Ende Dezember, eine gute Zeit, um über den nächsten Sommerurlaub am Meer in Italien nachzudenken. Eine nicht unwichtige Frage betrifft dabei die gewünschte Unterlage für das eigene Handtuch. Die Möglichkeiten reichen von den knüppelharten Betonterrassen Triests bis zu den feinen Stränden Sardiniens. Alle eint: Ohne Sand würde gar nichts gehen. Denn nicht nur der Strand ist auf Sand gebaut, auch Beton besteht zu zwei Dritteln aus Sand – und dieser wird genau deswegen weltweit immer knapper. Wir verbrauchen aktuell mehr als doppelt so viel Sand wie von der Natur nachgeliefert wird.

Genaue Zahlen gibt es nicht, doch vorsichtigen Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge werden jährlich etwa 20 Mrd. Tonnen Sand abgebaut, alle Flüsse der Welt liefern gemeinsam weniger als 10 Mrd. Tonnen nach. Eindringlich haben Forscher aus Deutschland und den USA in der Fachzeitschrift Science im vergangenen Jahr vor der unregulierten Ausbeutung des Rohstoffs in vielen Regionen der Welt gewarnt. Die Forscher sprechen gar von einer globalen Sandkrise.

Es knirscht…

Doch was ist eigentlich gemeint, wenn von Sand die Rede ist? Entscheidend ist die Korngröße: Bei Sandkörnern handelt es sich um Sedimente mit einem Durchmesser von 0,063 bis zwei Millimetern. Die nächstgrößere Kategorie ist Kies, kleiner sind Schluff und Ton. Dieser Unterschied lässt sich auch erschmecken: „Sand knirscht zwischen den Zähnen. Wenn die Körner so fein sind, dass sie nicht mehr knirschen, dann handelt es sich bereits um Ton“, verrät Klaus Schwarzer, Sedimentologe von der Universität Kiel (siehe Interview).

Auch wenn Österreich nicht mit Sandstränden am Meer aufwarten kann, wird hierzulande jede Menge Sand produziert. Jener entsteht, wenn in Gebirgen Eis, Schnee und Regen das Gestein zersetzen. Dabei bilden sich die resistenten kleinen Körner, die anschließend von einem Bach in einen Fluss und von dort in die Ozeane und an die Strände der Küsten transportiert werden, wobei sich auf der Reise Sand an den Flussufern und am Grund von Seen ablagert – und auch neuer entsteht, da die Flüsse Gesteinsbrocken zerkleinern.

Es kann ein paar Tausend Jahre dauern, bis ein Sandkorn den Weg vom Berg ins Meer zurückgelegt hat – falls es denn so weit kommt und nicht zuvor von Baggern oder bloßen Händen aus dem Wasser gefischt oder seine Weiterreise von einem Staudamm unterbrochen wurde. Schließlich weckt Sand überall auf der Welt Begehrlichkeiten: Der Alleskönner befindet sich beispielsweise in Handys, künstlichen Hüftgelenken und Zahnpasta. Und beim nächsten Achterl kann man sich bewusst machen, dass Sand sowohl im Glas (Quarzsand) als auch im Wein (Kieselsäure) steckt.

Vor allem ist Sand aber für die Baubranche von enormer Bedeutung, denn er wird mit Kies, Zement und Wasser zu Beton gemischt. Der Franzose Joseph Monier erfand vor 150 Jahren den Stahlbeton, der auch als Skelett der modernen Welt bezeichnet wird. Zwei Drittel der Bauwerke der Welt sind heute aus Stahlbeton. Und für diesen werden überall auf der Welt Strände abgetragen und Flüsse ausgepumpt. Etwa drei Viertel der global geförderten Sandmenge wird dafür verbraucht. Wüstensand hilft beim Bauen nicht weiter: Er ist durch den Wind zu glatt geschliffen, es fehlt die Kantigkeit, die es in der Baubranche braucht.

…im Getriebe

Manueller Sand­abbau im Beki Fluss im indischen Bundes­staat Assam

Vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern ist der Sandhunger groß, allein China verbraucht rund 60 Prozent des weltweit abgebauten Sandes, insbesondere für die Baubranche. In den Jahren zwischen 2010 und 2014 hat China mehr Sand verarbeitet als die USA im ganzen vergangenen Jahrhundert. Nicht nur für den Bauboom, sondern auch um vor seiner Küste neue Inseln durch Aufspülungen zu schaffen – und damit international umstrittene Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer zu untermauern. Umstritten ist auch die Art und Weise, wie sich Singapur durch Aufspülungen stetig weiter ins Meer ausbreitet.

Rund 25 Inseln des benachbarten Indonesien sind aufgrund von Sandabbau bereits verschwunden, sie stecken nun unter anderem in Singapurs Hochhäusern und in der neu aufgeschütteten Fläche des Stadtstaates, der mit 5,4 Tonnen pro Einwohner und Jahr den weltweit höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Sand vorweist.Marokko hat durch Sandabbau bereits die Hälfte seiner Strände verloren. Und in Indien ist die Sand-Mafia die mächtigste kriminelle Vereinigung des Landes, sie beherrscht das Baugeschäft und betreibt landesweit mehr als 8.000 Abbauorte. Allein in die rasant wachsende Stadt Bangalore fahren täglich etwa 13.000 mit Sand beladene LKW. Hunderte Tote haben Konflikte um Sand in Indien schon gekostet, im bereits erwähnten Science-Artikel ist in diesem Zusammenhang gar von Sandkriegen die Rede.

Interview mit Klaus Schwarzer, Uni Kiel

Klaus Schwarzer, Sandforscher an der Universität Kiel

Wem gehört der Sand?

Klaus Schwarzer ist Sandforscher an der Universität Kiel und untersucht sowohl die Nord- und Ostseestrände in seiner Umgebung als auch die Sandvorkommen Asiens und Afrikas. Dort sei die Lage um den schwindenden Rohstoff mehr als ernst.

Und die Natur leidet mit. Dabei sind die drastischsten Auswirkungen in der Umgebung von Flüssen, aus denen Sand gebaggert wird, zu spüren: Der Grundwasserspiegel sinkt ab, Strömungen verändern sich, es kommt zu Erosion, das Wasser wird trüb. Aber auch die riesigen Saugschiffe, die Sand vom Meeresboden hochpumpen, zerstören ganze Lebensräume. „Wir wissen gar nicht, wie viel wir damit langfristig kaputt machen. Nicht nur weil der Sand weg ist, sondern auch weil das, was an dem Sand hängt, zerstört wird. Was passiert, wenn ein Fisch, der Sandgründe braucht, nicht mehr laichen kann, ein Fisch, der dann wieder anderen als Nahrung dient? Der Eingriff kann weitreichend sein“, sagt Sandexperte Klaus Schwarzer.

Langsam rieselt die Problemlage in das öffentliche Bewusstsein. In den USA kam kürzlich das Buch „The World in a Grain“ des Investigativjournalisten Vince Beiser auf den Markt, in dem er die Relevanz des „wichtigsten Feststoffes der Erde“ für unsere Zivilisation auf 300 Seiten detailliert historisch nachzeichnet. Und die aktuelle globale Problematik unter anderem anhand der Sandstrände Floridas schildert, wo sich 90 Prozent der Strände auf dem Rückzug befinden. Auch im deutschsprachigen Raum hat in den vergangenen Jahren die Anzahl an medialen Beiträgen zur Sandproblematik deutlich zugenommen. Diese schildern meist das Ausmaß des Problems – und bemühen unisono den Satz, dass es Sand nicht mehr wie Sand am Meer gebe. Aber Lösungen werden kaum aufgezeigt. Dabei gibt es sie durchaus.

Recycling auf hohem Niveau

Eine wichtige Maßnahme könnte ein deutlich forciertes Betonrecycling sein. Große Teile des Betons eines abgerissenen Hauses können recycelt werden. Doch Recyclingbeton gilt als minderwertig und wird daher nur weiter- und nicht wiederverwertet, also etwa für Straßenaufschüttungen benutzt statt zum erneuten Häuserbau – Downcycling nennt man das.

Zwar kommt Recyclingsand nicht an die Qualität von Natursand heran, dennoch ist er mittlerweile gut genug, um auch im Hochbau eingesetzt zu werden – das ergeben Studien der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Heutzutage wird beim Recycling so sauber selektiert, dass die Gefahr, dass kontaminiertes Material in den Bauschutt wandert, deutlich geringer ist als in der Vergangenheit. Nachhaltigkeit beim Bauen ist demnach vor allem eine Frage der Akzeptanz von Recyclingmaterialien.

Unnatürlich ist der Strand in Miami Beach (oben), für den genauso Sand geliefert werden muss wie für die vielen Baustellen der Seestadt Aspern (Mitte). Aus dem feinen Sand der Namib-Wüste (unten) lässt sich mithilfe neuer Metho­den Polymerbeton herstellen.

Diese Akzeptanz scheint es in Österreich von Behördenseite nicht unbedingt zu geben – obwohl doch Recycling und Kreislaufwirtschaft auf allen Ebenen gefördert werden sollen. „Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Kaum ein Unternehmen recycelt in der Größenordnung, die möglich wäre, weil die Auflagen für die Recyclingprodukte so hoch sind“, sagt Mario Schalko, Vertriebsleiter des Wiener Sand- und Kiesunternehmens Pannonia.

Neben Betonrecycling wird auch der Einsatz von alternativen Baustoffen diskutiert, Stroh, Holz oder auch Bambus, der vor allem in tropischen Ländern eine gute Alternative zu Stahl sein könnte. Einige Forscher bringen Pilze ins Spiel, die in der Lage sein sollen, Holz eine besondere Festigkeit zu verleihen. Und auch die Möglichkeit, aus Wüstensand Ziegel zu formen, wird aktuell erforscht – auch wenn Wüstensand letztlich ebenfalls eine endliche Ressource darstellt. Hier sollen Bakterien in Form einer Lösung über den Sand gegossen werden und dann Kalk abscheiden, woraufhin sich die Sandkörner zu einer Art biologischem Zement verbinden und innerhalb von zwei bis fünf Tagen zu einem festen Stein werden. „Vor allem der Sand aus der Arabischen Wüste ist ideal für diesen Prozess“, sagt die US-Amerikanerin Ginger Krieg Dosier, deren Start-up bioMASON genau dieses Produkt vertreibt.

Beton ersetzen werden diese Bakterienziegel aber kaum. Doch ließe sich Beton nicht auch aus einem anderen Material als Natursand herstellen? Altglas kann etwa in seinen ursprünglichen Zustand – also Sand – zurückversetzt werden, indem es ganz fein zerkleinert wird. Es ist genauso sauber wie Natursand und kann genauso verwendet werden. Selbst Meeresschildkröten legen an Stränden, die versuchsweise mit Glassand aufgefüllt wurden, ihre Eier ab.

Teure Alternative

Eine weitere Möglichkeit ist Polymerbeton, also Beton ohne Zement, bei dem ein Kunststoff als Bindemittel eingesetzt wird, der etwa auch Wüstensand nutzbar machen kann. Polymerbeton wird bislang vor allem im Tiefbau verwendet, die deutsche Firma PolyCare Research Technology arbeitet aber auch an Polymerbetonsteinen, die einfach zu Häusern zusammengesetzt werden können. Diese sollen vor allem in Entwicklungsländern für neuen Wohnraum sorgen.

PolyCare baut unter anderem eingeschossige Siedlungen in Namibia mit dem dortigen Wüstensand. Wer schon einmal den hauchfeinen Sand der Namibwüste durch die eigenen Finger hat rinnen lassen, kann sich kaum vorstellen, dass jener als Baumaterial dienen könnte. Aber Polyesterharz sorgt als Bindemittel dafür, dass die Steine letztlich hart werden wie Granit. Polymerbeton ist härter und länger haltbar als normaler Beton und außerdem umweltfreundlicher – er lässt sich problemlos auf üblichen Anlagen recyceln.

Aber Polymerbeton ist auch deutlich teurer. Und hier liegt die Krux: Solange in vielen Regionen der Welt der Abbau von Sand nichts kostet und nicht besteuert ist, haben andere Materialien es sehr schwer zu konkurrieren. Sand ist den bereits zitierten Forschern zufolge eine Common-Pool-Ressource, was bedeutet, dass sich quasi jeder daran bedienen kann, da der Zugang schwierig zu reglementieren ist. Sie prognostizieren, dass die aktuelle Kombination aus rasant steigender Nachfrage – das globale Handelsvolumen lag im Jahr 2016 bei 70 Mrd. Dollar – und uneingeschränktem Abbau die Probleme in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen wird. Es gebe die dringende Notwendigkeit eines globalen „Sand Governance Systems“.

Noch keine Engpässe

Fehlende Regularien – gilt das eigentlich auch für den Sandabbau in Österreich? Mario Schalko von der Pannonia Group lacht. „Daran mangelt es in Österreich nicht. Unser Problem sind weniger die schwindenden Sandvorkommen als die schwindenden Genehmigungen zum Sandabbau.“ Schalko empfängt in der Zentrale des Sand- und Kiesunternehmens in Wien-Simmering. Ein Schaugarten zeigt fein aufgereiht Sand, Kies, Steine und Erden, erhältlich im 25 Kilo Sack oder auch gleich als ganze LKW-Ladung. Das Büro befindet sich in einem einfachen Container. Alles andere als einfach ist die Arbeit im Kieswerk der Pannonia GmbH im burgenländischen Parndorf, von der er berichtet: Radlader brechen die gewünschten Rohstoffe aus der Parndorfer Platte. Dann werden diese vor Ort gesiebt, gewaschen, sortiert – und daraufhin vor allem an Betonmischwerke transportiert. Daneben beziehen aber auch einige Wiener Strandbars ihren Untergrund von Pannonia.
 

Die globale Sandproblematik bereitet Schalko eher weniger Kopfzerbrechen. „Österreich hat dank der Berge und Steinbrüche sehr große Sandvorkommen“, sagt er. In Parndorf sieht Schalko in den nächsten 25 Jahren keine Engpässe, doch irgendwann werde natürlich auch dort das letzte Sandkorn abgebaut sein. Dann müsse sein Unternehmen neue Vorkommen erschließen. Der Eingriff in die Umwelt ist dabei nicht so gravierend wie beim Nassbaggerverfahren in Flüssen oder im Meer, denn in Parndorf werden leere Sandgruben renaturiert.

Auf die Palme

In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern ist Renaturierung ein Fremdwort – könnte auch Sand in einigen Jahrzehnten eine veraltete Vokabel sein? Werden zukünftige Generationen die Urlaubsgeschichten vom Sandstrand nicht mehr selbst nachempfinden können? Nur eine Kombination aus einem besseren Management der natürlichen Sandvorkommen und einem stärkeren Fokus auf Recyclingmaterial und alternativen Baustoffen wird der aktuellen Entwicklung erfolgreich entgegenwirken können.
 
Doch um einen entsprechenden Paradigmenwechsel in die Wege zu leiten, muss beim Mindset angefangen werden und wie so häufig ist dieses am schwierigsten zu verändern. Die gesamte Bauindustrie ist seit Langem auf das Bauen mit Beton ausgerichtet, dafür gibt es die passenden Maschinen und das Know-how. Alternative Lösungen erfordern ganz neue Zugänge und damit auch Anstrengungen, Architekten und Ingenieure müssten neu geschult werden. Und wenn ein geschlossener Baukreislauf angestrebt wird, dann müsste schon beim Hausbau klar sein, wie man das Gebäude einmal sortenrein wieder abtragen kann.
 
Als abschreckendes Beispiel dafür, wie es nicht laufen sollte, könnte Dubai dienen, das Umweltschützer mit seinen künstlich aufgeschütteten Inseln auf die Palme bringt. Auf „The Palm“ folgte „The World“, 300 Inseln, die aus der Luft betrachtet eine Weltkarte darstellen sollen und für die mehr als 1.000 Mio. Tonnen Sand veranschlagt wurden. Doch wegen der Finanzkrise vor zehn Jahren musste das Projekt mittendrin gestoppt werden. Mittlerweile sind die Inseln Europas, Afrikas und Asiens mehr oder weniger zusammengeflossen. Dabei handelt es sich nicht um eine ästhetische Globalisierungsmetapher, sondern um die Folgen des Baustillstands: Witterung und Erosion haben den Planern einen Strich durch die Rechnung gemacht, The World ist versandet.
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