Das Gespräch führte Bernhard Weber.
Wie beurteilen Sie die Wirtschaftslage in Österreich?
Thomas Ott:  Ich würde sagen: spannend, aber auch sehr schwierig. Wir kommen aus der Rezession nicht heraus. Von der politischen Seite sehe ich derzeit keine Impulse, die eine Verbesserung bewirken könnten. Zusätzlich erschweren Probleme mit unseren Nachbarn wie Deutschland die Situation weiter. Meiner Ansicht nach wäre ein großer Wurf notwendig, um wieder Wachstum zu generieren. Andernfalls werden die negativen Schlagzeilen anhalten, und die steigende Zahl an Firmenschließungen wird den Arbeitsmarkt weiter belasten. Insgesamt würde ich sagen, dass die Lage in Österreich aktuell wirklich schwierig ist.
Welche Maßnahmen sollte die Politik ergreifen, um hier gegenzusteuern?
Ott: Die Politik muss Wachstumsanreize setzen und die Stimmung im Land verbessern. Momentan dominiert Pessimismus, und das beeinflusst das Konsumverhalten negativ. Ein Beispiel ist Deutschland, wo die Sparquote auf einem historischen Hoch liegt, weil die Menschen unsicher sind, was die Zukunft bringt. Ohne Konsum gibt es keine Absätze und damit kein Wachstum. Europa und Österreich leiden darunter. Die Politik sollte einerseits die Budgets sanieren und andererseits gezielt Impulse setzen, um optimistischere Perspektiven zu schaffen.  Für den Standort Österreich spielen Faktoren wie Digitalisierung, Energiekosten, Arbeitskosten und die Qualität von Forschung und Ausbildung eine wichtige Rolle. Bei Forschung und Ausbildung sind wir in Österreich gut aufgestellt, aber die hohen Lohn- und Energiekosten belasten die Wettbewerbsfähigkeit. 
Und wie sieht es mit der heimischen Außenwirtschaft aus?
Ott: Auch hier sehe ich Herausforderungen. Die großen Absatzmärkte, insbesondere Deutschland und Frankreich, haben selbst mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Interessanterweise zeigt Südeuropa derzeit mehr Wachstum und Dynamik. Auch Osteuropa entwickelt sich gut, trotz der Herausforderungen durch den Krieg in der Ukraine.  Unterschiede zwischen den Regionen sehe ich nicht beim Thema Leistung, sondern eher in der Flexibilität. In Ländern wie Bulgarien oder Rumänien werden Dinge oft schneller und pragmatischer angegangen, etwa beim Ausbau der Photovoltaik. Dort ist der regulatorische Rahmen möglicherweise flexibler, was zu einer schnelleren Umsetzung führt. Auch das wirtschaftliche Wachstum in diesen Ländern ist aktuell höher als in Österreich, was positiv für die gesamte Region ist.
Wie ist Mondi durch die jüngsten Krisen gekommen?
Ott: Wir haben die Herausforderungen gut gemeistert. Unsere Assets in Russland haben wir verkauft. Statt uns zurückzuhalten, haben wir stark investiert – insgesamt 1,2 Milliarden Euro. Unser Fokus liegt auf innovativen und nachhaltigen Lösungen. Wir investieren stark in flexible Verpackungen, etwa für Haustierfutter oder Barrierepapiere, die Kunststoffverpackungen ersetzen können. Solche Projekte motivieren das Team und geben dem Unternehmen langfristig Stabilität. Ein aktuelles Highlight ist eine neue Papiermaschine in Tschechien, die 400 Millionen Euro gekostet hat und voraussichtlich ab Anfang 2025 hochgefahren wird. Zudem haben wir die Zellstofffabrik Hinton in Kanada erworben, die uns Zugang zu hochwertigem lokalen Holz verschafft.
Wie sieht es in Emerging Markets aus?
Ott: In Lateinamerika haben wir eine Fabrik in Kolumbien ausgebaut. In Afrika fokussieren wir uns auf Nord- und Westafrika, vor allem mit neuen Projekten in Marokko. Diese Märkte bieten attraktive Wachstumsraten, obwohl sie auch einige Hürden mit sich bringen. Langfristig sind Regionen wie Afrika und der Nahe Osten für uns sehr wichtig, nicht nur als Produktionsstandorte, sondern auch als Absatzmärkte für unser Papierportfolio.
Welche Bedeutung hat Nachhaltigkeit für Mondi?
Ott: Wir haben den Mondi Action Plan MAP 2030 entwickelt, der uns klare Ziele in verschiedenen Bereichen setzt, um Nachhaltigkeit zu managen. Nachhaltigkeit bedeutet für uns, sauberer zu produzieren – das heißt, Emissionen zu reduzieren, keinen Abfall auf Deponien zu entsorgen und unsere internen Kennzahlen kontinuierlich zu verbessern. In der Papierindustrie arbeiten wir seit 30 Jahren an solchen Zielen, sodass diese Anforderungen für uns nicht neu sind. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Nachhaltigkeit für uns im Produktbereich eine enorme Chance darstellt. In unseren Absatzmärkten ist Nachhaltigkeit einer der größten Wachstumstreiber. Der gesamte Markt befindet sich im Wandel: Die großen Konsumgüter-Unternehmen steigen zunehmend auf nachhaltige Verpackungen um. Sie sind jetzt viel offener für neue Trends und Innovationen. Das bedeutet für uns einen Wachstumsschub durch unser Know-how und unsere Innovationskraft. In der Vergangenheit haben wir versucht, Innovationen in den Markt zu bringen, stießen jedoch oft auf Widerstand, da die Kunden ausschließlich auf Kostenreduktion fokussiert waren. Heute hat sich das geändert: Kunden fordern neue Produkte und sind bereit, Neues auszuprobieren. Dieser Wandel bietet uns große Chancen, die wir aktiv nutzen.

Langfristig sind Regionen wie Afrika und der Nahe Osten für uns sehr wichtig, als Produktionsstandorte und als Absatzmärkte.

Welche Rolle spielt Regulierung in der Papier- und Verpackungsindustrie?
Ott: Regulierung ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits hat die EU dieses Jahr die neue „Packaging & Packaging Waste Regulation“ beschlossen. Es gibt hier Regelungen für verschiedenste Materialien und Schadstoffe, um deren Verwendung einzuschränken oder gänzlich zu verbieten. Zudem sollen durch entsprechende Systeme die Recyclingquoten erhöht werden. Das ist zwar nicht perfekt, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Ein Negativbeispiel ist die „Deforestation Regulation“, die verschoben wurde, weil wesentliche Punkte kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes noch ungeklärt waren. Das wirkt teilweise dilettantisch. Auch beim Lieferkettengesetz sehe ich Herausforderungen: Die Grundidee macht Sinn, doch in der Praxis ist die Umsetzung extrem ressourcenintensiv. Für große Konzerne wie Mondi ist das machbar, für Mittelständler ist es jedoch fast unmöglich, all diese Anforderungen zu erfüllen. Hier fehlt oft das richtige Augenmaß.
Wie steht Mondi zur Kreislaufwirtschaft?
Ott: Kreislaufwirtschaft ist für uns von zentraler Bedeutung. Damit der Kreislauf funktioniert, muss der Abfall, der im Kreis geführt wird, einen Wert haben. Jeder Akteur in diesem Kreislauf muss profitieren, sonst bricht die Kette. Es entstehen neue Kooperationen, zum Beispiel in der Baustoff- und Zementindustrie: Wir arbeiten mit der Abfallwirtschaft, Logistik und mit Baustoffherstellern zusammen, um gebrauchte Papiersäcke zu recyceln. Solche Ansätze sind vielversprechend.Wichtig ist zudem die Perspektive: Es geht nicht um Papier versus Plastik, sondern darum, ob etwas nachhaltig und recyclingfähig ist.
Welche Megatrends bewegen die Verpackungsindustrie?
Ott: Innovation wird immer wichtiger, vor allem in einer Zeit des Umbruchs. Nachhaltigkeit zwingt uns, Verpackungen neu zu denken. Die Zukunft der Verpackungsindustrie liegt in der Verbindung von Nachhaltigkeit und Innovation. Wir müssen Materialien entwickeln, die ressourcenschonend, recyclingfähig und wirtschaftlich sinnvoll sind. Dabei wird die Zusammenarbeit über Branchen hinweg immer wichtiger. Wir haben ein neues Innovationszentrum in Deutschland eröffnet, um mit Kunden in einer Co-Creation-Atmosphäre an neuen Lösungen zu arbeiten. Speed to Market ist entscheidend: Ideen entstehen, werden getestet und direkt weiterentwickelt. Ein weiterer Trend sind Cost-Out-Innovationen. Kunden fordern nachhaltige und funktionierende Lösungen, die jedoch kostengünstiger sein müssen. Das ist derzeit ein großes Thema. Auch KI wird zunehmend wichtig, befindet sich in der industriellen Fertigung aber noch in den Kinderschuhen. Wir testen verschiedene Anwendungen, aber der große Durchbruch, der unser Setup revolutioniert, steht noch aus.
Wie sehen Sie die Rolle eines Unternehmens wie Mondi für die Schaffung von Wohlstand?
Ott: Unser Selbstverständnis als Unternehmen basiert auf Verantwortung und sozialem Engagement. Wir haben eigene Tools entwickelt, um unseren Social Impact in den Regionen, in denen wir tätig sind, zu messen. Dies gilt insbesondere für unsere großen Papierfabriken, wo externe Partner unsere Arbeit evaluieren. Wir sind an der Londoner Börse gelistet und in verschiedenen Indizes vertreten, was uns in die Pflicht nimmt. Es ist für uns ein Grundwert, dass wir dort, wo wir operieren, auch einen positiven Beitrag leisten. „Good Citizenship“ ist dabei keine Floskel, sondern ein klarer Anspruch. Heute ist Nachhaltigkeit ein absolutes Muss, insbesondere für große Unternehmen. Unsere Stakeholder erwarten nicht nur finanzielle Erfolge, sondern auch Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft. Ohne diesen Ansatz wäre wirtschaftlicher Erfolg, besonders im europäischen Kontext, kaum noch möglich. Projekte wie unsere Lehrlingsprogramme in Westafrika zeigen zudem, wie Engagement vor Ort nachhaltiges Wachstum fördern kann. Wir versuchen, das duale Ausbildungssystem in andere Länder zu übertragen. Durch die Unterstützung der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit können wir einen größeren Hebel erreichen. Solche Leuchtturmprojekte sind ein integraler Bestandteil unseres Engagements in den Märkten, in denen wir operieren.

Die Grundidee des Lieferkettengesetzes macht Sinn, doch in der Praxis ist die Umsetzung extrem ressourcenintensiv.

Welche Rolle spielen Werte bei Mondi?
Ott: Werte prägen ein Unternehmen grundlegend. Ob diese Werte wirklich verankert sind, zeigt sich meist deutlicher in Krisenzeiten als in Phasen des Erfolgs. Bei Mondi sind unsere Werte tief verwurzelt. Einerseits gibt es die niedergeschriebenen Werte, andererseits gelebte Werte wie Bescheidenheit, Neugier und Transparenz, die unser Unternehmen seit Jahrzehnten auszeichnen. Diese Werte haben sich gerade in schwierigen Zeiten wie der Corona-Pandemie, der Energiekrise oder der Krise mit Russland als tragfähig erwiesen. Dank dieser festen Wertebasis sind wir stark und stabil durch diese Herausforderungen gekommen.
Was macht ein Unternehmen zukunftsfähig?
Ott: Zukunftsfähigkeit bedeutet vor allem, neugierig zu bleiben. Unternehmen müssen stets auf den Zehen stehen und beobachten, was in ihrer Branche und darüber hinaus passiert. Gleichzeitig braucht es die Flexibilität, neue Dinge auszuprobieren und sich rasch an Veränderungen anzupassen. In der heutigen Zeit ändern sich die Gegebenheiten so schnell, dass selbst ein robustes Unternehmen wie ein großer Tanker auf dem falschen Kurs landen kann, wenn es nicht agil bleibt. Es ist entscheidend, eine Grund-Agilität zu bewahren und den Mitarbeitern – und wir haben 22.000 davon – die Möglichkeit zu geben, das Unternehmen aktiv zu unterstützen. Sie können helfen, den Kurs zu halten, anzupassen oder gar neu auszurichten. Gefährlich wird es, wenn ein Unternehmen sich auf den Lorbeeren vergangener Erfolge ausruht und glaubt, dass es automatisch so weitergeht. Die Veränderungen sind viel zu vielfältig und dynamisch. Ein konkretes Beispiel: Wir sind stark im Bereich E-Commerce-Verpackungen engagiert. Vor drei oder vier Jahren erhielt man von Amazon oft noch eine Box oder einen Plastikbeutel. Das gibt es heute kaum noch. Amazon hat beschlossen, Verpackungen zu reduzieren und flexiblere Papierverpackungen einzuführen. Gleichzeitig denken sie schon weiter und fokussieren sich auf Automatisierung. Der E-Commerce-Markt wächst weltweit immer noch zweistellig, doch das Verpackungsspektrum hat sich in nur zehn Jahren grundlegend verändert. Wer hier nicht schnell handelt und kontinuierlich mit Partnern neue Lösungen entwickelt, riskiert, innerhalb von zwei Jahren seinen gesamten Markt zu verlieren.

Unternehmen müssen stets auf den Zehen stehen und beobachten, was in ihrer Branche und darüber hinaus passiert.


Zur Person

Thomas Ott ist geborener Wiener, begann seine Karriere 1992 bei Deloitte und wechselte 1995 zur Mondi Group. Nach einer ersten Station im Finanz-Controlling übernahm er in den folgenden Jahren leitende Positionen in unterschiedlichen Business-Segmenten. Nach einer kurzen Station beim Verpackungshersteller Amcor in der Schweiz kehrte Ott 2021 zu Mondi zurück. Im Jänner 2022 wurde er zum CEO des Geschäftsbereichs Flexible Verpackungen ernannt.

Zum Unternehmen

Blick über Wien: Mondi-Zentrale

Der internationale Verpackungs- und Papierkonzern Mondi stammt ursprünglich aus Südafrika. In den 1990er Jahren kaufte die Mondi Group zahlreiche Unternehmen in Europa, darunter die heimische Frantschach AG und Neusiedler AG. Heute beschäftigt die Mondi Group weltweit 22.000 Mitarbeiter, die Hauptsitze befinden sich im englischen Weybridge sowie in Wien. Der Umsatz betrug im Vorjahr 7,33 Mrd. Euro. Davon machte der Bereich Flexible Packaging, dessen 12.000 Mitarbeitern Thomas Ott als CEO vorsteht, rund 4 Mrd. Euro aus. In Österreich betreibt Mondi acht Produktionsstandorte mit rund 2.500 Mitarbeitern.

Fotos: Stefan Karisch, Mondi