Angesichts des beeindruckenden Wachstums vieler afrikanischer Volkswirtschaften schreiben Sie, dass das Afrika der Zukunft aussehen könnte wie Wakanda – der wohlhabende und mächtige afrikanische Staat im Film „Black Panther“. Reden wir hier über Fiktion oder Realität?

Signé: Über Realität. Im Jahr 2000 sprachen die meisten Beobachter wie Paul Collier oder der „Economist“ von Afrika als einem hoffnungslosen Kontinent. Heute befinden sich viele der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften in Afrika. Diese Leistung verdankt sich der Verbesserung der makroökonomischen Regierungsführung, dem Ende der Schuldenkrise und auch dem Aufstieg der so genannten Geparden-Generation, also jener jungen Menschen, die nicht warten wollen – im Vergleich zu den alteingesessenen Elefanten. Dazu spielen die neuen Technologien eine entscheidende Rolle. Im Jahr 2000 hatte New York City mehr Handynutzer als Afrika. Heute gibt es auf dem Kontinent hunderte Millionen Mobiltelefone.

Andererseits erleben wir aktuelle Krisenphänomene wie Klimawandel, bewaffnete Konflikte, Migration und Jugendarbeitslosigkeit. Gibt es dennoch genügend Gründe, um mit Blick auf Wachstum und Armutsbekämpfung in Afrika optimistisch zu sein?

Signé: Wachstum bedeutet nicht, dass es keine Herausforderungen gibt. Natürlich ist die Arbeitslosigkeit eines der größten Probleme für die afrikanischen Länder. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung Subsahara-Afrikas ist unter 35 Jahre alt, und etwa 70 Prozent der jungen Menschen leben unter der Armutsgrenze. Einige Regierungen gehen besser damit um als andere, aber das bedeutet nicht, dass der Kontinent deshalb keine Fortschritte macht. Die gute Nachricht ist, dass sich die Indikatoren für Governance, Bildung, Gesundheit und Soziales in den meisten Ländern in den vergangenen zwei Jahrzehnten erheblich verbessert haben. Und die Einkommen steigen kontinuierlich.

Am Afrikatag der Wirtschaftskammer Österreich wurde eine Studie über österreichische Unternehmen in Afrika vorgestellt. Die Kernbotschaft war: Wir kümmern uns zu wenig um Subsahara-Afrika, es fehlt an Präsenz, Expertise und dem Willen, die Bedürfnisse der afrikanischen Kunden zu erfüllen. Verschläft Österreich hier also eine immense Chance?

Signé: Noch nicht. Ich denke, Österreich hat immer noch beste Chancen, sich auf dem Kontinent zu positionieren. So hat China gezeigt, dass es möglich ist, innerhalb kürzester Zeit eine Vorreiterrolle zu übernehmen, wenn sich ein Land intensiv um Investitionen und die Verbesserung der Beziehungen zu Afrika bemüht. Dafür bräuchte Österreich nun eine spezifische Afrikastrategie, die von einem politischen Sonderbeauftragten auf höchster Ebene koordiniert wird – politisches Engagement und Repräsentation sind in Afrika von entscheidender Bedeutung. Ich würde zudem einen Beirat für Afrika empfehlen, dem führende Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft angehören und der Awareness schafft. Österreich kann davon wirtschaftlich profitieren und zugleich seine Stärken in den Bereichen Berufsausbildung, Innovation und Privatsektorentwicklung einbringen. Von den österreichischen KMU lässt sich einiges lernen.

Wenn diese den Sprung nach Afrika wagen wollen: Welche Branchen sind die vielversprechendsten?

Signé: 2030 werden in Afrika 1,7 Milliarden Menschen leben, die Ausgaben von Verbrauchern und Unternehmen werden sich auf rund 6,7 Billionen Dollar belaufen, im Jahr 2015 waren es noch rund vier Billionen. Das zeigt das enorme Potenzial. Viele der wichtigsten Sektoren sind dabei die üblichen Verdächtigen: Landwirtschaft, Nahrungsmittel und Getränke, Wohnungsbau und Fertigung. Das Produktionsvolumen wird bis 2025 auf eine Billion Dollar ansteigen. 75 Prozent von den produzierten Gütern werden am Kontinent bleiben, 25 Prozent exportiert. Auf der anderen Seite spielen auch die „Industrien ohne Schornsteine“ eine wichtige Rolle. Zu diesen Branchen gehören unter anderem digitale Dienstleistungen oder auch der Tourismus. Sie sind aufgrund ihrer hohen Produktivität und als Devisenbringer von entscheidender Bedeutung. Der Export in diesen Bereichen ist zwischen 1998 und 2015 immerhin sechsmal schneller gewachsen als in der traditionellen Fertigung. Aber gleichzeitig brauchen wir mehr Straßen, Häfen und Flughäfen, um die Mobilität von Menschen und Gütern zu erleichtern und die Kosten für Geschäftstätigkeit zu senken. Dafür braucht es große Investitionen.

Sie schreiben, dass Afrika sein wirtschaftliches Wachstum den ebenfalls rasant wachsenden Bevölkerungszahlen und ihrem Konsum verdanken wird. Aber wird es auch genügend Arbeitsplätze geben – wird die Arbeit der Näherinnen in den äthiopischen Textilfabriken in zehn oder 20 Jahren nicht von Maschinen übernommen?

Signé: Ich habe auf dem Weltwirtschaftsforum für Afrika, das kürzlich in Kapstadt stattfand, miterlebt, dass viele Afrikaner wegen der Automatisierung besorgt sind, aber ich sehe hier kein großes Problem. Zwischen 2015 und 2035 werden wir ein Wachstum der afrikanischen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um 450 Millionen Menschen haben. Etwa 75 Prozent von ihnen werden entweder selbständig sein oder in Kleinstunternehmen arbeiten. 20 Prozent werden im Dienstleistungssektor und nur etwa fünf Prozent in der Produktion tätig sein. Zudem sind die Lohnkosten in Afrika im Vergleich zu den anderen Entwicklungsregionen nach wie vor sehr niedrig.

Volkswagen baut in Ruanda Autos. Die Mara Group stellt die ersten afrikanischen Smartphones in Ruanda und Südafrika her. Erleben wir den Beginn eines Paradigmenwechsels hinsichtlich Produktion „Made in Africa“?

Signé: Auf jeden Fall! Wenn das Geschäftsumfeld stimmt, ist ein zunehmendes Interesse von Global Playern festzustellen. Präsident Kagame ist damit in Ruanda sehr erfolgreich. Stabile und verlässliche Länder werden enorme Investitionen anziehen – solange sie auch zusätzliche Faktoren wie Governance, Infrastruktur sowie wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen berücksichtigen und die Korruption in Schach halten.

„Wir bündeln unsere Kräfte anstatt uns gegenseitig zu bekämpfen.“ 

Kürzlich ist die Afrikanische Freihandelszone AfCFTA in Kraft getreten. Viele Beobachter sind begeistert und träumen von einem enormen Boost für die afrikanische Wirtschaft. Aber die Unterzeichnung eines Vertrags und die erfolgreiche Umsetzung sind zwei verschiedene Dinge. Was macht Sie optimistisch, dass der Vertrag hält, was er verspricht?

Signé: Die Idee einer kontinentalen Institution für Handel wird seit Jahrzehnten diskutiert. Nun wurde AfCFTA im März 2018 unterzeichnet, es trat im Mai 2019 in Kraft, die Länder werden ab Juli 2020 den Handel aufnehmen. Dies ist die schnellste Umsetzung eines Handelsabkommens dieser Größenordnung weltweit – und ein gutes Beispiel für das Commitment vieler afrikanischer Länder. Dieses offenbart sich auch in den gelockerten Reisebestimmungen für die Menschen auf dem Kontinent. Viele Afrikaner können nun ohne Visum reisen. Ich war übrigens an der Diskussion über das Abkommen AGOA, das afrikanischen Staaten ermöglicht, zollfrei in die USA zu exportieren, vor einigen Jahren selbst beteiligt. Begeistert habe ich miterlebt, wie die Afrikaner mit einer Stimme sprachen. Das ist etwas, was es in der Vergangenheit nicht gab. Wir bündeln unsere Kräfte, anstatt uns gegenseitig zu bekämpfen.

Welche sind die drei spannendsten afrikanischen Märkte in den kommenden Jahren?

Signé: Wenn es um Größe und industrielle Wertschöpfung geht: Südafrika, Nigeria und Ägypten. Aber vergessen Sie nicht die vielen dynamischen Länder wie Äthiopien, Marokko, Kenia, Ghana und die Elfenbeinküste. Und auch kleinere Volkswirtschaften werden je nach Branche enorme Chancen bieten. Es könnte sich außerdem lohnen, zunehmend Städte anstelle von ganzen Ländern in den Blick zu nehmen. Bis 2030 wird es 17 afrikanische Städte mit mehr als fünf Millionen und fünf mit mehr als zehn Millionen Einwohnern geben. Es ist nicht notwendig, ein ganzes Land zu bedienen. Sich auf bestimmte Städte zu konzentrieren, dürfte für viele Unternehmen ein erfolgversprechender Ansatz sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

ZUR PERSON

Landry Signé ist Fellow des US-Think Tanks Brookings Institution und wirkt dort an der Africa Growth Initiative mit. Der in Kamerun geborene Stanford-Wissenschaftler und Autor diverser Bücher gehört zudem zu den Young Global Leaders des Weltwirtschaftsforums.

Foto: Christoph Eder