Donnerstag und Sonntag sind die großen Markttage im bolivianischen El Alto: Das Angebot reicht von Schuhen, Türen und Elektronik bis zu Eseln und Kokablättern. Ein Erlebnis für jeden Besucher – wenn man es erst einmal in die 400 Meter über La Paz gelegene Stadt geschafft hat, schließlich ist die sich in Serpentinen hochwindende Straße meist von ächzenden Kleinbussen verstopft, Straßenblockaden sind zudem ein beliebtes politisches Protestmittel in Bolivien. Dank des Vorarlberger Seilbahnbauers Doppelmayr lassen sich diese Probleme aber mittlerweile leicht umgehen beziehungsweise umfliegen.

Reinhard Fitz, Doppelmayr
Reinhard Fitz, Doppelmayr

Am 28. September eröffnete die achte Seilbahnlinie im größten bolivianischen Ballungsraum, die „Línea Morada“ verbindet die beiden Zentren von La Paz und El Alto, „von Herz zu Herz“ lautet ihr Slogan. 45 Minuten Zeitersparnis inklusive Panoramablick über das Marktgeschehen bis hinauf zu den schneebedeckten Gipfeln der Anden. Die Seilbahnen punkten mit Verlässlichkeit, Sicherheit – und geschonten Nerven: „Erhebungen haben ergeben, dass Pendler jährlich bis zu 17 Tage Reisezeit einsparen, wenn sie mit der Seilbahn zur Arbeit fahren“, sagt Reinhard Fitz, Leiter der internationalen Geschäftsentwicklung von Doppelmayr. Bis 2019 werden in La Paz und El Alto noch zwei weitere Linien hinzukommen und das weltweit größte urbane Seilbahnnetz bilden.

Als nächstes richtet sich dann der Blick von der Firmenzentrale in Wolfurt aus in Richtung Afrika. Im kenianischen Mombasa ist die erste städtische Gondelbahn Subsahara-Afrikas in Vorbereitung, die nigerianische Boom-Metropole Lagos könnte als Seilbahnstandort folgen.

Reinhard Fitz ist überzeugt, dass Seilbahnen auch in den afrikanischen Städten Entwicklung vorantreiben – vorher müssen jedoch noch einige Skeptiker überzeugt werden: „Wie zu Beginn in Südamerika, geht es in Afrika im ersten Schritt um Awareness-Building: Was können Seilbahnen angesichts der dringlichen Mobilitätsanforderungen in großen Städten beitragen? Dem einen oder anderen Initialprojekt werden dann sicherlich weitere urbane Seilbahnen folgen.“ Genauer ausführen wird Fitz diese Visionen bei seiner Keynote auf der corporAID Konferenz, die unter dem Titel „Urban Development Markets“ am 6. November in Wien stattfindet.

Rasante Urbanisierung

Vor gut hundert Jahren war der Konferenzort Wien die siebentgrößte Stadt der Welt. Mehr als zwei Mio. Einwohner hatte die Hauptstadt damals, ein Wert, der um 2030 wieder erreicht werden dürfte, doch von den Top Ten der größten Städte ist man dann weit entfernt. Laut den Vereinten Nationen überschreiten bereits mehr als 230 Städte weltweit diese Marke, Tendenz deutlich steigend. Im Jahr 2050 werden mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Und das gar nicht vorrangig in Megacities, die in den Himmel schießen, schließlich lebt fast die Hälfte der urbanen Bevölkerung in kleineren Städten mit weniger als einer halben Million Einwohner. Und genau diese Städte wachsen am schnellsten, vor allem in Asien und Afrika.

Während Wien bis heute von den damaligen Infrastrukturbauten wie den Wasserleitungen und Stadtbahntrassen profitiert, liegen genau hier die großen Herausforderungen für die rasant wachsenden Städte in Schwellen- und Entwicklungsländern – und die Geschäftsmöglichkeiten auch für österreichische Unternehmen. Bereits jetzt generieren Städte rund 70 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts. Und der wirtschaftliche Aufschwung der Schwellenländer konzentriert sich stark auf deren urbane Zentren. Ebenso aber auch die Problemlagen wie schlecht ausgebildete Nahverkehrssysteme, mangelhaftes Müllmanagement, unzuverlässige Stromversorgungen und Luftverschmutzung.

Milliardenlücke Um die SDG zu erreichen, braucht es deutlich mehr Investitionen als der aktuelle Trend für 2030 voraussagt.
Milliardenlücke: Um die SDG zu erreichen, braucht es deutlich mehr Investitionen als der aktuelle Trend für 2030 voraussagt.

Gute Projekte gesucht

„Öffentlicher Nahverkehr, Wasser und Abwasser sowie Abfallwirtschaft sind die drei Sektoren, die den größten Einfluss auf nachhaltige urbane Entwicklung haben“, sagt Patrick Avato, Stadtexperte der International Finanz Corporation IFC der Weltbankgruppe, die sich auf den Privatsektor in Schwellen- und Entwicklungsländern konzentriert. Nur wenn sich in diesen Sektoren nachhaltigere und günstigere Lösungen finden lassen, können Städte wirklich als Motor für nachhaltige Entwicklung dienen.

Anton Rettenbacher, M-U-T
Anton Rettenbacher, M-U-T

Doch Infrastruktur braucht Investment – und genau hier hapert es laut einer McKinsey-Studie. 800 Mrd. Dollar beträgt demnach die jährliche Lücke zwischen notwendigem und existierendem Infrastruktur-Investment. Anton Rettenbacher, Vertriebsleiter des niederösterreichischen Umwelttechnik-Spezialisten M-U-T sieht in dieser Hinsicht hierzulande strukturelle Probleme: „Die finanziellen Rahmenbedingungen sind für österreichische Unternehmen nicht ausreichend. Wir sind an die Vorgaben der Oesterreichischen Kontrollbank gebunden, die uns einen zu geringen Betrag zur Verfügung stellt. Zuckerln können wir schon gar nicht verteilen. Es gibt aber Wettbewerber aus anderen Ländern, die genau das machen.“

Patrick Avato, IFC
Patrick Avato, IFC

IFC-Experte Avato verortet im Gegensatz dazu die Problematik nicht vorrangig bei der Finanzierung: „Diese Lücke gibt es zwar, aber für gut strukturierte Projekte findet sich das Geld eigentlich immer. Das Hauptproblem ist, dass es zu wenige gut geplante Projekte gibt. Projekte also, bei denen die Risiken klar gemanagt und die richtigen Technologien angewendet werden. Das Finden der Gelder ist dann nicht das Problem.“

Avato bemängelt das vorherrschende Paradigma, dass urbane Infrastruktur vor allem durch öffentliche Gelder vorangetrieben werden soll: „Es ist notwendig, dass mehr private Gelder in den Bereich fließen. Das ist die größte Stellschraube, an der in Entwicklungsländern gedreht werden muss.“

Laut Mike Enskat, dem Leiter des Infrastrukturbereichs der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ, der bei der corporAID Konferenz neben Reinhard Fitz die zweite Keynote halten wird, sind die Rahmenbedingungen in den meisten Städten in Schwellen- und Entwicklungsländern unzureichend: „In den Verwaltungen gibt es Engpässe für eine nachhaltige Stadtplanung sowie unzureichende Einnahmen und Strukturen zur Vorbereitung entsprechender Investitionsprojekte. Dazu kommt ein häufig erschwerter Zugang zu Finanzmärkten, fehlendes Wissen über wirtschaftlich tragfähige Technologien und Geschäftsmodelle, die knappe Ressourcen einsparen und eine positive Klimabilanz aufweisen.“

In diesem Zusammenhang arbeitet die GIZ Enskat zufolge am Aufbau von individuellen und institutionellen Kapazitäten, damit beteiligungsorientierte Stadtentwicklungspläne umgesetzt werden können. Dies wird mithilfe der aktiven Einbindung des Privatsektors und durch Vermittlung von europäischem Know-how und Technologielösungen in Angriff genommen.

Urbane Umsetzung der SDG

Mike Enskat, GIZ
Mike Enskat, GIZ

Enskat betont, dass neben den neuen unternehmerischen Möglichkeiten vor allem auch auf die enge Verbindung von urbaner Entwicklung und den globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDG) zu achten sei: „Städte sind zentrale Akteure für die Umsetzung der SDG und des Pariser Klimavertrags, was auch der neue Bericht des Weltklimarats mit zahlreichen Belegen untermauert.“ Grundsätzlich lassen sich Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheitsversorgung und Klimaschutz nur im Zusammenhang mit nachhaltiger Stadtentwicklung gestalten. Und SDG 11 hat sich konkret unter dem Schlagwort „Nachhaltige Städte und Siedlungen“ das Ziel gesetzt, „Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig“ zu gestalten.

Dabei entstehen ganz neue Märkte, von urbanen Energietechnologien bis hin zu smarter Mobilität. Unter dem Schlagwort Smart Cities werden in diesem Kontext Stadtentwicklungsprojekte verstanden, die sich digitale Technologien und Möglichkeiten der Vernetzung zunutze machen, um umweltfreundlicher und ressourcenschonender zu werden. Das geht bei Bikesharing und E-Government los und führt bis zu der ersten vollvernetzten Smart City in Südkorea namens Songdo City, in der Sensoren alles aufzeichnen und beispielsweise die Müllcontainer automatisch ihren Füllstand an die zuständige Behörde melden, damit die Müllabfuhr nur die nötigen Wege einlegt.

Mammutaufgabe Wohnraum

Vor allem neue Konzepte für die Schaffung (leistbaren) Wohnraums sind gefragt, laut dem Wohn- und Siedlungsprogramm der Vereinten Nation Habitat müssten angesichts des Bevölkerungszuwachses und der Urbanisierung bis 2030 täglich 100.000 Wohneinheiten fertiggestellt werden – dabei werden etwa die wirtschaftlichen Potenziale für energieeffiziente Gebäude für diesen Zeitraum auf mehr als eine halbe Billion Euro geschätzt.

Habitat schließt Partnerschaftsinitiativen mit Unternehmen, die sich im Bereich der nachhaltigen, urbanen Entwicklung besonders engagieren, mit Doppelmayr etwa. „Zwischen Habitat und Doppelmayr findet ein angeregter Wissensaustausch statt. Das Erreichen der SDG bestimmt unser tägliches Handeln. Seilbahnen helfen in vielen Bereichen wie Umwelt und Gesundheit dabei, diese Ziele nachhaltig zu erreichen“, sagt Reinhard Fitz.

Wie sich vielversprechende urbane Märkte in Entwicklungsländern für österreichische Unternehmen identifizieren lassen und welchen Anforderungen funktionierende Geschäftsmodelle dabei gerecht werden müssen, erklären Fitz und viele weitere Experten dann bei der corporAID Konferenz am 6. November.

Fotos: Doppelmayr Seilbahnen GmbH, IFC, GIZ, M-U-T