Welche Schlagworte verbinden Sie mit Globalisierung?

Borgas: Für mich hat Globalisierung drei Aspekte: Menschen verbinden, Wissen erweitern und Freiheit ermöglichen – und dies jeweils ökonomisch und sozial. Menschen verbinden heißt, dass wir uns stärker mit anderen Kulturen auseinander setzen. Wir müssen unser Wissen mit dem verknüpfen, was auf der Welt passiert, weil wir sonst zurückfallen. Es gibt rund acht Millionen Österreicher, aber insgesamt acht Milliarden Menschen, und da ist jedenfalls eine große Menge ziemlich smarter Leute dabei. Und ich glaube, dass uns neben dem freien Güter- und Dienstleistungsverkehr gerade die Freiheit der Menschen, sich anzuschauen, wie es anderswo auf der Welt läuft, stark weiterbringt.

Wo sehen Sie Stärken und Schwächen des Standorts Österreich?

Borgas: Als kleines Land ist Österreich stark von Vernetzung geprägt. Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sind gut verzahnt. Dieses An-einem-Strang-Ziehen ist eine Stärke, die wir überall auf der Welt nutzen sollten. In Österreich gibt es heute auch eine Kultur, Themen von allen Seiten zu beleuchten und dann eine Lösung zu finden. Das war nicht immer so, denn in der Vergangenheit einigte man sich zu oft bloß auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Ich glaube, dass derzeit ein neues ambitionierteres Denken einzieht. Und da kann Österreich von Ländern wie China, Vietnam oder Peru lernen, die sich große Ziele setzen statt nur zu sagen: „Wir müssen eineinhalb Prozent besser werden als im Vorjahr.“ Daneben gibt es in Österreich eine gut ausbalancierte Gesellschaft mit geringen Unterschieden zwischen Arm und Reich. Deswegen haben auch sozial benachteiligte Menschen die Chance aufzusteigen – viel mehr als in den USA, trotz der Story von der Tellerwäscher-Karriere. Auf der anderen Seite ist die Abgabenstruktur für globale Firmenzentralen und vor allem deren Mitarbeiter nicht attraktiv, weil das österreichische System immer noch mittelständisch geprägt und auf Menschen zugeschnitten ist, die hier geboren wurden und hier auch in Pension gehen. Doch für jemanden, der für fünf Jahre nach Österreich kommt, ist das nicht attraktiv. Da könnte sich Österreich von Modellen in Ländern wie der Schweiz oder den Niederlanden etwas abschauen. Was in Österreich zudem fehlt, ist eine Förderung von Eliten, die die Gesellschaft insgesamt weiterbringen. Und das gilt nicht nur für wirtschaftliche Themen.

Stefan Borgas, CEO von RHI Magnesita

Heute beschäftigen wir uns anders als vor einem Jahr nicht mehr zu 80 Prozent mit der Integration, sondern schauen nach vorne.​“

Unter Ihrer Führung haben RHI und Magnesita fusioniert. Wo lagen die größten Schwierigkeiten?

Borgas: Beim Fusionsprozess war das Wichtigste, den Kundenfokus aufrecht zu erhalten. RHI und Magnesita waren Wettbewerber, die sich über zwanzig Jahre bekämpft haben und die nun zusammenfinden mussten. Ich glaube, das ist uns gut gelungen. Die zweite Herausforderung war, die Bedürfnisse der intern betroffenen Menschen zu beachten. Diese galt es mitzunehmen und möglichst die besten Führungskräfte und Experten auszuwählen, unabhängig davon, ob sie vorher bei RHI oder bei Magnesita beschäftigt waren. Auch aus dieser Sicht ist der Merger erfolgreich abgeschlossen. Der dritte Aspekt ist, die Synergien aus dem Merger auch finanziell zu heben: Hier haben wir noch die eine oder andere Baustelle, beispielsweise bei der SAP-Systemintegration in Nord- und Südamerika. Heute beschäftigen wir uns aber anders als vor einem Jahr nicht mehr zu 80 Prozent mit der Integration, sondern schauen nach vorne, haben eine ganze Menge neuer Projekte und bauen die Firma weiter aus.

Wo liegen die Wachstumsmärkte der RHI Magnesita?

Borgas: Wir haben drei Arten von Wachstumsmärkten in den kommenden fünf Jahren. Zum einen geografische Märkte: Das sind China und Indien, in weiteren Schritten die Türkei sowie Korea, Japan und Russland. Zum anderen haben wir Segmente in etablierten Märkten, die wir noch nicht besetzt haben – beispielsweise im Bereich der Flow-Control, also der Strömungsführung von flüssigem Stahl. Hier wollen wir aufschließen. Zu guter Letzt planen wir bei jenen Dienstleistungen zu wachsen, die die Produktivität unserer Kunden optimieren. Hier geht es um Big Data, Sensortechnik und Robotics. Wir investieren beträchtliche Summen in Forschung und Entwicklung zu Industrie 4.0.

Wo liegen die Challenges?

Borgas: Wir haben drei Stoßrichtungen. Zum einen die Implementierung dieser neuen Technologien in unseren eigenen Fabriken. Wir sind gerade dabei, mit einer produktionsorientierten 4.0-Gruppe diese Technologien systematisch in den Konzern zu bringen. Diese Gruppe bauen wir in Suzhou in China auf, wo der weltweit größte Industrial Robotics Cluster entstanden ist. Das zweite ist eine kundenbezogene Industrie 4.0-Organisation. Mittlerweile arbeiten siebzig Mitarbeiter an Lösungen, um beispielsweise mit Hilfe von künstlicher Intelligenz die Stahlproduktion für unsere Kunden zu optimieren. Und die dritte Stoßrichtung betrifft unsere Liefer- und Produktkette mit ungefähr 200.000 Einzelprodukten, 800 Lagerpunkten, 35 Produktionsanlagen und rund 10.000 Kunden. Da sich ständig alles ändert, müssen wir diese laufend anpassen.

Spielt auch Afrika eine Rolle in Ihren Wachstumsplänen?

Borgas: Wir haben in Afrika einen vernünftigen Marktanteil. Dort, wo es Stahlwerke gibt, im Maghreb und in Südafrika, sind wir gut positioniert. Im übrigen Afrika ist die Entwicklung noch nicht weit genug: Da gibt es ein wenig Zementindustrie, aber ansonsten ist Afrika in den nächsten fünf Jahren kein relevanter Markt.

Stefan Borgas, CEO von RHI Magnesita

Wenn man nicht wächst, dann schrumpft man und ist irgendwann verschwunden.

 
Wie finden Wachstum und Nachhaltigkeit bei RHI Magnesita zusammen?

Borgas: Für mich gehören die zwei Begriffe zusammen. Wenn man nicht wächst, dann schrumpft man und ist irgendwann verschwunden. Ohne ökonomisches Wachstum kann kein Unternehmen überleben. Die träumerhaften Ideen von der Post-Wachstumsgesellschaft halte ich für Unsinn. Was die soziale Nachhaltigkeit betrifft, sehe ich die Herausforderung darin, unser gesamtes Management diverser aufzustellen. Das betrifft sowohl den kulturellen Hintergrund als auch das Genderthema. Wir sind, wie fast alle Unternehmen, viel zu „White Male“-lastig. Auch bei der ökologischen Nachhaltigkeit sind wir gefordert. Weil der Produktionsprozess von Keramik-Werkstoffen darauf basiert, als Carbonate vorkommende Rohstoffe in Oxide zu verwandeln, emittieren wir viel CO2. An diesem chemischen Prozess können wir nichts ändern, es sei denn, jemand findet eine neue Materialklasse, die auch bei 2.500 Grad nicht schmilzt.

Wie gehen Sie dann also mit dem Thema um?

Borgas: Wir haben hier drei Arbeitsachsen. Die eine ist die Umstellung auf erneuerbare Energie, wo für uns die Frage im Mittelpunkt steht, mit welchem Energiemix wir unseren hohen Bedarf decken können. Die zweite Achse betrifft die Frage, wie man das CO2 in den Anlagen auffangen und nutzen kann. Das würde unsere Rohstoffkosten zwar mindestens verdoppeln, aber die Kosten machen mir langfristig keine Sorgen, denn wenn alle Mitbewerber das tun, wird es sich auf die Preise umschlagen lassen. Wir werden Anfang nächsten Jahres die erste Pilotanlage in Norwegen installieren. Und die dritte Achse ist, das CO2 wieder aus der Atmosphäre zu holen. Beispielsweise, indem man Bäume pflanzt. Wir schauen uns momentan an, was man da machen kann – hier hilft uns unser brasilianischer Background.

Wie sieht es mit Recycling und Kreislaufwirtschaft aus?

Borgas: Recycling ist eine der Möglichkeiten, um unseren Rohstoffverbrauch zu senken. Wir wollen in drei Jahren mindestens zehn Prozent unseres Rohstoffeinsatzes durch Abfall unserer Kunden ersetzen. Was uns bei all diesen Themen nicht hilft, ist die stark provinzielle Ausrichtung der Politik. Im Moment haben wir die Diskussion über CO2-Steuern, und dann heißt es: „Das muss man europäisch organisieren.“ Das muss man nicht europäisch organisieren, das muss man weltweit organisieren. Da braucht es ein ambitionierteres Denken. Beim Thema Abfall ist es genauso. Wir können aufgrund europäischer Normen Abfall von unseren Kunden nicht über Landesgrenzen hinweg transportieren. Unsere Lehrmeister beim Thema Recycling sind aber unsere indischen Kollegen. Die sind uns mindestens fünf Jahre voraus. Weil es im Land keine Rohstoffe gibt, haben sie aus Not und Devisenmangel Abfall recycelt. Bei uns diskutieren wir noch über einen Recycling-Anteil von fünf Prozent, während die Inder Produkte mit dreißig Prozent Recycling-Content verkaufen.

Wie sehen Sie Ihre Rolle, das Umfeld in Emerging Markets mit zu gestalten?

Borgas: Als Firma vertreten wir zum Thema Umweltschutz eine ganz klare Meinung. In Brasilien lautet diese beispielsweise, dass die grüne Lunge des Amazonas nicht weiter schrumpfen darf. Auch in China haben wir uns stark engagiert und europäische Grenzwerte eingeführt. Wir haben uns mit den Behörden zusammengesetzt und ihnen erklärt, wie das funktionieren kann. Wir engagieren uns auch beim Thema Ausbildung: In Brasilien haben wir eine Facharbeiterakademie gegründet, die auf das duale System setzt – in China haben wir das gerade in Planung. Überall, wo wir tätig sind, versuchen wir, im Sinne eines Global Citizen an Lösungen mit zu arbeiten.

Und welche Bedeutung haben Werte für ein international aufgestelltes Unternehmen?

Borgas: Als wir den Merger planten, haben wir gemeinsam unsere Unternehmenskultur definiert. Diese basiert auf vier Säulen: Kundenfokus, Eigenverantwortung, Kommunikation und Offenheit. In der Folge haben wir sechzig sogenannte Culture Champions ernannt, die an unseren 35 Standorten Workshops durchführen. Mittlerweile haben rund 4.000 Mitarbeiter daran teilgenommen, um zu lernen, wie sie unsere Kultur im Tagesgeschäft umsetzen können.

Was macht einen Manager erfolgreich?

Borgas: Wesentlich ist die persönliche Gesundheit, ohne die man das hohe Arbeitspensum kaum bewältigen kann. Dann sollte man zuhören können, bescheiden sein und sich immer wieder eingestehen, dass man fast alles besser machen könnte. Zudem muss man Prioritäten setzen können, die es der Organisation erlauben, erfolgreich zu sein. Die größte Schwierigkeit ist oft nicht, sich auf die fünf wichtigsten Maßnahmen zu einigen, sondern darauf, was nicht gemacht werden soll.

Stefan Borgas, CEO von RHI Magnesita

Die Schwierigkeit ist oft nicht, sich auf die fünf wichtigsten Maßnahmen zu einigen, sondern darauf, was nicht gemacht werden soll.

Was macht ein Unternehmen zukunftsfähig?

Borgas: Die Basis ist natürlich, sich an alle Gesetze zu halten und finanziell gesund dazustehen. Das reicht aber nicht. Um wirklich zukunftsfähig zu sein, müssen wir als Unternehmen einen Wert für die Gesellschaft erbringen. Der reicht von Kundennutzen bis zur Akzeptanz in den Gemeinden, in denen wir tätig sind. Nur dann ist nachhaltiger Erfolg möglich.

Vielen Dank für das Gespräch!

 


ZUR PERSON

Stefan Borgas ist seit Ende 2016 CEO des österreichisch-brasilianischen Feuerfestkonzerns RHI Magnesita. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft in Saarbrücken und St. Gallen war der 54-jährige Deutsche zunächst für den Chemiekonzern BASF tätig. 2004 wechselte Borgas in den Vorstand der Schweizer Lonza AG, von 2012 bis 2016 war er
CEO von Israel Chemicals.

ZUM UNTERNEHMEN

Feuerfest vereint

Die RHI Magnesita entstand im Jahr 2017 durch den Zusammenschluss der RHI AG und dem brasilianischen Unternehmen Magnesita. Die Anfänge der Vorgängerfirmen der RHI Magnesita reichen bis ins Jahr 1834 zurück, 1899 haben die Veitscher Magnesitwerke die Produktion in Österreich aufgenommen. Heute ist das an der Londoner Börse notierte Unternehmen der weltweit größte Anbieter von Feuerfestprodukten, -systemen und -dienstleistungen für die Stahl-, Zement- oder Glasindustrie, die Temperaturen von mehr als 1.200 Grad standhalten. Als vertikal integriertes Unternehmen kontrolliert RHI Magnesita die gesamte Wertschöpfungskette vom Bergbau bis zu Industrial Services. Mit 35 Produktionsstandorten beschäftigt RHI Magnesita aktuell rund 14.000 Mitarbeiter. Im Geschäftsjahr 2018 erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von rund 3 Mrd. Euro.

Fotos: Christoph Eder, RHI