Wie beurteilen Sie die aktuelle Wirtschaftslage?
Angelika Huemer: Durchwachsen: Vor allem machen die höheren Energiekosten der Wirtschaft schwer zu schaffen. Das hat einiges in Bewegung gebracht und belastet die gesamte Wirtschaftsregion Europa schwer. Zudem beschäftigt sich Europa viel zu viel mit regulatorischen und bürokratischen Fragen, anstatt Visionen zu entwickeln und diese zu verfolgen. Aber ich würde sagen, wir müssen positiv in die Zukunft schauen, auch wenn das Planen aktuell ein wenig schwerer fällt.
Wie ist Starlinger durch die Krisen der vergangenen Jahre gekommen?
Huemer: Wir sind gut durch die Pandemie gekommen und haben weder Kurzarbeit noch Förderungen in Anspruch genommen. Die Energiekosten sind zwar für uns als Maschinenbauer nicht wesentlich, nur insofern sie eben die Wirtschaft insgesamt in Mitleidenschaft ziehen. Was uns in den vergangenen Jahren große Probleme bereitet hat, waren die Lieferketten. Wir konnten viele Anlagen nicht fertigstellen, weil wir einzelne Bauteile nicht bekamen. Da anders als in Europa diese Teile in Asien verfügbar waren, haben wir manche Märkte verloren, trotz all unserer Bemühungen, die Kunden zufriedenzustellen. Das hat uns wehgetan. Mittlerweile sehen wir hier eine gewisse Entspannung. Aber prinzipiell sind wir durch alle diese Krisen gut durchgekommen und sind heute sehr gut aufgestellt.
Starlinger ist ein Unternehmen mit einer stark internationalen Ausrichtung. Wie haben sich die Krisen der vergangenen Jahre allgemein auf die weltweite Vernetzung ausgewirkt?
Huemer: Wir haben gesehen, dass die Globalisierung an ihre Grenzen gekommen ist. Uns stellt diese Entwicklung vor die Herausforderung, stärker vor Ort und noch näher bei den Kunden zu sein. Wir sind seit vielen Jahrzehnten mit unseren Produkten auf der ganzen Welt unterwegs und kommen mit den verschiedenen Gegebenheiten in den unzähligen Ländern und Kulturen gut zurecht. Starlinger hat Kunden in mehr als 130 Ländern und elf Niederlassungen außerhalb Europas. Wir investieren aktuell beispielsweise einen zweistelligen Millionenbetrag in ein Werk in Gujarat in Indien, um diesen gewaltigen Markt besser bedienen zu können. Wir hatten dort in den 1980er Jahren ein Joint Venture – der Partner von damals ist jetzt einer unserer größten Konkurrenten.
Afrika ist für Starlinger ein wichtiger Markt. Und das sollte nicht nur für uns so sein, sondern für viele europäische Firmen.
Angelika Huemer
Wie sehen Sie Südamerika und Afrika?
Huemer: Wir hatten vor vielen Jahren in Brasilien einen Lizenznehmer, heute ist das eine Niederlassung, da Brasilien ein sehr abgeschotteter Markt ist. Wir haben auch in Mexiko eine Niederlassung. Damit haben wir die Region gut abgedeckt und in fast alle Länder Südamerikas Maschinen geliefert. Eine Produktion vor Ort würde sich jedoch nicht rechnen. Auch in die meisten afrikanischen Länder haben wir bereits geliefert, Niederlassungen haben wir in Südafrika und in Nigeria. Afrika ist für Starlinger ein wichtiger Markt. Und das sollte nicht nur für Starlinger so sein, sondern für viele europäische Firmen. China ist dort beispielsweise schon stark präsent. Deswegen freut es mich auch sehr, dass in Abidjan ein neues Außenwirtschaftscenter eröffnet wird.
Wie sehen Sie Österreich als Standort für Ihr internationales Business?
Huemer: Die Stärke Österreichs liegt sicher in der Qualifikation der Menschen. Es wird zwar immer schwieriger, genug Fachkräfte zu bekommen, aber noch gelingt es uns, auch hier an unserem Standort in Weissenbach, wo wir knapp 30 Lehrlingen eine ausgezeichnete Ausbildung anbieten. Gleichzeitig sind die Lohnnebenkosten zu hoch, und es gibt zu viel Bürokratie. Es wird den Firmen immer mehr umgehängt, das schwächt letztlich den Standort. Das gilt nicht nur für Österreich, sondern für weite Teile Europas.
Welche Bedeutung hat für Sie Wachstum?
Huemer: Die Frage ist, welches Wachstum man sucht. Wir wachsen stark mit unseren Recyclinganlagen, und das ist für mich gutes Wachstum, weil es die Welt nachhaltiger macht. Diese Anlagen bringen alle möglichen Kunststoffab-
fälle wieder zurück in den Produktkreislauf, viele davon mit der Qualität von Neuware. Unsere Bottle-to-Bottle Anlagen machen aus PET-Flaschen Regranulat, aus dem sogenannte Preforms und daraus wiederum Flaschen gemacht werden, die die höchsten Qualitätsstandards erfüllen. Der Markt für solche Anlagen, die mehrere Tonnen Kunststoff pro Stunde recyceln und je nach Größe und Spezifikationen zwischen fünf und acht Mio. Euro kosten, ist enorm gewachsen. Dadurch konnten wir unseren Umsatz vervielfachen, bewegen uns heute in einem dreistelligen Millionenbetrag und liefern in die ganze Welt. Abnehmer sind in Europa vor allem Kommunen, in Afrika sehr viele Private, darunter auch Abfüller für große Brands wie Coca-Cola.
Recycling beginnt beim Produktdesign. Wenn das gut ist, kann Recycling auch wirklich Recycling sein und nicht Downcycling.
Angelika Huemer
Wie haben Sie in das Recycling-Business hineingefunden?
Huemer: Starlinger ist mit Maschinen für gewebte Kunststoffsäcke groß geworden. Wir haben aber schon sehr früh beobachtet, dass die Kunden ihren Produktionsabfall einfach vor der Halle gelagert und dann irgendwann verbrannt haben. Aus dieser Beobachtung heraus haben wir in den 1980er Jahren die ersten Recyclinganlagen für diesen Produktionsabfall gebaut. Die Beschäftigung mit Kunststoffrecycling hat uns nicht mehr losgelassen. Wir haben in den Zweitausenderjahren begonnen, Kunststoffrecycling als eigenes Geschäftsfeld aufzubauen. Die Entwicklung eines Verfahrens zur Dekontaminierung und Aufbereitung von gebrauchten PET-Verpackungen, welches Alpla als erstes eingesetzt hat, gab uns einen weiteren Schub.
Damit Kunststoff optimal recycelt werden kann, ist es wichtig, dass vor allem Monopolymere, also sortenreine Kunststoffe, verwendet werden – und nicht beispielsweise Mehrschichtfolien. Recycling beginnt beim Produktdesign. Wenn das gut ist, kann Recycling auch wirklich Recycling sein und nicht Downcycling, das heißt ich erhalte nicht ein Granulat für etwas Minderwertigeres, sondern für etwas ebenso Hochwertiges wie das Ausgangsprodukt. Dort muss man hinkommen. Das sind oft keine einfachen und billigen, dafür aber sinnvolle Lösungen, die sich am Ende auch rechnen.
Viele sprechen Kunststoff die Zukunft ab.
Huemer: Kunststoff ist grundsätzlich ein hervorragender Werkstoff, der ungemein leicht und langlebig ist. Diese Vorteile werden zu Nachteilen, weil er in der Umwelt nicht verrottet. Man muss Kunststoff richtig einsetzen, ihn sammeln und wiederverwerten. Was sind die Alternativen? Papier verlangt einen vergleichsweise immens hohen Energieeinsatz. Dazu kann ich aus Verbundkartonagen nur minderwertiges Altpapier machen. Polyester kann ich wieder zu einer Neuware aufbereiten. Ob Papier oder Kunststoff das nachhaltigere Produkt ist, muss daher von Fall zu Fall beurteilt werden. PET-Behältnisse durch beschichtete und bedruckte Kartonagen zu ersetzen halte ich aus Umweltgründen für unvernünftig. Auch Glas ist gegenüber Kunststoff oft nicht das nachhaltigere Produkt. Das Bashing von Kunststoff zeigt sich auch darin, dass zwar von Altglas und Altpapier gesprochen wird, aber nicht von Altplastik, sondern von Plastikmüll. Dabei kann Kunststoff gerade für den Klimaschutz sehr nützlich sein. Leider geht die öffentliche Diskussion hier in die falsche Richtung.
Was tun Sie, um das Image von Kunststoff zu verbessern?
Huemer: Wir haben gemeinsam mit anderen Firmen aus der Branche in Österreich die Plattform Verpackung mit Zukunft aufgebaut, um hier Aufklärung zu betreiben. Die Kunststoffindustrie ist aber eine kleingliedrige Industrie, da gibt es kaum große Konzerne wie in der Papierindustrie, die ganz andere Möglichkeiten des Lobbyings haben. Wie es Tetrapak geschafft hat, in Deutschland pfandfrei zu bleiben, ist für mich unbegreiflich.
Das Bashing von Kunststoff zeigt sich auch darin, dass zwar von Altglas und Altpapier gesprochen wird, aber nicht von Altplastik, sondern von Plastikmüll.
Angelika Huemer
Versuchen Sie in den Emerging Markets die Rahmenbedingungen für das Recyceln von Kunststoff mitzugestalten?
Huemer: In den Emerging Markets werden Sie kaum weggeworfene Plastikflaschen sehen, weil diese in vielen Ländern einen Wert haben und informell gesammelt werden. Früher wurden die Flaschen größtenteils nach China exportiert, wo daraus Fasern erzeugt wurden. Seit China vor einigen Jahren den Import von Altplastik verboten hat, bekam das Plastikrecycling weltweit einen Auftrieb. Was unsere Rolle bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen betrifft, waren wir auch schon im Gespräch mit diversen Entwicklungsagenturen. Unsere Projekte scheinen mit rund zehn Millionen Euro aber zu klein zu sein. Daher haben wir viele Projekte in den Emerging Markets mit privaten Investoren realisiert.
Wo sehen Sie die spezifischen Herausforderungen in Afrika?
Huemer: Die politische Stabilität und die Sicherheitsfrage sind immer wieder ein Thema. Ansonsten kommt in Afrika der Erfolg über langjährige, enge Kundenbeziehungen. Die haben wir uns über viele Jahre in zahlreichen Ländern aufgebaut. Als ich mit meiner Mutter 2008 in einer Delegation Bundespräsident Fischer nach Äthiopien und Mali begleitete, waren alle überrascht, wo wir überall schon Kunden hatten. Wir haben hier kaum staatliche, sondern fast ausschließlich private Kunden. Daher ist Korruption auch kein großes Thema. Das Geschäft ist deswegen noch kein Selbstläufer. Exportieren ist nicht immer leicht, es braucht spezifisches Know-how für jedes einzelne Land, und auch das haben wir uns über die Jahrzehnte aufgebaut.
Was macht ein Unternehmen zukunftsfähig?
Huemer: Man muss anpassungsfähig und innovativ sein, sonst geht die Zukunft an einem vorbei. Für Starlinger heißt das auch, sich auf die richtigen Nischen zu konzentrieren. Starlinger ist in den Nischen, in denen wir tätig sind, die Top-Marke, ansonsten bewegen wir uns unter dem Radar. Wir sind regional breit aufgestellt und bedienen mit unseren Produkten verschiedene Branchen. Das trägt letztlich zu unserer Resilienz bei, weil verschiedene Regionen und Branchen von Krisen im Allgemeinen unterschiedlich betroffen sind. Und nicht zuletzt sind Werte wichtig, die das Unternehmen langfristig tragen – schließlich ist jedes Unternehmen ein Gemeinschaftsprojekt.
Sehen Sie sich als Vorbild für Frauen in der Wirtschaft?
Huemer: Der Wirtschaft tut es sehr gut, wenn Frauen in den Unternehmen Verantwortung tragen. Ich denke, dass heute in Österreich jede Frau die Möglichkeit hat, das zu tun. Vor ein paar Jahrzehnten war das schwieriger. Aber die Frauen müssen Führungspositionen auch wirklich wollen. Meistens bewerben sich dafür vor allem Männer. Ich halte nichts von Quotenregelungen, denn ich bin fest überzeugt, dass Unternehmen am erfolgreichsten sind, wenn man die Person auswählt, die am besten für eine Position qualifiziert ist und Geschlecht, Religion oder Gesinnung keine Rolle spielen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person
Angelika Huemer ist CEO der Starlinger & Co GmbH mit Sitz in Wien. Sie übernahm im Jahr 2002 die alleinige Geschäftsführung des 1835 gegründeten Familienbetriebs. Zuvor arbeitete sie in diversen Abteilungen des Unternehmens, unter anderem in der Finanzabteilung und als Leiterin der Logistik.
Zum Unternehmen
Das Wiener Familienunternehmen Starlinger ist Weltmarktführer bei Produktionsanlagen für flexible Verpackungen aus Kunststoffgewebe und hat sich zudem einen Namen als innovativer Anbieter im Bereich PET-Recycling und -Veredelung gemacht. Ursprünglich als Maschinenschlosserei für Dampfmaschinen 1835 gegründet, entwickelte sich Starlinger zu einem wichtigen Zulieferer der Textilindustrie, bevor das Unternehmen vor über 50 Jahren in den Kunststoffgewebebereich einstieg. Heute betreibt es vier Produktionsstätten in Österreich, Deutschland und China und verfügt über Verkaufs- und Serviceniederlassungen in Brasilien, Indien, Indonesien, Mexiko, Nigeria, Russland, Südafrika, Thailand, USA und Usbekistan. Mit 970 Beschäftigten, Kunden in mehr als 130 Ländern und einer Exportquote von 99 Prozent erwirtschaftet das Unternehmen 380 Millionen Euro Umsatz.