Ihre enorme Bedeutung im Kampf gegen den Klimawandel wird gern unterschätzt: Bäume entnehmen der Atmosphäre Kohlenstoffdioxid und wandeln dieses mithilfe von Licht und Wasser unter Freigabe von Sauerstoff in eigene Biomasse um. Wälder sind damit Treibhausgassenken und Aktivposten in der Erreichung der 2015 in Paris verabschiedeten Klimaziele – wenn sie entsprechend bewirtschaftet werden. Übermäßige Holzentnahmen, Rodungen und Brände schmälern den Beitrag des Ökosystems Wald zur Emissionsreduktion oder kehren ihn sogar ins Gegenteil.
Inwieweit können der Schutz und die Wiederherstellung von Naturlandschaften wie Wälder, Wiesen, Feuchtgebiete und Böden den Kampf gegen den Klimawandel unterstützen? Dieser Frage widmete sich ein Forschungsteam unter Leitung von Bronson Griscom, Waldexperte bei der Non-Profit-Organisation Conservation International. Sein Ziel ist es, Staaten für die Erstellung ihrer Klimastrategie Daten und Fakten in die Hand zu geben sowie Handlungs- und Investitionschancen aufzuzeigen, die zum Schutz von Ökosystemen beitragen. 2017 lag das Ergebnis am Tisch: Natürliche Klimalösungen, wie die Forscher die Maßnahmen nennen, können kosteneffizient mindestens ein Drittel jener Treibhausgassenkung erreichen, die erforderlich ist, um den durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg bis 2030 unter zwei Grad Celsius zu halten. Damit können sie „sparsamer als manche technische Lösung“ sein – und das mit Zusatznutzen. „Natürliche Klimalösungen bieten Staaten ein mächtiges Set an Optionen“, so Griscom, „sie helfen nicht nur, das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen, sondern zugleich auch die Bodenproduktivität zu erhöhen, Luft und Wasser zu reinigen und die biologische Vielfalt zu erhalten.“
Begrenzte Mittel
Unter den natürlichen Klimalösungen erreichen der Schutz, die Wiederaufforstung und die nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern, vor allem Tropenwäldern, so die Experten, den mit Abstand größten Impact. Nichtsdestotrotz wurde bisher nur ein unverhältnismäßig kleiner Teil der öffentlichen Klimaschutzgelder in diese Richtung gelenkt. Gründe für die Zurückhaltung sieht Griscom insbesondere in der Unsicherheit der Geber im Hinblick auf die Kosten-Nutzen-Relation natürlicher Klimalösungen sowie in Bedenken hinsichtlich des langfristigen Erhalts der Wälder.
Finanzielle Mittel sind für Griscom daher auch nur ein Teil der Lösung. Für mindestens ebenso wichtig hält er es, den nachhaltigen Bestand der Wälder auch für jene attraktiv zu machen, die diese bisher vor allem als günstige Rohstoffquelle oder unliebsame Grenze für ihre Anbau- oder Weideflächen betrachtet haben. Der Waldexperte ist überzeugt, dass ein solcher Perspektivenwechsel nur mit privater Beteiligung und neuen Geschäftsmodellen erreichbar ist.
Pionier Costa Rica
Einen viel beachteten Versuch zur Rückgewinnung von Waldfläche startete 1996 das mittelamerikanische Land Costa Rica, dessen Walddecke ab 1950 von 72 auf 26 Prozent der Landesfläche dramatisch geschrumpft war. Noch unter dem Eindruck des Umweltgipfels in Rio erließ die Regierung ein neues Forstgesetz, das weitere Abholzungen verbot und zugleich verankerte, dass Wälder neben der Holzgewinnung weitere – in der Regel wenig beachtete – Dienstleistungen schaffen: Sie schützen Wassereinzugsgebiete, sorgen für landschaftliche Schönheit, binden Kohlenstoff und erhalten die Biodiversität. Dies kommt Individuen, Gemeinden, Unternehmen, der nationalen und globalen Community zugute – und sollte auch von ihnen bezahlt werden. Das Gesetz ermöglichte die landesweite Einführung von Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen (Payment for Environmental Services PES).
Durch das PES-Programm erhielten seit 1997 sechzehntausend mittlere und kleine Land- und Waldbesitzer in Costa Rica Finanzierungen für Baumpflanzungen, für die Rückgewinnung der natürlichen Walddecke oder für Ökosystemdienstleistungen, ohne dass die Kommerzialisierung des Waldes untersagt wurde. Mit Zahlungen von jährlich 30 Mio. Dollar gelangten damit mehr als 1,2 Millionen Hektar costaricanischen Bodens unter das PES-Regime. Costa Rica hat das System seither immer wieder nachgebessert. Griscom hält die Bemühungen insgesamt für vorbildlich: „Costa Rica hat seine bewaldete Fläche binnen 25 Jahren verdreifacht, bei gleichzeitiger Verdoppelung der Wirtschaftsleistung. 2021 will Costa Rica das erste kohlenstoffneutrale Land werden und damit so viel Treibhausgas binden, wie es emittiert.“
Im Zentrum des Systems steht der Nationale Fonds für Forstfinanzierung FONAFIFO. Der Fonds bezieht seine Geldmittel aus der Mineralölsteuer und aus Wassergebühren, aus freiwilligen Zuwendungen von Unternehmen wie Wasserkraftwerken, Brauereien und Tourismusbetrieben, aus Zuschüssen und Krediten von Entwicklungsfinanzierern wie der Weltbank sowie aus dem Verkauf von CO2-Emissionsrechten. Zu den Arbeitsschwerpunkten des Fonds zählen heute auch REDD+ Projekte. REDD+ ist ein Marktmechanismus im Rahmen der internationalen Klimarahmenkonvention UNFCCC, der es Entwicklungsländern ermöglicht, durch Waldschutzmaßnahmen mess- und überprüfbare Treibhausgasreduktionen zu erreichen, die monetarisiert werden. Costa Rica hatte sich als eines der ersten Länder für die Einführung von REDD+ eingesetzt und 2013 das erste Abkommen mit dem für solche Projekte eingerichteten Carbon Fund der Weltbank abgeschlossen.
Viele Spielarten & Lessons Learnt
Unmittelbar nachgeahmt wurde das Programm Costa Ricas für Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen unter anderem von Mexiko, China und den USA. Noch häufiger wurden PES-Programme aber für lokal begrenzte Regionen – häufig Wassereinzugsgebiete – initiiert. Laut OECD gab es bereits 2010 mehr als 300 PES-Programme, die von unterschiedlichen Initiatoren umgesetzt wurden. Die Erfahrung zeigt, dass „der Mechanismus keine Universallösung darstellt und innerhalb des Systems viele Zugänge möglich sind“, wie Stefano Pagiola, Umweltfachmann der Weltbank, festhält.
Entscheidend für das Zustandekommen und den Erfolg von PES-Programmen bleibt die Einbindung und Beteiligung all jener, die von den entsprechenden Maßnahmen direkt oder indirekt profitieren. Das zeigt etwa der Versuch, das Instrument zur Eindämmung der Erosion im Wassereinzugsgebiet des Mat in Albanien einzusetzen. Die ursprünglich niederländische, am Balkan tätige NGO CNVP hatte dazu in Kooperation mit einer Universität und einem Forstverband im Auftrag der Weltbank eine vorbereitende Studie erstellt (siehe auch Interview Seite 38). Seitens der unmittelbar Begünstigten, vor allem des Wasserkraftwerks am Ulza-Stausee, konnte jedoch kein Commitment erlangt werden, auch der Staat ruderte trotz erster Zusagen zurück. Nun geht es darum, andere Geldquellen zu erschließen.
Interview mit Isuf Omuri, Waldexperte bei CNVP am Balkan
Erosion stoppen
Breite Bewegung
Seit der Neuentdeckung des ökologischen und ökonomischen Nutzens von Wäldern sind zahlreiche internationale Initiativen zum Waldaufbau entstanden. Als wirksamer Trigger erwies sich die 2011 von Deutschland in Kooperation mit der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur und natürlicher Ressourcen IUCN gelaunchte Bonn Challenge. Die Plattform definierte als Ziel für eine erste Etappe bis 2020, 150 Millionen Hektar degradierte und entwaldete Landfläche wiederaufzubauen. Zusagen von 56 Regierungen, von den USA über Ruanda bis Aserbaidschan, ließen das Bonn Challenge Barometer of Progress kräftig ausschlagen: Anfang 2020 erreichte es bereits 170 Millionen Hektar, was mehr als der vierfachen Fläche Deutschlands entspricht. Bis 2030 sollen die Zusagen auf 350 Millionen Hektar erhöht werden. „Dadurch werden jährlich rund 170 Mrd. Dollar an Nettovorteilen aus dem Schutz von Wassereinzugsgebieten, verbesserten Ernteerträgen und Waldprodukten generiert und pro Jahr bis zu 1,7 Gigatonnen Kohlendioxidäquivalent gebunden“, so die Organisatoren.
Finanzielle Hilfe für die Umsetzung der Vorhaben bieten unter anderem die Globale Umweltfazilität und der Green Climate Fund. Für Projekte in Europa kann die Finanzierungsfazilität für Naturkapital angesprochen werden, eine Partnerschaft zwischen der Europäischen Kommission und der Europäischen Investitionsbank zur Förderung von explizit kommerziell ausgerichteten Natur- und Klimaschutzprojekten. Kredite für ein Wasserkraftwerk, um die Erosion im Wassereinzugsgebiet einzudämmen, präsentieren die Verantwortlichen als idealtypisches Finanzierungsbeispiel.
Private ins Boot holen
Da Wasserkraftwerksbetreiber jedoch nicht so leicht auf den Geschmack zu bringen sind, versuchen die Naturschutzorganisationen Conservation International und The Nature Conservancy in Lateinamerika, den Sektor über einen „Cloud Forest Blue Mechanism“ ins Boot zu holen. „Die Wiederherstellung von Nebelwäldern hilft den Betreibern von Wasserkraftwerken, die Kosten für das Sedimentationsmanagement erheblich zu senken und die Lebensdauer der Anlagen zu verlängern, sodass kein Bedarf besteht, weitere Dämme zu bauen oder Energie weniger umweltfreundlich zu produzieren“, erklärt Romas Garbaliauskas von Conservation International. Der Mechanismus sichert dabei ab, dass die Kraftwerke gerade so viel in natürliche Klimalösungen investieren, wie sie an Vorteilen gewinnen. Der Schlüssel ist nicht einfach zu finden und bedarf zudem laufender Evaluierungen und langfristiger Sicherheiten, da die Investitionen heute anfallen, der Nutzen aber erst in Zukunft sichtbar wird. Das Programm soll nun an drei Standorten in Kolumbien getestet werden.
Unternehmen aller Branchen haben sich einstweilen auf vielerlei Weise, beginnend mit dem Aufbau entwaldungsfreier Lieferketten, der Rettung der Wälder verschrieben. Der Nahrungsmittelkonzern Danone etwa baut Mangrovenwälder im Senegal wieder auf, der österreichische Zellulosefaserkonzern Lenzing engagiert sich mit Unterstützung der Austrian Development Agency in Albanien. Die Bemühungen der Branchenbesten werden von Forest 500, einer Ratingagentur des britischen Think Tanks Global Canopy, genau verfolgt, Nachzügler schonungslos an den Pranger gestellt.
Anfang des Jahres startete beim Weltwirtschaftsforum in Davos mit One Trillion Trees die jüngste Pro-Wald-Initiative. Die Multi-Stakeholder-Plattform soll sämtliche Initiativen zugunsten natürlicher Klimalösungen bündeln und dadurch Synergien schaffen. Sie sieht sich auch an vorderster Front, um der Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen, die von den Vereinten Nationen für 2021 bis 2030 ausgerufen wurde, zum Durchbruch zu verhelfen. Zum Erfolg könnte schließlich auch die von Bronson Griscom angekündigte Roadmap für Unternehmen beitragen. Ihnen will der Waldexperte Wege aufzeigen, „wie sie in natürliche Klimalösungen investieren können, um klimaschonendere Geschäftsmodelle zu entwickeln und zugleich Jobs und Einkommen am Land zu schaffen“. Und das klingt in jedem Fall nach einem echten Win-Win Wirtschaft, Natur und Mensch.