Interview mit Vivek Gilani

Die Pappe auf dem heißen Blechdach

Magazin 94 – Frühjahr 2022

Mit seinem Unternehmen cBalance berät der Umweltingenieur Vivek Gilani indische Unternehmen, Behörden und Bürger, wie sie das Klima schützen können. Das von ihm gegründete FairConditioning-Programm setzt einen Schwerpunkt auf nachhaltige und leistbare Kühlungslösungen für Menschen in Armenviertel.

Vivek Gilani
Vivek Gilani, cBalance
Sie arbeiten in indischen Städten wie Pune und Bangalore. Welche Auswirkungen hat Hitze auf die Menschen, die Sie beraten?

Gilani: Viele Menschen, mit denen wir in Pune arbeiten, leben in Häusern mit Blechdächern und -wänden. Diese haben keine Fenster, dafür steht meist direkt gegenüber das nächste Gebäude, wodurch Belüftung schwer möglich wird. Erst kürzlich haben wir in solchen Häusern wieder mehr als 40 Grad Raumtemperatur gemessen, und da war es noch nicht einmal Sommer. In Bangalore haben Gebäude oft sehr niedrige Decken, was ebenfalls für ein wärmeres Raumklima sowie für Belüftungsprobleme sorgt. Die Bewohner erzählen uns von Beschwerden wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Hautschwellungen und Atemnot. Ihre Schlafzyklen sind gestört, und es gibt Tage, an denen sie erst um vier Uhr morgens einschlafen, was sie untertags gereizt macht. Kinder leiden unter Schlaf- und Lernproblemen, ältere Menschen unter Appetitlosigkeit. Auch ist das Kochen in überhitzten Räumen beschwerlich und Speisen verderben leicht. 

Wie versuchen Menschen, mit der Hitze klarzukommen? 

Gilani: Gegen den Hitzestress wird vieles probiert: Sie schütten Wasser auf ihre Dächer oder bedecken diese mit Pappe, damit sich das Blech nicht aufheizt. Manche bauen Dächer aus Kokosnussblätter, um die Innenräume kühl zu halten. Sie wischen die Böden feucht, um einen Kühleffekt zu erzielen und baden häufig in kaltem Wasser. Viele schlafen auch direkt auf dem Fußboden und sitzen tagsüber vor ihren Häusern und warten, bis die Innentemperaturen erträglich werden. Einige Bewohner besitzen Ventilatoren mit Verdunstungskühlern.

cBalance Dachfenster
Bessere Belüftung durch ein kleines Dachfenster
Welche der kostengünstigen Kühlungslösungen, die cBalance empfiehlt, haben sich als besonders effektiv erwiesen?

Gilani: Alufolie und ähnliche Materialien, die sich auch aus Abfällen gewinnen lassen, können als Strahlungsbarrieren auf Dächern sehr wirkungsvoll sein. Damit lassen sich Innentemperaturen um fünf bis sechs Grad senken. In Pilotprogrammen in informellen Siedlungen setzen wir daher auf solche Alufolienbarrieren. In fensterlosen Häusern bauen wir auch kleine Dachfenster ein, um die Belüftung zu unterstützen. In heißen und trockenen Regionen sollten solche passiven Kühlungslösungen mit kostengünstigen Verdunstungskühlern kombiniert werden. In tropisch-feuchten Orten wie Mumbai oder Chennai benötigen wir aber auch eine Entfeuchtung, die in der Regel durch Kompressorkühlung wie bei einer Klimaanlage möglich ist. Es gibt aber auch eine umweltfreundliche Alternative, die sich für informelle Siedlungen eignet, nämlich gut konzipierte und isolierte Eisbox-Klimaanlagen. Sie kühlen zwar nicht das ganze Haus, machen die Hitze für die Bewohner aber erträglicher. Solche Luftkühler können mithilfe eines kleinen Photovoltaikpanels, eines Ventilators und mit Eisblöcken betrieben werden.

Folie
Die Folie dient tagsüber als Barriere für die Strahlungswärme. Nachts kann sie zurückgeschoben werden, damit die im Haus eingeschlossene Wärme besser entweichen kann.
Besteht das Problem vor allem darin, bekannte Lösungen zugänglich zu machen? Oder braucht es auch Innovationen? 

Gilani: Es gibt zahlreiche Kühllösungen. Diese müssen aber besser auf den sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen und klimatischen Kontext abgestimmt werden. Konkret könnten etwa Verdunstungskühlsysteme mit Regenwassertanks gekoppelt werden. So können auch Menschen in wasserarmen Gebieten diese Kühlsysteme verwenden. Oder, um das Beispiel der Eisbox-Kühlung zu nehmen: Hier wäre es wichtig, dass das Eis lokal, nachhaltig und kostengünstig hergestellt wird. Etwa von Eisproduzenten, die mit Solar-Dampfabsorptionsmaschinen arbeiten und die dafür natürliche, klimafreundlichere Kältemittel wie Ammoniak einsetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Nähere Infos zu Vivek Gilanis Beratungsunternehmen finden Sie hier: cBalance