Philipp Blum, Geschäftsführer der Julius Blum GmbH
Philipp Blum, Geschäftsführer der Julius Blum GmbH
Wie stellt sich die Wirtschaftslage für Ihr Unternehmen dar?

Blum: Wir befinden uns seit März 2020, als es in Europa mit Corona so richtig losgegangen ist, in einem instabilen wirtschaftlichen Umfeld. Nicht alles davon war Krise, im Gegenteil – in den Lockdowns haben Leute verstärkt Geld für gemütliches Wohnen ausgegeben. Das hat bei uns zu einer hohen Nachfrage geführt, was wegen Problemen in der Lieferkette gleichzeitig eine riesige Herausforderung darstellte. Als wir Anfang 2022 das Gefühl hatten, endlich in ruhigere Fahrwasser zu kommen, kam der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und fast gleichzeitig ein Lockdown in China, der die ganze chinesische Wirtschaft über zehn Monate einbremste. Wir haben in vielen Ländern hohe Inflationsraten, es droht eine Rezession, dazu kommt eine starke Verunsicherung in der Bevölkerung. Als Unternehmen sind wir nicht zuletzt aufgrund der Energiekosten mit starken Preissteigerungen auf Vormaterialien konfrontiert, und auch die Logistik bleibt herausfordernd. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass es die stabile, heile Welt, die wir über viele Jahrzehnte kannten, nicht mehr gibt, sondern dass die gegenwärtige Situation das neue Normal ist. So gesehen halte ich das Jahr 2023 für sehr herausfordernd.

Afrika hat enormes Entwicklungspotenzial, was Möbel und Küchen betrifft. Es gibt jedoch noch viel an Pionierarbeit zu leisten.

Hat sich Ihr Blick auf die Globalisierung dadurch verändert?

Blum: Wir hatten immer schon einen pragmatischen und durchaus positiven Blick auf die Globalisierung. Wir sehen sie vor allem als Chance im Verkauf. Wir verstehen unter Globalisierung nicht, dass man am billigsten Standort produziert. Wir haben unseren Heimathafen und die mit Abstand größte Produktion hier in Vorarlberg. Wir haben in Polen, den USA, Brasilien und China auch lokale Produktionen für diese Märkte. Auch wenn Vorprodukte anderswo billiger zu beziehen wären, haben wir beispielsweise unsere Stahllieferanten geografisch in unserer Nähe. 

Was macht Vorarlberg als Produktionsstandort so attraktiv? Und wo liegen Herausforderungen?

Blum: Die stabilen Rahmenbedingungen, mit denen wir es hier zu tun haben, sind für unser Unternehmen extrem wertvoll. Wir beschäftigen in Vorarlberg mehr als 7.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Natürlich fordert uns der Fachkräftemangel. Es ist quer durch alle Bereiche schwierig geworden, neue Mitarbeiter zu finden. Eine wichtige Rolle kommt der Lehre zu: Jedes Jahr beginnen an die hundert Lehrlinge bei uns, die meisten bleiben auch langfristig im Unternehmen. So sichern wir die Fachkräfteausbildung für Produktion und technisches Umfeld selbst ab. Was den Standort insgesamt betrifft, gibt es natürlich Verbesserungsmöglichkeiten, sei es bei der Digitalisierung oder der Bürokratie, die zum Teil wirklich überbordend geworden ist. Es gibt Potenziale bei der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Und wir brauchen bessere Regelungen für qualifizierten Zuzug. Wir haben im Unternehmen mehr als 60 Nationalitäten, und darüber sind wir extrem froh. 

Philipp Blum, Geschäftsführer der Julius Blum GmbH, im Interview mit corporAID
Wo liegen die Wachstumsmärkte für Blum? 

Blum: Wir sind regional sehr breit aufgestellt, unsere klassischen Wachstumsmärkte lagen in der jüngeren Vergangenheit in Osteuropa und Asien. In der Corona-Zeit haben auch die etablierten Märkte Westeuropa oder Nordamerika ein gutes Wachstum gezeigt. In letzteren geht es vor allem um qualitatives Wachstum: Innovationen bei Scharnieren und Beschlägen, damit Küchen und Möbel besser funktionieren und ästhetischer werden. In Emerging Markets wie China wachsen wir, weil dort der Stellenwert der Küche an Bedeutung gewinnt. Dort bedienen wir den Markt anders – der Fokus liegt derzeit auf guten, soliden Produkten und weniger auf unseren Highend-Produkten. 

Findet diese Entwicklung weltweit statt, beispielsweise auch in Afrika?

Blum: Wir sind heute mit Vertriebsgesellschaften in Tunesien für die Maghrebregion sowie in Südafrika tätig. Der Kontinent insgesamt hat enormes Potenzial, was Möbel und Küchen betrifft, aber da gilt es noch viel an Pionierarbeit zu leisten. 

Wir sind davon überzeugt, dass sich nachhaltiges Wirtschaften am Ende auch ökonomisch rechnet.

Ist die Idee Küche weltweit gleich?

Blum: Ja und nein. Es gibt einen gewissen Standard in vielen Ländern, was für uns den Vorteil hat, dass wir mit kleinen Anpassungen weltweit die gleichen Beschläge liefern können. Gleichzeitig gibt es Länder, die hier noch eine Menge Aufholbedarf haben. Von der Feuerstelle oder dem Gaskocher auf einem Kasten hin zu einer Einbauküche, da gibt es große Unterschiede. Ich glaube, dass dieses um eine Feuerstelle versammelt sein und gemeinsam zu kochen einen tiefen Wert für alle Menschen hat. Dass der Stellenwert der Küche weiterhin ein hoher bleiben wird und auch, dass sich Länder, die heute noch nicht in der Einbauküche zu Hause sind, sich in diese Richtung entwickeln werden.

Wie gehen Wachstum und Nachhaltigkeit bei Blum zusammen?

Blum: Wir sind davon überzeugt, dass sich nachhaltiges Wirtschaften am Ende auch ökonomisch rechnet. Das erfordert allerdings eine sehr langfristige Ausrichtung. Dazu gehört auch die Langlebigkeit unserer Produkte, die ein Möbelleben lang, das heißt 20 Jahre und mehr, halten. Wir verwenden fast ausschließlich Stahl, der praktisch zur Gänze recycelbar ist, und investieren laufend in die Entwicklung, um unsere Produkte immer weiter zu optimieren: Jedes Gramm, das ich einsparen kann, muss ich am Schluss weniger in den Kreislauf zurückführen. Auch die Verbundstoffe, die am Ende des Tages aufgrund der Untrennbarkeit nicht rückführbar sind, sind ein großes Thema. Was unsere CO2-Bilanz betrifft, ist die Mitarbeitermobilität kein unbedeutender Faktor. Hier haben wir vor eineinhalb Jahren ein Mobilitätskonzept entwickelt, das gut angenommen wird. An schönen Tagen im Sommer ist es inzwischen fast schon schwieriger, einen guten Parkplatz fürs Fahrrad als fürs Auto zu finden. 

Philipp Blum, Geschäftsführer der Julius Blum GmbH, im Gespräch mit corporAID
Welche Rolle spielt Innovation? Sind Beschläge nicht irgendwann zu Ende erfunden?

Blum: Innovation ist unsere Lebensversicherung. Wenn wir aufhören innovativ zu sein, dann wird es schwierig, im Wettbewerb zu bestehen. Innovation entsteht im Dialog, über das gute Zuhören, über das gute Beobachten, bei unseren Kunden. Wir müssen mit unseren Produkten reale Bedürfnisse aller unserer Kundengruppen abdecken, von den Herstellern der Möbel über die Verkäufer und Monteure bis zu den Endkonsumenten. Die meisten Endkonsumenten wissen gar nicht, dass sie einen Blum-Auszug zu Hause haben, und doch bieten die vielen funktionalen, ergonomischen und optischen Aspekte enorme Möglichkeiten, sich vom Wettbewerb abzuheben. Zum Teil sind es technische Raffinessen, zum Teil sind es praktische Lösungen wie ein Sockeltritt. Der Trend zur Urbanisierung und zu kleiner werdenden Wohnräumen beschäftigt uns. Wir sind Spezialisten dafür, aufzuzeigen, welche Lösungen es gibt, um Stauraum zu schaffen, also Küchenzeilen verschließen und multifunktionale Nutzungen ermöglichen, zum Beispiel für das Homeoffice. Wir hatten jahrzehntelang die Innovationsphilosophie, stets eins draufzusetzen. Dabei waren die Bedürfnisse der Endkundinnen und Endkunden immer schon entscheidend für uns. Das wird in Zukunft noch mehr in den Fokus rücken, ganz gleich ob in den etablierten Märkten oder in Entwicklungsmärkten.

Welche Rolle spielen in Ihrem Unternehmen Werte? Und was sagen Ihnen die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung? 

Blum: Werte haben schon meinen Großvater stark geprägt, der das Unternehmen gegründet hat. Mein Vater und mein Onkel haben diese weitergeführt und mein Cousin Martin und ich sehen das ebenfalls als unseren Auftrag. Im Zentrum steht der langfristige Erhalt des Unternehmens. Die 17 Entwicklungsziele sind eine gute und wichtige Benchmark für jedes Unternehmen. Wir haben im Rahmen von Workshops die Prioritäten für das Unternehmen definiert und haben dadurch die SDGs ein wenig eingrenzen können. Daraus resultierten auch die Projekte, die wir im Zusammenhang mit der Mitarbeitermobilität oder den Emissionen angesprochen haben. Wir unterstützen auch Kooperationen mit Schulen und Ausbildungseinrichtungen in einer Vielzahl von Ländern, wo uns die Ausbildung an sich ein Anliegen ist. Und wo junge Leute lernen, wie Küchenmöbel funktionieren. In diesem Kontext haben wir uns etwa gemeinsam mit der Unido bei einem Ausbildungsprojekt im Libanon engagiert oder mit dem Land Vorarlberg und ICEP in Kenia. Wir sind sehr offen für solche Kooperationen.

Die SDG sind eine gute und wichtige Benchmark für jedes Unternehmen.

Was macht ein Unternehmen in ihren Augen zukunftsfähig?

Blum: Bei uns sind das ganz klar zwei Schwerpunkte. Das eine ist – wie schon gesagt – Innovation. Dabei geht es um die echten Kundenbedürfnisse und nicht um irgendeinen Firlefanz. Der zweite Schwerpunkt ist, ein vertrauensvoller Partner für unsere Kunden zu sein. Das betrifft auch unsere Internationalisierungsstrategie. Wir haben über 30 Tochtergesellschaften und viele langjährige Vertretungen, weil wir Vertrauen, die Nähe zum Kunden, den persönlichen Kontakt als wichtige Basis für gute Geschäfte sehen. Das Thema Vertrauen galt womöglich als etwas konservativ, hat aber durch die Unsicherheiten der vergangenen Jahre wieder einen hohen Stellenwert bekommen. Die Herausforderung ist, die beiden Schwerpunkte auf Produkt- und Marktseite mit mehr als 9.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit voller Kraft zu leben. Dafür brauchen wir ein starkes Team, das gut zusammenarbeitet. In Zukunft wird es auch darum gehen, stärker weltweit vernetzt zu agieren. Dazu können wir das Potenzial der mehr als 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren internationalen Tochtergesellschaften nutzen. 

Philipp Blum, Geschäftsführer der Julius Blum GmbH
Was treibt Sie persönlich an?

Blum: Mir macht es Spaß, mit den vielen Menschen, die bei Blum arbeiten, die Zukunft zu gestalten. Wir verfolgen täglich aufs Neue den Anspruch, unseren Kunden ein vertrauensvoller Partner zu sein. Die Zusammenarbeit ist dabei das Entscheidende: Wie finde ich die besten Leute, wie bringen diese ihre Kompetenzen optimal zur Entfaltung? Hier sehe ich meinen Beitrag, täglich mitzugestalten und meinen Teil zu leisten. Gleichzeitig treibt mich die Verantwortung angesichts dessen an, was die erste und zweite Generation aufgebaut hat. Es geht darum, die guten Errungenschaften zu bewahren und zugleich die Zukunft zu gestalten. Hausaufgaben gibt es genügend.

Vielen Dank für das Gespräch! 


Zur Person

Philipp Blum ist Geschäftsführer des global tätigen Beschlägeherstellers Julius Blum GmbH mit Hauptsitz in Vorarlberg. Er studierte Internationale Wirtschaftswissenschaften und arbeitet seit 2009 im Familienunternehmen. Gemeinsam mit seinem Cousin Martin Blum führt er seit 2019 das Unternehmen in dritter Generation.

Zum Unternehmen

Julius Blum GmbH: Globaler Türöffner

Blum-Zentrale in Höchst, Vorarlberg
Blum-Zentrale in Höchst, Vorarlberg

Die Julius Blum GmbH aus Höchst (Vorarlberg) ist ein weltweit führender Hersteller von Möbelbeschlägen. Das Unternehmen wurde 1952 von Julius Blum, einem gelernten Huf- und Wagenschmied, gegründet und produzierte anfänglich Hufstollen für Pferde. Ab 1958 sattelte Blum auf Möbelbeschläge um und avancierte über die Jahrzehnte zu einem global gefragten Zulieferer der internationalen Möbelindustrie mit Kunden in 120 Ländern. Heute produziert das Familienunternehmen Klappen-, Scharnier-, Auszug- und Pocketsysteme in acht Werken in Vorarlberg und an weiteren vier Standorten in Polen, den USA, Brasilien und China. Weltweit gehören außerdem 33 Tochtergesellschaften und Repräsentanzen zur Julius Blum GmbH. Der Möbelbeschläge-Spezialist beschäftigt rund 9.400 Mitarbeiter (davon 7.000 in Vorarlberg) und erzielte im Geschäftsjahr 2021/2022 einen Umsatz von 2,6 Milliarden Euro. 

 

Fotos: Blum