Die Tanzgruppe Ndere möchte das kulturelle Erbe Ugandas bewahren. 1984 vom damaligen Volksschullehrer Stephen Rwangyezi gegründet, versammelt sie Dutzende Tänzer und Tänzerinnen aus den unterschiedlichsten Regionen des ostafrikanischen Landes. Mittlerweile besitzt die Gruppe in der Hauptstadt Kampala ein eigenes Kulturzentrum, in dem sie an diesem Abend Tänze von verschiedenen Ethnien präsentiert.

Auch mit 69 Jahren steht Rwangyezi noch auf der Bühne, führt mit Begeisterung durch das Programm, kündigt Tänze an und erzählt, dass etwa ein bestimmter Tanz zur Hochzeit und ein anderer traditionell vor der Jagd getanzt wurde.

Das Publikum sitzt im Halbkreis um die Bühne, an Tischen unter freiem Himmel. In einer Pause fragt Rwangyezi nach den Herkunftsländern. Es sind Gruppen aus Österreich, Kanada, den USA oder Spanien anwesend, mindestens ebenso viele Besucher kommen aber aus Uganda selbst und den verschiedensten anderen afrikanischen Ländern – aus Kenia, Ghana, Nigeria oder Benin.

Bei den Besuchern aus Afrika handelt es sich teils um Urlaubstouristen und teils um Gäste, „die wegen Konferenzen oder aus anderen beruflichen Gründen in der Hauptstadt sind und dies mit einem kulturellen Programm verbinden“, berichtet Sharon Ireeta. Sie ist Leiterin der Agentur Nkwanzi Travel, die für solche Besucher touristische Tagesprogramme in Kampala organsiert und sie dabei auch gerne zu den Tanzaufführungen der Ndere-Gruppe führt.

Reiseführerin Sharon Ireeta mit einer Gruppe im Bwindi Nationalpark in Uganda

Großes Potential

Die große Anzahl afrikanischer Besucher bei der Aufführung ist jedenfalls ein kleines Beispiel für eine größere Entwicklung: In Afrika steigt mit einem Plus von sieben Prozent der Ankünfte im Jahr 2024 nicht nur der Tourismus im Allgemeinen, sondern auch die innerafrikanische Reisetätigkeit. „Reisen innerhalb Afrikas sind nicht mehr nur ein Trend, sie sind bereits die tägliche Realität“, betont Elcia Grandcourt, die Regionaldirektorin der UN World Tourism Organisation (UWTO) für Afrika. 70 Prozent der befragten Tourismusunternehmen berichten laut UNWTO von wachsender lokaler Nachfrage.

„Der innerafrikanische Tourismus birgt ein riesiges, noch ungenutztes Wirtschaftspotenzial“, betont Grandcourt. „Angesichts des raschen demografischen und wirtschaftlichen Wandels sehen viele Fremdenverkehrsämter, Akteure des Privatsektors und internationale Entwicklungsagenturen die afrikanischen Touristen zunehmend als künftigen strategischen Markt an.“ Denn verschiedene Faktoren treiben den innerafrikanischen Tourismus an: eine erlebnishungrige, junge Bevölkerung, eine wachsende Mittelschicht mit finanziellen Möglichkeiten sowie eine verbesserte Infrastruktur – neue Flug- und Zugverbindungen, der Ausbau von Straßen sowie einfachere Grenzübertritte erleichtern das Reisen.

Lokale Reiseagenturen und Tourismusmanager streben danach, diese Entwicklungen für sich zu nutzen. Südafrika etwa setzt verstärkt auf inländische und kontinentale Gäste. „Sie sind das Rückgrat eines widerstandsfähigen Tourismus“, betont Thembisile Sehloho, Marketingchefin der Agentur „South African Tourism“.

Fakten

Tourismusziele in Afrika

Die beliebtesten Reiseziele des Kontinents liegen in Nordafrika, mit Marokko und Ägygpten an erster Stelle. Diese Länder sind aufgrund ihrer gut ausgebauten Infrastruktur und ihrer geographischen Nähe zu Europa attraktiv. Viele Pauschalurlauber genießen die Mittelmeerstrände und günstigen Preise. Daneben boomt der Kulturtourismus: Historische Stätten wie die Pyramiden von Gizeh oder die Königsstädte Marokkos werden jährlich von Millionen Besuchern bewundert.

Auch in Subsahara-Afrika gibt es touristische Hotspots. Kenia und Tansania ziehen vor allem Badeurlauber und Safaritouristen an. Südafrika wird wegen seiner Nationalparks, dem Aussichtspunkt auf dem Tafelberg und der Bucht von Kapstadt aufgesucht. Zahlreiche weitere afrikanische Länder besitzen allein durch ihren Meerzugang oder ihre einzigartigen Naturlandschaften ein immenses touristisches Potenzial. Politische Instabilität, mangelnde Infrastruktur und Sicherheitsrisiken wirken einem Aufblühen des Tourismus allerdings entgegen.

Beliebte Destinationen: Marokko, Ägypten, Südafrika

Neuer Blick durch die Corona-Krise

Thembisile Sehloho deutet mit ihrer Aussage an, dass ausgerechnet die größte Krise, die der Tourismus in den vergangenen Jahren erfahren hat, ein Treiber für den lokalen Tourismus war: die Corona-Pandemie. Sie hat die internationalen Ankünfte gänzlich zum Erliegen gebracht, was massive Umsatzeinbußen und große Jobverluste zur Folge hatte. Um dies zumindest ein wenig abzufedern, haben viele afrikanische Länder gezielt den lokalen und regionalen Tourismus gefördert.

Südafrika hat dabei seine „Sho‘t Left“ noch einmal verstärkt. Schon mit ihrem Namen spricht diese Aktion direkt Einheimische an – im Slang bedeutet „Sho‘t Left“ so viel wie „Einen kurzen Ausflug machen“. Anreize sind dabei neben Werbekampagnen teils zeitlich begrenzte Rabatte: Sei es, um Löwen und Giraffen im Krüger-Nationalpark zu besichtigen, sei es, um ein Wochenende am Strand zu verbringen, sei es, um Raftingtouren im Wildwasser zu unternehmen – mit billigeren Preisen wurden gezielt Einheimische angesprochen. Die Kampagne trug zur Ankurbelung des lokalen Tourismus bei: Laut offiziellen Daten lagen die Inlandsreisen 2023 bereits bei über 130 Prozent des Vor-Corona-Niveaus, was allein im ersten Halbjahr 2023 für 18,8 Millionen inländische Übernachtungsreisen nach sich zog.

Tourismus schafft Einkommen: Baristas in Südafrika

Einen ähnlichen Effekt beobachtete Reiseführerin Ireeta in Uganda: „Während der Pandemie bemerkten viele Ugander, dass es im eigenen Land viel zu entdecken gibt. Wenn sie nun etwa an Feiertagen ihre Familien besuchen fahren, nutzen sie die Gelegenheit, um mit ihren Kindern auch noch einen Nationalpark oder Stätten der historischen Königreiche zu besuchen. Das haben die Leute früher kaum gemacht.“

Auch dies fördert die Regierung durch gezielte Vergünstigungen: So müssen Einheimische in vielen Nationalparks gerade einmal ein Zehntel des Eintrittspreises zahlen, den internationale Besucher abzulegen haben. Diese Rabatte gelten aber auch für sämtliche Touristen aus der Ostafrikanischen Staatengemeinschaft (ECA), zu der Kenia, Tansania oder Ruanda gehören.

Erleichterte Einreise

Das Ansprechen einheimischer Touristen geht nun einher mit dem verstärkten Werben um kontinentale Besucher. Ein zentrales Mittel: Visaerleichterungen. Vorreiter sind hier Staaten, die bereits beliebte Urlaubsziele sind: Kenia, Ruanda und die Seychellen ermöglichen Bürgern der Afrikanischen Union eine visafreie Einreise. Angola lockerte für viele Staaten die Visapflicht, um sich als Flugdrehkreuz zu positionieren. Auch regionale Zusammenschlüsse wie die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staate ECOWAS oder die Entwicklungsgemeinschaft Südafrikanischer Staaten SADC arbeiten an einer Vereinheitlichung des Grenzregimes – ähnlich wie der Schengen-Raum in Europa.

Welchen Effekt so eine Politik haben kann, zeigt wieder das Beispiel Südafrika: Dort stieg die Zahl der Besucher aus Ghana 2024 nach Einführung der Visa-Freiheit um 149 Prozent. Das trug dazu bei, dass rund 70 Prozent der 8,5 Millionen internationalen Ankünfte in Südafrika aus anderen afrikanischen Ländern stammten.

Gleichzeitig sorgten diese Gäste gerade einmal für rund die Hälfte der Einnahmen, die der südafrikanische Tourismus im vergangenen Jahr lukrierte. Das zeigt: Internationale Touristen geben auf Reisen nach Afrika im Durchschnitt mehr aus, buchen häufiger Pauschalreisen oder exklusive Lodges. Darüber hinaus kommen internationale Gäste zumeist für längere Aufenthalte und verbinden etwa eine Woche Safari mit einer Woche Strandurlaub.

Afrikaner nutzen hingegen viel stärker Geschäftsaufenthalte, Familienbesuche oder auch verlängerte Wochenenden, um touristische Aktivitäten ins Programm aufzunehmen. „Die Zukunft unseres Tourismus liegt darin, die Balance zu halten, indem wir die Erwartungen internationaler Gäste erfüllen und gleichzeitig das immense Potenzial in Afrika selbst nutzen“, betont Marketingchefin Sehloho.

Interview mit Greg Bakunzi, Red Rocks Rwanda

Sehnsucht nach Wurzeln

Greg Bakunzi aus Ruanda ist der Gründer der auf Ökotourismus spezialisierten Agentur „Red Rocks Rwanda“ und wurde von der UNO mit dem „Award for Sustainable Tourism“ ausgezeichnet.

Lokale Bevölkerung einbinden

Dabei geht es auch darum, dass in diesem Sektor das afrikanische Unternehmertum zunimmt und Wirtschaftskreisläufe in Gang bringt, von denen die lokale Bevölkerung profitiert. Den Hotelmarkt beherrschen etwa noch immer internationale Gruppen wie Accor oder Marriot, doch es sind auch schon afrikanische Player im Spiel wie die City Lodge Group in Südafrika, die bereits fast 60 Hotels betreibt. Zugleich eröffnet der Tourismus Chancen für lokale Kleinunternehmer: Fahrdienste, Marktstände, Reiseagenturen oder landwirtschaftliche Kooperativen profitieren von den Ausgaben der Reisenden.

Die UN, Entwicklungsorganisationen und nationale Behörden betonen: Tourismus muss sich an lokale Realitäten anpassen. Ein Dorf kann nicht dieselben Besucherzahlen stemmen wie eine Großstadt, ein Nationalpark erfordert andere Konzepte als ein Küstengebiet.

Elcia Grandcourt von UN Tourism unterstreicht: „Nachhaltiger Tourismus muss mit der Bevölkerung vor Ort entwickelt werden. Er soll die Gäste begeistern und gleichzeitig den Menschen vor Ort nützen.“ Als Beispiel nennt sie Ruandas „Tourism Revenue Sharing Programme“, bei dem zehn Prozent der Einnahmen aus Nationalparks in Schulen, Kliniken oder Wasserprojekte in der Umgebung fließen.

Ein Markt in Ruanda

Jobchancen, wo es wenig gibt

Laut Grandcourt besitzt der Tourismus generell ein enormes Entwicklungspotenzial: Als arbeitsintensiver Sektor schaffe er Millionen Jobs. „Somit ist er einer der wichtigsten Arbeitgeber in Afrika“, betont Grandcourt. Den Untersuchungen ihrer Organisation zufolge hängt global jeder zehnte Job direkt oder indirekt am Tourismus. Hinzu kommt: Gerade in sonst abgelegenen und von industrieller Entwicklung ausgeschlossenen Regionen kann der Tourismus dezentrale Arbeitsplätze schaffen – wie es übrigens auch in österreichischen Alpentälern der Fall ist.

Deshalb haben Entwicklungsagenturen ab den 1990er Jahren damit begonnen, touristische Projekte zu unterstützen – mit Fokus auf gemeindebasierten und ökologischen Tourismus – und am Kapazitätsaufbau mitzuwirken. Dies wird teilweise institutionell gestützt. Die Austrian Development Agency (ADA) fördert unter anderem Ausbildungskooperationen der Tourismusschulen Salzburg mit Trainingszentren und Fachhochschulen in verschiedenen Entwicklungsländern, darunter etwa Uganda oder Gambia.

Nahe gelegene Zielgruppe

Insgesamt ist das Reiseaufkommen in und nach Afrika mit 88,9 Millionen internationalen Ankünften 2024 noch vergleichsweise gering – Europa verzeichnet etwa das Achtfache und auch die Boomregion Naher Osten mit Zielen wie Dubai ist bei den Besucherzahlen Afrika voraus. Doch ist der Tourismus in Afrika ein wachsender und vielversprechender Wirtschaftszweig mit Zukunft, wobei vor allem die lokale, innerafrikanische Reisetätigkeit neue Marktsegmente entstehen lässt.

Das zeigt sich in Uganda etwa am Viktoria-See. Hier verbreiten die Sesse Inseln tropisches Flair und laden zu Strandspaziergängen ein. Sie haben sich zu einem beliebten Erholungsziel der Mittelschicht von Kampala entwickelt. Die Städter können die Inseln in zwei bis drei Stunden von der nahe gelegenen Hauptstadt aus erreichen. Lokale Touristen sind eine Zielgruppe, die nahe liegt.

Die österreichische Entwicklungsbank

Kleine Geschichte des Urlaubs

Das Konzept von Urlaub und damit verbunden Reisen für breitere Bevölkerungsschichten kam erst im 19. Jahrhundert auf. Schifffahrt und Zugverbindungen schafften neue Reisemöglichkeiten, und eine zunehmend größer werdende Mittel- und Oberschicht in Europa suchte Erholung, Abenteuer und neue Erfahrungen in der Ferne.

In Afrika waren bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die einzigen Urlaubsreisenden europäische Gäste, die etwa zur Großwildjagd kamen, oder Kolonialbeamte, die vor der Hitze in die Berge flohen. Erst mit dem Aufkommen einer einkommensstarken Mittelschicht fasste das Konzept der Urlaubsreise auch in der afrikanischen Bevölkerung Fuß. Laut Tourismusmanagern wird vor allem unter der jungen urbanen wohlhabenderen Bevölkerung die Urlaubsreise immer mehr zum Teil der Alltagskultur.

Einher ging das auch mit der gesetzlichen Festlegung von Urlaubsansprüchen, die in immer mehr Ländern festgeschrieben wurden. So stehen etwa in Kenia, Uganda, Tansania oder Südafrika Angestellten zwischen 18 und 28 Kalendertage Urlaub pro Jahr zu. Allerdings trifft das nur auf Bürger im formellen Sektor zu. Bürger, die im informellen Sektor arbeiten und einen großen Teil der Erwerbstätigen bilden, haben dieses Recht nicht – und können sich zumeist auch keine Urlaubsreise leisten.

Fotos: UN WTO, SA Tourism, YuriArcursPeopleImages, Flickr/Estin Üstün, Flickr/Jerome Bon, Flickr/Brent Newhall, Nkwanzi Travel, Flickr/South African Tourism, Red Rocks Initiative for Sustainable Development, privat