Mehr Tempo, mehr Schienen

In vielen Teilen Afrikas wird gerade das Bahnnetz modernisiert. Häfen sollen so mit Städten verbunden, Rohstoffe schneller transportiert werden. Für österreichische Firmen tut sich hier ein Zukunftsmarkt auf, der aber Know-How, Geduld und auch viel Flexibilität verlangt.

von Linda Osusky

Mitte November hat sich eine besondere Schiffsladung aus China auf den Weg nach Marokko gemacht: 6.457 Stück Schienen à 36 Meter, 13.000 Tonnen schwer. Sie sind für die Erweiterung der Hochgeschwindigkeitszugstrecke in dem nordafrikanischen Land bestimmt. Afrika erlebt derzeit den umfassendsten Ausbau seiner Eisenbahninfrastruktur seit Jahrzehnten. Viele Staaten investieren massiv, um Rohstoffe schneller zu exportieren, Binnenmärkte anzubinden und neue industrielle Wertschöpfung aufzubauen. „Afrika ist dabei, seine Industrialisierung zu beschleunigen. Allerdings hat Afrika eine große Infrastrukturlücke und den Drang, diese zu schließen“, sagt Dietmar Schwank, Koordinator für Afrika und Nahost bei der Außenwirtschaft Austria.

Peking ist dabei der dominante Akteur: Laut Deloitte finanziert China seit den 2010er-Jahren etwa jedes fünfte afrikanische Infrastrukturprojekt, chinesische Firmen waren beim Bau rund jedes dritten beteiligt – deutlich mehr als Anbieter aus Europa.

Zutritt zu neuen Märkten

Großprojekte finden sich vor allem im Maghreb ‑ in Marokko, Algerien, Tunesien und Ägypten. Marokko betreibt seit 2018 die erste Hochgeschwindigkeitsstrecke des Kontinents zwischen Tanger und Casablanca und plant für die Fußball-WM 2030 deren Weiterführung nach Marrakesch. Parallel dazu realisiert Ägypten gemeinsam mit Siemens Mobility ein mehr als 2.000 Kilometer langes elektrisches Hochgeschwindigkeitsnetz, das Städte und Industriegebiete verbindet. Auch Algerien und Tunesien investieren in Modernisierung, Hafenanbindungen und regionale Netze. In Algerien soll die Transsahara-Strecke den wenig erschlossenen, aber sehr rohstoffreichen Süden mit dem Norden des Landes verbinden.

Das Salzburger Unternehmen Fleischmann Vermessung arbeitet seit den 1970er-Jahren in Algerien. „Im Rahmen eines Entwicklungskredits war eine kurze Bahnstrecke in Algier geplant, für die wir Vermessung und Planung ausführten“, sagt Gernot Fleischmann, Firmenchef in dritter Generation. Heute betreibt das Unternehmen zwei lokale Tochterfirmen mit überwiegend algerischem Personal. Freilich gebe es Herausforderungen, doch das Potenzial sei enorm: „Hier wird sich in den nächsten Jahren irrsinnig viel tun. Der Kontinent ist reich an Ressourcen und Manpower und stellt für österreichische Firmen einen immensen Markt dar.“

Südlich der Sahara entstehen hingegen völlig neue Schienensysteme – weniger für den Personenverkehr, sondern als strategische Güterkorridore. „Moderne Schienennetze verbessern die Konnektivität, senken Transportkosten und fördern den regionalen Handel“, betont Josef Doppelbauer, ehemaliger Direktor der Europäischen Bahnagentur.

Die bestehenden kolonialen Netze basieren überwiegend auf Kapspur (1.067 mm) oder Meterspur. Neue Hauptstrecken hingegen entstehen fast ausschließlich in Normalspur (1.435 mm) – ein technologischer Bruch mit politischer Dimension: Normalspur erlaubt schnellere Züge, größere Achslasten und die Verwendung international standardisierter Komponenten. Gleichzeitig führt der Mix aus Spurweiten zu neuen logistischen Schnittstellen, die aufwendige Übergangslösungen erfordern.

Zu den wichtigsten aktuellen Projekten zählen der Lobito–Dar es Salaam-Korridor, der Rohstoffe aus Angola, Sambia und dem Kongo schneller zu den Häfen bringen soll, sowie die Tanzania–Burundi Standard Gauge Railway, die erste große elektrifizierte Regionalstrecke Ostafrikas. Südafrika wiederum erneuert seine stark belasteten Transnet-Güterstrecken. Auch hier zeigt sich: Es geht längst nicht mehr nur um Rohstoffexporte, sondern zunehmend um die Anbindung neuer Industriecluster, Logistikzentren und urbaner Ballungsräume.

Externe Geldgeber

Großprojekte dieser Dimension sind nur mit externen Geldgebern realisierbar. China finanziert viele Projekte über staatliche Entwicklungskredite seiner Banken – oft gekoppelt an Aufträge für chinesische Bauunternehmen. Die kenianische Standard-Gauge-Bahn, die Mombasa, Nairobi und Naivasha verbindet, wurde etwa zu rund 85 bis 90 Prozent von der China Exim Bank finanziert. Parallel dazu gewinnen multilaterale Entwicklungsbanken an Bedeutung, insbesondere bei Modernisierungen. Daneben setzen immer mehr Staaten auf öffentlich-private Partnerschaften. Der Lobito-Korridor wird etwa von einem internationalen Konsortium betrieben, das in Rollmaterial und Modernisierung investiert, während Staaten die grundlegende Infrastruktur absichern.

Die Kosten variieren erheblich: So gelten für neue normalspurige Hauptstrecken vier bis acht Millionen US-Dollar pro Kilometer als typische Bandbreite, abhängig von Terrain, Landkosten, Elektrifizierung und Sicherheitsstandards. Urbaner Tunnelbau liegt deutlich darüber, Modernisierungen bestehender Trassen darunter.

Für europäische Unternehmen sind öffentlich-private Partnerschaften attraktiv, weil sie häufig Technologiepartnerschaften, Beratungsleistungen oder Zulieferrollen ermöglichen. Gleichzeitig bleiben chinesische Paketlösungen für viele Länder finanziell verlockend, wobei die Bilanz großer Bahnprojekte oft durchwachsen ist.

Das zeigt gerade die eben großteils von China finanzierte kenianische Standard-Gauge Railway. Die 2017 eröffnete Normalspurstrecke hat die Reisezeiten deutlich verkürzt und bietet moderne Betriebsqualität. Studien zufolge könnte sie die Transportkosten halbieren – ein wichtiger Faktor für Ostafrikas Wirtschaft.

Doch die Bilanz ist gemischt. Die Bahn erhöhte die Staatsverschuldung , der Güterverkehr blieb hinter den Erwartungen zurück, und eine zeitweise Zwangsverlagerung von Fracht auf die Bahn führte zu erheblichem Widerstand der Logistikbranche. Laut Medienberichten kostet der Betrieb die Regierung rund acht Millionen Dollar pro Monat, der Schuldendienst kommt noch hinzu. Wenn Infrastruktur technisch und finanziell nicht tragfähig ist, drohen langfristige Belastungen statt wirtschaftlicher Impulse.

Komplexer Zukunftsmarkt

Für österreichische Unternehmen eröffnen sich dennoch zahlreiche Chancen: etwa bei Schienenstählen, Weichentechnik, Oberbau, Tunnel- und Brückenbau, Gleisbaumaschinen oder auch Ingenieurdienstleistungen. Chancen würden sich besonders auch über die Beteiligung an internationalen Konsortien anbieten, präzisiert Martin Meischl, Wirtschaftsdelegierter in Südafrika. Und Mirabell Mayack, Gründerin des African Investment Day, betont: „Es geht darum, sich jetzt zu positionieren und Marktanteile zu sichern.“

Österreichische Unternehmen sind bereits in Afrika positioniert: In Marokko etwa erhielt die Voest Alpine Rail einen Auftrag im Rahmen des Streckennetzausbaus. Der österreichische Weltmarktführer für Gleisbaumaschinen Plasser & Theurer hat in Afrika derzeit rund 30 Projekte (siehe Interview).

Afrikas Eisenbahnrenaissance ist mehr als reine Modernisierung. Sie soll den Übergang zu einer stärker integrierten Wirtschaftslandschaft markieren – im Maghreb durch moderne Mobilitätsräume, südlich der Sahara durch neue Güter- und Industriekorridore. Für Österreich ist Afrika damit nicht nur ein Exportmarkt, sondern auch ein Zukunftsmarkt, der Know-how und Geduld verlangt ­– und die Bereitschaft, sich auf das komplexe Geflecht von Technik, Finanzierung und politischen Unwägbarkeiten einzulassen.

Aufbruchstimmung

Martin Winkelmayer, Senior Sales Manager von Plasser & Theurer, über die Dynamik am afrikanischen Markt, härtere Einsatzbedingungen und den Platzhirschen China.

Fotos: KRC, WKÖ