emissionen durch marktbasierte Klimaschutzprojekte zu kompensieren. Insgesamt entwickelt sich der Markt für freiwillige Kompensation viel versprechend, wenn er auch bisher überschaubar ist: Seit 2015 wurden Minderungseinheiten für rund eine Million Tonnen CO2 aus CDM-Projekten gewonnen. Zum Vergleich: Österreich allein emittierte 2018 rund 80 Millionen Tonnen CO2.
Der Clean Development Mechanism ist am freiwilligen Markt allerdings nicht das einzige System für die Schaffung von Emissionszertifikaten. Nach seinem Vorbild sind etliche andere Anbieter entstanden. Und gerade Dak Pone-Investor South Pole entwickelt laufend neue Finanzierungsmodelle für Klimaprojekte in Entwicklungsländern. Mit und ohne CDM – für South Pole-CEO Renat Heuberger ist Klimaschutz „die möglicherweise größte Geschäftsmöglichkeit des 21. Jahrhunderts“.