Jede Krise ist eine Chance – heißt es gerne so platt, wenn die Dinge wieder einmal nicht richtig rund laufen. Angesichts der gesundheitlichen Folgen, wirtschaftlichen Verwerfungen und sozialen Kosten der Pandemie zeigt sich von Chancen im Moment nicht viel. Die Resilienz von Gesundheits- und Sozialsystemen ist ebenso bis an die Grenzen gefordert wie die von Unternehmen. Das ist weltweit so – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Denn während in Industrieländern die Kosten der Pandemie in tausenden Milliarden Euro zumeist Staatsschulden verrechnet werden, ist der Preis für mehr als hundert Millionen Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern ein Rückfall in die extreme Armut.
Auch wenn wir in den nächsten Jahre vor allem mit dem Aufräumen der globalen Folgen der Coronakrise beschäftigt sein werden, eröffnet selbst jenseits der maliziösen Dialektik chinesischer Sprichworte jede disruptive Entwicklung – wie wir sie gerade erleben – Raum für Visionen und Opportunitäten. Das Spektrum ist breit und reicht vom dystopischen Wunsch, den Kapitalismus quasi zu überwinden und damit die Krise zum Dauerzustand zu machen, bis zum Durchbruch des Digitalen, der Transformation zu einer Green Economy und entscheidenden Schritten in Richtung globale nachhaltige Entwicklung. Und anders als bei der Abschaffung der Marktwirtschaft ist das Scheitern bei letzteren Themen zumindest nicht inhärent. Das bedeutet nicht, dass die Krise allein angesichts ihrer schieren Größe der ideale Katalysator für diese Anliegen wäre. Denn die Visionen sind nicht neu: Klimaschutz steht seit gut 20 Jahren auf der Agenda, globale nachhaltige Entwicklung bekam zuletzt 2015 mit den gleichnamigen Zielen einen Boost, und selbst in Österreich führt nun schon seit einigen Jahren ein Ministerium die Digitalisierung zuvorderst im Namen. Nur: Bis jetzt war man damit beschäftigt, Strategien zu formulieren und vage Ziele mit möglichst zukünftigen Terminen zu versehen. Praktische Relevanz hatte das alles nur bedingt – es mangelte an Finanzierung und an der Übersetzung in den Alltag der Menschen und das Tagesgeschäft der Unternehmen.
Womöglich kann gerade eine globale Krise zu einem Wandel beitragen. Denn Staaten und Staatengemeinschaft haben Rettungspakete und Konjunkturhilfen in bisher ungeahntem Ausmaß aufgelegt. Und in vielen Fällen angekündigt, damit endlich auch besagten Strategien Leben einzuhauchen. Selbst Österreichs Politik hat neben der Verteilung von Bargeld und Gutscheinen grüne Milliardeninvestitionen angekündigt und – anders als bisher in Zeiten knapper Kassen – die Entwicklungshilfe erhöht. Um tatsächlich die damit verbundenen Chancen zu nutzen und Krisen zu verhindern, wird Geld allein jedoch nicht reichen. Dazu müssen die Themen in der praktischen Realität ankommen – und das kann selbst die größte Krise nicht erreichen.
Foto: Mihai M. Mitrea