Zukunftslabor Stadt: Große Pläne und kleine Schritte

Gemischte Nutzung, mehr Grün und Förderung des öffentlichen Verkehrs: Bei einem Weltbank-Seminar wurden stadtplanerische Modelle diskutiert. Dabei zeigte sich, dass bei allen großen Ideen und Konzepten oft die kleinteilige Umsetzung entscheidend ist.

Die Wahrnehmung von Städten hat sich in der internationalen Entwicklungsdebatte gewandelt. Über Jahrzehnte dominierten negative Bilder die Vorstellungen – urbane Räume galten, besonders in ärmeren Ländern, als Synonyme für Elend, geprägt von informellen Siedlungen, Überbevölkerung, Umweltbelastungen und sozialer Fragmentierung. Politikempfehlungen in den 1970er und 80er Jahren zielten daher vielfach darauf ab, die Land-Stadt-Migration einzudämmen. Entwicklung wurde mit Stabilisierung der ländlichen Bevölkerung gleichgesetzt. 

Doch schon damals eröffneten Städte auch Chancen: Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmärkten, dazu sind sie Knotenpunkte für Handel, Innovation und kulturellen Austausch. Mit der Jahrtausendwende setzte sich schließlich eine neue Sichtweise durch. Prognosen, dass schon bald mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten leben würde, machten klar: Urbanisierung ist kein Problem, das man stoppen kann, sondern eine Realität, die gestaltet werden sollte – und die auch viele Chancen für Entwicklung bietet.

Anita Ellmauer- Klambauer, Stadtökonomin
Axel Bäumler, Seminarleiter und Stadtexperte

Sichtbare Veränderungen

Wie sehr sich die Wahrnehmung und Realität urbaner Räume verändern kann, zeigt das Beispiel Sarajevo. Nach dem Jugoslawienkrieg prägten zerstörte Wohnbauten und verminte Freiflächen das Bild der Hauptstadt Bosniens. „Lange Zeit ging es nur darum, die schlimmsten Zerstörungen zu reparieren. Nun bemerken die Bewohner aber zunehmend, dass wir die Stadt auch gestalten und lebenswerter machen“, sagt Stadtplaner Derviš Hadžimuhamedović. Neue Straßenbahnen, Grünflächen und Fußgängerzonen veränderten das Gesicht Sarajevos. Bald sollen neben Oberleitungsbussen auch E-Busse fahren. Für die in einem Talkessel gelegene Stadt ist das mehr als Symbolpolitik: Im Winter zählt Sarajevo regelmäßig zu den Orten mit der weltweit höchsten Feinstaubbelastung. 

Hadžimuhamedović betont: Um Akzeptanz für städtebauliche Veränderungen zu gewinnen, braucht es zunächst sichtbare und erfahrbare Maßnahmen, die die Bewohner als Verbesserungen wahrnehmen – auch wenn es zunächst nur Kleinigkeiten wie eine Grünfläche neben einer Straßenbahnstation sind. 

Die Entwicklung Sarajevos war eines von mehreren Modellbeispielen, die beim „Technical Deep-Dive on Urban Space, Mobility and Decarbonization“ im Juni 2025 in Wien präsentiert wurden. Zu der viertägigen Tagung hatte das neue Vienna Development Knowledge Center (VDKC) der Weltbank in Kooperation mit der International Finance Corporation (IFC) geladen. Delegationen aus Albanien, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina, Kasachstan, Nordmazedonien, Serbien, Usbekistan und der Türkei folgten der Einladung, um über Erfahrungen und Konzepte der Stadtraumgestaltung und Mobilitätsprojekte zu diskutieren und sich mit internationalen Experten auszutauschen. Das VDKC war 2024 mit Finanzierung des österreichischen Finanzministeriums gegründet worden.

Neuverteilung des Raums

Wien war nicht nur Veranstaltungsort, sondern auch städtebauliches Anschauungsobjekt: Die Tagungsteilnehmer besuchten unter anderem die Seestadt Aspern und das Nordwestbahnviertel, zwei neue Stadtentwicklungsgebiete, die auf gemischte Nutzung, kompakte Strukturen und Verkehrsberuhigung setzen. „Die Städte werden grüner, Fußgänger und Radfahrer spielen bei der Planung eine größere Rolle, und die Mobilität innerhalb der Stadt wird stärker in den öffentlichen Verkehr verlagert“, sagte Axel Bäumler, Experte für Stadtprojekte bei der Weltbank, der die Tagung leitete. 

Für derartige Stadtplanungen wurden international bereits die verschiedensten Ideen entwickelt, sehr viel Resonanz erfährt das aus Paris stammende Konzept der 15-Minuten-Stadt: Schulen, Arbeitsplätze, Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitangebote sollen für alle Bewohnerinnen und Bewohner in maximal 15 Minuten zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein. 

Kürzere Wege in Europa

Allerdings kommen vor allem europäische Städte dem Ideal der 15-Minuten-Stadt nahe. Das zeigte eine Studie, die der Komplexitätsforscher Vittorio Loreto an den Sony Computer Science Laboratories in Rom durchführte. Mit seinem Team erhob er die Erreichbarkeitswerte verschiedener Städte der Welt. Es zeigt sich, dass vor allem europäische Städte in der Lage sind, dichte Räume aufzuweisen, während die Wege zu Ressourcen und Dienstleistungen in anderen Erdteilen oft ungleich länger sind. 

In Afrika und Asien werden derartige Konzepte zwar auch angedacht und in Ansätzen umgesetzt, doch erschweren vor allem das schnelle Wachstum, informelle Quartiere und zersplitterte Verwaltungskompetenzen die Umsetzung – das gilt insbesondere für Entwicklungsländer. 

Generell gilt: Damit städtebauliche Projekte wie etwa ein breitflächiger Ausbau des öffentlichen Verkehrs gelingen, „braucht es in Politik und Verwaltung stabile Verhältnisse, sodass sich die Prioritäten nicht ruckartig ändern, sondern über einen längeren Zeitraum verfolgt werden“, betont Anita Ellmauer-Klambauer, Stadtökonomin bei der Weltbank. 

Sie selbst betreut Projekte in Albanien, die ein Zusammenspiel mehrerer Institutionen erfordern. Wenn das funktioniert, lässt sich vieles bewegen, wie das Beispiel Saranda zeigt. In der Küstenstadt kommen auf rund 26.000 Einwohner in der Hochsaison 90.000 Touristen. Stadtzentrum und Strandpromenade sind zugeparkt, ständig bilden sich Staus. Erleichterung soll nun ein Mobilitätshub am Stadtrand schaffen, von dem aus E-Busse die Gäste ins Zentrum und an die Küste bringen. Parallel wird die Promenade zu einer begrünten Fußgängerzone umgestaltet.

Auch andere bei der Tagung vorgestellten Projekte zeigten auf, welchen Beitrag auch kleine Veränderungen zum Projekt der lebenswerten Stadt leisten können. In Bitola etwa, einer 70.000-Einwohner-Stadt in Nordmazedonien, sollen in einem ausgewählten Wohngebiet Tempo 30-Zonen, neue Fußgängerübergänge und zusätzliche Grünflächen geschaffen werden – alles Details, die den Alltag spürbar verbessern sollen. Taschkent wiederum plant, den öffentlichen Verkehr für seine drei Millionen Einwohner attraktiver zu machen. Die Hauptstadt Usbekistans dreht dazu an mehreren Schrauben: bessere Busstationen, ein einfacheres Ticketsystem und verlässlichere Fahrpläne.

Lernen, anpassen, umsetzen

All den bei der Tagung vorgestellten – und von Förderbanken unterstützten – Projekten ist gemeinsam, dass sie bei existierenden städtebaulichen Konzepten Anleihen nehmen. „Die Erfahrungen aus anderen Städten können die eigenen Entwicklungsprozesse beschleunigen“, betonte die Delegation aus Sarajevo. Die Kollegen aus Taschkent wiesen dennoch darauf hin, dass jede Stadt zugleich ihren eigenen Weg finden muss, weil die vorhandene Infrastruktur oft einfach grundverschieden ist. 

So hat jede Stadt ihre Eigenheiten, aber keine muss bei Null beginnen. Erfolgreiche Urbanisierung entsteht im Zusammenspiel von globalen Konzepten, lokaler Anpassung und sichtbaren Ergebnissen. Große Pläne geben die Richtung vor, kleine Schritte schaffen die Umsetzung. Weltbank-Experte Bäumler betont: „Stadtplanung ist kein einzelnes Dokument, sondern ein Instrumentarium – von der Vision bis zum Bebauungsplan. Richtig verzahnt, kann es extrem viel bewirken.“

Fotos: World Bank (3), Thomas Hackl/Flickr, EIB/ European Delegation to BiH