Tippt man ins Suchfeld des Nachrichtendiensts Twitter das Schlagwort #Flashflood ein, so poppen unzählige Bilder und Videos aus aller Welt auf: aus Johannesburg und Tijuana, aus Chiang Mai und Bengaluru, aus Chicago und Melbourne. All diese Städte, so weit entfernt sie auch von einander liegen, teilen eine Gemeinsamkeit: Sie haben in den vergangenen Monaten sintflutartige Regengüsse und Sturzfluten erlebt, bei denen das Wasser über Plätze und Straßen rauschte, Keller und U-Bahnschächte überflutete, Gebäude zerstörte und Menschen verletzt oder sogar getötet wurden. Vom Jahr 2022 bleibt wohl die schwere Flutkatastrophe in Pakistan besonders stark in Erinnerung, die vier Monate andauerte und zeitweise ein Drittel des riesigen Landes unter Wasser setzte.
Je wärmer, desto intensiver
Auch wenn man mit dem Klimawandel vor allem Hitzerekorde und längere Trockenperioden in Verbindung bringt, so kommt es vielerorts zu häufigen und intensiven Starkniederschlägen. Die vereinfachte Erklärung dafür lautet: Je wärmer die Luft, desto mehr Wasserdampf in der Atmosphäre – und je höher die Luftfeuchtigkeit, desto stärker die Regenfälle. Wie verheerend die Folgen eines extremen Wettereignisses ausfallen, wird allerdings durch weitere Faktoren beeinflusst: Bekanntlich wächst die Weltbevölkerung noch – aktuell steht sie bei acht Milliarden Menschen – und sie lebt immer urbaner.
Siedlungen auf der ganzen Welt – von Dörfern bis hin zu Großstädten – haben sich laut einer aktuellen Weltbankstudie in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark auch in niedrig gelegenen und überschwemmungsgefährdeten Gebieten ausgebreitet und damit die Risiken signifikant erhöht. Die hohe Flächenversiegelung, die heute in Städten Standard ist, wirkt sich auch negativ aus: Wenn Asphalt und Beton Oberflächen stark abdichten, kann Regenwasser oft nur mehr über konventionelle Entwässerungseinrichtungen wie Kanäle abfließen – doch die sind bei Niederschlagspitzen oft unterdimensioniert und überfordert.
Urbanes Umdenken
Behörden, Architekten und Landschaftsplaner suchen nach Lösungen, um gefährdete Städte resilienter und robuster zu machen. Die Frage, wie man sich besser gegen Hochwasser wappnen könnte, beschäftigt einen prominenten chinesischen Landschaftsarchitekten seit Jahrzehnten: Kongjian Yu lehrt an der Universität Peking und ist Gründer des Planungs- und Designbüros Turenscape mit rund 600 Mitarbeitern. Yu plädiert für einen Paradigmenwechsel in der Städteplanung, seine Formel dazu lautet: grün statt grau. „Wir müssen weg vom technokratischen System, brauchen ein neues Mindset, eine andere Art von Infrastruktur“, so sein Plädoyer. Mit seinem Namen wird oft der Begriff Schwammstadt verbunden, er hat das Konzept entscheidend geprägt. Dabei geht es darum, Städte krisenresilienter zu machen, indem man auf die Natur baut, und nicht gegen sie arbeitet.
Interview mit Kongjian Yu, Gründer von Turenscape
Grau muss grün werden
Nützlicher Schwamm
Der Name Schwammstadt – oder „Sponge City“ – beschreibt das Prinzip anschaulich: Im Idealfall sollte sich eine Stadt bei Niederschlag wie ein Schwamm vollsaugen, das Wasser zwischenspeichern und in Dürreperioden zur Verfügung stellen. Überschüssiges Regenwasser soll somit nicht kanalisiert und abgeleitet werden. Daher stehe „die Schwammstadt ganz im Gegensatz zur Philosophie der herkömmlichen grauen Infrastruktur“, so der Professor.
Die Skala an Maßnahmen reicht von einzelnen Interventionen an Straßen oder Gebäuden bis hin zu groß dimensionierten, systemischen Eingriffen. Es wird ein klares Ziel verfolgt: dem Wasser in der Stadt selbst mehr Raum zu geben. Konkret lässt sich die örtliche Aufnahme von Regenwasser beispielsweise durch begrünte Dächer, Entwässerungs-mulden, durchlässige Beläge und Parks verbessern. Zudem geht es darum, den Wasserfluss in Bächen und Flüssen zu verlangsamen, etwa durch natürlichere, gewundene Verläufe sowie Felsen und Vegetation im Wasser. Feuchtgebiete, Teiche und Weiher können außerdem das Wasser aufnehmen, reinigen und speichern.
Es braucht somit auch eins: viel Platz. „Am besten wäre es, 20 bis 30 Prozent der urbanen Fläche für ökologische Infrastruktur einzuplanen“, empfiehlt Yu, dessen Projekte mitunter 80 Hektar und mehr umfassen. Im heimatlichen China sind Yus Mangrovenparks und grüne Flusskorridore mittlerweile en vogue. Auslöser dafür waren wiederkehrende Sturzfluten, die erhebliche Sachschäden verursachten und zu zahlreichen Todesopfern führten. So kamen bei einem Regensturm in Peking im Jahr 2012 rund 80 Menschen ums Leben.
Yus Strategie der Schwammstädte wurde von der chinesischen Regierung 2013 abgesegnet, seitdem sind Pilotprojekte in 16 Städten wie Wuhan, Chongqing und Xiamen entstanden. Es werden laufend mehr; bis 2030 sollen sich mehr als zwei Drittel der Städte in Schwämme verwandeln. Laut Designbüro Turenscape wird das Konzept bereits in mehr als 200 Städten in China sowie in weiteren Projekten von Indien über Indonesien bis Mexiko angewandt.
Poröse Stadt
Grüne urbane Infrastruktur ist weltweit im Kommen. So sucht auch die thailändische Landschaftsarchitektin Kotchakorn Voraakhom Wege, um die Auswirkungen von Überschwemmungen in Südostasien auf natürliche Weise zu verringern. Die Absolventin der Harvard Graduate School of Design nennt es wasserbasierte Urbanisierung.
Interview mit Kotchakorn Voraakhom, Gründerin von Landprocess
Bangkok umsiedeln ist keine Option
Ihr Unternehmen Landprocess baut in Thailand Parks und Dachgärten – darunter die größte Rooftop-Farm Asiens –, die Überflutungen aushalten und Regenwasser abspeichern und zur Bewässerung nutzen. Ein Flagschiffprojekt ist ihr 2017 eröffnete Chulalongkorn University Centenary Park in Bangkok (siehe Bild unten). Der Park ist zum Sammeln von fast vier Millionen Liter Wasser ausgelegt. An einem Ende befinden sich Gebäude mit wasseraufnehmenden Gründächern. Das daran anschließende Gelände fällt in einer Neigung von drei Grad zu einer großen Rasenfläche und einer Reihe von Feuchtgebieten und dann weiter zu einem Rückhaltebecken ab. Regnet es, wird das überschüssige Wasser von den Gründächern teils in unterirdischen Tanks gespeichert und teils durch das Feuchtgebiet geleitet und gefiltert, und fließt schließlich in einen Rückhalteteich, dessen Größe sich bei schweren Überschwemmungen verdoppeln kann.
Solche Projekte seien für das überflutungsgefährdete Bangkok wichtig, jedoch schwer umzusetzen, so Voraakhom, denn Grundstückspreise seien hoch, oft gebe es Flächennutzungskonflikte und die Stadt sei ohnedies dicht besiedelt. „Es ist immer ein Kraftakt, Menschen von den Ideen zu überzeugen“, meint die preisgekrönte Landschaftsarchitektin, deren Projekte vor allem von der öffentlichen Hand finanziert werden.
Die Anpassung an Starkregen, Hochwasser, aber auch Hitze und Dürre ist auch außerhalb Asiens gefragt. Gegenwärtig erfährt etwa die Küstenstadt Beira in Mosambik – sie wurde 2019 vom Zyklon Idai stark zerstört – einen starken Renaturierungsschub, um sie flutsicherer zu machen, unter anderem durch den neuen, 45 Hektar großen Green Park in der Innenstadt rund um den Chiveve-Fluss. Das Projekt wird durch die mosambikanische Regierung, die Weltbank und die deutsche KfW Entwicklungsbank finanziert. Auch in Ecuador, Honduras oder Kuba gibt es eine Reihe von grünen Projekten, um die Klimaresilienz in städtischen Gebieten durch naturbasierte Lösungen zu verbessern. Hier unterstützen beispielsweise der Grüne Klimafonds der Vereinten Nationen und die EU den Schritt zu mehr Ökoinfrastruktur.
Verbündete in der Klimakrise
Wer genauer hinsieht, kann auch in Österreich Schwammstadtmaßnahmen entdecken. Immer öfter werden Stadtbäume so gepflanzt, dass sie nicht nur zur besseren Beschattung an Hitzetagen, sondern auch zum Hochwasserschutz beitragen: Sie erhalten tief im Untergrund einen großzügigen Wurzelraum aus Steinen und Pflanzenkohlesubstrat, der ihnen erlaubt, sich weiter als bisher üblich auszubreiten und große Mengen Wasser zu speichern. Einfach umzusetzen ist das nicht, schließlich konkurrieren die Bäume in dicht verbauten Gebieten mit Fahrbahnen, Gehsteigen sowie Kanal-, Wasser-, Internet- und Gasleitungen. Mittlerweile sind aber Pionierprojekte etwa in Graz, Mödling, Langenzersdorf oder Wien – hier beispielsweise in der Seestadt Aspern – zu finden.
Stadtplanung à la Sponge ist nicht die alleinige Antwort auf drohende Hochwasserkatastrophen. Letztlich ist sie aber eine nützliche und sympathische Methode, um lokale Überflutungen besser zu managen und die Folgen von Starkregenereignissen zu mindern. Ganz nebenbei gewinnen graue Städte durch mehr Natur deutlich an Erholungswert für ihre Bewohner. Außerdem bessert das urbane Grün versmogte Luft, reduziert sommerliche Hitzeinseln und erhöht die Vielfalt von Pflanzen und Tieren. Es spricht also einiges dafür, wenn Städte die Natur einladen, zurückzukommen.