Covax ist ein gigantisches Projekt. Welche Herausforderungen beschäftigen Sie gerade am meisten?
Schreiber: Uns fehlen aktuell 200 Millionen Impfdosen – das macht mir natürlich zu schaffen. Meine größte Sorge ist aber, dass schon bald auf einen Schlag unheimlich viele Impfstoffe auf die Entwicklungszuländer zukommen. Dabei sind deren Impfzentren und grundsätzlich die Gesundheitssysteme vor Ort wie kleine Schreinerwerkstätten, von denen wir nun erwarten, dass sie wie große Ikea-Warenhäuser funktionieren. Wir werden also damit zu kämpfen haben, dass die Aufnahmekapazitäten in einigen Ländern relativ niedrig sind und vor Ort bisher zu wenig Geld investiert wurde, um das großartig voranzutreiben. Dabei gibt es natürlich große Unterschiede zwischen den Ländern. Ruanda oder Ghana sind gut organisiert und verimpfen ihre Dosen rasch, während wir aus dem Kongo und dem Südsudan Impfstoffe wieder ausführen mussten. Im Südsudan gibt es nur eine Handvoll Orte, in denen Krankenhäuser vorhanden sind, die Impfstoffe ausgeben können.
In vielen Ländern herrscht zudem eine ausgeprägte Impfskepsis. So musste etwa Malawi rund 20.000 abgelaufene Dosen vernichten.
Schreiber: Das stimmt, ist aber eine verkürzte Darstellung. Dabei ging es darum, dass Südafrika die erste Lieferung von Astra Zeneca – übrigens keine Covax-Lieferung – nicht akzeptiert hat. Die Afrikanische Union hat diese dann auf dem Kontinent verteilt. Die Dosen hatten aber nur ein kurzes Haltbarkeitsdatum und Malawi, das 116.000 Dosen erhielt, nur wenige Tage Zeit, diese im Land zu verteilen. Und dann haben sie es nicht geschafft, die letzten 20.000 Dosen vor dem Ablaufdatum zu verimpfen, was zu einem großen Aufschrei führte. Ein Problem sind da sicher die kurzen Haltbarkeiten der Covid-Impfstoffe. Die Impfskepsis ist aber schon auch ein großes Thema. So arbeiten wir in verschiedenen Staaten mit religiösen Führern zusammen, um die Menschen zu erreichen – denn häufig ist es nicht der Arzt, dem die Menschen am meisten vertrauen. Und wir helfen den Ländern, gezielt Kampagnen aufzusetzen, damit die richtigen Informationen an die Leute kommen. Die Impfskepsis gibt es aber auch bei Masern oder Polio. Und daran haben wir in den vergangenen Jahrzehnten viel gearbeitet. Deshalb können wir unsere Informationskampagnen nun relativ zügig umsetzen.
Gilt das auch für die Herausforderungen bei Transport und Logistik – unwegsames Gelände, schlechte Straßen, schwierige Kühlung?
Schreiber: Wir sind in den abgelegenen ländlichen Regionen noch gar nicht angekommen. Bisher haben wir lediglich die zwischenstaatlichen Ungleichheiten bei den Impfstoffen adressiert. Aber sobald wir eine größere Anzahl an Impfstoffen vor Ort haben, taucht das Thema auf: Ungleichheiten innerhalb eines Landes. Wie wenn nur in Wien oder Salzburg geimpft würde, in Tirol aber keine Impfstoffe ankommen. Und genau so wird das in vielen Ländern sein. Die Auslieferungen in die abgelegenen ländlichen Regionen werden wesentlich länger dauern, genau wie die Impfungen in Konfliktregionen sowie in urbanen Slums. Das macht uns bei den alljährlichen Kinderimpfungen schon jetzt Probleme. 20 Prozent der Kinder weltweit werden überhaupt nicht geimpft.
Wie geht es vorerst weiter?
Schreiber: In den nächsten Wochen werden wir noch Impfstoff-Lücken haben, und dann werden die Impfstoffvolumina rasant ansteigen – ich hoffe, im August/September, spätestens dann im Oktober. Dabei werden die Impfstoffe übrigens nicht nur aus Indien kommen. So kann man mittlerweile etwa auch die Pfizer-Impfstoffe bei zwei bis acht Grad Celsius einen Monat lang lagern. Man darf in ein Land nur nicht zu viele Impfstoffe auf einmal einfliegen. Nun müssen wir uns also schnell von der Schreinerwerkstatt zum Ikea umwandeln. Auch wenn alle auf den knappen Impfstoff schauen, müssen wir den Blick nach vorne richten.