
Das Gespräch führte Bernhard Weber
Was bedeutet Wachstum für Sie?
Welche Perspektiven sehen Sie in Emerging Markets?
Junghans: In solche Märkte kann man nur mit einer langfristigen Perspektive gehen. Wir orientieren uns daher an Makroindikatoren. In Lateinamerika sind das etwa das starke Bevölkerungswachstum, die nach wie vor niedrige Quote an Haushalten mit geregelter Abwasserentsorgung und das große Potenzial in der Trinkwasserversorgung. Kurzfristige Turbulenzen darf man dabei nicht überbewerten. Freilich haben aber Handelskonflikte wie die von der Trump-Regierung eingeführten Zölle in Lateinamerika starke Auswirkungen. Diese Märkte sind stark dollarisiert, politische Entscheidungen haben sofort spürbare Effekte. In Mexiko wurden zum Beispiel viele Bau- und Infrastrukturprojekte aufgrund der jüngsten Entwicklungen verschoben.
Und wie blicken Sie auf Afrika?
Junghans: Afrika ist ein gutes Beispiel für unsere Unternehmensphilosophie „think global, act local“. Wir haben vor kurzem in Marokko eine Produktionsstätte übernommen. Vor der Entscheidung haben wir uns den Standort sehr genau angesehen. Wir haben in Casablanca seither einen zweistelligen Millionenbetrag investiert, um die Kapazitäten auszubauen. Mit der Entwicklung sind wir sehr zufrieden: Wir konnten uns im Umfeld gut etablieren, und unser Werkstoff GFK wird in lokalen Ausschreibungen sehr gut angenommen. Gerade in Ländern mit hohen Temperaturen ist Korrosion ein zentrales Problem. GFK bietet hier eine langfristige Lösung, die sich hervorragend vermarkten lässt – besonders, wenn man lokale Produktion und lokales Management kombiniert. Subsahara-Afrika ist für uns insgesamt eine Region mit großem Wachstumspotenzial. Wir beobachten seit einiger Zeit Namibia und prüfen auch Projektkonstellationen in Simbabwe und Botswana. Dort gibt es einen hohen Bedarf an Bewässerungs- und Trinkwasserprojekten. Uns ist wichtig, nicht nur kurzfristig ein Projekt zu realisieren, sondern Rahmenbedingungen zu entwickeln, die ein langfristiges Investment tragen. Entscheidend sind gut ausgebildete lokale Arbeitskräfte, die die Qualität der lokalen Produktion sicherstellen können.
Wenn man das Streben nach Neuem verliert,
bleibt irgendwann nur noch die Gier.
M. Junghans

Nach welchen Kriterien wählen Sie neue Märkte aus?
Junghans: Entscheidend sind politische Stabilität, Währungsrisiken und Compliance. In manchen Regionen Afrikas können wir mit unserem europäischen Wertesystem deshalb nicht so einfach Fuß fassen wie türkische oder chinesische Mitbewerber. Rohre sind aber insgesamt ein sehr großer Markt. Segmentiert man nach Materialien, liegt der globale Marktanteil von GFK-Rohren bei etwa sechs bis sieben Prozent, davon entfallen rund 75 Prozent auf unsere Gruppe und ihre Lizenzpartner. Für uns entscheidend ist, dass wir in einem Wachstumsmarkt aktiv sind: GFK hat gegenüber anderen Materialien eine sehr gute CO₂-Bilanz, und wir sehen hier auch für die kommenden Jahre eine starke Marktdynamik
Wo sehen Sie Überschneidungen mit den globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG) und wo gibt es Zielkonflikte?
Junghans: Unsere Aufgabe ist es mitzuhelfen, die Trinkwasserversorgung zu sichern und gleichzeitig über moderne Kanalisation Lebensqualität zu schaffen. Besonders relevant sind für uns daher SDG 6, 9 und 13, also sauberes Wasser und sanitäre Versorgung, Klimaschutz sowie Industrie, Innovation und Infrastruktur. Zielkonflikte gibt es natürlich. Wir sind in der energieintensiven Zementindustrie tätig, und hier besteht zwangsläufig ein Spannungsfeld zwischen Produktionsprozessen und Klimazielen. In Europa hat sich hier in den vergangenen Jahren ein enormes Momentum entwickelt. Gleichzeitig sind die Zielsetzungen teilweise so ehrgeizig geworden, dass sie international kaum mehr umsetzbar sind. Das ist bedauerlich, denn nun droht eine Gegenbewegung. Für Unternehmen der prozessintensiven Industrie wird es dadurch schwieriger, Innovationsprozesse realistisch an den Geschäftsstrategien auszurichten.
Sie haben sich das Ziel gesetzt, bis 2035 CO₂-neutral zu sein.
Junghans: Ja, aber das kann nur gelingen, wenn Politik und Industrie gemeinsam handeln. Wir brauchen die notwendige Infrastruktur – CO₂- und Wasserstoffnetze –, damit prozessintensive Industrien wie die unsere vollständig dekarbonisieren können. Heute gehören wir bereits zu den führenden Unternehmen in der klinkerarmen Produktion und senken unsere Emissionen auf bis zu 500 Kilogramm CO₂ pro Tonne – ohne Carbon Capture.
Was macht die Innovationskraft Ihres Unternehmens aus?
Junghans: Es gibt eine klare Innovationsstrategie. Wir analysieren externe Trends, gleichen sie mit unseren internen Fähigkeiten ab und nutzen bewährte Lehrbuchansätze als Orientierung. Innovation lebt aber davon, dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter die Freiräume nutzt, die wir bewusst schaffen. Ein Beispiel ist der Einsatz von Holz statt Braunkohle im Kalkbrennprozess. Heute betreiben wir unsere Kalköfen zu mehr als 80 Prozent mit Holzstaub – und technisch sind wir in der Lage, 100 Prozent zu erreichen. Das sind Innovationen, die mich persönlich sehr begeistern.
Wie sehen Sie die Rolle von Unternehmen für globale Entwicklung?
Junghans: Ich sehe Unternehmen klar als Teil der Lösung. Viele der Herausforderungen sind lösbar. Wichtig ist, dass Unternehmen Freiräume behalten, um Lösungen zu entwickeln – bei gleichzeitig klaren, wertebasierten Spielregeln. Heute haben wir so viele Regelwerke, Gesetze und Normen, dass sie Prozesse oft eher verlangsamen. Die Umweltverträglichkeitsprüfung für eines unserer Werke hat 20 Jahre gedauert – wir müssen diskutieren, wie viel Individualrecht wir zugunsten von Zielen wie der grünen Transformation bereit sind, zurückzustellen.
Welche Megatrends prägen Ihr Geschäftsumfeld?
Junghans: Wasserknappheit ist eines der zentralen Themen. Wir müssen Wasser speichern und über große Distanzen transportieren können. Auch die Verfügbarkeit von Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen ist entscheidend, sonst wandert die energieintensive Industrie aus Europa ab. Ein weiterer Trend ist die Digitalisierung, die sich inzwischen in Richtung künstliche Intelligenz weiterentwickelt. Das wird das Miteinander in der Gesellschaft massiv verändern. Und schließlich müssen wir uns mit den Folgen der Klimamigration auseinandersetzen. Sie wird gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen, auf die wir Antworten finden müssen.
Hat sich durch Ihre Kontakte zu Emerging Markets Ihr Verständnis von Verantwortung verändert?
Junghans: Nein, weil mich internationale Märkte schon sehr früh fasziniert haben. Ich bin bereits mit 14 Jahren ins Ausland gegangen, mit 16 das erste Mal in die USA und mit 18 nach Südamerika. Diese internationale Neugier hat mich mein ganzes Leben geprägt. Bis heute empfinde ich es als sehr erfüllend und inspirierend, mit Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenzuarbeiten.
Was treibt Sie persönlich an?
Junghans: Ich möchte das, was ich übernommen habe, in einem besseren Zustand an die nächste Generation übergeben. Dazu kommt eine Neugierde, die ich mir mein Leben lang bewahrt habe. Ich könnte sagen: „Künstliche Intelligenz geht mich nichts mehr an.“ Dabei finde ich es spannend, diese Technologien nutzbar zu machen. Für mich ist es wichtig, immer wieder ein „intellectual renewal“ zu betreiben. Das versuche ich auch Talenten mitzugeben: Denn wenn man das Streben nach Neuem verliert, bleibt irgendwann nur noch die Gier.
Vielen Dank für das Gespräch!
Fotos: Bernhard Weber (2), WIG Wietersdorfer Holding GmbH
Das Unternehmen
Global präsent mit Baustoffen und Rohrsystemen
Die WIG Wietersdorfer Holding GmbH mit Sitz in Klagenfurt ist ein österreichischer Mischkonzern der Baustoff- und Rohrbranche und seit ihrer Gründung im Jahr 1893 durch Philipp und Gottlieb Knoch vollständig in Familienbesitz. Der Konzern ist in fünf Geschäftsfeldern tätig: Zement und Beton, Kalk, Industriemineralien, glasfaserverstärkte Kunststoff-Rohrsysteme (GFK-Rohre) und thermoplastische Rohrsysteme. Der Konzern mit weltweit 3.670 Mitarbeitern ist hochgradig international aufgestellt: Mit 120 Produktions- und Vertriebsstandorten in 30 Ländern operiert die Gruppe global, wobei ihre Produkte in 80 Ländern vertrieben werden.
