Bitte keine Schnellschüsse

Ausgabe 99 – Sommer 2023

Günther Maihold hält das Mercosur-Abkommen grundsätzlich für richtig und wichtig – warnt aber vor einer Umsetzung um jeden Preis.

Günther Maihold, SWP
Glauben Sie an eine Umsetzung des EU-Mercosur-Abkommens?

Maihold: Vor dem EU-Lateinamerika-Gipfel im Juli rückt das Abkommen wieder in den Fokus. Es wird versucht, mit der Brechstange eine politische Entscheidung herbeizuführen, damit man nicht mit leeren Händen dasteht. Um eine Zustimmung zu erzielen, wird mit Protokollerklärungen und Verfahrenstricks gearbeitet. Allerdings erscheint es unrealistisch, dass ein schneller Abschluss möglich ist. Es besteht die Gefahr fauler Kompromisse, die später zu Verwerfungen führen könnten. 

Die Verhandlungen dauerten 20 Jahre, und der Beschluss ist bereits vier Jahre alt. Muss es nicht endlich an die Umsetzung gehen?

Maihold: Es wäre nicht sinnvoll, ein Abkommen unter Zeitdruck und nur zur Gesichtswahrung zu erzwingen, wenn es sich später negativ auf die Qualität auswirkt. Und Widerstände gibt es ja auf beiden Seiten: Brasilien unter Präsident Lula da Silva möchte stärkere Gegenleistungen für eine nachhaltigere Amazonaspolitik, während die Europäer Bedenken im Bereich Agrarpolitik und Nachhaltigkeit haben. Daher wäre es ratsam, diese Aspekte systematisch einzuarbeiten. 

In Österreich steht vor allem der Amazonas-Regenwald im Mittelpunkt der Diskussion. Laut Greenpeace würde das Abkommen zu einer zusätzlichen Entwaldung von etwa 700.000 Hektar führen. 

Maihold: Solche Zahlen entstehen, wenn man das Volumen der zusätzlichen Fleischimporte und die dafür benötigte Grünfläche berechnet und diese eins zu eins auf den Amazonas umlegt. Das ist offensichtlich politisch motiviert.

Die Gegenseite sagt, durch das Abkommen könne der Amazonas sogar besser geschützt werden?

Maihold: Wenn das Abkommen als Ganzes umgesetzt wird, wäre ein besserer Schutz des Amazonas möglich. Aber wenn es zum Splitting kommt, ist diese Variante fragwürdig, da dann voraussichtlich keine Ratifizierung der nicht-handelspolitischen Teile durch die Mitgliedsstaaten erfolgt. In diesem Fall wäre der dort niedergeschriebene höhere Schutz nicht gewährleistet.

In Brasilien, dem wichtigsten Mercosur-Staat, hat Lula da Silva das Präsidentenamt von Jair Bolsonaro übernommen, unter dessen Führung der Amazonas verstärkt gerodet wurde. Sind unter Lula wesentliche Veränderungen zu erwarten?

Maihold: Mit Lulas Präsidentschaft ist zwar eine Verbesserung der Situation im Amazonas zu erwarten, allerdings ändert sich nichts an der Relevanz des Agrobusiness. Waldrodungen werden weiterhin ein großes Problem darstellen. Und die Illusion, die bei uns oft aufrechterhalten wird, dass es Lula wesentlich um den Schutz des Amazonas ginge, übersieht, dass es in Brasilien einen Grundkonsens darüber gibt, dass der Amazonas eine Ressource für die nationale Entwicklung ist. Es ist nicht so, als würde ein großer Zaun um den Amazonas errichtet und niemand mehr Zutritt haben. Der Amazonas wird so oder so weiter bewirtschaftet werden. Lula betonte bereits in seiner ersten Amtszeit, dass der Amazonas kein globales öffentliches Gut sei, sondern einen Eigentümer habe, und unterstrich damit die brasilianischen Souveränitätsansprüche. 

Vielen Dank für das Gespräch!