Wer ans Meer denkt, hat vermutlich ein recht simples Klangbild im Ohr: Oben sanftes Wellenrauschen, unten friedliche Stille. Tatsächlich ist es im Meer alles andere als leise. Es grunzen Krötenfische, es knallen Pistolenkrebse und es trillern Bartrobben. Auch Seebeben, Stürme oder brechendes Eis sind Teil des natürlichen maritimen Klangteppichs. Doch dabei bleibt es nicht. Aufnahmen von Unterwassermikrofonen machen deutlich, dass das Hörerlebnis manchmal eher an einen gut beschallten Nachtclub erinnert: Es brummen die Motoren gewaltiger Containerschiffe, Sonare von Kriegsschiffen senden laute Schallimpulse, Fischer erhöhen mit Dynamit ihre Fangquote, Druckluftkanonen setzen bei der Suche nach Öl und Gas Explosionsschall ab, für Ölförderplattformen und Windparks werden lautstark Verankerungen in den Meeresboden gerammt. 

Dieses Lärmgewitter breitet sich über weite Distanzen aus. Manche Schallwellen sollen laut der NGO Ocean Care sogar in einem Umkreis von 3.000 Kilometern zu hören sein. Und, wie eine im Februar veröffentlichte Metastudie aufzeigt, leiden Meeresbewohner weit mehr als bisher angenommen: Der Lärm stört ihre Kommunikation, vertreibt sie von Futter- und Brutplätzen, ändert ihr Sozialverhalten und setzt sie unter Stress. Wenn Meeressäuger wegen lauten Krachs in Panik geraten, tauchen sie mitunter viel zu schnell aus großen Tiefen auf und können dabei schwerwiegende, oft tödliche Verletzungen erleiden. Doch selbst Muscheln, Quallen und Krebse bleiben, wie die Forscher feststellen, vom Lärm nicht unberührt. 

Weltmeere: Die Erde ist ein blauer Planet

Lange herrschte die Ansicht, dass die Weltmeere so groß und so voller Leben sind, dass Menschen keinen besonderen Schaden anrichten können. Mittlerweile weiß man: Das viele Blau, das gut 70 Prozent der Erdoberfläche bedeckt, wird aufgrund menschlicher Einflüsse nicht nur geräuschintensiver, sondern auch wärmer, saurer, fischärmer und giftstoffreicher. An die Bilder ausgeblichener Korallenriffe, schwimmender Ölteppiche oder riesiger Plastikinseln hat man sich in den vergangenen Jahren fast schon gewöhnt.

Verheerend: Der größte Eintrag von Plastik in die Weltmeere findet in Asien statt.
Verheerend: Der größte Eintrag von Plastik ins Meer findet in Asien statt.

Weniger Plastik ins Meer

Von der Arktis über die tropischen Meere bis zur Antarktis: Mit Strohhalmen, Sackerl oder Flaschen ist heute überall zu rechnen. Mehr als zehn Millionen Tonnen Plastikmüll dürften jährlich in die Ozeane gelangen und sich dort in kleinste Partikel zersetzen. Neben der „Müllbeseitigung“ durch Schiffe ist das Problem vor allem landgemacht: Insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern fehlt es oft an den Kapazitäten und Standards, um immer größere Abfallmengen vernünftig zu entsorgen. Das hat EU-Länder – darunter auch Österreich – bislang nicht davon abgehalten, Plastikmüll etwa nach Malaysia, Indonesien, Vietnam oder Indien zu exportieren. Seit 1. Jänner 2021 ist dies nur noch eingeschränkt möglich – ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Verschmutzung. Andere Schritte sind vor Ort dringend notwendig. Zuletzt haben große Ozeanplastikverursacher wie Indonesien und Vietnam ehrgeizige Pläne verkündet, den Eintrag von Müll ins Wasser bis 2025 substanziell senken zu wollen.

Dass die Meere durchs Zuschauen allein nicht gesünder werden, dürfte sich nun aber ebenfalls langsam herumsprechen. „Noch nie standen die Ozeane auf der politischen und wirtschaftlichen Agenda weiter oben als jetzt“, freut sich Kristian Teleki, Director der Sustainable Ocean Initiative beim Weltressourceninstitut in Washington, „endlich wird gesehen, wie wichtig sie für die Menschheit sind.“

Aus österreichischer Binnenlandperspektive ist das Meer vielleicht nur Sehnsuchtsort für einen Urlaub oder Lieferant für Shrimps, Muscheln und Branzino. Oft werde seine enorme Bedeutung für den Planeten unterschätzt, sagt Teleki: „Gesunde Ozeane produzieren rund die Hälfte des von uns benötigten Sauerstoffs. Als riesige Kohlenstoffsenke absorbieren sie außerdem mehr als ein Viertel der menschengemachten CO2-Emissionen und nehmen 90 Prozent der zusätzlichen Wärmeenergie auf, die aufgrund steigender Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre entsteht.“ 

Nicht zuletzt sind die Weltmeere wesentlich für die globale Wirtschaft. So werden laut Vereinten Nationen rund 90 Prozent der globalen Transporte auf dem Seeweg abgewickelt. Und maritime Sektoren wie Fischfang, Offshore-Bergbau, Meerestourismus oder Schifffahrt generieren jedes Jahr einen Wert von schätzungsweise 2,5 Billionen Dollar, so Teleki. „Wären die Ozeane ein Land, dann wären sie wohl die siebtgrößte Volkswirtschaft.“

Noch nie standen die Ozeane auf der politischen und wirtschaftlichen Agenda weiter oben als jetzt.
Kristian Teleki, World Resources Institute WRI
Kristian Teleki
World Resources Institute

Weltmeere als Lieferant: Globaler Appetit auf Seafood

Noch schwimmt in den Ozeanen das, was an Land gern am Teller gesehen wird. Fisch macht bei 3,3 Milliarden Menschen fast 20 Prozent des Konsums an tierischem Eiweiß aus, für hunderte Millionen Menschen in Bangladesch, Kambodscha, Gambia, Ghana oder Indonesien ist er bei weitem die wichtigste Proteinquelle. Rund 20,5 Kilo Speisefisch isst ein Erdenbürger mittlerweile pro Jahr. In den 1960er Jahren lag der jährliche Pro-Kopf-Konsum noch bei neun Kilo, wie dem Fischereibericht 2020 der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft FAO zu entnehmen ist. Und auch wenn Fisch immer häufiger aus Meeres- oder Süßwasserzucht stammt (2018 waren es bereits 82 Millionen Tonnen Lebendgewicht, von insgesamt 178 Millionen Tonnen), so entlastet dies keineswegs die Bestände der wilden Arten. Im Gegenteil: In der Aquakultur wird Fisch als Futtermittel benötigt – und das ist häufig Wildfang (über Larvenmehl als Alternative lesen Sie bitte hier).

Schätzungsweise 84 Millionen Tonnen wild lebender Fisch wurde im Jahr 2018 aus dem Meer gezogen. Für etliche Arten sind die Fangmengen viel zu hoch. Ein Drittel aller kommerziell genutzten Bestände gilt laut FAO heute als überfischt, 60 Prozent seien „maximal ausgeschöpft“. Die Umweltorganisation WWF rät Fischessern daher, unter anderem auf Goldmakrele, Kabeljau, Dornhai sowie mehrere Thun- und Tintenfischarten zu verzichten, oder allenfalls sehr genau auf die Herkunft zu achten. Überfischung bedroht aber nicht nur das Leben im Meer, sondern auch die Jobs jener Menschen, die auf Fischerbooten oder in der Weiterverarbeitung von Seafood arbeiten. Rund 230 Millionen Menschen haben – zumindest vor Corona – ihr Einkommen in der maritimen Nahrungsmittelproduktion erzielt, die meisten von ihnen leben in Schwellen- und Entwicklungsländern. 

Bessere Balance zwischen Fischfang und Artenschutz.
Bessere Balance zwischen Fischfang und Artenschutz.

Mehr Leben im Meer

Von Seafood ernähren sich rund drei Milliarden Menschen, gleichzeitig bieten Fischerei, Marikultur und Verarbeitung mehr als 200 Millionen Jobs. Insbesondere Menschen in Entwicklungsländern leben und ernähren sich von dem, was das Meer hergibt. Aber in der Branche läuft einiges schief: Überfischung und ungeeignete Fangmethoden setzen Fischbestände unter Druck, zahlreiche Arten sind vom Aussterben bedroht. Subventionen, die die Kapazitäten der industriellen Fangflotten erhöhen sowie illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei begünstigen die Leere im Meere. Ngozi Okonjo-Iweala, frisch gekürte Chefin der Welthandelsorganisation WTO, will heuer eine – lang hinausgezögerte – Einigung über die Abschaffung schädlicher Subventionen zum Abschluss bringen. Bereits handfeste Erfolge feiern Projekte wie „Fish Forever“ der NGO Rare. Diese unterstützt hunderte Dörfer auf den Philippinen, in Mosambik und in Indonesien beim Aufbau eines verantwortungsvollen Fischereimanagements.

Weltmeere im Fokus: Nachhaltig nutzen und schützen

Die stärkere Aufmerksamkeit für die Ozeane, die Teleki anspricht, spiegelt sich jedenfalls in zahlreichen Willensbekundungen, Initiativen und Konferenzen wider, an denen Politik, Wirtschaft, Forschung und NGO rege teilnehmen. Dabei zeichnet sich eine neue Perspektive ab: Weder ist der Ozean eine unerschöpfliche Ressource, die bestmöglich ausgebeutet werden soll, noch ist er lediglich ein Opfer schädlicher Einflüsse, für das kaum Hoffnung besteht. Der Fokus liegt vielmehr in der Entwicklung einer „Sustainable Blue Economy“, die wirtschaftliches Wachstum und Schutz des Ökosystems in Einklang bringen soll. 

So haben die Vereinten Nationen in ihren 17 globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung SDG auch das „Leben unter Wasser“ (SDG 14) berücksichtigt: Ozeane und Meeresressourcen sollen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und genutzt werden. Anfang 2021 wurde begleitend die „Dekade der Ozeanforschung“ ausgerufen, um Ozeanschutz mit wissenschaftlich fundierten Handlungsempfehlungen erfolgreich zu machen. Zu den Financiers der Blue Economy zählen unter anderem die Weltbank, die mehr als fünf Milliarden Dollar in Bereiche wie Fischerei, Küstenschutz und Abfallmanagement investiert oder auch die Europäische Investitionsbank, die im Jänner diesen Jahres eine „Clean and Sustainable Ocean“-Partnerschaft mit der Asiatischen Entwicklungsbank unterzeichnet hat. Künftig wollen die Partner „hochwirksame Projekte“ im asiatisch-pazifischen Raum finanzieren, mit denen meeresnahe Wirtschaftssektoren angekurbelt und die Ozeane von Plastik und anderen Giftstoffen bewahrt werden. 

Pflegeleicht: Algenanbau liegt im Trend und nützt nebenbei dem Klima.
Pflegeleicht: Algenanbau liegt im Trend und nützt nebenbei dem Klima.

Ackerpflanze Alge

Sie brauchen weder Süßwasser noch Dünger oder Ackerflächen: Algen sind pflegeleichte Nutzpflanzen, die in Asien seit Jahrtausenden geerntet werden. Heute werden sie vor allem in China und Indonesien in Küstennähe kultiviert. Und es spricht einiges dafür, die Anbauflächen auszuweiten: Algen liefern wertvolles Eiweiß, das der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung dienen kann, sie eignen sich als Futter- und Düngemittel, als Zellulose für die Textilindustrie und als Rohmaterial für Pharmazeutika und Kosmetika – nebenbei speichern sie große Mengen CO2 und bieten Meerestieren Nahrung. Das ambitionierte „Kelp Blue“-Projekt in Afrika will nun aufzeigen, dass Algenanbau auch im großen Maßstab und auf offener See möglich ist: Bis 2029 sollen 70.000 Hektar Braunalgenwälder vor Namibia kultiviert und dabei eine Million Tonnen CO2 pro Jahr absorbiert werden. In der Weiterverarbeitung sollen außerdem hunderte lokale Jobs entstehen.

Bündnis für mehr Action zum Schutz der Weltmeere

Auch einzelne Länder preschen als Advokaten für eine neue Ozeanwirtschaft vor. Eine Truppe von 14 reicheren und ärmeren Küstenländern, darunter Australien, Kanada, Fidschi, Ghana, Indonesien, Kenia und Mexiko, haben sich 2018 auf Initiative von Norwegen zu einem Hochrangigen Panel für nachhaltige Meereswirtschaft zusammengeschlossen. Gemeinsam repräsentieren die 14 Staaten knapp 40 Prozent der weltweiten Küstenlinien, ein Gewässerareal von der Größe Afrikas, 20 Prozent der globalen Fischerei und 20 Prozent der Schiffsflotten. „Die Teilnehmer mögen sich geografisch und wirtschaftlich stark unterscheiden, aber alle wissen um die Bedeutung gesunder Weltmeere für ihr eigenes Wohl“, meint Teleki, der dem Panel als Leiter des Sekretariats vorsteht. 

Im Dezember 2020 präsentierte die Initiative einen von Wissenschaftern erarbeiteten Aktionsplan, der aufzeigen soll, dass sich Ozeane nutzen lassen, ohne sie zu verbrauchen. Neue Richtlinien und Rahmenbedingungen sollen etwa dafür sorgen, dass maritime Aquakultur für die Umwelt schonend und für lokale Communities lohnend abläuft. Die Länder wollen auch gegen illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei konsequent vorgehen und schädliche Subventionen, die stark zur Überfischung beitragen, abschaffen. Zudem sehen sie in Bereichen wie Offshore-Windenergie, sauberer Schifffahrt oder im Erhalt natürlicher Küsten viel Potenzial: Global angewandt könnten Anstrengungen in diesen Bereichen bis 2050 die Menge an Seafood versechsfachen, zwölf Millionen neue Arbeitsplätze schaffen, 40 Mal mehr erneuerbare Energien produzieren – und nebenbei Treibhausgasemissionen substanziell reduzieren. 

Leistungsstark: Windparks im Meer
Leistungsstark: Windparks im Meer

Windkraft auf See

Windkraftanlagen werden heute hauptsächlich an Land gebaut, doch stärker und steter weht der Wind zumeist vor der Küste. Ein großer Pluspunkt für Offshore-Windenergieparks, die heute vor allem im nördlichen Europa und in China sauberen Strom erzeugen. Aktuell beträgt die gesamte globale Offshore-Kapazität laut Global Wind Energy Council rund 35 Gigawatt, wobei China allein im Jahr 2020 an die drei Gigawatt neu installiert hat. Sinkende Technologiekosten und internationale Verpflichtungen zur Dekarbonisierung könnten den Trend zur Turbine vor der Küste weltweit, von Japan über Südafrika bis zu den USA, beschleunigen. Derzeit werden beispielsweise in Vietnam mehrere neue Projekte realisiert, laut einer dänischen Studie hat das Land das Potenzial zu gar 160 Gigawatt Windkraft zu Wasser. Neben Wind könnte auch andere ozeanbasierte Energie künftig eine Rolle spielen – gewonnen aus Wellen, Gezeiten, Strömungen oder auch durch schwimmende Solar-und Photovoltaik-Systeme.

Die Panelmitglieder wollen nun individuelle Aktionspläne entwickeln, um bis 2025 auf eine nachhaltige Bewirtschaftung ihrer Hoheitsgebiete umzuschwenken. Wie erfolgreich sie den Ozeanschutz vorantreiben werden, ist allerdings offen: Das Bündnis ist rein freiwillig, die Coronakrise setzt vielen Mitgliedern wirtschaftlich schwer zu, und für echten globalen Impact – speziell, wenn es um Themen wie Überfischung geht – wäre es wichtig, mehr Mitstreiter an Bord zu holen.

Dreißig mal dreißig: Schutzgebiete für Weltmeere

Letzteres gilt übrigens auch für die Erreichung des schon lange von Wissenschaftern geforderten „30 by 30“ Ziels. Dieses sieht vor, dass bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Ozeanflächen der Natur selbst überlassen werden. Die 14 Ocean Panel Mitglieder haben bereits angekündigt, ein Drittel ihrer nationalen Meeresflächen als Schutzgebiete deklarieren zu wollen. Offiziell stehen mehr als 70 Länder hinter der „30 by 30“-Vorgabe. „Echte Meeresschutzgebiete sind Zonen, in denen keinerlei zerstörerische oder extraktive Aktivitäten wie Fischerei oder Bergbau stattfinden dürfen“, erklärte Diva Amon von der NGO SpeSeas kürzlich bei einer vom Magazin The Economist veranstalteten Ozeankonferenz. 

Insbesondere die Aussicht, dass irgendwann in der Tiefsee industrieller Bergbau möglich sein könnte, beunruhigt derzeit viele Umweltschützer und Forscher: Im Meeresboden verborgene Schätze wie Manganknollen, Eisen- und Kobaltkrusten werden aufgrund des weltweit steigenden Bedarfs an Rohstoffen für Smartphones und Elektroautos kommerziell immer interessanter und könnten, so die Sorge, zu einem „Goldrausch auf hoher See“ führen. Welche Konsequenzen massive Eingriffe in tausenden Metern Tiefe für die Ökosysteme hätten, ist noch kaum erforscht. 

Industrieller Bergbau könnte aber, so erwarten es Forscher, jährlich hunderte bis tausende Quadratkilometer Meeresboden nachhaltig verändern. Eine von vielen Befürchtungen lautet, dass dadurch gebundener Kohlenstoff freigesetzt werden und sich so die Erderwärmung noch beschleunigen könnte. Noch existieren keine rechtlichen Regularien für den Bergbau in der Tiefe. Allerdings will die Internationale Meeresbodenbehörde ISA heuer nach jahrelangen Verhandlungen einen Mining Code herausgeben, der die Bedingungen eines eventuellen Abbaus definiert.

Weltmeere: Schutz gegen Schulden

Von der 30-Prozent-Zielmarke für Meeresschutzgebiete ist der blaue Planet jedenfalls noch ein gutes Stück entfernt: Laut SDG 14 hätten mit dem Jahr 2020 bereits zehn Prozent der Weltmeere geschützt sein sollen, bis dato sind es laut Natur- und Artenschutzorganisationen IUCN lediglich 7,4 Prozent, und das auf mehr oder weniger strengem Niveau. Schutz steht somit teilweise nur auf dem Papier. „Symbolträchtige Ankündigungen reichen leider nicht, Meeresschutz muss gut geplant sein und benötigt Ressourcen für Monitoring und Überwachung“, so Amon.

Ein Problem ist, dass effektiv gemanagte Meeresschutzgebiete gerade ärmeren Ländern zu teuer kommen, und daher sowohl finanzielle Mittel als auch politischer Wille fehlen, um ihnen Priorität einzuräumen. Hier könnten finanzielle Incentives greifen, wie ein Pilotprojekt von The Nature Conservancy TNC demonstriert: Die US-amerikanische NGO hat den Seychellen 2016 ein Umschuldungspaket, einen sogenannten „Debt-for-Nature“-Swap, vermittelt. Dafür setzte sich TNC mit Gläubigern, Investoren und öffentlichen Gebern zusammen, um Schulden des Inselstaats mit einem Abschlag zu kaufen und zu besseren Zinssätzen und Rückzahlungsfristen umzustrukturieren. 

Im Austausch verpflichtete sich die Regierung, die Einsparungen zum Schutz ihrer Meeresgebiete zu verwenden. Dazu wurde mit Meeresbiologen, Politikern und lokalen Stakeholdern ein detaillierter Plan erstellt. Der Erfolg kann sich sehen lassen: Die Seychellen haben ihre Schutzgebiete inzwischen von 0,04 auf 30 Prozent erhöht, womit eine Fläche von 410.000 Quadratkilometern – fünf Mal größer als Österreich – aktiv geschützt wird. TNC will nun ähnliche Schuldenumwandlungspakete mit weiteren 20 Insel- und Küstenstaaten umsetzen.

Weltmeere schützen durch blaue Gutschriften

Auch „Blue Carbon“-Finanzierung könnte beim Erhalt maritimer Ökosysteme helfen. Gemeint ist jener Kohlenstoff, der von Mangroven, Salzwiesen und Seegräsern aus der Atmosphäre gezogen und abgespeichert wird – das geschieht in Wassersystemen deutlich besser als an Land. Bis vor kurzem fand diese klimaschützende Wirkung wenig Beachtung. Im Gegenteil: Jedes Jahr werden die weltweiten Mangrovenflächen zugunsten von Shrimpsfarmen, Palmölplantagen oder Straßen kleiner. Das schadet nicht nur dem Klima. Mangroven sind ein wichtiger Puffer zwischen Land und Meer, schützen Menschen vor Sturmfluten und sorgen für reichere Fischbestände.

Wertvoll: Mangroven sind tropische Wasserwälder mit Superkraft.
Wertvoll: Mangroven sind tropische Wasserwälder mit Superkraft.

Schutz des Wasserwalds

Mangroven sind wahre Alleskönner. Die Küstenwälder schützen vor Überschwemmungen, filtern Wasser, bieten Meerestieren Nahrung und Brutstätten – und speichern wesentlich mehr Kohlenstoff als Tropenwälder. Letzteres lässt sich für den Klimaschutz aktiv nutzen, wie das 2014 gestartete Pilotprojekt „Mikoko Pamojo“ in Kenia zeigt: Die Bewohner des Dorfs Gazi holzen ihre Mangroven nicht länger ab, sondern kümmern sich – in Kooperation mit Forschern und NGO-Mitarbeitern – um die Wiederaufforstung und den Schutz ihrer Wasserwälder auf einer Fläche von 117 Hektar. Dafür erhalten die Bewohner rund 2.500 CO2-Credits pro Jahr (eine Gutschrift entspricht einer Tonne CO2), die sich am freiwilligen Markt für CO2-Zertifikate verkaufen lassen. Mit den Einnahmen finanziert das Dorf Wasser-, Schul- und Gesundheitsprojekte. Gleichzeitig helfen die Mangroven beim Erhalt der Fischbestände. Ähnliche „Blue Carbon“-Projekte sind auch in Kolumbien, Indonesien und Madagaskar in Umsetzung.

Eine Möglichkeit, Blue Carbon zu erhalten, ist es, ihm einen handelbaren Wert zu geben. Damit können etwa Bewohner von Küstendörfern einen Anreiz zum Schutz ihrer Mangroven bekommen: Sie erhalten Gutschriften basierend auf den Tonnen von gespeichertem Kohlenstoff und verkaufen diese am Markt für CO2-Zertifikate. „Das ist eine neue und spannende Möglichkeit, den Schutz des Meeres und des Klimas mit der Unterstützung lokaler Gemeinden zu verknüpfen“, sagt Teleki. Er ist optimistisch: „Das Timing ist potenziell gut. Der globale Markt für Emissionsgutschriften dürfte erheblich wachsen, da viele Länder und Unternehmen verpflichtet sind, ihre Emissionen zu reduzieren.“ Noch gäbe es viele Herausforderungen bei der Zertifizierung von Blue Carbon Credits. Projekte in Kenia oder Indonesien seien laut Teleki sehr klein und nicht ausreichend entwickelt, um die stark steigende Nachfrage zu befriedigen, außerdem müsse das tatsächliche Potenzial des Marktes zum Schutz der biologischen Vielfalt im Meer noch genauer ermittelt werden. 

Meer Engagement: 

Fest steht: Für wirklich nachhaltige Ozeanwirtschaft braucht es noch weitere innovative Lösungen, stärkeren politischen Willen und auch mehr Aufmerksamkeit für die vielen von Menschen verursachten Probleme – selbst wenn diese nicht zu sehen, sondern nur zu hören sind. Den lärmgeplagten Meeresbewohnern wäre etwa schon sehr geholfen, wenn besonders laute Schiffe langsamer fahren, Schiffsrouten um Schutzgebiete führen oder schalldämpfende Methoden beim Bau von Offshore-Anlagen eingesetzt würden. All das ist machbar, wenn man möchte. Und ratsam, denn wie Kristian Teleki über den notwendigen Schutz des größten Ökosystems der Erde feststellt: „Die Ozeane sind einfach zu groß, um sie länger zu ignorieren.“ 

200 Meter Frachtschiff mit Windantrieb: Derzeit noch Zukunftsvision.
200 Meter Frachtschiff mit Windantrieb: Derzeit noch Zukunftsvision.

Sauber unterwegs

Containerschiffe, Fähren und Passagierschiffe sind signifikante Klimasünder. Die Schifffahrt verursacht zwischen zwei und drei Prozent der globalen CO2-Emissionen und trägt zudem erheblich zur Luft- und Umweltverschmutzung in Häfen und Städten bei. Das Problem ist der Treibstoff: Roh- und Schweröl sind besonders umweltbelastend. Ein Kurswechsel ist in Aussicht gestellt. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation setzte der Branche das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2050 um mindestens 50 Prozent (im Vergleich zu 2008) zu reduzieren. Kurzfristig lässt sich der Treibstoffverbrauch etwa durch das Drosseln der Fahrgeschwindigkeit und die Optimierung der Routen senken. Langfristig braucht es neue Schiffe mit klimafreundlicheren Antriebstechniken und Kraftstoffen – geforscht wird an Ammoniak, E-Methanol, E-LNG und auch Wasserstoff. Ein Vorreiter ist Logistikkonzern Mærsk: 2023 soll dessen erstes CO2-neutral betriebenes Containerschiff in See stechen.

Fotos: WRI, RecondOil/Flickr, Oceanbird Wallenius, Wayne S. Grazio Flickr, Kip Evans MissionBlue, Rob Barnes,Yrjö Jyske/Flickr, Patrick Webster/Flickr