Münzer Bioindustrie
Ewald-Marco Münzer, Geschäftsführer von Münzer Bioindustrie
Wie beurteilen Sie die derzeitige Wirtschaftslage?

Ewald-Marco Münzer: Die aktuelle Wirtschaftslage ist definitiv herausfordernd, nichtsdestotrotz aber bewältigbar – wobei ich jetzt nur für unser Unternehmen sprechen kann. Es gibt dieses schöne Zitat: Der Weltuntergang hat noch jeden Propheten Lügen gestraft. Das heißt: Ja, die Situation ist herausfordernd, aber man muss im positiven Mindset bleiben und das Beste daraus machen.

Welche Lehren haben Sie aus den vergangenen Krisen gezogen? 

Münzer: Wir fühlen uns weder als Krisengewinner noch als Krisenverlierer. Unser großes Learning war die Digitalisierung. Wir sind ein Familienunternehmen mit allen Vor- und Nachteilen: also mit kurzen Entscheidungswegen, aber vielleicht etwas zögerlich bei Entscheidungen. Die Pandemie hat zu einem gewaltigen Digitalisierungsschub bei uns geführt, den wir nicht missen möchten und auf den wir heute aufbauen. Und auch wir sind vor immensen Lieferkettenproblemen gestanden und lassen das heute so umfangreich wie möglich in unsere Risikobewertung einfließen. Das ist nicht einfach, weil man in der globalen Logistik ein Zahnrad im großen Getriebe ist. 

Ist der globale Markt heute ein anderer als zuvor?

Münzer: Durchaus. Die Globalisierung wurde zu einem gewissen Grad als selbstverständlich angesehen, und dann hat man gemerkt, wie fragil diese eigentlich ist, wenn unerwartet Sand ins Getriebe kommt. Wir haben heute einen differenzierten Blick auf Globalisierung und globalisierte Supply Chains. Man muss damit kalkulieren, dass es kleinere und womöglich elementare Schwankungen gibt. Wir versuchen, unsere Supply Chains international abzusichern und hier auch Puffer einzuplanen, um allfällige, hoffentlich nicht wieder in dieser Tragweite auftretende Schwankungen abfedern zu können. Was ich mir wünsche ist, dass es nicht zur neuen Tagesordnung gehört, dass wir solche Elementarereignisse miteinberechnen müssen. 

Wir haben heute einen differenzierten Blick auf Globalisierung und globalisierte Supply Chains.

Inwieweit haben sich Ihre Märkte durch die Krise verändert? 

Münzer: Meines Erachtens sind die Märkte erst Anfang 2023 wieder zu alter Beständigkeit zurückgekehrt, die durch weitere Krisen leider wieder in Frage gestellt wird. Man spürt eine Ungewissheit, die hoffentlich nicht in einen Opportunismus im wirtschaftlichen Handel ausschlägt. Dass man für den Moment das Maximale herausholen möchte, weil man auf die mittel- und langfristige Beständigkeit nicht mehr zählen kann. Wir sind ein Unternehmen, das wirklich für Beständigkeit steht, sich Partnerschaften gut überlegt und diese dann langfristig sieht. Derzeit sehe ich die Gefahr, dass man nur im Moment agiert und damit die langfristige Perspektive etwas außer Acht lässt.

Wie beurteilen Sie den Standort Österreich?

Münzer: Wir haben ein Credo: Wer einen starken Standort will, muss in diesen auch investieren. Wir tun das sehr gerne, wir bleiben auch mit all unseren Internationalisierungsprojekten ein österreichisches Familienunternehmen und wir nehmen diesen Zugang auch mit in all unsere Auslandsmärkte. Das betrifft den wirtschaftlichen genauso wie den sozialen Anspruch. Dafür müssen wirtschafts- und investitionsfreundliche Rahmenbedingungen gegeben sein, und diese muss man in Österreich wie in der EU sehr wohl im Blick behalten. Wir haben Mitbewerber in Europa, die sich in Richtung Nordamerika orientieren, weil die Rahmenbedingungen dort momentan etwas charmanter erscheinen. Das ist für uns keine Option, aber es muss uns ein Fingerzeig sein: Österreich muss daran arbeiten, dass Wirtschaften und auch Investieren in einem gesunden Rahmen funktionieren.

Wie sind Sie in Ihr Geschäftsfeld gekommen?

Münzer: Das Unternehmen Münzer Bioindustrie wurde als Entsorgungsunternehmen, spezialisiert auf flüssige Abfälle, gegründet. Und flüssige Abfälle haben die Besonderheit, dass sie nicht wie Festmüllabfälle auf eine Deponie gebracht werden können, sondern einer Verwertung zugeführt werden müssen. Somit war schon in einer ersten Phase ein Innovationsdruck da, die bestmögliche Verwertung für flüssige Abfälle darzustellen, weil es den leichten Weg nicht gab. So ist man relativ rasch zur energetischen Verwertung gekommen. Wir produzieren abfallbasierten Alternativkraftstoff – landläufig bekannt als Biodiesel. 

Wird das so bleiben? Die Mobilität stellt ja auch auf Elektro um. 

Münzer: Definitiv. Biodiesel ist nicht die eine heilsbringende Variante, aber ein Teil der großen Lösung. Wir werden uns nicht den Luxus leisten können, auf eine verfügbare, marktfähige, leistbare und funktionierende Variante zu verzichten. Die Energiepolitik der Zukunft braucht viele Mosaiksteine. Die Elektromobilität wird einen wesentlichen Beitrag leisten – aber es werden auch alternative und synthetische Kraftstoffe eine Rolle spielen. Der nächste Schritt in unserer Unternehmensentwicklung ist, eine industrielle Anlage zur Produktion von Grüngas zur Direkteinspeisung in das höherrangige Gasnetz in Österreich zu realisieren, um somit einen weiteren Beitrag zu leisten, aus Abfallstoffen alternative Energieträger herzustellen und direkt bestehenden, fossildominierten Energieformen beizumischen. Generell ist das unser Selbstverständnis: Wir stehen für Ergänzen und nicht für Ersetzen.

Was tut sich noch in puncto Innovation?

Münzer: Wir bemühen uns, vernunftbetonte Schritte zu setzen. Derzeit konzentrieren wir uns auf neue abfall- und reststoffbasierte Rohstoffe. Das ist Urban Mining 2.0, und hier muss man weiter in die Nische gehen und auch in einem über die EU hinausgehenden Kontext weitere Abfälle als Rohstoffe der Zukunft identifizieren. Unsere Innovationskraft konzentrieren wir derzeit darauf, dass wir diese Stoffe aufbereiten. Letztlich geht es darum, Geschäftsmodelle weiter zu dekarbonisieren und weiter CO2 einzusparen.

 

Auch wir haben unsere Hausaufgaben zu machen. Nur weil man in der Kreislaufwirtschaft tätig ist, handelt man nicht per se in allen Bereichen nachhaltig.

Warum ist Wachstum auch ein negativ besetzter Begriff?

Münzer: Ja, diese Frage beschäftigt mich, denn Wachstum und Nachhaltigkeit sind heute kein Widerspruch mehr. In der Retrospektive mag es wohl so sein, dass der wirtschaftliche Aufschwung zu Lasten von Umwelt und anderen Bereichen gegangen ist – das ist aber seit einigen Jahrzehnten nicht mehr der Fall. Dazu tragen auch Rahmenbedingungen für ein nachhaltigeres Wirtschaften und Handeln bei. Unser Wachstum basiert auf einem Geschäftsmodell, das den Kern der Kreislaufwirtschaft trifft. Auf diese Weise entsteht ein nachhaltiger und sinnreicher Mehrwert für die Gesellschaft, für das Bruttoinlandsprodukt. Wenn man sich gegen Wachstum ausspricht, dann bedeutet das eine Schrumpfung der Wirtschaft und somit einen Wohlstandsverlust. 

Sind Familienunternehmen in einer besseren Position, Nachhaltigkeit zu implementieren als börsennotierte Unternehmen?

Münzer: Nein, ich glaube das ist ziemlich neutral. Wir beschäftigen uns mit Kreislaufwirtschaft, mit der größtmöglichen energetischen Nutzung von Abfallstoffen. Auch wir haben unsere Hausaufgaben zu machen. Nur weil man in der Kreislaufwirtschaft tätig ist, handelt man nicht per se in allen Bereichen nachhaltig. Es geht hier um das Mindset, sich dem Thema zu öffnen, und dafür ist eine Weiterentwicklung der Unternehmensstrategie notwendig. Nachhaltigkeit funktioniert meines Erachtens auch nicht durch Vorschreiben, sondern ist eine Handlungsempfehlung, das Unternehmen einer vernunftbetonten Transformation zuzuführen.

Ewald-Marco Münzer
Sie sind stark in Emerging Markets unterwegs …

Münzer: Uns hat die Internationalisierung unerwartet getroffen. Vor mittlerweile acht Jahren wurden wir kontaktiert, dass der indische Öl-Minister anlässlich eines OPEC-Meetings in Wien eine Biodieselanlage besichtigen möchte. Wir wurden glücklicherweise ausgewählt. Der Minister hat uns dann nach Indien eingeladen, was uns zunächst verwundert hat, da die Technologie der Biodieselproduktion in Indien bereits etabliert war. Tatsächlich wurden wir eingeladen, weil es um das Thema der größtmöglichen Verwertung von Fetten und Speiseölen aus der Gastronomie und aus Privatküchen ging. Denn verwendet man Fette und Speiseöle zu oft, so werden diese aufgrund der steigenden Dioxinbelastung stark gesundheitsgefährdend. Hier wollte man in Indien einwirken und ein funktionierendes Sammelsystem zur Verwertung aufbauen. Es gab großes Interesse, das Know-how, das wir uns über vier Jahrzehnte in Österreich aufgebaut haben, angepasst an die lokalen Rahmenbedingungen, weiterzugeben.

Und dann sind weitere Länder dazu gekommen?

Münzer: Ja, aufgrund unserer Aktivitäten in Indien kamen Anfragen aus Bangladesch und aus Kenia, ob wir unsere Erfahrungen nicht auch in diese Märkte bringen wollen. Und das tun wir, und das ist wichtig zu betonen, ohne staatlich subventioniert zu sein. Wir überlegen uns gut, risikoavers in einem Markt zu starten. Wir beginnen mit eigenem Personal und mit eigener Sammeltätigkeit. Es braucht die Bewusstseinsbildung und auch die Akzeptanz dafür, dass Speisefette und Öle ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr für den Verzehr geeignet sind und dann einer Verwertungslösung zugeführt werden sollten. Wir erwarten uns nicht, dass für uns Gesetze geändert werden, sondern für uns muss der Rahmen als Ganzes stimmen.

Jede Internationalisierung ist harte Arbeit. Man bekommt nichts geschenkt.

Wo liegen die Herausforderungen?

Münzer: Trotz unserer internationalen Erfahrungen hat jedes Land spezifische Eigenheiten, die man annehmen muss. Das sind kulturelle, gesellschaftliche, politische Aspekte. Man muss offen sein für die örtlichen Gegebenheiten. Aber klar: Es ist nicht so, dass es einfach wäre. Jede Internationalisierung ist harte Arbeit. Man bekommt nichts geschenkt. 

Planen Sie den Einstieg in weitere Märkte?

Münzer: Wir haben Kontakte zu einigen asiatischen und afrikanischen Märkten. Aktuell wollen wir uns auf bestehende Auslandsmärkte konzentrieren und dort wachsen. 

Ewald-Marco Münzer
Arbeiten Sie mit der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit zusammen? 

Münzer: Ja, wir haben eine Initiative gesetzt, die sich „freshly fried“ nennt – also frisch frittiert. Hier geht es darum, ein Bewusstsein für die negativen gesundheitlichen Auswirkungen von alten Speisefetten zu schaffen. Entwickelt wurde diese Kampagne aus den Erfahrungen in Indien. Mein Appell ist, dass man nicht mehr von Entwicklungshilfe spricht, sondern das gewaltige Entwicklungspotenzial erkennt, das in einer Partnerschaft auf Augenhöhe liegt. Und hier wird Österreich auch neue Strategien brauchen. 

Was macht ein Unternehmen in Ihren Augen zukunftsfähig?

Münzer: Offenheit für neue Entwicklungen, Herausforderungen als Chancen begreifen und gleichzeitig auf Kontinuität als Schlüsselfaktor für Erfolg setzen. Wir sind sehr stolz, einen Beitrag zur Dekarbonisierung zu leisten, indem wir Stoffe aufbereiten, die als Abfälle gelten, und sie zu Energieträgern veredeln. Das ist unser Antrieb. 

Vielen Dank für das Gespräch! 

Zur Person

Ewald-Marco Münzer führt seit 2010 gemeinsam mit seinem Bruder Michael das von seinem Vater gegründete Unternehmen Münzer Bioindustrie. Bevor er im Jahr 2004 in das Familienunternehmen einstieg, studierte Münzer Betriebswirtschaft in Regensburg und Krems. Kürzlich wurde er von Ernst & Young als österreichischer „Entrepreneuer Of The Year“ ausgezeichnet.

Zum Unternehmen: Vom Abfall zur Energie  

Münzer
Größter Münzer-Standort Ölhafen Lobau in Wien

Die im steirischen Sinabelkirchen ansässige Münzer Bioindustrie GmbH stellt jährlich rund 220 Mio. Liter Fettsäuremethylester (Biodiesel) her. Der Münzer-Biodiesel entsteht im Zuge des chemischen Prozesses der Umesterung aus Altspeiseölen und -fetten, die Münzer von Restaurants, Gasthäusern und Hotels einsammelt. Dazu produziert das im Jahr 1991 von Ewald Münzer sen. gegründete Unternehmen die Nebenprodukte Pharmaglycerin, technisches Glycerin und Kaliumsulfat. 2024 wird die erste Biogasanlage in Niederösterreich eröffnet werden. Heute betreibt Münzer 15 Standorte in neun Ländern: Neben Österreich, Deutschland, Ungarn, Rumänien, Slowenien und den Niederlanden seit Kurzem auch in Indien, Bangladesch und Kenia. Münzer Bioindustrie beschäftigt rund 400 Mitarbeiter und hat im Vorjahr einen Umsatz von 430 Mio. Euro erwirtschaftet.

Fotos: Stefan Karisch, Münzer Bioindustrie 

 

Videoreportage: corporAID zu Gast bei Münzer Bioindustrie