Alexander Schallenberg: „Wir leisten so viel wie nie zuvor!“

Außenminister Alexander Schallenberg über die Relevanz von Entwicklungspolitik in Zeiten multipler Krisen, die Bedeutung von Hilfe vor Ort und die Potenziale österreichischer Unternehmen in und für Entwicklungsregionen.

Alexander Schallenberg
Alexander Schallenberg, Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten
Hat sich Ihre Sicht auf Entwicklungspolitik in den vergangenen vier Jahren verändert? 

Schallenberg: Was sich seit meinem Amtsantritt zweifellos verändert hat, sind die Rahmenbedingungen, in denen wir operieren: Krieg ist auf unseren Kontinent zurückgekehrt. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, bei dem Putin auf zynische Weise Getreide und Energie als Waffen einsetzt, wirkt als globaler Brandbeschleuniger humanitärer Krisen. Darüber hinaus erleben wir die größte Migrationsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. All das zu einem Zeitpunkt, in dem wir zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder einen Anstieg der extremen Armut beobachten müssen. 

Gleichzeitig konnte das Budget für bilaterale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe seit meinem Amtsantritt kontinuierlich erhöht werden. Österreich leistet hier heute so viel wie noch nie zuvor. Die bilaterale Entwicklungshilfe ist in diesem Jahr um 12 Millionen auf 137 Millionen Euro, der Auslandskatastrophenfonds des Außenministeriums als zentrales Instrument der humanitären Hilfe von 15 Mio. Euro im Jahr 2019 auf heuer 77,5 Mio. Euro gestiegen. Diese kontinuierliche Steigerung zeigt Österreichs klares Bekenntnis zur Solidarität durch Hilfe vor Ort. Aktive, verantwortungsvolle Entwicklungspolitik ist aber letztlich die Aufgabe der gesamten Bundesregierung; wir müssen hier also alle an einem Strang ziehen.

Welche Ziele verfolgt die österreichische Entwicklungspolitik? 

Schallenberg: Mit unserem Strategiedokument, dem sogenannten Dreijahresprogramm, geben wir die entwicklungspolitische Antwort auf die aktuellen geopolitischen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Ziel ist es, den Menschen Perspektiven vor Ort zu geben und auch dazu beizutragen, weitere Flüchtlingsströme nach Europa zu verhindern. Der russische Angriffskrieg hat die größte humanitäre Krise in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Darüber hinaus hat er die ohnehin schon dramatische Ernährungsunsicherheit weiter verschärft. Diese Entwicklungen wurden in eine Strategie für die internationale Humanitäre Hilfe Österreichs eingearbeitet. Zu Entwicklungspolitik gehört auch, Zusammenhänge aufzuzeigen und die Bedeutung von Entwicklung zu erklären. Dafür gibt es dann auch Verständnis. Die Österreicherinnen und Österreicher sind selbst hilfsbereit und solidarisch, das steht in einer langen humanitären Tradition unseres Landes.

Und für welche inhaltlichen Schwerpunkte stehen Sie?

Schallenberg: Besonders wichtig sind mir die beiden Bereiche Migration und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Bei Ersterem geht es darum, durch gezielte Unterstützung unserer humanitären Verantwortung gerecht zu werden und dort zu helfen, wo die Not am größten ist – direkt vor Ort. Die Nähe zum Herkunftsland erleichtert zudem die Rückkehr nach Wegfall der Umstände, die zur Flucht geführt haben. Dadurch leisten wir einen Beitrag dazu, Migration nach Europa zu verhindern. So sollen sich nicht noch mehr Menschen auf die gefährliche Reise nach Europa machen und das menschenverachtende Geschäft der Schlepper weiter befeuern. Zudem haben wir erstmals die Konditionalität eingeführt: Bei einer Verschlechterung in der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der illegalen Migration können wir unsere finanzielle Unterstützung kürzen oder streichen. 

Im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit setzen wir stark auf sogenannte Wirtschaftspartnerschaften mit österreichischen Unternehmen. Wir erleichtern diesen beispielsweise den Einstieg in neue Märkte, während sie durch ein langfristiges Engagement Chancen vor Ort schaffen – verbesserte Ausbildung, mehr Jobs, Einbindung in internationale Lieferketten. Dazu gehört auch Berufsbildung: Das österreichische Know-how steht im Ausland hoch im Kurs. Wir verfügen hier auch an den österreichischen berufsbildenden und Berufsschulen über viel Expertise, die wir auch im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit nutzen wollen. Wir erheben derzeit Bereitschaft und Potenzial dieser Schulen für Kooperationen mit Partnern in Entwicklungsländern. 

Woran machen Sie den Erfolg von Entwicklungszusammenarbeit fest? 

Schallenberg: Entwicklungszusammenarbeit allein kann nicht die Lösung für die Beseitigung globaler Armut sein. Instabilität, Konflikte und schwache Staaten zählen in diesem Zusammenhang zu den größten Herausforderungen. Die aktuellen Krisen zeigen, dass dabei mitunter mit Rückschlägen zu rechnen ist. Gerade deswegen ist es uns wichtig, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen und im Rahmen einer Kooperation auf Augenhöhe unsere Partner dabei zu unterstützen, die Ziele der Agenda 2030 zu erreichen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Alexander Schallenberg, 54, ist seit Ende 2021 wieder Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten. Der in Bern geborene Diplomat war bereits ab 2019 in verschiedenen Regierungspositionen tätig, darunter als Bundeskanzler und Außenminister. Zuvor bekleidete Schallenberg mehrere Funktionen in der Bundes-verwaltung, darunter als Sektionsleiter im Bundeskanzleramt und im Außenministerium. Der ÖVP-Politiker studierte Rechtswissenschaften in Wien, Paris und Brügge.

 

 

Foto: BMEIA