Hemd, Krawatte, Aktentasche, Uhr – und vor sich am PC-Bildschirm einige wirtschaftlich interessante Grafiken. Dann wandert der Blick des Kenianers zu einem Bilderrahmen auf seinem Schreibtisch, aus dem ihm seine Eltern entgegenlächeln. Er erwidert das Lächeln, greift zum Handy und drückt dreimal: M-Pesa, Geldüberweisung, Betrag. Augenblicke später fließt das Geld vom Büro in Nairobi direkt aufs Handy seiner Mutter, die gerade auf dem Feld steht. Im Hintergrund ertönt eine Stimme: „M-Pesa – die neue, zuverlässige Möglichkeit, Geld über Ihr Mobiltelefon zu senden und zu empfangen. Besuchen Sie noch heute Ihren nächstgelegenen M-Pesa-Agenten.“

Mit dieser TV-Werbung präsentierte Safaricom, das größte kenianische Telekommunikationsunternehmen, im Jahr 2007 M-Pesa: sein neues mobiles System zur Geldüberweisung und zum Bezahlen per SMS-Technologie und ohne die Notwendigkeit eines regulären Bankkontos. M steht für Mobile, Pesa bedeutet Bargeld auf Suaheli. Der Werbeslogan lautete: „Send Money Home!“ Innerhalb kürzester Zeit installierte Safaricom, dessen Hauptaktionäre Vodafone bzw. dessen südafrikanische Tochtergesellschaft Vodacom sowie der kenianische Staat sind, zehntausende Verkaufsstellen, betrieben von sogenannten M-Pesa-Agenten. Diese waren an ihren grün gestrichenen Kiosken überall im Land leicht erkennbar. Dort konnten Kenianer ein M-Pesa-Konto einrichten, das mit ihrer Telefonnummer verknüpft war, sowie Geld einzahlen oder abheben. Alles, was man dazu benötigte, war ein einfaches Handy – in Kenia erschwinglich und an jeder Straßenecke erhältlich.

Die Bevölkerung nahm den Service in beeindruckendem Ausmaß an: Bereits 2009 war der Anteil der Haushalte, die über M-Pesa Geld empfingen, von vormals 17 auf 52 Prozent gestiegen. 2010 hatten 75 Prozent der erwachsenen Kenianer Zugang zu Finanzdienstleistungen – ein enormer Anstieg gegenüber 20 Prozent im Jahr 2006. Heute zählt M-Pesa 38 Millionen Accounts in Kenia, einem Land mit 51 Millionen Einwohnern (von denen jeder theoretisch bis zu fünf M-Pesa-Accounts haben kann). Jede Sekunde werden 2.500 Transaktionen durchgeführt, mit einem täglichen Transaktionsvolumen von über 1 Mrd. US-Dollar.

M-Pesa Agent im Slum Kibera in Nairobi

Vorreiter Afrika

Mobile Money hat sich weltweit etabliert, insbesondere in Subsahara-Afrika. Laut der internationalen Telekommunikationsvereinigung GSMA gibt es derzeit rund 640 Millionen aktive Mobile-Money-Konten weltweit, die von über 200 Anbietern betrieben werden. Mehr als die Hälfte dieser Konten befinden sich in Subsahara-Afrika. Auch in einigen Teilen Asiens ist Mobile Money weit verbreitet, während es in Industrieländern wie Europa oder Nordamerika kaum genutzt wird. Der Grund dafür liegt in der grundlegenden Funktion von Mobile Money: Es ist keine Ergänzung eines bestehenden Bankensystems, sondern eine völlig neue Form der Finanzdienstleistung, die – anders als Mobile Banking – keine umfassende Bankeninfrastruktur voraussetzt.

In Kenia ist M-Pesa nicht nur für Geldüberweisungen, sondern auch für den alltäglichen Zahlungsverkehr unverzichtbar geworden. Selbst in den Matatus, den knatternden Minibussen, die sich durch die Straßen Nairobis schlängeln, bezahlen viele Fahrgäste ihren Fahrschein mittlerweile digital über M-Pesa. Das hat auch Auswirkungen auf die Bargeldnutzung: Kenia ist heute, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), nach Norwegen das Land mit dem zweitniedrigsten Anteil an Bargeld im Umlauf weltweit. Dieser liegt in Kenia bei 2,4 Prozent des BIP – ein Wert, der etwa einem Zehntel des österreichischen Niveaus entspricht.

Studienreise

Warum M-Pesa in Kenia so erfolgreich wurde und welche weitreichenden Auswirkungen dies auf das Finanzsystem des Landes hat, war Thema der Learning Journey einer Gruppe österreichischer Unternehmer und Banker Ende September 2024. Die Reise, organisiert von den Unternehmensberatern Karin Krobath und Hans Stoisser, führte mitten hinein in die lebendige Tech-Szene Nairobis, auch als „Silicon Savannah“ bekannt. Die Teilnehmer staunten über die Marktmacht von M-Pesa, das rund 93 Prozent Marktanteil im Bereich Mobile Money hält, und waren überrascht von den kaum vorhandenen Datenschutzstandards, die in diesem Sektor herrschen. 

Die Reise beinhaltete Besuche bei Safaricom, dem Anbieter von M-Pesa, sowie bei Start-ups und Unternehmen, die sich auf Geschäftsmodelle rund um Mobile Money spezialisiert haben. Hans Stoisser, Experte für das digitale Afrika, erläutert nach vielen Gesprächen, die er im Laufe der Jahre mit Safaricom-Vertretern, darunter auch dem CEO, geführt hat, eine zentrale Erkenntnis: „Der Erfolg von M-Pesa liegt in der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Insbesondere Menschen in niedrigeren Einkommensschichten, die nur über begrenzte finanzielle Mittel verfügen, müssen ihr Geld schneller in den Kreislauf bringen.“ Dieser rasche Umlauf fördert wirtschaftliche Aktivität und erhöht die Effizienz des Finanzsystems.

Auch Ken Okwero, Mitarbeiter der ersten Stunde bei M-Pesa und heute CEO einer Mikrofinanzbank in Nairobi, betont diesen Aspekt. Vor der Einführung von Mobile Money steckten viele Kenianer ihr Bargeld in Umschläge und schickten es über unsichere informelle Bus- oder Sammeltaxi-Systeme an ihre Familien. „Bargeld ist faul und bewegt sich nicht, Mobile Money zirkuliert und arbeitet“, erklärt Okwero.
Dabei fungiert M-Pesa „lediglich“ als Plattform. Das Geld selbst wird auf Treuhandkonten bei kenianischen Banken verwaltet, die mit Safaricom kooperieren. Diese Struktur macht M-Pesa einerseits zu einem begehrten Partner, andererseits aber auch zum größten Konkurrenten der Banken, der selbst nicht unter die Bankenaufsicht fällt.

50:50: Etwa die Hälfte der M-Pesa-Kunden nutzt nach wie vor die klassischen Feature Phones mit SMS-Technologie. Die andere Hälfte kann per Smartphone auf viele weitere Anwendungen zugreifen. Die Teilnehmer der Learning Journey zeigten sich begeistert.

Einmalige Bedingungen in Kenia

Den Teilnehmern der Learning Journey wurde bald klar, dass sich der Aufstieg von Mobile Money in Kenia, insbesondere durch M-Pesa, nicht ohne Weiteres auf andere Länder übertragen lässt, weil er auf einer einzigartigen Konstellation günstiger Rahmenbedingungen beruhte. Ein zentraler Faktor war dabei, dass die starke Land-Stadt-Migration in Kenia eine hohe Nachfrage nach Geldüberweisungen geschaffen hatte. Zum Zeitpunkt der Einführung von M-Pesa im Jahr 2007 waren fast 20 Prozent der kenianischen Haushalte auf Überweisungen des Hauptverdieners angewiesen, der oft in städtischen Zentren lebte und Geld an die Familie in ländlichen Gebieten schickte. Diese Überweisungen bildeten eine essenzielle Einkommensquelle für viele Haushalte. 

Und deren Gebühren, die je nach Betrag etwa ein bis sechs Prozent davon ausmachen, machen auch heute noch den größten Teil der M-Pesa-Umsätze aus, trotz der inzwischen breiten Produktpalette, die von Mikrokrediten bis zu Versicherungen reicht.
Eine weitere wichtige Voraussetzung war die spezifische Ausprägung der Bankeninfrastruktur in Kenia. Sie war weder so umfassend wie in Industrieländern, wo Mobile Money wenig Mehrwert bieten würde, noch war sie völlig inexistent. So erlaubte es die vorhandene Infrastruktur dem Safaricom-Agenten-Netzwerk, auf Banken zurückzugreifen, um die Liquiditätsportfolios auszugleichen.

Daneben profitierte Safaricom von seiner marktbeherrschenden Stellung im kenianischen Mobilfunkmarkt. Mit einem Marktanteil von rund 80 Prozent hatte das Unternehmen bereits eine breite Nutzerbasis, die den Übergang zu Mobile Money erleichterte. Diese Position ermöglichte es Safaricom, das Vertriebsnetz effizient aufzubauen. Außerdem überzeugte Safaricom mit einem benutzerfreundlichen und barrierefreien Design, das auch Menschen ohne technisches Vorwissen oder Bankenerfahrung den Zugang zu Mobile Money ermöglichte. Und schließlich sorgte eine umfangreiche und gezielte Marketingkampagne dafür, dass das Konzept von Mobile Money in der Bevölkerung schnell bekannt wurde.

Daten und Fakten

Auf Wachstumskurs

Weltweit gibt es heute 640 Mio. aktive Mobile Money-Accounts – Vorreiter sind Afrika und Asien.

Katalysator für Innovation

M-Pesa hat nicht nur den Geldtransfer in Kenia revolutioniert, es ist auch ein Katalysator für die dynamische Tech-Szene Nairobis. Sie hat eine Vielzahl von Start-ups hervorgebracht, die wie am Fließband innovative Lösungen für Herausforderungen im Finanz-, Energie-, Gesundheits- oder Landwirtschaftssektor entwickeln. Die Delegation aus Österreich besuchte unter anderem Pezesha, ein Start-up, das Kleinunternehmen Finanzierungslösungen anbietet und dabei direkt von der Verbreitung von M-Pesa profitiert – mehr als 90 Prozent der kenianischen Kleinunternehmer wickeln ihre Geschäfte über M-Pesa ab. Mittels eines eigens entwickelten Algorithmus bewertet Pezesha u.a. auf Basis der Transaktionsdaten die Kreditwürdigkeit von Unternehmen – und bietet ihnen Finanzierungen mit deutlich niedrigeren Zinsen an als in Kenia üblich.

Die Erfolgsquote des Modells ist erstaunlich: Während das allgemeine Kreditausfallrisiko in Kenia bei rund 40 Prozent liegt, beträgt es bei Pezesha weniger als 5 Prozent. Zudem erhalten Unternehmen, die sich zunächst nicht für einen Kredit qualifizieren, Unterstützung, um ihre Kreditwürdigkeit zu verbessern. „Was Pezesha tut, geht über das einfache Verleihen von Geld hinaus. Es geht darum, ein Eco-System aufzubauen, das finanzielle Inklusion fördert und kleinen Unternehmen hilft, sich in einer herausfordernden Umgebung zu entwickeln“, fasste Unternehmensberaterin Karin Krobath ihre Eindrücke zusammen.

Drohende Zerschlagung

Doch die Marktmacht Safaricoms – des umsatzstärksten (2,4 Mrd. Euro) sowie profitabelsten (Gewinn von 670 Mio. Euro) Unternehmens Kenias – sowie der Umgang mit Kundendaten stehen zunehmend im Fokus kritischer Diskussionen. Und Everlyne Nyambura, Senior Manager für M-Pesa Operations bei Safaricom, die über die Zeit vor M-Pesa als „the old age“ spricht, sagte gegenüber ihren österreichischen Besuchern frei heraus: „M-Pesa kennt seine Kunden besser als sie sich selbst.“

Das verdankt M-Pesa vor allem auch den kenianischen Regulierungsbehörden, da sich die Plattform außerhalb der traditionellen Bankvorschriften entwickeln konnte und somit auf nur geringe Markteintrittsbarrieren stieß. Allerdings legte die Zentralbank Kenias (CBK) wesentliche Regeln fest, darunter die Hinterlegung aller Kundengelder bei regulierten Finanzinstitutionen und Transaktionslimits (aktuell ca. 1.000 Euro pro Transaktion und 3.500 Euro pro Account pro Tag). Trotz dieser Maßnahmen wächst die Sorge der CBK, dass die hohe Umlaufgeschwindigkeit des Geldes indirekt zur ohnehin schon hohen Inflation in Kenia beiträgt.

Und so werden Forderungen nach einer Trennung von M-Pesa, das heute fast die Hälfte des gesamten Safaricom-Umsatzes generiert, und dem Telekommunikationsgeschäft des Unternehmens immer lauter. Ein Gesetzesentwurf, der seit zwei Jahren im Parlament diskutiert wird, sieht vor, dass Mobilfunkunternehmen ihre Finanzgeschäfte ausgliedern und sich als eigenständige Digitalbanken unter die Aufsicht der Zentralbank stellen müssen. Ken Okwero, Mitgründer von M-Pesa, hält eine Zerschlagung für unausweichlich: „Wenn du zu groß bist und die Wirtschaft kontrollierst, bist du entweder die Regierung oder die Regierung kontrolliert dich.“

Einladend: Im philippinischen Einzelhandel kann flächendeckend via GCash bezahlt werden.

Internationale Nachahmer

Neben Kenia ist M-Pesa auch in Tansania mit etwa 10 Millionen Kunden präsent. Darüber hinaus ist der Dienst in Ländern wie der DR Kongo, Mosambik und Ägypten vertreten, allerdings in deutlich kleinerem Umfang. Besonders im Fokus steht das 100-Millionen-Einwohnerland Äthiopien, das von Safaricom-CEO Peter Ndegwa als zentraler Wachstumsmarkt bezeichnet wird.

In anderen afrikanischen Ländern dominieren weitere Anbieter den Markt. In Uganda und Ghana ist der südafrikanische Telekommunikationsriese MTN mit seinem Mobile-Money-Dienst MoMo führend und verstärkt nun auch seine Aktivitäten in Nigeria. Im französischsprachigen Westafrika hat sich Orange Money als Marktführer etabliert. Viele dieser Anbieter arbeiten inzwischen an der Ausweitung länderübergreifender Zahlungsdienste, oft in Kooperation mit großen Zahlungsnetzwerken wie Visa und Mastercard.

Auch in Asien verzeichnet Mobile Money ein deutliches Wachstum. Die Philippinen gelten hier als führend. Bereits drei Jahre vor M-Pesa führte das Telekommunikationsunternehmen Globe mit Unterstützung eines innovativen Regulierungsansatzes der philippinischen Zentralbank den Bezahldienst GCash ein. Die Regierung förderte Pilotprojekte und entwickelte auf Basis der Marktentwicklung schrittweise regulatorische Rahmenbedingungen.

Heute zählt GCash rund 30 Millionen Nutzer in dem 120-Millionen-Einwohnerstaat, konnte also nicht die hohe Marktdurchdringung erreichen wie M-Pesa in Kenia. Der Hauptgrund liegt in den unterschiedlichen Geldverkehrswegen: Während viele philippinische Haushalte Gelder von im Ausland arbeitenden Familienmitgliedern erhalten, konzentrieren sich die Überweisungen in Kenia vor allem auf den Binnenmarkt.

Treiber für Entwicklung

Im Jahr 2011 prognostizierte die Weltbank, dass bis 2020 zwei Milliarden Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern Mobile Money nutzen würden. Auch wenn diese Zahl mit den heute rund 640 Millionen aktiven Mobile-Money-Accounts deutlich verfehlt wurde, hat der Service in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern – vor allem in Kenia – eine schnelle finanzielle Inklusion für große Bevölkerungsgruppen erreicht.
Auch die volkswirtschaftlichen Effekte von Mobile Money sind beachtlich: Laut einem Bericht des Fachmagazins Science hat M-Pesa in den ersten zehn Jahren nach seiner Einführung fast 200.000 kenianischen Haushalten geholfen, der Armut zu entkommen. Zudem hat Mobile Money in Subsahara-Afrika zwischen 2013 und 2022 laut der Telekommunikationsvereinigung GSMA einen Beitrag von etwa 150 Mrd. Dollar zum BIP geleistet, eine Steigerung des regionalen BIP um 3,7 Prozent.

Die GSMA betont, dass Mobile Money zudem wesentlich zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) beitrage. Im Ernährungsbereich etwa arbeitet M-Pesa in Kenia mit der mobilfunkbasierten Lebensmittel-Lieferplattform Twiga Foods zusammen, in Tansania bietet sie über die App M-Kulipa Kleinbauern nicht nur die M-Pesa-Finanzdienstleistungen, sondern auch digitale Beratung sowie Versicherungen für Ernteausfälle an. Und im Bereich Energieversorgung ermöglicht Mobile Money flexible Bezahlmodelle für Off-Grid-Solaranlagen, die vor allem in ländlichen Regionen Afrikas eine wichtige Rolle spielen.

Lernen von Afrika

Die Teilnehmer der österreichischen Learning Journey konnten wertvolle Erkenntnisse aus Kenia mit nach Wien nehmen. Felix Riechelmann, Innovationsmanager bei der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien, ist überzeugt, dass europäische Akteure, einschließlich nationaler Banken, von Partnerschaften mit afrikanischen Anbietern profitieren könnten. Er betont: „Eine engere internationale Zusammenarbeit ermöglicht auch für uns die Entwicklung innovativer Finanzlösungen und die Überwindung veralteter Systeme für eine schnellere, maßgeschneiderte Bereitstellung von Dienstleistungen.“

Fotos: Safaricom, IMF, WorldRemit Comms, Nextafrica, GCash

Learning Journeys von NextAfrica

Ruanda ruft
Die Anmeldephase für die nächsten Learning Journeys nach Kigali und Nairobi läuft!

12.–15.5.2025 (Kigali), 19.–22.1.2026 (Nairobi)

Kosten: 2.520 Euro inkl. MwSt. (Frühbucherbonus)
Inklusivleistungen: Vortragsprogramm, Unternehmens- und Feldbesuche, Stadttour, Verpflegung
Alle Infos: nextafrica.cc