Kein Projekt ohne Klimarechnung

Wie die Weltbank versucht, globale Klimaziele in wirtschaftlich tragfähige Entwicklungsprogramme zu übersetzen – und warum dabei ohne solide Kalkulation kaum etwas zustande kommt.

Von Klaus Huhold

An diesem nebligen Novembertag steht die Stromproduktion am Solarfeld in Bruck an der Leitha still. Unter den Photovoltaikmodulen wächst Getreide – die Module sind so hoch montiert, dass Traktoren bequem darunter hindurchfahren können. Das Feld ist ein Pilotprojekt der Agrophotovoltaik: Hier wird getestet, wie Weizen, Gerste und Roggen auf diese Bedingungen reagieren, gleichzeitig wird Strom für rund 1.100 Haushalte erzeugt. Wirtschaftlich konkurrenzfähig ist dieses Modell der Doppelnutzung bisher nur eingeschränkt – die Kosten liegen deutlich über jenen klassischer Freiflächenanlagen.

Eine Delegation aus Zentralasien und Südosteuropa, die vom Vienna Development Knowledge Center der Weltbank nach Niederösterreich gebracht wurde, soll hier deshalb kein fertiges Geschäftsmodell kennenlernen, sondern etwas anderes: wie technische Lösungen systematisch auf Wirtschaftlichkeit, Klimawirkung und politische Tragfähigkeit geprüft werden. Ralf Roggenbauer vom Energiepark Bruck führt die Besucher über das Gelände und erläutert die technischen und finanziellen Parameter. Die hohen Stahlkonstruktionen verteuern das System, die beweglichen Module erfordern komplexe Steuerungen. Ohne Anschubfinanzierung und langfristige Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ist eine solche Anlage kaum realisierbar. 

Saša EIchberger, Leiter des Programms Design for Climate

Klima muss sich rechnen

Genau dies ist der kritische Punkt, den die Weltbank aufzeigen will. Klimaprojekte sollen nicht als ökologische Symbolpolitik verstanden werden, sondern als Investitionen, „die sich über die Zeit rechnen. Sonst haben sie weder beim Privatsektor noch bei den Regierungen Rückhalt“, sagt Saša Eichberger, Leiter des Programms Design for Climate Europe and Central Asia beim Regional Climate Team der Weltbank. 

Dieses Programm soll die Klimamaßnahmen systematisch absichern. Die Weltbank widmet 45 Prozent ihrer Mittel klimarelevanten Projekten – sowohl zur Reduktion von Emissionen als auch zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels. „Jedes Vorhaben wird daraufhin geprüft, ob es im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen steht“, betont Eichberger. Kurzfristig dürfen dabei neue Projekte die Treibhausgasemissionen nicht signifikant erhöhen, langfristig sollen sie CO₂ reduzieren. Besonders die Infrastruktur wird genau analysiert: Ist sie widerstandsfähig gegen Hitze, Starkregen, Überschwemmungen oder Erdrutsche? Trägt sie zur Klimaresilienz von Regionen und Sektoren bei? Selbst klassische Entwicklungsprojekte wie Schulbau, Reformen des Gesundheitssystems oder Verwaltungsmodernisierung müssen diesen Klimacheck bestehen und plausibel darstellen, dass sie entlang ihres Lebenszyklus Emissionen reduzieren oder künftige Schäden vermeiden. 

Hitze und weniger Wasser

Zentralasien ist eine der Kernregionen, in denen das Vienna Development Knowledge Center mit dieser Logik arbeitet. Die Länder zwischen Kaspischem Meer und Tian-Shan-Gebirge sind in besonderem Maß von Wasserknappheit, Hitze und zunehmend unberechenbaren Wetterextremen betroffen. Gleichzeitig ist der fiskalische Spielraum des öffentlichen Sektors gering, viele Budgets sind durch Sozialausgaben und Schuldendienst gebunden, und der Privatsektor zögert bei Investitionen in Klimaprojekte.

Das Wiener Zentrum fungiert hier als Brücke: Es bringt internationale Klimastandards in die Region, übersetzt technische Vorgaben in konkrete Projektlogiken und schult jene Beamten, die Programme künftig entwerfen und steuern sollen. 

Die Exkursion nach Bruck ist Teil dieses Transfers; sie zeigt, welche technischen und wirtschaftlichen Fragen sich bei klimarelevanten Investitionen stellen. Diese werden auch bei einer Tagung in Wien, an der Delegationen aus Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan sowie Kollegen aus Rumänien, Bulgarien, der Slowakei und dem Kosovo teilnehmen, mit Weltbank-Experten und österreichischen Institutionen wie Geosphere Austria oder der Zukunftsallianz vertieft. 

Die Delegationen aus Zentralasien und Südosteuropa besuchten ein Seminar des Vienna Development Knowledge Center und Projekte wie das Agrophotovoltaik-Feld in Bruck an der Leitha.

Lokale Folgen

In Usbekistan etwa basiert die Weltbankstrategie auf einem umfassenden Klima- und Entwicklungsbericht, der aufzeigt, wo das Land besonders gefährdet ist und welche Maßnahmen volkswirtschaftlich sinnvoll erscheinen. Auf dieser Basis werden Programme entwickelt – doch damit ist das Problem noch nicht gelöst. Weltbankprojekte sollen spezifische Bedürfnisse der Gemeinden berücksichtigen, wie es gegen Unwetter resistente Straßen oder gut geheizte energieeffiziente Schulen sind. „Der Klimawandel ist global, aber seine Folgen werden lokal erlebt“, sagt Luiza Nora, Programmleiterin für soziale Entwicklung bei der Weltbank. 

In der Praxis bedeutet das, dass die Bank nicht nur mit Finanzministerien und Zentralbanken spricht, sondern auch mit Bürgermeistern, Dorfverbänden oder Schulbehörden. In den Regionen wird unter dem Schlagwort „Community Driven Development“ festgelegt, was Priorität hat: sichere Trinkwasserversorgung, passierbare Straßen oder stabile Schulgebäude. Der Anspruch ist, Lösungen zu identifizieren, die sich über viele Gemeinden hinweg wiederholen lassen. „Wenn eine Lösung funktioniert und die Regierung sie gut findet, können wir sie in 300 oder 400 Gemeinden zugleich implementieren“, sagt Simon Sottsas, der in Usbekistan das Weltbankprogramm zur Entwicklung ländlicher Infrastruktur leitet. 

Ambitionslücke

Gleichzeitig sind Klimamaßnahmen auch Grenzen gesetzt. Sie müssen wirtschaftlich tragfähig sein, zugleich dürfen sie die lokalen Verwaltungs- und Baukapazitäten nicht überfordern. Wenn Projektvolumina zu schnell wachsen, steigen nicht nur die Kosten, sondern auch das Risiko von Verzögerungen, Qualitätsproblemen und die Wahrscheinlichkeit politischer Rückschläge. Der Blick auf die globale Ebene verschärft dieses Bild. „Es gibt eine große Ambitionslücke“, sagt Steffen Bauer vom German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Die Welt steuere nach den derzeitigen Zusagen eher auf drei als auf zwei Grad Erwärmung zu. 

Das liegt nicht nur an unzureichenden Klimazielen, sondern auch daran, dass viele Länder einen gigantischen Investitionsbedarf haben. Für Usbekistan etwa beziffert die Weltbank den Bedarf für Dekarbonisierung und Anpassung bis 2060 auf nicht weniger als 400 Milliarden Dollar – eine Summe, die die Dimensionen illustriert, aber weit über das hinausgeht, was das Land aus eigener Kraft stemmen kann.

Zwar haben die Industriestaaten auf der COP30 in Belém zugesagt, ihre Mittel für Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern zu verdreifachen. Doch Zusagen auf Papier schaffen noch keine Projekte. Zwischen einem zusätzlichen Fonds und einer funktionierenden Wasserleitung liegen Machbarkeitsstudien, Ausschreibungen, Bauaufsicht und laufender Betrieb – wofür es vor Ort erhebliche personelle und institutionelle Kapazitäten braucht. Für die Weltbank bedeutet das: Risikomodelle anpassen, Investitionen so strukturieren, dass sie auch für den Privatsektor tragfähig, wirtschaftlich sinnvoll und interessant sind, und gleichzeitig Expertise in die Verwaltungen der Partnerländer bringen. 

Nüchterne Rechnungen

Am Ende zeigt sich: Klimapolitik entsteht nicht in globalen Modellrechnungen, sondern in konkreten Projekten mit klaren Kosten-Nutzen-Analysen. „Oft werden sie von lokalen Gemeinschaften vorangetrieben, die am besten wissen, was in ihrer Umgebung geschieht, welche Maßnahmen am dringendsten sind, wer sie besonders benötigt und was sich wirtschaftlich am ehesten rechnet“, betont Luiza Nora. Entscheidend ist nicht, welche Technologien theoretisch verfügbar sind, sondern welche Maßnahmen sich vor Ort rechnen und politischen Rückhalt finden. 

Die Klimapolitik der kommenden Jahre wird daher von nüchternen Rechenmodellen geprägt sein – und davon, wie gut lokale Akteure Projekte voranbringen und umsetzen können. Projekte, die sich in Bruck, Buchara oder Bischkek tatsächlich bauen und betreiben lassen. 

Simon Sottsas, Projektleiter in Usbekistan
Luiza Nora, Expertin für soziale Entwicklung

Fotos: World Bank (6)