Durch die Corona-Pandemie steht die weltweite Vernetzung in der Kritik. Wie sehen Sie das aus Perspektive der Entwicklungszusammenarbeit?
Ledolter: Trotz der teils berechtigten Globalisierungskritik bin ich davon überzeugt, dass wir die Herausforderungen unserer Zeit nur gemeinsam bestreiten können. Das haben gerade die Ereignisse der vergangenen Wochen deutlich gezeigt. Die Welt baut auf internationaler Kooperation auf. Eine Pandemie kann nur mit globaler Zusammenarbeit bewältigt werden. Besonders Entwicklungszusammenarbeit ist auf ein Zusammenspiel aller gesellschaftlichen Kräfte angewiesen. Für die multiplen Facetten und Hintergründe von Armut und Hunger, von humanitären Krisen und globaler Ungleichheit können wir nur gemeinsam mit unseren Partnern Lösungen erarbeiten. Die Auswirkungen des Klimawandels kann Österreich nicht alleine bekämpfen.
Wie beeinträchtigt die Pandemie die Arbeit der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit?
Ledolter: Bei vielen Projekten und Programmen kommt es zu Verzögerungen. Teilweise sind Infrastrukturvorhaben nur schwer umzusetzen, teilweise mussten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Partnerorganisationen die Einsatzländer verlassen. Gleichzeitig droht die Pandemie, bereits erreichte Entwicklungsfortschritte zunichte zu machen. Den wirtschaftlichen Schaden und den tatsächlichen Anstieg der globalen Armut können wir derzeit nur erahnen. Aber beides wird groß sein. Globale Lieferketten funktionieren nicht mehr, Jobs verschwinden. Bereits jetzt sehen wir, wie die Corona-Krise die Ernährungssituation von Millionen Menschen verschärft.
Welche konkreten Schwerpunkte setzt die Austrian Development Agency aktuell?
Ledolter: Grundsätzlich gilt: An unserem obersten Ziel – der Bekämpfung von Armut – hat auch die Pandemie nichts geändert. Unser Auftrag lautet unverändert: Armut reduzieren, Frieden fördern, Umwelt schützen. Seit Ausbruch der globalen Gesundheitskrise war unsere oberste Priorität, rasch, unbürokratisch und flexibel Hilfe bei der Bewältigung der Corona-Pandemie dort zu ermöglichen, wo sie am dringendsten gebraucht wird. In enger Abstimmung mit unseren Partnerorganisationen und den Behörden vor Ort widmen wir deshalb Budgetmittel um, beispielsweise für die Bereitstellung von Beatmungsgeräten und Schutzausrüstung, oder für Beiträge zu Informationskampagnen, wie man sich am besten vor einer Ansteckung schützt. Außerdem unterstützen wir die Weltgesundheitsorganisation und das Rote Kreuz bei der globalen Koordinierung von Hilfsmaßnahmen. Wie bei anderen Krisen gilt auch hier: Einzelaktionen bringen uns kaum weiter. Insgesamt haben wir rund zwölf Mio. Euro für Sofortmaßnahmen zur Verfügung gestellt.
Wie sieht das bei der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft aus?
Ledolter: Wir sehen ein ungebrochenes Interesse von Unternehmen an internationalen Projekten. Und das nicht nur in unserer unmittelbaren Nachbarschaft am Balkan – vor allem Afrika wird immer wichtiger. Im ersten Halbjahr 2020 haben wir sieben neue Wirtschaftspartnerschaften begonnen. Besonders freut uns, dass wir mit einem Vorhaben unmittelbar auf die Herausforderungen der Pandemie reagieren konnten: Anfang April starteten wir unsere Kooperation mit der Londoner Gesundheitsplattform MedShr (siehe Seite 36).
Vergangenes Jahr gab es zwei Evaluierungen der heimischen Entwicklungszusammenarbeit. Welche Punkte nehmen Sie aus den Evaluierungen mit?
Ledolter: 2019 war für uns ein spannendes Jahr. Einerseits wurde die ADA auf institutioneller Ebene evaluiert. Und andererseits widmete sich der Entwicklungshilfeausschuss der OECD mit einem Peer Review der Entwicklungszusammenarbeit Österreichs. Beide Evaluierungen haben bestätigt: Die Austrian Development Agency arbeitet auf sehr hohem Niveau. Wir setzen Projekte professionell um und zeichnen uns durch unsere Fachkompetenz aus. Unserer Arbeit wurde ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt. Beide Evaluierungen haben aber genauso gezeigt, dass wir mehr Mittel brauchen, um unserer wachsenden Verantwortung gerecht zu werden. Denn sowohl der Umfang als auch die Komplexität unserer Aufgaben ist gestiegen. Mit der Ende Mai beschlossenen Budgeterhöhung von knapp elf Mio. Euro für Entwicklungszusammenarbeit sowie rund zehn Mio. Euro für humanitäre Hilfe kommt Österreich dieser Empfehlung in einem wichtigen ersten Schritt bereits nach.
104 Millionen für Entwicklung
Die Austrian Development Agency wurde 2004 als die Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit gegründet und untersteht dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten. Dazu verfügt die ADA neben der Zentrale in Wien über Auslandsbüros in elf Schwerpunktländern sowie in Serbien. Gemeinsam mit öffentlichen Einrichtungen, NGO und Unternehmen unterstützt die ADA Partnerländer bei ihrer nachhaltigen Entwicklung.
Neben dem operativen Budget der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit setzt die ADA Drittmittel für andere Geber – zum Beispiel die Europäische Kommission – um. Mit dem Budgetbeschluss 2020 werden die Programm- und Projektmittel der Austrian Development Agency ADA um mehr als elf Prozent erhöht.
Wo werden Sie die zusätzlichen Mittel einsetzen?
Ledolter: Die Mittel sind bereits verplant: Sie fließen wie schon gesagt in Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Zusätzlich wird das Thema Migration im Mittleren und Nahen Osten in diesem Jahr eine wichtige Rolle spielen, sowie der Nexus zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit insbesondere in Westafrika. Und wir möchten Projekte zu erneuerbaren Energien im südlichen Afrika verstärkt fördern.
Wo sehen Sie die Stärken und Schwächen der ADA?
Ledolter: Unsere größte Stärke ist definitiv das Know-how und das Commitment unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dafür sind wir bei unseren Partnern bekannt, dafür werden wir geschätzt. Unsere Prozesse und Strukturen, unser Risikomanagement funktionieren gut, wir setzen Projekte kompetent und professionell um. Wir haben ein starkes Evaluierungssystem aufgebaut. Kurz gesagt: Auf uns und unsere Expertise ist Verlass. Für die wahrscheinlich größte Schwäche der ADA müssen wir über unseren institutionellen Tellerrand hinausblicken. Österreichs Entwicklungszusammenarbeit ist fragmentiert, viele Akteure mischen mit. Die Austrian Development Agency ist zwar die Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, aber wir verwalten nur einen vergleichsweise kleinen Teil der gesamtösterreichischen Entwicklungshilfeleistungen. Zusätzlich sind uns Grenzen gesetzt, was die Planbarkeit unserer Mittel betrifft: Unsere gesetzliche Basis ist das Entwicklungszusammenarbeitsgesetz, und das sieht ein jährliches Arbeitsprogramm und Jahresbudget vor. Der Schritt weg von einem Jahresbudget macht natürlich Sinn – ich habe mich in den vergangenen Jahren für ein Mehrjahresbudget und damit für mehr Vorhersehbarkeit unserer finanziellen Voraussetzungen eingesetzt und werde das auch weiterhin tun.
Die Evaluierung spricht von einer Weiterentwicklung der ADA von einer Förder- zu einer Durchführungsorganisation. Worum geht es da?
Ledolter: Im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags vergibt die ADA nicht nur Förderungen, sondern setzt mit Mitteln, die ihr andere Geber anvertrauen, auch selbst Projekte um. Das sind beispielsweise die Europäische Union, andere Geberstaaten oder österreichische Bundesländer. Seit 2018 sind wir außerdem beim Green Climate Fund akkreditiert. In den vergangenen Jahren haben wir unseren Drittmittelbereich kontinuierlich ausgebaut. Allein für die EU haben wir 2019 zwölf delegierte Kooperationen mit einem Vertragsvolumen von knapp 100 Mio. Euro abgewickelt. Im Oktober haben wir ein eigenes Referat mit acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschaffen, um diesem wachsenden Geschäftsbereich gerecht zu werden.
Derzeit wird in Österreich eine Afrikastrategie ausgearbeitet. Wie kann eine solche Strategie mit der Entwicklungspolitik zusammenspielen?
Ledolter: Gerade am Beispiel dieser Strategie offenbart sich das Potenzial von Politikkohärenz. Eine Afrikastrategie kann nicht nur, sie muss mit Entwicklungspolitik zusammenspielen. Denn letzten Endes geht es ja genau darum: Afrikas Jugend braucht Ausbildung, die fit für den Arbeitsmarkt macht – und der Kontinent Investitionen, die Jobs schaffen. Es braucht Ernährungssicherheit und nachhaltige Innovationen in der Landwirtschaft, sowie die Förderung von Unternehmerinnen und Unternehmern – und eine bessere Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten. Das ist eine Win-win-Situation. Eine gesamtstaatliche Strategie für Afrika unter Einbindung der Entwicklungspolitik macht in jeder Hinsicht Sinn. Sie würde den befassten Ressorts eine klare Richtung vorgeben und alle strategischen Ressourcen an einer Stelle bündeln. Und das betrifft natürlich auch das Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik.
Vielen Dank für das Gespräch!
ZUR PERSON
Martin Ledolter ist seit 2013 Geschäftsführer der Austrian Development Agency und verantwortet die Umsetzung der österreichischen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Davor arbeitete der Jurist unter anderem als Referent des ÖAAB sowie im Kabinett des damaligen Vizekanzlers Michael Spindelegger.