Interview

Miyawaki-Methode: In nur zehn Jahren ein kleiner Wald

Der indische Ingenieur Shubhendu Sharma pflanzt mit seinem Unternehmen Afforestt weltweit Miyawaki-Wälder. Im Interview mit corporAID erklärt er, worauf es dabei ankommt – und warum jeder Bürgermeister die Idee aufgreifen sollte.

Shubhendu Sharma
Shubhendu Sharma

Herr Sharma, was macht Ihr Unternehmen Afforestt?

Shubhendu Sharma: Wir sind spezialisiert darauf, Wälder zu machen, und zwar vor allem in Städten und auf sehr kleinen Flächen. Die Methode des Waldmachens habe ich von meinem japanischen Lehrer Dr. Akira Miyawaki gelernt. Er kam nach Indien, um in der Fabrik, in der ich als Ingenieur arbeitete, einen Wald anzupflanzen. Ich lernte von ihm die Methode und habe später mein eigenes Unternehmen gegründet, um das Waldmachen professionell anbieten zu können. Das ist rund elf Jahre her, in denen wir rund 170 Wälder weltweit gepflanzt haben, von Kenia über Singapur bis Nicaragua. Zudem stellen wir die Methode als open source zur Verfügung, damit sie sich weiterverbreitet.

Was genau ist das für eine Methode?

Sharma: Die Miyawaki-Methode bringt verlorene natürliche Vegetation zurück. Wenn es an einem Ort einst einen Wald gab, der durch menschliche Eingriffe wie Landwirtschaft oder Industrialisierung verloren ging, kann man mit dieser Methode in einer sehr kurzen Zeitspanne wieder einen Wald kreieren. Wir nutzen dazu Setzlinge, die zu den typischen, einheimischen Arten zählen und pflanzen diese sehr dicht in aufbereitete, fruchtbare Erde ein. Die ersten zwei bis drei Jahre brauchen die Pflanzen Pflege und Bewässerung, dann sind sie selbsterhaltend. Auf diese Weise kann man tatsächlich einen hundertjährigen Wald in nur zehn Jahren schaffen – wobei es sich immer noch um eine menschengemachte Intervention handelt und einem natürlichen Wald daher nicht völlig gleichkommen kann.

Warum sollten Städte einen Miyawaki-Wald pflanzen?

Sharma: Städte haben sehr wenig unverbautes Land zur Verfügung. Wenn man einen Garten oder eine Wiese anlegt, nutzt man nicht den riesigen, vertikalen Raum über der Fläche. Mit einem Miyawaki-Wald hingegen füllt man den vertikalen Raum mit Blättern und erhält 30 Mal mehr Blattoberflächen. Er verringert den Hitzeinseleffekt, von dem betonierte Städte auf der ganzen Welt betroffen sind, er speichert Grundwasser, bringt Artenvielfalt wie Vögel, Schmetterlinge und Bienen zurück, und verbessert die Luft, die wir atmen. Und wo bringt ein Wald am meisten Nutzen? Dort, wo die meisten Menschen leben, und das ist in den Städten. Die Lösung ist auch wirtschaftlich sinnvoll. Stadtgemeinden investieren schließlich viel Geld in den Erhalt und die Pflege der Grünflächen, ins Bewässern, Mähen, Düngen. Das Geld kann eingespart werden, denn die kleinen Wälder sind ja, wie gesagt, nach spätestens drei Jahren selbst erhaltend. Meine Botschaft an jeden Bürgermeister lautet daher: Machen sie aus Gärten und Parks Wälder!

Weltweit gibt es rund 3.000 Miyawaki-Wälder. Was sind Voraussetzungen, damit die Kompaktwälder gedeihen?

Sharma: Pflanzen wachsen weltweit auf dieselbe Weise, nämlich durch Photosynthese. Dafür brauchen sie drei Komponenten: Sonne, Luft und feuchte Erde. Manche Menschen denken, Erde besteht nur aus Mineralien, aber in Wirklichkeit ist sie ein eigener lebender Mikroorganismus und so biodivers wie die Wälder selbst. Daher bereiten wir die Erde für die Wälder vor, indem wir sie mit Mikroben anreichern und zusätzlich Biomasse hinzufügen, von denen sich die Mikroben ernähren können. Dieser Mikrobenmix ist ein richtiges Zauberelixier, weil er tote Erde wieder fruchtbar macht. Und bringt man Leben in die Erde, können Pflanzen wachsen. Also: Wenn Luft, Sonne und gute Erde vorhanden sind, dann wachsen die Wälder, egal ob in Europa, in den USA oder in Indien. Besonders wichtig ist zudem die Auswahl der Arten. Alles, was für einen Ort exotisch ist, sollte man nicht pflanzen. Um ein Negativbeispiel zu nennen: An der holländisch-deutschen Grenze stehen eine Menge amerikanischer Birken, die nach dem Zweiten Weltkrieg gepflanzt wurden, weil während des Kriegs dort stark abgeholzt wurde. Man wollte schnellstmöglich Erfolg bei der Aufforstung erzielen, und pflanzte daher diese schnell wachsenden Bäume. Aber: Die Blätter, die von diesen Birken fallen, können in der holländischen Erde nicht kompostieren, weil dazu die Mikroben fehlen. Die sind nämlich in den USA geblieben. Es wurde damals also nur ein Teil des Ökosystems nach Holland importiert. Die Birken haben stattdessen die vorhandenen Mikroben im Erdreich zerstört, womit die Erde übrigens auch Kohlenstoff verliert. Also auch wenn eine Landschaft grün aussieht, kann es das falsche Grün sein. Es gibt nicht die eine Lösung oder die eine Pflanze, die den Planeten repariert. Daher wird jeder Miyawaki-Wald in jeder Region anders aussehen und aus Bäumen und Sträuchern bestehen, die idealer- und natürlicherweise in einem Radius von wenigen Kilometern vorkommen. 

Hat die Erderwärmung einen Einfluss auf die Auswahl der Setzlinge?

Sharma: Nein, Hitze ist kein Problem. Wir haben zwar in Indien Temperaturen von 40 bis 50 Grad Celsius, aber weil die Miyawaki-Wälder die lokale Temperatur senken, können die Pflanzen damit umgehen. Würde man einen Baum einzeln in einen Park pflanzen, könnte er die extreme Hitze vielleicht nicht überleben. Wird derselbe Baum zusammen mit anderen Pflanzen in einem Cluster gepflanzt, auf gut vorbereiteter, feuchter Erde, dann wird er nicht nur überleben, sondern sogar gedeihen.

Dieser Tage gibt es viele politische Willensbekundungen zur Renaturierung der Welt – stimmt Sie das optimistisch?

Sharma: Es gibt viele Versprechen und es passiert auch einiges. Daher habe ich einerseits viel Hoffnung, andererseits sehe ich auch viel Bedarf für Verbesserungen. Denn es braucht mehr Interventionen, die auf Umwelt und Biodiversität stärker Rücksicht nehmen. Wir haben beispielsweise in Indien lokale Regierungen, die miteinander im Wettbewerb stehen. Die einen kündigen an, 200 Millionen Bäume zu pflanzen, die anderen planen 600 Millionen. Wer die größte Zahl an Bäumen nennt, macht die Schlagzeile. Bäume pflanzen ist aber nur ein Teil des langen Prozesses, Ökosysteme wieder aufzubauen. Würde es bei diesen Herausforderungen nur um Zahlenspiele gehen, kann das jeder schaffen. Und wenn man die falschen Bäume setzt, entstehen Schäden, die sich schwer rückgängig machen lassen. Das sieht man beispielsweise in Pakistan. Das Land pflanzte unter anderem Australischen Eukalyptus im Himalaya, der das natürliche Ökosystem eines Hotspots der Artenvielfalt zerstört. Aufgrund von fehlendem Bewusstsein oder Ausbildung machen viele Entscheidungsträger solche Fehler. Oft wäre es besser, Land einfach in Ruhe zu lassen, menschliche Interventionen zu unterlassen. Dann steht in vielleicht 60 Jahren wieder ein natürlicher heimischer Wald da. Ich sage nicht, dass nur wenige Leute Wälder machen sollten. Jeder soll es machen – aber bitte richtig, nämlich mit der Natur, nicht gegen sie. In 200 Jahre weiß niemand mehr, wer die Millionen Bäume gesetzt hat – aber jeder profitiert davon, wenn es richtig gemacht wurde.

Vielen Dank für das Gespräch! 

Mehr Infos unter: Afforestt

Foto: beigestellt