Was die Küstenlänge (4.675 km vs. 0 km) oder die Durchschnittstemperatur (26,5 Grad vs. 7,4 Grad) angeht, drängt sich der Vergleich nicht unbedingt auf – dennoch ist Malaysia laut Reinhart Zimmermann, dem Wirtschaftsdelegierten in Kuala Lumpur, „mit Österreich in vielen Bereichen vergleichbar“. Zimmermann sieht vor allem Ähnlichkeiten in der Wirtschaftsstruktur: „Malaysia ist, genau wie Österreich, eine relativ kleine Volkswirtschaft, die sehr exportorientiert ist.“ Das führe zu einer starken Eingebundenheit in die globalen Wertschöpfungsketten, mit all den offensichtlichen Vorteilen – und freilich auch den potenziellen Turbulenzen, die globale Krisen wie die aktuell erlebbaren mit sich bringen.
Malaysia zeigt sich unternehmerfreundlich
Malaysia ist für Unternehmen ein günstiger Boden und bietet sich für viele als Sprungbrett in die Region an. Zu den größten Vorzügen des Landes zählen dabei die Sicherheit von Investitionen, die durch mehrere Freihandelsabkommen ermöglichte Kostengünstigkeit des grenzüberschreitenden Handels, der Schutz geistigen Eigentums, der einfache Zugang zu Krediten sowie die gut gebildete Bevölkerung. Zimmermann kann das nur bestätigen: „Malaysia hat in den 1990er und 2000er Jahren, als das Land für ausländische Investoren weit geöffnet wurde, seine Hausaufgaben gut gemacht.“ Internationalen Unternehmern würden kaum Steine in den Weg gelegt, ergänzt er. So sei es möglich, hundertprozentiger Eigentümer eines malaysischen Unternehmens zu werden, es sei unkompliziert, ein Unternehmen vor Ort zu gründen, es gebe bedeutende Steueranreize und man finde gut ausgebildete Mitarbeiter. Und auch wenn Malaysisch (Bahasa Malaysia) die Amtssprache ist, werde in der international ausgerichteten Wirtschaft vorrangig Englisch gesprochen. Eine offizielle Bestätigung für die unternehmerfreundlichen Rahmenbedingungen erhielt Malaysia von der Weltbank. In deren jüngstem Ease of Doing Business-Ranking vom Jahr 2020 erreichte Malaysia den stolzen 12. Platz von insgesamt 190. Spitzenreiter ist Neuseeland, gefolgt von Singapur und Hongkong; Österreich liegt auf Rang 27, Deutschland auf Platz 22.
Daten und Fakten
Von Malaysia aus in die Region
Um die Abhängigkeit von einem zunehmend schwierigen China zu reduzieren, brauchen europäische Unternehmen Ausweichmöglichkeiten für ihren Investitionsbedarf, darin sind sich aktuell viele Experten einig. In diesem Kontext wird neben Vietnam auch immer wieder Malaysia genannt. Laut Zimmermann kann Malaysia eine gute Alternative in der Region sein, keinesfalls aber ein Ersatz für China: „Niemand sperrt in China zu, um nach Malaysia zu gehen. China ist und bleibt ein riesengroßes Land, in dem man sehr wettbewerbsfähig produzieren kann“, so der Wirtschaftsdelegierte. Letztlich hänge es davon ab, welches Produkt ein Unternehmen herstelle: „Wenn es sich um eine Massenproduktion handelt, etwa mehrere Millionen Schrauben in der Stunde, ist Malaysia nicht der richtige Produktionsstandort. Wenn man aber Spezialschrauben für die Elektronikindustrie in Japan oder Korea erzeugen möchte, es also eher um die Qualität und weniger um die Menge geht, dann ist Malaysia sehr wohl ein Thema“, ist Zimmermann überzeugt.
Daneben eignet sich die hochmoderne Hauptstadt Kuala Lumpur als Drehscheibe für das Asien-Pazifikgeschäft. „55 österreichische Unternehmen sind mit eigenen Niederlassungen in Malaysia präsent. Größtenteils sind das Büros, die von hier aus die ganze Region bedienen. Für diese geht es weniger um Produktion, sondern mehr um Vertrieb, Service, Maintenance, Abwicklung von Aufträgen oder Trainings“, berichtet Zimmermann.
Österreichische Expertise in Malaysia
OMV-Erfolgsgeschichte in Malaysia
Ein prominentes Beispiel für das österreichische Engagement vor Ort ist die OMV, die im Jahr 2018 mit dem malaysischen Öl- und Gasunternehmen Sapura Energy das Joint Venture SapuraOMV gegründet hat, das über ein umfangreiches Portfolio an Öl- und Gasanlagen in Malaysia, aber auch darüber hinaus verfügt. Dabei wurde Malaysia als Drehscheibe für die Expansion in den gesamten asiatisch-pazifischen Raum auserkoren. Malaysia sei gar eine „Kernregion für das zukünftige Wachstum der OMV“, heißt es vonseiten der Unternehmenskommunikation. Als besondere Stärken Malaysias werden genannt: unternehmensfreundliche Umgebung, politische Stabilität, Sicherheit, geringe Lebenshaltungskosten für die Mitarbeiter, weitverbreitete Englischkenntnisse.
Der OMV zufolge ist der malaysische Öl- und Gassektor eine Erfolgsgeschichte und das Staatsunternehmen Petronas „eine Quelle des Nationalstolzes“: Denn Petronas zählt nicht nur – als einziges Unternehmen des Landes – zu den Fortune Global 500-Unternehmen, sondern stellt mit den als Hauptsitz fungierenden Petronas-Türmen auch das Wahrzeichen der Hauptstadt. Tatsächlich macht der Öl- und Gassektor einen beträchtlichen Teil der malaysischen Exporte (12,5 Prozent) und Deviseneinnahmen aus. Dazu führt das Land bedeutende Mengen an Kupfer, Zinn und Palmöl aus.
Malaysia ist das Herz der Halbleiterindustrie
Doch Malaysia ist schon lange kein reiner Rohstofflieferant mehr. So hat sich der Elektronikbereich in den vergangenen Jahren zum bedeutendsten Sektor entwickelt, der mit einem Volumen von aktuell rund 100 Mrd. Dollar für mehr als ein Drittel der malaysischen Exporte verantwortlich zeichnet. „Gerade in der Halbleiterindustrie führt kein Weg an Malaysia vorbei. Auch die österreichisch-malaysischen Wirtschaftsbeziehungen sind aktuell vor allem diesem Bereich zuzurechnen“, sagt Zimmermann.
Der steirische Leiterplattenhersteller AT&S realisiert zurzeit in Kulim – einem knapp 400 Kilometer nordwestlich von Kuala Lumpur gelegenen Hub für Mikroelektronik – die größte Investition der Firmengeschichte. 1,7 Mrd. Euro fließen in den Aufbau einer Hightechanlage, in der ab 2024 IC-Substrate (Verbindungsplattformen zwischen Halbleitern und Leiterplatten) serienmäßig hergestellt werden sollen. Das Werk soll eine Größe von rund 200.000 Quadratmetern haben und bei voller Auslastung zusätzlichen Umsatz in Höhe von etwa einer Mrd. Euro generieren. Mehr als 6.000 Arbeitsplätze schafft AT&S damit vor Ort. „Den Ausschlag für diese Entscheidung haben neben den attraktiven Standortbedingungen vor allem die sehr gut etablierte Kompetenz im Bereich der Mikroelektronik, aber auch die Verfügbarkeit bestens ausgebildeter Fachkräfte und Ingenieure gegeben. An diesem neuen Standort werden neben der Herstellung von Hightech-Produkten auch zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten durchgeführt“, sagte CEO Andreas Gerstenmayer im Vorjahr angesichts der Entscheidung für Malaysia als Produktionsstandort.
Auch der damalige malaysische Premierminister Muhyiddin Yassin zeigte sich begeistert: „Die Entscheidung von AT&S, hier zu investieren, spricht Bände für das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der malaysischen Wirtschaft und das Versprechen eines nachhaltigen Wachstums. Diese Investitionsankündigung ist ein wichtiger Meilenstein für Malaysia, der beweist, dass unsere Bemühungen bei der Ansiedlung hochwertiger internationaler Unternehmen Früchte tragen.“
Das zeigt sich auch am Malaysia-Engagement des größten europäischen Halbleiterherstellers Infineon, den das WKÖ-Außenwirtschaftscenter fußend auf den malaysischen Firmenbuchauszügen auch als größten österreichischen Exporteur führt. Auch wenn der Infineon-Hauptsitz in München ist, ist es vor allem die Konzerntochter Infineon Austria mit Sitz in Villach, die einen direkten Draht zum Kulim Hi-Tech Park – einer von zwei Infineon-Niederlassungen in Malaysia – hat. Im Februar 2022 verkündete das Unternehmen, dass es mehr als zwei Mrd. Euro investieren wird, um die dortigen Produktionskapazitäten massiv auszubauen. „Wir schaffen eine gewinnbringende Kombination mit dem Entwicklungs-Kompetenzzentrum Villach und der kosteneffizienten Produktion von Leistungshalbleitern in Kulim“, sagte Infineon-CEO Jochen Hanebeck. Und die Kommunikationsabteilung führt weiter aus: „In Zukunft werden Villach und Kulim wie eine große virtuelle Fabrik arbeiten, das heißt, wir werden Villach und Kulim synchronisieren.“
Reinhart Zimmermann erwartet, dass Infineon sein Engagement in Malaysia Schritt für Schritt weiter ausbaut: „Sie haben Malaysia als Produktionsstandort etabliert. Als nächstes könnte die angewandte Forschung forciert werden und damit eine ganz neue Dimension dazu kommen. Infineon ist auch in Villach genau diesen Weg gegangen.“
Semperit vor Abschied
Ein weiterer Sektor, in dem Malaysia global führend ist, ist die Kautschukgewinnung. So kommen 65 Prozent der weltweit verwendeten Nitril- und Latexhandschuhe aus Malaysia, lokale Unternehmen wie Top Glove oder Hartalega gehören zu den Global Playern in diesem Bereich. Und auch das Wiener Unternehmen Semperit unterhält bedeutende Produktionsstätten im Land – wenn auch vermutlich nicht mehr lange. Denn während die Covid-Krise der zuvor bereits als unrentabel geltenden Medizinsparte von Semperit einen enormen Boost gab und die Grundsatzentscheidung aus dem Jänner 2020, sich von diesem Bereich zu trennen, erst einmal auf Eis gelegt wurde, werden derartige Bestrebungen angesichts roter Zahlen in den ersten drei Quartalen dieses Jahres nun wieder intensiviert. Dessen ungeachtet weiß Konzernsprecherin Monika Riedel über die Geschäftsbedingungen in Malaysia nur Positives zu berichten: „Selbst in den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass bezüglich der Verfügbarkeit von Energie in Malaysia mehr Stabilität herrscht als etwa in Europa, dazu kommen eine gute Infrastruktur, viele Rohstofflieferanten in der Region sowie die gute Verfügbarkeit von white und blue collar Mitarbeitern.“
Zankapfel Palmöl
Bei aller Euphorie über die Bedingungen, die Malaysia für europäische Unternehmen bietet, gibt es auch einen bedeutenden Reibungspunkt im europäisch-malaysischen Verhältnis mit einer harten Konsequenz: Während bereits vor mehr als zwei Jahren ein umfassendes Freihandelsabkommen zwischen Vietnam und der Europäischen Union in Kraft trat, steht Ähnliches zwischen der EU und Malaysia noch immer aus. Jahrelang lagen die Verhandlungen gar auf Eis. Als größter Bremsklotz hat sich dabei das Palmöl herauskristallisiert: Für viele europäische Länder aufgrund der Abholzung von Wäldern für die Palmölproduktion mittlerweile ein No-Go, ist die Palmölindustrie in Malaysia ein bedeutender Wirtschaftszweig. Gemeinsam mit Indonesien deckt das Land mehr als 80 Prozent des weltweiten Angebots an Palmöl ab. „Es ist – auf beiden Seiten – ein sehr politisches Thema“, sagt Zimmermann. Dabei betont die malaysische Seite, dass ihr Land in den vergangenen Jahren große Fortschritte im Bereich des nachhaltigen Palmölanbaus gemacht habe und sich malaysische Unternehmen dahingehend verpflichten müssten. Mittlerweile haben sich beide Seiten damit einverstanden erklärt, dass der Konflikt auf der Ebene der Welthandelsorganisation gelöst wird.
Malaysia bietet günstige Aussichten
Malaysia teilt mit Österreich nicht nur den Status als Exportwirtschaft, sondern auch den Hang zu innenpolitischen Querelen. Der ehemalige Premierminister Najib Razak hat wegen Korruption im August 2022 eine zwölfjährige Gefängnisstrafe angetreten. Auf ihn folgten in den vergangenen vier Jahren drei verschiedene Regierungschefs. Ob die neue Regierung unter Anwar Ibrahim, die aus den Neuwahlen im November hervorgegangen ist, dem Land zu mehr politischer Stabilität und nötigen Reformen verhelfen wird, bleibt abzuwarten. Für den Wirtschaftsdelegierten Reinhart Zimmermann ist all das jedenfalls kein Grund zur Panik: „Malaysia hatte über Jahrzehnte das System, wie wir es aus Singapur kennen, wo eine starke Partei alles bestimmt. Das wurde 2018 mehr oder weniger abgeschafft. Nun geht Malaysia den manchmal holprigen Weg eines demokratischen Staates.“
Aus der europäischen Unternehmensperspektive nimmt das politische Auf und Ab angesichts der günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine eher geringe Rolle ein. So erreicht Malaysia laut der Weltbank bereits in etwa drei Jahren das Niveau eines Staates mit hohem Einkommen. Damit reiht sich das Land in die Liste der erfolgreichen asiatischen Tigerstaaten wie Singapur oder Südkorea ein, die vor allem – aber nicht ausschließlich – als hochwertige Technologiestandorte weltweit von sich reden machen.