Leitartikel

Verteilung

Christoph Eder, corporAID

Ausgabe 91 – Sommer 2021

Christoph Eder, Chefredakteur des corporAID Magazin
Christoph Eder, Chefredakteur

Üblicherweise sind die Generaldirektoren der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen nur ausgemachten Connaisseuren der internationalen Politik bekannt. Das trifft etwa auf die Herren Qu und Li zu, die die Welternährungsorganisation FAO und die Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung UNIDO leiten. Einer tanzt derzeit jedoch aus der Reihe: Tedros Adhanom Ghebreyesus, seit 2017 Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, spielt in der ersten Liga der globalen Politik. Der Äthiopier gibt seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie regelmäßig und öffentlich das mahnende Gewissen, wenn er angesichts der Tatsache, dass Coronaimpfstoffe in ärmeren Weltregionen derzeit Mangelware sind, eine gerechte Verteilung der Impfstoffe einfordert. Wie eine solche gerechte Verteilung aussehen könnte, erklärt er dabei nicht abschließend. Dazu kommt, dass eine hohe Zahl an Impfstoffen in Entwicklungsländern allein angesichts der kurzen Haltbarkeiten und mangelhafter Logistik gar nicht auf die Schnelle verimpfbar wären. 

Bei all den hitzigen Diskussionen und mahnenden Worten wird gerne ausgeblendet, dass noch niemals in der Geschichte in so kurzer Zeit neue Impfstoffe entwickelt, zugelassen und auch in gewaltiger Menge produziert wurden. Zudem haben die Industrieländer zugesagt, innerhalb der nächsten Monate Milliarden Dosen für Entwicklungsländer bereitzustellen. Tedros wird trotzdem nicht müde, den reicheren Ländern quasi bei jeder Gelegenheit Egoismus und Ungerechtigkeit vorzuwerfen.

In der Welt der globalen Entwicklung rennt der WHO-Generaldirektor mit dieser Argumentation offene Türen ein. In kaum einem anderen Politikfeld drehen sich die großen Themen so häufig um knappe Güter, nicht zuletzt um Wohlstand. Und damit auch um die Frage, wie es gelingen kann, dass genug für alle da ist. Anders als natürliche Ressourcen und öffentliche Güter haben von Menschen erdachte und gemachte Produkte – wie es auch die Covid-Impfstoffe sind – aber keine Grenzen. Wir schaffen sie, und wenn die Rahmenbedingungen passen, auch in großer Zahl und zu immer kleineren Preisen. 

Es ist dabei nicht so, dass die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit in diesem Zusammenhang keinerlei Berechtigung hätte, aber der Fokus darauf vernebelt das, worauf es aktuell wirklich ankommt: eine rasche Vergrößerung der Impfstoffvolumina sowie gut durchdachte Impfkampagnen. All das ist ja bereits im Gange. So rechnet der Koordinator der globalen Impfinitiative Covax damit, dass diese bereits im Herbst genügend Impfstoffe für ihre Vorhaben zur Verfügung hat, und warnt davor, dass zu schnell zu viele Impfdosen in einzelne womöglich überforderte Entwicklungsländer gelangen könnten. Die Frage nach der Verteilung sollte also letztlich weniger eine politische als vielmehr eine logistische sein.

Foto: Mihai M. Mitrea