Dionisi Nikolov (l.) und Christof Miska leiten als Direktoren das Kompetenzzentrum für Emerging Markets & Mittel- und Osteuropa an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Welche Themen werden im Rahmen Ihrer Forschung und Lehre zu Emerging Markets behandelt?
Nikolov: Unser Fokus war lange Zeit der Bereich Internationalisierung, also der Markteintritt in Schwellen- und Entwicklungsländern. Aber in den vergangenen Jahren haben wir viele weitere Themen aus Forschung und Lehre integriert, die die Internationalisierung komplementieren und uns einen holistischen Blick auf Emerging Economies ermöglichen. Darunter fallen Digitalisierung, wirtschaftsrechtliche Aspekte, Nachhaltigkeitserwägungen und Supply-Chain-Management.
Wie tragen Sie mit Ihrer Arbeit zur Unterstützung von Unternehmen in Emerging Markets bei?
Miska: Standardfragen wie „Wie baue ich dort mein Unternehmen auf? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten?“ sind gut durch die Außenwirtschaft Austria, mit der wir auch zusammenarbeiten, abgedeckt. Aber es gibt immer wieder Fragen, die darüber hinausgehen und auf die wir evidenzbasierte Antworten geben können: Welche Rolle spiele ich in der dortigen Gesellschaft langfristig? Wie sichere ich meine License to operate? Wir haben diese breite, interdisziplinäre Perspektive und sehen dadurch Zusammenhänge, die sich auf den ersten Blick nicht unbedingt aufdrängen.
Dabei liegt Ihr regionaler Schwerpunkt nach wie vor auf Osteuropa?
Nikolov: Mittel- und Osteuropa sind quasi unsere Heimat. Bereits seit rund 30 Jahren bieten wir unsere Master Class CEE an – ein praxisorientiertes Programm für Masterstudierende, die in einen intensiven Austausch mit Unternehmen treten, mit denen wir kooperieren und die auf diesen Märkten tätig sind. Etwa mit Henkel, Mondi oder der Erste Bank. Dazu kommen Exkursionen, die tiefe Einblicke in die dortigen Märkte bieten. Mittlerweile hat sich unser Fokus aber deutlich ausgeweitet. Afrika ist unglaublich dynamisch, vor allem im Bereich Entrepreneurship und Innovation, und bietet viele Chancen – sowohl für Unternehmen als auch für die Forschung. So entwickeln wir gerade eine Masterclass Afrika, mit der wir in einem Jahr an den Start gehen möchten.
Wie kommen Sie an die nötige Expertise für eine fundierte ökonomische Lehre über Afrika?
Nikolov: Expertise ist durchaus da: Es gibt an der WU viele Kolleginnen und Kollegen aus der Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Kommunikationswissenschaft, Sozio- ökonomie und Recht, die sich intensiv mit Afrika oder einzelnen Regionen des Kontinents beschäftigt haben. Zudem sind wir gut vernetzt mit afrikanischen Partneruniversitäten. Woran es eher noch mangelt, ist hierzulande das übergeordnete Bewusstsein dafür, warum Afrika wichtig ist, wenn es um globale Wettbewerbsfähigkeit geht. Da hinken wir in Österreich, letztlich aber auch in ganz Europa anderen nach – Stichwort China in Afrika. Die Finanzierung der neuen Masterclass Afrika ist noch ungeklärt. Wir sind auf der Suche nach Unternehmen, die sich beteiligen möchten.
Wir haben diese breite Perspektive und sehen auch Zusammenhänge, die sich auf den ersten Blick nicht aufdrängen.
C.Miska
Was haben Unternehmen davon?
Nikolov: Einen direkten Zugang zu einer hochqualifizierten Gruppe an WU-Studierenden und Alumni mit einschlägigem Interesse an der Region Afrika. Talententwicklung und Employer Branding. Und sie gewinnen einen fundierten Einblick in die Märkte, in denen sie zwar bereits aktiv sind, vermutlich aber nicht wissenschaftlich begleitet werden.
Ein Forschungsschwerpunkt von Ihnen selbst ist Corporate Social Responsibility. Wie hat sich der Blick auf CSR in Emerging Markets in den vergangenen Jahren entwickelt?
Miska: Der Begriff CSR wird heute kaum mehr verwendet. Viele sprechen nur noch von ESG (Environmental, Social, Governance). Dabei geht es vor allem um Aspekte, die früher unter Compliance gelaufen wären. Das liegt vor allem auch daran, dass bei ESG der Investmentdrang aktuell stark ist und viele Unternehmen und Ratingagenturen sich danach ausrichten.
Es geht also eher um politisch vorgegebene Verantwortung als um freiwillige?
Miska: Es hängt davon ab, wo man sich befindet. In Europa haben wir so viele Regeln und Verordnungen, dass für viele Unternehmen Compliance schon als unternehmerische Verantwortung verstanden wird. In Schwellen- und Entwicklungsländern sieht es oft anders aus: Wenn die soziale Versorgung schlecht ist, spielt eine explizite unternehmerische Verantwortung eine größere Rolle. Ich habe unternehmerische Verantwortung in China sowie Indien untersucht. Und jeweils bringt einem ein übergeordneter CSR-Begriff wenig, sondern es gibt stets spezifische lokale Aspekte, die unternehmerische Verantwortung ausmachen. So ist es in Indien üblich, dass sich Unternehmen um die Bildung und Gesundheit der lokalen Community kümmern, also ihre Verantwortung sehr stark im lokalen sozialen Bereich verorten. In China heißt unternehmerische Verantwortung häufig, dass man zum Aufstieg Chinas beiträgt, im Sinne des Konzeptes einer harmonischen Gesellschaft.
Aus Brüssel kommen immer mehr Richtlinien, von CSDDD bis zur EUDR. Viele heimische Unternehmen stöhnen unter den Vorgaben, und auch der Nutzen für Partner in Entwicklungsländern ist häufig fraglich. Bewegen wir uns also in eine falsche Richtung?
Miska: Leider wird Nachhaltigkeit, wie gesagt, verstärkt zum Compliance-Thema. Man schaut sich an, was es zu reporten gilt, statt proaktiv und systemisch das darin steckende strategische Potenzial zu heben. Denn Führungskräfte sollten Nachhaltigkeit als Frage der Wettbewerbsfähigkeit begreifen, innovativ an die Sache herangehen und Geschäftsmodelle anpassen, sonst ergeht es ihnen wie der deutschen Automobilindustrie, die das zuletzt verpasst hat. Die konkreten EU-Richtlinien halte ich dabei nicht per se für problematisch, sondern die Bürokratie dahinter. Diese extreme Detailgenauigkeit und Unklarheiten bei der Umsetzung. Das heißt, die Regulatorik an sich ist durchaus gut, auch viele Unternehmen fordern ja ein internationales Level Playing Field. In der Umsetzung wird es aber vor allem für kleinere und mittelständische Unternehmen oftmals schwierig. Das gilt auch für die Partner in Entwicklungsländern: Im besten Fall kann es zu einer neuen Qualität von Zusammenarbeit und Empowerment kommen. Das Negativszenario ist, dass kleine Unternehmen in Emerging Markets aus dem Markt gedrängt werden, weil sie es nicht schaffen, die Anforderungen zu erfüllen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Kompetenzzentrum
Knowledge-Hub
Die WU Wien zählt zu den führenden Wirtschaftsuniversitäten Europas. Sieben Kompetenzzentren bündeln Forschungs- und Lehraktivitäten in ihren jeweiligen Themenbereichen. 2007 wurde das Competence Center for Emerging Markets and Central & Eastern Europe gegründet. Im Jahr 2017 erfolgte eine Erweiterung des Osteuropa-Fokus auf Emerging Markets in Afrika, Lateinamerika und Asien. Ziel ist es, Studierende und Unternehmen mithilfe interdisziplinärer Perspektiven mit Wissen und Netzwerken auszustatten, um ihre Chancen in neuen Märkten erfolgreich zu nutzen – und vor Ort zu Win-Win-Situationen beizutragen. Dazu wird mit diversen Partneruniversitäten in Entwicklungsländern zusammengearbeitet.