Leitartikel

Visionär

Christoph Eder, corporAID

Ausgabe 98 – Frühjahr 2023

Grüner Wasserstoff gilt als der Energieträger der klimaneutralen Zukunft – und Entwicklungsländern kommt eine zentrale Rolle bei der Wasserstofferzeugung zu.

Christoph Eder, Chefredakteur des corporAID Magazin
Christoph Eder, Chefredakteur

Wasserstoff gilt als der Energieträger der klimaneutralen Zukunft. Wo heute noch Kohle, Erdgas und Öl dominieren, sollen in nicht allzu ferner Zukunft Wasserstoff und seine Derivate ein zentraler Bestandteil des globalen Energiemix werden. Selbstverständlich treibhausgasfrei produziert, am besten mit erneuerbarem Strom aus Wind und Photovoltaik. Soweit die Vision.

Mittlerweile befinden sich einzelne Großprojekte zur klimaneutralen Erzeugung von grünem Wasserstoff im Gigawattbereich in der Pipeline. Diese spielen zwar jeweils leistungsmäßig in der Liga eines ausgewachsenen Kernkraftwerks oder aller österreichischen Donaukraftwerke zusammen, können aber doch nur ein paar Promille des schon heute weltweit in der Industrie verbrauchten grauen, also aus Erdgas reformierten Wasserstoffes erzeugen. Diese Konfrontation mit der Realität lässt die Vision ein wenig ambitioniert wirken, soll doch grüner Wasserstoff schon im nächsten Jahrzehnt auch in Luftfahrt und Hochtemperaturprozessen Anwendung finden und sogar als Backup für die Stromerzeugung dienen. Dazu kommt, dass abseits von Prototypen keine großindustriellen Produktionsanlagen für grünen Wasserstoff existieren. Und auch die für die grüne Zukunft notwendigen Marktmechanismen stecken noch in den Kinderschuhen. 

So steil und steinig der Weg auch bei optimistischer Betrachtung aussieht, gibt es angesichts des fortschreitenden Klimawandels keinen validen Plan B zum Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. Zumindest keinen, der den Wohlstand dort sichert, wo es ihn heute schon gibt, und Raum für dessen Schaffung in jenen Weltregionen lässt, deren Bewohner immer noch in Armut leben.Zahlreiche Staaten und internationale Akteure haben mittlerweile Wasserstoffstrategien formuliert, die Rahmenbedingungen schaffen und den Weg für Milliardeninvestitionen bereiten sollen. Auch Österreich hat vor einigen Monaten eine solche Strategie vorgestellt.

Allen Strategien gemeinsam ist die Perspektive, dass Entwicklungsländern eine zentrale Rolle bei der Wasserstofferzeugung zukommen wird. Oder weniger positiv formuliert: Es ist klar, dass beispielsweise der in Österreich zukünftig benötigte Wasserstoff nicht hierzulande produziert werden kann – und irgendwo muss er ja schließlich herkommen. Weil das für die meisten Industriestaaten zutrifft, stehen die Vorreiter unter ihnen schon heute Schlange in jenen Ländern, die für eine erneuerbare Stromproduktion ebenso günstige Voraussetzungen bieten wie für eine Wasserstofflogistik. 

Österreich gehört – wenig überraschend – bislang nicht dazu. Vordergründig fehlt es trotz einschlägiger Strategie an einem handfesten Plan und entsprechenden Budgets. Für die Zukunft ist zu hoffen, dass die heimische Vision nicht einmal mehr daraus besteht, sich rechtzeitig einem Platz am Trittbrett des Weltgeschehens zu sichern.

Foto: Mihai M. Mitrea