Das Gespräch führte Bernhard Weber.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung der Weltwirtschaft?
BüttnerEs ist mittlerweile kaum möglich, von einer einheitlichen globalen Marktentwicklung zu sprechen. Vielmehr muss man die Entwicklungen regional betrachten. Europa steht derzeit wirtschaftlich ganz anders da als die USA, und Asien folgt wiederum eigenen Dynamiken. Zudem variieren die Entwicklungen stark zwischen verschiedenen Industrien. Es geht also weniger um einen einheitlichen globalen Markt, sondern vielmehr um eine stärker fragmentierte, regionale Entwicklung. Unternehmen müssen global aufgestellt sein, sich aber intensiv mit den lokalen Marktgegebenheiten auseinandersetzen. Was wir aktuell erleben, ist eine Zeit enormer wirtschaftlicher Umbrüche und Unberechenbarkeit. Politische Entscheidungen haben oft unmittelbare Auswirkungen auf die Märkte. Insgesamt bewegen wir uns in einem Marktumfeld, das weniger vorhersehbar ist als je zuvor.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Wirtschaftslage in Österreich?
BüttnerÖsterreich steht wirtschaftlich vor großen Herausforderungen. Zwei Faktoren spielen dabei eine zentrale Rolle. Erstens die massiv gestiegenen Energiepreise, die insbesondere für die Industrie eine enorme Belastung darstellen und unsere Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten erheblich verschlechtern. Zweitens ist die hohe Inflation der vergangenen Jahre ein großes Problem. Vergleicht man die Lohnniveaus mit osteuropäischen Ländern, liegen wir um ein Vielfaches darüber. Die Inflation verstärkt diesen Kostennachteil zusätzlich und vergrößert die Schere zu anderen Standorten. Das bedeutet, dass Österreich sich noch stärker über Differenzierung behaupten muss. Die Frage ist: Können wir unseren Kunden einen Mehrwert bieten, den andere nicht liefern? Denn die Konkurrenz schläft nicht. Daher wird es in Zukunft noch entscheidender sein, auf hochqualifizierte Fachkräfte, Innovation und technologische Fortschritte zu setzen. Nur so lassen sich die höheren Kosten rechtfertigen und kann der Standort Österreich langfristig wettbewerbsfähig bleiben. 
Agrana hat Ende 2024 eine neue Strategie präsentiert – steht das Unternehmen vor einer großen Transformation?
Büttner: Die neue Strategie ist tatsächlich ein bedeutender Schritt. In den vergangenen 20 Jahren hat sich unser Geschäftsmodell stabil entwickelt, der Fokus lag darauf, das bestehende Geschäft weiterzuentwickeln. Nun vollziehen wir aber eine zentrale Veränderung: Wir verabschieden uns von der bisherigen, stark divisionalen Organisation und setzen stattdessen auf strategische Geschäftsbereiche. Einerseits sind wir stark in der Rohstoffverarbeitung tätig – etwa im Stärkegeschäft oder in der Zuckerproduktion, wo wir landwirtschaftliche Rohstoffe wie Zuckerrüben, Mais, Weizen, Kartoffeln oder Äpfel zu Produkten wie Zucker, native Stärke oder Apfelsaftkonzentrat verarbeiten. Andererseits haben wir Geschäftsbereiche mit höherer Veredelungstiefe, etwa die Fruchtzubereitungen. Dort kombinieren wir verschiedene Zutaten – von Frucht über Stabilisatoren bis hin zu Aromen oder Schokoladekomponenten – und entwickeln maßgeschneiderte Rezepturen für unsere Kunden. Diese unterschiedlichen Geschäftsfelder erfordern verschiedene Kompetenzen und Stärken.
Welche drei Begriffe verbinden Sie mit Globalisierung?
Büttner: Wettbewerb – Innovation – Wohlstand. Die Globalisierung hat der westlichen Welt und auch Österreich enorme wirtschaftliche Vorteile gebracht. Sie war ein entscheidender Faktor für Wachstum und Wohlstand. Um diesen weiterhin zu sichern und auszubauen, bleibt eine starke und geeinte europäische Wirtschaft essenziell. Gleichzeitig zeigt sich, dass strategische Abhängigkeiten – etwa in Lieferketten oder bei Rohstoffen – gezielt reduziert werden müssen, um langfristige Stabilität und Resilienz zu gewährleisten.
Wo liegen die Wachstumsmärkte der Agrana, und wie lässt sich nachhaltiges Wachstum realisieren?
Büttner: Wir sehen großes Potenzial im Bereich „Food & Beverage Solutions“, der höhermargige Produkte umfasst und weltweit stark wächst. Unsere neue Strategie setzt auf Effizienzsteigerungen, nachhaltige Investitionen und eine gezielte Fokussierung auf margenstarke Segmente. Wachstum und Nachhaltigkeit gehen dabei Hand in Hand: Durch Kreislaufwirtschaft, Prozessoptimierung und den gezielten Einsatz nachhaltiger Technologien sichern wir langfristigen ökonomischen Erfolg und ökologische Verantwortung. Die Lebensmittelproduktion ist ein Schlüsselsektor für eine nachhaltige Entwicklung. Unsere Strategie beinhaltet gezielte Investitionen in nachhaltige Technologien und Lieferketten. Der Klimawandel ist dabei eine zentrale Herausforderung, die langfristig unsere Beschaffung beeinflusst. Für Agrana bedeutet das, noch stärker auf klimaresiliente Rohstoffbeschaffung zu setzen. Wir sehen den Wandel als Chance: Unternehmen, die frühzeitig auf nachhaltige Lösungen setzen, werden langfristig erfolgreicher sein.
Entwickelt sich die Lebensmittelindustrie in Richtung Nachhaltigkeit?
Büttner: Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema in der Lebensmittel- und Nährstoffindustrie. Konsumenten fordern mehr Transparenz, der Gesetzgeber verschärft die Regulierungen, und Unternehmen stehen unter wachsendem Druck, klimafreundlich und ressourcenschonend zu agieren. Besonders herausfordernd ist es, nachhaltige Innovationen aus Nischenmärkten in die Breite zu tragen und wirtschaftlich tragfähig zu machen. Dabei stellt sich die Frage: Wer trägt die Kosten für ein nachhaltigeres Ernährungssystem? Landwirtschaft, Industrie, Handel oder Konsumenten? Diese Frage ist noch ungelöst und erfordert eine engere Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die sozialen und ökologischen Komponenten in der Lieferkette werden in Zukunft eine noch größere Rolle spielen – Agrana ist hier durch unser langjähriges Engagement in der Sustainable Agriculture Initiative bereits gut aufgestellt und hat Maßnahmen wie detaillierte Risikoanalysen, Compliance-Management und die Anpassung von Überwachungssystemen umgesetzt. Besonders in Hochrisikoländern werden wir auf strikte Kontrollen und gezielte Lieferantenauswahl setzen.
 

Die Frage ist: Können wir unseren Kunden einen Mehrwert bieten, den andere nicht liefern?

Wie sehen Sie Afrika als Markt?
Büttner: Afrika ist für uns in zweifacher Hinsicht ein hochinteressanter Markt. Einerseits auf der Kundenseite: Der Kontinent ist sehr bevölkerungsreich, wobei die Kaufkraft in vielen Regionen noch begrenzt ist. Dennoch entwickelt sich der Markt kontinuierlich weiter, und wir sehen langfristig großes Potenzial. Wir sind bereits in mehreren afrikanischen Ländern aktiv, wir betreiben Werke in Ägypten, Algerien, Marokko und Südafrika, um dort auch die lokalen Märkte zu bedienen. Andererseits spielt Afrika eine entscheidende Rolle in unserer Rohstoffbeschaffung. Wir beziehen dort Früchte wie Mango, Ananas oder Erdbeeren und fördern die landwirtschaftliche Entwicklung durch langfristige Abnahmeverträge mit lokalen Produzenten. Das Potenzial Afrikas ist enorm – es wird sich aber nur schrittweise entfalten.
Welche Erfahrungen hat Agrana mit der Entwicklungszuammenarbeit gemacht?
Büttner: Die Kooperation mit NGOs und staatlichen Akteuren in Emerging Markets ist ein wichtiger Bestandteil unserer Strategie zur nachhaltigen Entwicklung. Durch die enge Zusammenarbeit mit lokalen Partnern lassen sich Projekte umsetzen, die sowohl wirtschaftlichen Erfolg als auch soziale Stabilität fördern. Unsere Erfahrung, insbesondere in Mexiko, zeigt, dass erfolgreiche Kooperationen eine tiefgehende Berücksichtigung kultureller und regionaler Besonderheiten erfordern. Die Integration dieser Akteure in die Unternehmensstrategie trägt aber letztlich dazu bei, resiliente Wertschöpfungsketten zu schaffen und langfristige Marktchancen zu nutzen.
Welche Rolle spielen Werte, und wie stellt Agrana sicher, dass diese Werte im Alltag verankert sind?
Büttner: Werte spielen eine zentrale Rolle. Ein gut definierter Wertekatalog dient nicht nur als Leitlinie für Entscheidungen, sondern auch als Fundament der Unternehmenskultur. Entscheidend ist, dass diese Werte nicht nur auf dem Papier existieren, sondern aktiv vorgelebt und konsequent umgesetzt werden. Nur wenn Werte authentisch gelebt werden, entsteht eine starke Unternehmenskultur, die den gemeinsamen Erfolg und die Zukunftsgestaltung ermöglicht. Ohne ein solches Wertefundament wird es aus meiner Sicht schwierig, ein Unternehmen nachhaltig und erfolgreich zu führen.
Sie tragen Verantwortung für mehrere tausend Mitarbeiter. Wie lernt man, mit einer so großen Verantwortung umzugehen?
Büttner: Das ist eine spannende Frage. Tatsächlich wächst man in diese Verantwortung hinein – sie entsteht nicht von heute auf morgen. Letztlich macht es für mich keinen großen Unterschied, ob man für fünf oder für 9.000 Menschen Verantwortung trägt. Das Prinzip bleibt dasselbe: Man übernimmt Verantwortung dafür, dass das Unternehmen erfolgreich ist – denn davon hängen Existenzen ab. Die Gehälter, die wir auszahlen, ermöglichen unseren Mitarbeitern und deren Familien ein gutes Leben. Das bedeutet auch, dass wir das Unternehmen kontinuierlich weiterentwickeln müssen, um langfristige Sicherheit und Perspektiven zu schaffen. Verantwortung zu tragen, heißt aber auch, schwierige Entscheidungen zu treffen. Manchmal muss man Maßnahmen ergreifen, die für einzelne Personen hart sind, um das Wohl des gesamten Unternehmens und seiner Belegschaft langfristig zu sichern. Es sind drei Dinge, die eine gute Führungskraft ausmachen: Selbstreflexion – die Fähigkeit, sich selbst und seine Entscheidungen immer wieder kritisch zu hinterfragen. Disziplin – die Bereitschaft, konsequent zu handeln, auch wenn es unangenehm ist. Und drittens, und für mich am wichtigsten: emotionale Intelligenz. Wer führen will, muss Menschen verstehen und sie mitnehmen können.

Besonders herausfordernd ist es, nachhaltige Innovationen aus Nischenmärkten in die Breite zu tragen und wirtschaftlich tragfähig zu machen.

Was treibt Sie persönlich an?
Büttner: Ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, woher mein innerer Antrieb kommt. Es macht mir Spaß, mich mit Themen auseinanderzusetzen, mich mit Menschen auszutauschen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Geld war für mich nie der Hauptantrieb, viel mehr treibt mich das unternehmerische Denken an – die Freude daran, etwas zu gestalten, zu entwickeln und gemeinsam mit anderen etwas zu bewegen. Eine „Ich-AG“ wäre nichts für mich. 
Was macht ein Unternehmen zukunftsfähig? 
Büttner: Ein zukunftsfähiges Unternehmen braucht eine DNA, die von Fortschritt und Leistungsbereitschaft geprägt ist. Die Mitarbeiter müssen den inneren Antrieb haben, erfolgreich zu sein, sich weiterzuentwickeln und über das Bestehende hinauszuwachsen. Wir erleben das gerade in der Praxis. Unsere neue Konzernstrategie begann als Konzept auf dem Flipchart, wurde nach und nach mit Inhalten gefüllt und schließlich in konkrete Maßnahmen und Organisationsstrukturen übersetzt. Der entscheidende Faktor für den Erfolg ist, dass die richtigen Menschen an den richtigen Stellen arbeiten und das System reibungslos ineinandergreift. Ich merke inzwischen deutlich, dass unsere Strategie an Fahrt gewinnt. Wir sind in einer Phase, in der alles beginnt, sich zu beschleunigen – und das ist der Moment, in dem sich zeigt, ob ein Unternehmen wirklich auf dem richtigen Weg ist. 
 

Ein zukunftsfähiges Unternehmen braucht eine DNA, die von Fortschritt und Leistungsbereitschaft geprägt ist.


Zur Person

Thomas Ott ist geborener Wiener, begann seine Karriere 1992 bei Deloitte und wechselte 1995 zur Mondi Group. Nach einer ersten Station im Finanz-Controlling übernahm er in den folgenden Jahren leitende Positionen in unterschiedlichen Business-Segmenten. Nach einer kurzen Station beim Verpackungshersteller Amcor in der Schweiz kehrte Ott 2021 zu Mondi zurück. Im Jänner 2022 wurde er zum CEO des Geschäftsbereichs Flexible Verpackungen ernannt.

Zum Unternehmen

AGRANA-Zuckerfabrik in Tulln

Der international tätige Zucker-, Stärke- und Fruchtkonzern Agrana wurde 1988 durch die Fusion mehrerer heimischer Zucker- und Stärkeproduzenten gegründet. Heute ist Agrana in mehr als 25 Ländern aktiv und beschäftigt weltweit rund 9.000 Mitarbeiter. Der Konzern hat seinen Hauptsitz in Wien und gehört mehrheitlich zur Raiffeisen-Holding Niederösterreich-Wien. Im vergangenen Geschäftsjahr erzielte Agrana einen Umsatz von 3,6 Mrd. Euro. In Österreich betreibt Agrana mehrere Produktionsstandorte, darunter eine Zuckerfabrik in Tulln sowie Stärke- und Bioethanolwerke in Pischelsdorf und Aschach.

Fotos: Stefan Karisch, Amundi