„Weltweit nah am Kunden“

Alexander Windbichler, CEO des Kärtner IT-Unternehmens Anexia, betreibt mit seinem Team heute mehr als hundert Standorte weltweit. Im corporAID-Interview spricht er über Wachstum in einer global vernetzten Infrastrukturwelt, die herausfordernde Expansion in Emerging Markets, digitale Souveränität als europäisches Projekt – und warum ihn künstliche Intelligenz begeistert und zugleich beunruhigt.

Das Gespräch führte Bernhard Weber.

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob Sie einen neuen Markt erschließen?

Windbichler: Zwei Faktoren sind entscheidend: die Marktgröße und konkrete Kundenaufträge. Wir wachsen immer mit Kunden und nicht rein opportunistisch. Grob gesagt: 80 Prozent sind kundengesteuert, 20 Prozent machen wir, weil wir auf einem Markt gerne präsent wären. Wir versuchen, mehrere Kunden zu bündeln und sagen dann: „Lasst uns dort einen Standort aufbauen.“ Typischerweise sind das global agierende Unternehmen. Wenn solche Kunden zusätzlichen Bedarf in Brasilien oder Südafrika haben, entsteht für uns ein Business Case.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit – etwa beim Thema Energie?

Windbichler: Eine sehr große. Viele unserer Kunden sind börsennotierte Unternehmen mit klaren ESG-Vorgaben. Die fragen als erstes: „Habt ihr grüne Energie?“ In manchen afrikanischen Ländern ist das schlicht schwer darzustellen, weil vieles mit Dieselaggregaten läuft. Wenn dein Strommix zu 90 Prozent aus Diesel besteht, gewinnst du kein Rennen mehr – zumindest nicht mit Kunden, die ihre CO₂-Bilanz jährlich verbessern müssen. Deshalb ist es oft besser, einen Standort in einem Land mit besserer Energieinfrastruktur zu nutzen und entfernte Märkte vorerst von dort aus zu bedienen – auch wenn das aus Netzwerksicht nicht ideal ist. Langfristig wäre es klüger, direkt in den Ländern zu sein, aber ohne halbwegs nachhaltige Energieversorgung ist das schwer.

Wie gehen Sie bei Anexia mit dem Thema erneuerbare Energie um?

Windbichler: Wir versuchen, unsere Rechenzentren so weit wie möglich mit eigener erneuerbarer Energie zu versorgen. In Österreich betreiben wir zwei Wasserkraftwerke in der Steiermark und einen PV-Park in Niederösterreich. Damit erzeugen wir etliche Gigawattstunden pro Jahr. Derzeit nutzen wir diesen Strom bilanziell etwa für unser Rechenzentrum in Wien. Wir arbeiten aber daran, die Kraftwerke physisch direkt mit unseren Rechenzentren zu verbinden. Darüber hinaus müssen wir zusätzliche grüne Energie zukaufen, je nach Bedarf und Standort.

Wo sehen Sie mit Ihrer Infrastruktur Ihren Beitrag zu den SDGs, den UN-Nachhaltigkeitszielen, und zu globaler Entwicklung?

Windbichler: Unser Geschäftsmodell hätte keine Daseinsberechtigung, wenn man nicht in Innovation, MINT-Bildung und nachhaltige Lösungen investieren würde. Cloud-Leistungen sind heute ein grundlegender Beschleuniger von Innovation – sie verkürzen Zyklen massiv. Früher hat ein Forscher oder Entwickler Monate gewartet, bis er ein System zur Verfügung hatte. Heute bekommt er innerhalb einer Minute einen Server. Das erhöht die Produktivität und ermöglicht schneller bessere Lösungen – sei es in der Forschung, in der Industrie oder im Dienstleistungsbereich.

In Regionen wie Südafrika sehen wir das sehr konkret. Wir stellen bezahlbare, flexible Cloud-Kapazitäten bereit. Kunden merken das in ihren lokalen Märkten – etwa bei der Steuerung von Anlagen, bei Kommunikation oder bei Finanzdienstleistungen. Wir tragen zwar nur einen kleinen Teil bei, aber ohne leistungsfähige, bezahlbare IT-Basis funktioniert vieles nicht.

Haben Sie Beispiele, wo das besonders sichtbar wird?

Windbichler: Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit mit der African Development Bank. Wir unterstützen sie mit Telekommunikationsdiensten – etwa Telefonnummern und Callcenter-Lösungen – quer durch Afrika. Wir sind dort nicht der einzige Dienstleister, aber Teil eines größeren Ökosystems, das Kommunikation und Services ermöglicht. Ein anderes Beispiel ist ein Lizenzpartner im Libanon, dem wir unsere Cloud-Plattform zur Verfügung gestellt haben. Er betreibt damit eigene Kundenumgebungen und zahlt uns nutzungsbasiert. Ein solches Modell kann auch für Teile Afrikas spannend sein: Wir bringen die Technologie, lokale Partner kennen den Markt und betreiben die Plattform vor Ort. Alleine kennen wir viele Märkte zu wenig; gemeinsam kann man viel mehr erreichen.

Welche Rolle spielt Konnektivität für die digitale Zukunft?

Windbichler: Ohne Glasfaseranbindung wird es nicht gehen. Es gibt zwar Satellitenlösungen wie Starlink, und die sind für gewisse Szenarien sinnvoll. Aber für Rechenzentren reicht Satellitenanbindung nicht: zu wenig Bandbreite, zu störanfällig und nicht betriebssicher genug.

In Afrika wird massiv in Seekabel und Glasfaser investiert, etwa in Systeme wie SEACOM, die die West- und Ostküste verbinden und in Südafrika zusammenlaufen. Wir sind dort selbst Kunde. Es entstehen zusätzliche Kabel, Inseln werden angebunden, vieles redundant. Diese Infrastruktur senkt die Preise und erhöht die Bandbreiten – und erst damit können Cloud-Dienste in der nötigen Qualität ins Land kommen.

Wie stark beeinflusst Regulierung Ihr Geschäft?

Windbichler: Cloud-Dienste sind im Unterschied zu Telekommunikationsdiensten kaum reguliert. Das ist ein Vorteil, weil wir relativ frei agieren können. Gleichzeitig wäre in Europa etwas mehr Regulierung durchaus wünschenswert, um faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Heute haben wir ein Oligopol der großen Hyperscaler: Microsoft, Amazon und Google. Sie kontrollieren einen Großteil des Marktes. Wenn in den USA politisch etwas passiert, könnten diese Unternehmen europäischen oder afrikanischen Kunden theoretisch sehr viel digitale Infrastruktur abdrehen. Es geht mir gar nicht darum, ob sie es machen würden – aber sie könnten. Diese Möglichkeit an sich halte ich für gefährlich. Kein Land und keine Region sollte derart abhängig sein. Unsere Vision als Unternehmen ist ein digital souveränes Europa – und darüber hinaus. Wir wollen Lösungen bauen, die auch andere souveräner machen: ohne Lock-in, ohne Abhängigkeit von uns, aber auch ohne Abhängigkeit von den US-Hyperscalern.

Wie sehen Sie künstliche Intelligenz?

Windbichler: Wir stehen vor einem massiven Wandel. Künstliche Intelligenz ist kein Werkzeug wie ein Hammer oder eine Dampfmaschine. Zum ersten Mal programmieren wir so etwas wie einen geistigen Nachfolger – ein System, das viele kognitive Aufgaben besser erledigen kann als Menschen. Schon heute ersetzt KI Junior-Entwickler oder Konzipienten in Teilen. Das wird sich in den nächsten Jahren stark beschleunigen. Ich bin da innerlich gespalten: Einerseits finde ich KI fantastisch und nutze sie begeistert, auch im Unternehmen. Andererseits braucht jeder Mensch eine Aufgabe und einen Sinn. Wenn alles rundherum von Maschinen erledigt wird, ist das eine enorme gesellschaftliche Herausforderung.

KI braucht enorme Energiemengen. Was bedeutet das für Nachhaltigkeit?

Windbichler: KI funktioniert, weil es global billige Energie gibt. Jedes Training eines großen Modells verbraucht gewaltige Strommengen. In den USA werden stillgelegte Kernkraftwerke reaktiviert, um Rechenzentren zu versorgen. An anderer Stelle stellt man einfach große Gasgeneratoren hin: Klimaschutz spielt in diesem Rennen zwischen den USA und China kaum eine Rolle. Letztlich entscheidet Energieverfügbarkeit zusammen mit Kapital darüber, wer im KI-Rennen vorne liegt. Und da schaut Europa nicht gut aus: Wir haben weder im gleichen Ausmaß Kapital noch günstige Energie. Deshalb sehe ich Europa kurzfristig nicht als ernsthaften Player im Wettlauf um allgemeine KI-Modelle – eher als Nutzer, der Modelle souverän betreiben sollte. Gleichzeitig wird in anderen Bereichen jede Kilowattstunde und jedes Gramm CO₂ diskutiert. Das ist ein interessanter Widerspruch: Bei KI, einem strategisch relevanten Thema, wird draufgeschaltet, was geht. In anderen Bereichen sind wir extrem restriktiv.

Wie beeinflusst die Globalisierung Ihr Verständnis von Verantwortung?

Windbichler: Mich persönlich hat der Blick in andere Länder sehr geprägt. Seit ich auf Märkten in Afrika, Südamerika oder Teilen Asiens aktiv bin, bin ich sehr dankbar dafür, was wir in Österreich haben: Trinkwasser aus der Leitung, funktionierende Krankenhäuser, Sicherheit auf der Straße, Rechtsstaatlichkeit. Diese Dankbarkeit hatte ich früher nicht in dieser Form. Sie prägt mein Verständnis von Verantwortung – und die Botschaft versuche ich auch intern weiterzugeben.

A. Windbichler

"Während in anderen Bereichen jede Kilowattstunde und jedes Gramm CO2 diskutiert wird, wird bei KI draufgeschaltet, was geht."

Was treibt Sie persönlich an?

Windbichler: Mich treibt an, mit Technologie einen echten Mehrwert zu schaffen – für Kunden, aber auch für die Gesellschaft. Es ist ein sehr befriedigendes Gefühl, wenn Kunden für etwas bezahlen, weil es ihnen wirklich hilft. Und es ist mindestens so befriedigend, das als Team zu schaffen. Gleichzeitig ringe ich mit den aktuellen technologischen Entwicklungen, die faszinierend sind, aber enorme Verantwortung mit sich bringen. Diesen Konflikt zwischen technologischem Vorwärtstrieb und Verantwortung gegenüber Menschen nehme ich sehr ernst. Ich glaube, das wird uns als Unternehmerinnen und Unternehmer noch lange beschäftigen.

Alexander Windbichler war schon mit 19 Jahren Firmengründer. Mittlerweile hat der Programmierer aus Kärnten mit Anexia ein Unternehmen aufgebaut, das als eines der wenigen Europas im lukrativen Cloudgeschäft mit den US-Giganten konkurrieren kann.

Was bedeutet Wachstum für Sie?

Windbichler: Am einfachsten ist es natürlich, Wachstum über Umsatz zu messen. Aber für mich ist Umsatz eher das Resultat. Ein Unternehmen kann nur wachsen, wenn vieles davor schon mitwächst: die Organisation, die Mitarbeiter, die Stimmung, die Kundenzufriedenheit. Wenn das nicht geordnet funktioniert, dann wächst auch der Umsatz nicht nachhaltig. Am Ende braucht es freilich eine einfache, objektive Kennzahl – und das ist nun einmal der Umsatz. Dahinter steht aber ein viel breiteres Verständnis von Wachstum, das auch Verantwortung beinhaltet.

Wie ist Anexia international gewachsen?

Windbichler: Am Anfang haben wir mit Softwareentwicklung Geld verdient, um damit Server zu kaufen und unsere eigene Cloud-Plattform aufzubauen. Das hat sich gegenseitig hochgeschaukelt. Später sind wir auch ein Stück weit durch Fusionen und Übernahmen gewachsen. Wir waren im Grunde von Anfang an international ausgerichtet. Einerseits, weil wir gesehen haben, wie wichtig globale Infrastruktur ist. Andererseits, weil man als „Prediger im eigenen Land“ oft nicht ernst genommen wird. Du hast zuerst im Ausland Erfolge – und plötzlich wirst du daheim ganz anders wahrgenommen. So sind wir zuerst nach Deutschland gegangen, dann relativ rasch in die USA – sechs Jahre nach Gründung haben wir dort eine Niederlassung aufgebaut. Wien kam dann kurz darauf fix dazu. Danach folgten Schritt für Schritt Standorte in Südamerika, Afrika und Asien.

Warum sind Sie so früh in Emerging Markets gegangen?

Windbichler: Weil unsere Kunden dort sind und wir sie begleiten. Unsere Kunden wollen eine bestmögliche physikalische Latenz (möglichst geringe Zeitverzögerung, die ein Datenpaket vom Sender zum Empfänger benötigt, Anm. der Red.) in ihren Zielmärkten – das schafft man nur, wenn man nahe am Nutzer ist. In Südamerika starteten wir so in Buenos Aires, gingen dann nach Santiago de Chile und später nach São Paulo und Rio de Janeiro. Danach kam ein Standort in Südafrika dazu. Asien war wiederum eine eigene Herausforderung – weniger technisch, sondern kulturell und kommunikativ. Südamerika und Afrika sind uns vom Mindset her in vielen Punkten näher als etwa Japan. Die Art, Probleme zu lösen, die Direktheit in der Kommunikation – da merkt man die Unterschiede.

"Südamerika und Afrika sind uns vom Mindset her in vielen Punkten näher als etwa Japan."

A. Windbichler

Welche Hürden bringt der Aufbau von Infrastruktur in Südamerika und Afrika mit sich?

Windbichler: In Südamerika ist es für europäische Unternehmen sehr schwierig, physische Infrastruktur überhaupt ins Land zu bringen. Wir stellen Server zur Verfügung, die müssen von Österreich aus verzollt und transportiert werden – das ist ein riesiges Thema. Die zweite Hürde ist die Sprache, speziell in Brasilien mit Portugiesisch. In Afrika ist die Sprache weniger das Problem. Dort ist eher der Netzausbau die Herausforderung. Viele Länder haben noch nicht die gleiche Telekommunikationsinfrastruktur wie Europa, und die Energieversorgung basiert oft auf Dieselaggregaten. Das ist auch aus Nachhaltigkeitssicht ein Thema. Dazu kommt: Wir haben derzeit noch keine eigenen Rechtseinheiten in Südamerika, sondern nur Betriebsstandorte. Eine eigene Legal Entity zu gründen, ist dort deutlich aufwendiger als in Österreich.

Das Unternehmen

Maßgeschneiderte Cloud-Services

Die Anexia Holding GmbH wurde 2006 von Alexander Windbichler in Klagenfurt gegründet. Ihr Kerngeschäft liegt in maßgeschneiderten Cloud- und Managed-Services sowie individueller Software-, Web- und App-Entwicklung. In den vergangenen Jahren hat Anexia ein beeindruckendes Wachstum erzielt. Das Unternehmen hat heute 400 Mitarbeiter, ist mit Standorten in Klagenfurt, Graz, Wien, Karlsruhe und New York City international aktiv und betreibt von Europa über Nord- und Südamerika, Afrika und Asien mehr als 100 Rechenzentrums-Standorte.

Anexia-Zentrale in Klagenfurt

Fotos: Christoph Eder, Anexia