Leitartikel

Neu denken

Christoph Eder, corporAID

Ausgabe 84 – November | Dezember 2019

Christoph Eder, Chefredakteur des corporAID Magazin
Christoph Eder, Chefredakteur

Dass sich Herr und Frau Österreicher von weltweiten Herausforderungen wie Migration oder globaler Erwärmung betroffen fühlen, sieht man nicht zuletzt an den vergangenen Nationalratswahlen, für deren Ausgang die beiden Themen jeweils eine wichtige Rolle spielten. Aktionen wie die Umbenennung von Erstaufnahme- in Ausreisezentren oder das heimische Verbot von Plastiksackerln haben dabei aber nur überschaubare Lösungskompetenz – zentrale Zukunftsfragen werden sich nämlich nicht zwischen Boden- und Neusiedlersee, sondern in Schwellen- und Entwicklungsländern entscheiden. Weil Österreich zudem als offene und exportorientierte Volkswirtschaft in besonderer Weise von weltweiter Vernetzung profitiert, sollte eine globale Agenda eigentlich ein Fixpunkt im Programm der künftigen Bundesregierung sein.

Große Tradition hat eine ernsthafte globale Perspektive in der heimischen Politik nicht. Insbesondere dort, wo internationale Vereinbarungen auch eine finanzielle Dimension haben, steht Österreich selten in der ersten Reihe – beispielsweise ist der schwedische Beitrag zum Green Climate Fund, dem wichtigsten globalen Instrument im Kampf gegen den Klimawandel, rund 25 Mal so groß wie der unsrige. Langsam scheint den politisch Verantwortlichen aber zu dämmern, dass sich hier etwas fundamental ändern muss. 

Für einen echten Paradigmenwechsel steht die neue Bundesregierung nicht zuletzt vor der Aufgabe, auch die österreichische Entwicklungszusammenarbeit neu zu denken – und zwar dezidiert wirtschaftsorientiert. Denn die erfolgreichen österreichischen Unternehmen, die in vielen Sektoren zu den Weltmarktführern zählen, sind Indikator für das Know-how unseres Landes – und damit für das, was Österreich wirklich zu globaler nachhaltiger Entwicklung beitragen kann. Die österreichische Entwicklungszusammenarbeit muss aber auch neu gedacht werden, weil die vorhandenen Perspektiven, Strategien und Instrumente für einen solchen Beitrag vielfach nicht ausreichen. Das umso mehr, als ohne handfeste Ziele und innovative Kooperationsformen auch eine Erhöhung der entsprechenden Budgets das heimische Potenzial nicht aktivieren können wird. 

Es ist ja nicht so, dass diese oder ähnliche Überlegungen sich nicht in der einen oder anderen Form bereits in politischen Programmen wiederfänden oder von Poltikern bei passender Gelegenheit ausgesprochen worden wären. Allein: Passiert ist wenig. Ein zentrales Ziel der neuen Bundesregierung muss es daher sein, diese Überlegungen in konkretes Handeln zu übersetzen und das durch zahlreiche Initiativen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene entstandene Momentum zu nutzen. Und auch die Wirtschaft ist gefragt, diesen Paradigmenwechsel mitzugestalten. Denn wenn österreichische Unternehmen sich in Schwellen- und Entwicklungsländern stärker engagieren, hilft das allen. 

Foto: Mihai M. Mitrea