In Südafrika müssen seit Mitte Juli wieder die Dieselgeneratoren angeworfen oder die Kerzen aus den Schubladen geholt werden. Für viele Südafrikaner ist das stetige „Licht an, Licht aus“ seit Jahren Teil der Normalität, der Strom fällt bisweilen mehrmals täglich für einige Stunden aus. Um einen Totalausfall des überlasteten Systems zu vermeiden, sieht sich das staatliche Stromunternehmen Eskom zur häufigen Abschaltung gezwungen. Dabei hatte es noch im Juni stolz verkündet, dass der Strom seit drei Monaten nicht mehr abgestellt worden war. Verantwortlich dafür war aber nicht eine vermeintlich nachhaltige Entspannung der Energiesituation, sondern der deutlich niedrigere Stromverbrauch infolge des Corona-Lockdowns. „Der nun wiederum steigende Energiebedarf kann von Eskom nicht gedeckt werden. Mittel- bis langfristig werden erhebliche Investitionen in die Energieinfrastruktur erforderlich sein“, sagt Cebo Silinga, Experte für erneuerbare Energie bei der südafrikanischen Technology Innovation Agency. 

Cebo Silinga, Technology Innovation Agency

Südafrika produziert den überwiegenden Teil seines Stromes aus Kohle (siehe Grafik). Dazu tragen Gas, Kernkraft – aus dem 1984 bei Koeburg errichteten bislang einzigen in Betrieb befindlichen Kernkraftwerk Afrikas – sowie ein wenig Wasser-, Solar- und Windkraft zur Energieerzeugung bei. Bis 2030 will die Regierung die Kapazitäten um 50 Prozent erhöhen und einen Schwerpunkt auf Wind- und Solarkraftwerke legen. Die Tatsache, dass der von Missmanagement und Korruption geprägte Stromversorger Eskom mit umgerechnet mehr als 20 Mrd. Euro verschuldet ist, senkt die Erwartungen. 

Daten und Fakten

Zu wenig des Guten

Während Südafrika überwiegend auf Kohleverstromung angewiesen ist, setzen Länder wie Äthiopien oder die DR Kongo vor allem auf Wasserkraft. Nur: Für eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung müsste die Stromproduktion mindestens verzehnfacht werden.

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Kein Mangel an Ressourcen

Nichtsdestotrotz verfügt Südafrika neben den nordafrikanischen Ländern über die beste Energieversorgung des Kontinents. 80 Prozent der Bevölkerung des Landes haben Zugang zu Strom, während es in ganz Subsahara-Afrika weniger als die Hälfte sind. Je ärmer das Land, desto schlechter die Versorgung: Im Krisenland Südsudan hat nicht einmal ein Zehntel der Bevölkerung Zugang zu Elektrizität. Das rasante Wachstum der afrikanischen Bevölkerung erhöht den Druck.

Dabei gäbe es genügend Ressourcen, um den Kontinent flächendeckend mit Strom zu versorgen, vor allem das Potenzial bei erneuerbarer Energie ist groß. Bei der Verkündung eines New Deal on Energy for Africa im Jahr 2015 sprach der Präsident der Afrikanischen Entwicklungsbank Akinwumi Adesina überschlagsweise von einem Potenzial von 10.000 Gigawatt bei Sonnenkraft, 350 bei Wasserkraft, 110 bei Windkraft sowie weiteren 15 bei Geothermie – neben immer noch verbleibenden 300 Gigawatt bei Kohle und 400 bei Gas. Laut Aussage des deutschen Entwicklungsministers Gerd Müller könnte Afrika der erste Kontinent überhaupt sein, „der sich vollständig aus erneuerbaren Energien versorgt“. Die Internationale Agentur für erneuerbare Energien IRENA kalkuliert, dass die afrikanische Erzeugungsleistung in Höhe von 620 Gigawatt im Jahr 2030 zur Hälfte auf Erneuerbaren basieren könnte. Das wäre ein beachtlicher Sprung und eine Versiebenfachung der installierten Leistung von Erneuerbaren gegenüber dem Jahr 2017 – und bedeutete einen Einsatz von jährlich 70 Mrd. Dollar.

Der New Deal, den internationale Akteure wie Weltbank, die Internationale Energieagentur IEA und IRENA unterstützen, richtet sich auf einen Ausbau von sowohl netzgebundener als auch netzungebundener Energie, um bis 2025 eine Milliarde Afrikaner zusätzlich mit Strom zu versorgen und damit „in Afrika das Licht aufzudrehen“. Erneuerbare Energieträger sollen dabei den Vorzug erhalten, allerdings nur im Rahmen der ökonomischen Möglichkeiten – ein klarer Appell an die internationale Gemeinschaft.

Interview mit Kandeh Yumkella, Energieexperte

Mini-Grid und Maxi-Aufgabe

Kandeh Yumkella, ehemaliger Generaldirektor der Organisation für industrielle Entwicklung UNIDO in Wien, sieht bei der ersehnten Elektrifizierung Afrikas vor allem Schwierigkeiten bei Finanzierungsfragen – und hofft auf Europa.

Thinking Big!

In Afrika spielt die Wasserkraft – mit einem Anteil von 17 Prozent an der Stromversorgung – heute schon in einigen Ländern eine bedeutende Rolle bei der Stromgewinnung. Die Stabilität der Durchflussmengen bereitet aber immer öfters Sorge. Und der Wunsch, große, geschichtsträchtige Projekte mit gewaltigem Potenzial zu realisieren, scheint die Politik zu leiten. Kurz vor der Fertigstellung steht aktuell die Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre am Blauen Nil. Die Staumauer wird zwei Kilometer lang und 145 Meter hoch sein, die zwei angeschlossenen Kraftwerke sollen mit sechs Gigawatt eine Leistung von durchschnittlich fünf Kernkraftwerken besitzen und zusammen das größte Wasserkraftwerk Afrikas bilden. Doch die Größe macht auch Angst. So fürchten der Sudan und vor allem Ägypten, das sein Wasser fast zur Gänze aus dem Nil bezieht, um die eigene Wassersicherheit. Dass Äthiopien ohne jegliche rechtliche Vereinbarung im Juli Fakten schuf und eine erste Teilfüllung des Stausees mit knapp fünf Milliarden Kubikmetern Wasser veranlasste, verhärtete die Fronten. Äthiopien will den Strom zukünftig auch exportieren.

Umstritten: Der Grand Renaissance Damm in Äthiopien samt Stausee kurz nach der ersten Flutung Mitte Juli

Das Stromgeschäft beflügelt auch Visionen in der Demokratischen Republik Kongo. Das Land hatte mit internationaler Finanzierung in den 1970er und 1980er Jahren zwei kleinere Wasserkraftwerke – Inga I und II – am Kongofluss errichtet. Nun könnte man mit Grand Inga große Teile des südlichen Afrikas mit Strom versorgen. Verbunden mit einer Umleitung und Aufstauung des Kongo würde Grand Inga nach mehreren Ausbaustufen eine Leistung von 40 Gigawatt Strom erreichen, das entspricht der doppelten Leistung des bis dato weltgrößten Drei-Schluchten-Kraftwerks in China.

Grand Inga ist eines von 15 Flaggschiffprojekten der Agenda 2063, mit der die Afrikanische Union seit 2013 das Ziel verfolgt, die Potenziale des Kontinents zu entwickeln. Doch die Umsetzung verzögert sich. Die Weltbank hat sich wegen Unstimmigkeiten mit dem damaligen kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila vor vier Jahren zurückgezogen. Ein europäisch-chinesisches Konsortium, das von Kabila den Zuschlag erhielt, zerstritt sich ebenfalls, die Unternehmen ziehen die Reißleine. Der neue kongolesische Präsident Félix Tshisekedi setzt heute bereits auf eine deutlich kleinere Variante der ersten Ausbaustufe mit einer Leistung von 4,8 statt elf Gigawatt. Ob es dazu kommt, ist aktuell mehr als ungewiss, auch weil der Hauptabnehmer Südafrikas krisengeschütteltes Stromunternehmen Eskom sein soll, das es sich derzeit kaum leisten kann, in Leitungen zu investieren.

Zunehmend Frontrunner

Anders als bei Wasserkraft, wo vor allem Großprojekte mit zumeist deutlichen Kostenexplosionen einhergehen, gewinnt die Solarenergie angesichts stetig sinkender Kosten immer mehr an Aufmerksamkeit. Die IEA ist überzeugt, dass Solarenergie bereits 2040 die größte Energiequelle des Kontinents sein wird. 

Für die Versorgung von wachsenden Städten und Ballungszentren und einer immer stärker industrialisierten Wirtschaft mit regenerativer Energie braucht es große Solarparks. Ein Vorreiter ist das Solarkraftwerk Noor Ouarzazate im Atlasgebirge in Marokko. Die 25.000 Hektar große Anlage hat eine Spitzenleistung von mehr als 500 Megawatt. In der ägyptischen Wüste entsteht bereits ein noch leistungsstärkeres Projekt: Der zu mehr als 80 Prozent fertiggestellte Benban-Solarpark ist der größte der Welt, die angestrebte Spitzenleistung von 1.800 Megawatt ist mehr als doppelt so hoch wie die des bisherigen Rekordhalters in China. 30 internationale Unternehmen sind an dem Projekt beteiligt, die Finanzierung stammt aus aller Welt – Kostenpunkt: 3,6 Mrd. Euro.

Hoffnungsträger: 25.000 Hektar Sonnenkraft nahe Ouarzazate im marokkanischen Atlasgebirge

Solarenergie könnte darüber hinaus die Basis für weitere Energieträger sein. Eine zunehmend wichtige Rolle soll hier sogenannter grüner Wasserstoff spielen. Die Idee: In großem Rahmen erzeugter Solarstrom soll über Elektrolyse zuerst in Wasserstoff und dann in synthetisches Erdgas umgewandelt werden, das verflüssigt von Afrika nach Europa transportiert wird. Dabei soll explizit aus den Fehlern des gescheiterten Desertec-Projekts, in dessen Rahmen vor zehn Jahren große Strommengen aus der Sahara nach Europa exportiert werden sollten, gelernt werden.

Großes Betätigungsfeld

Bei aller Euphorie über die Potenziale der regenerativen Energien sind viele afrikanische Staaten dabei, ihre fossilen Energieträger weiter auszubauen. Vielerorts werden neue Kohlekraftwerke errichtet sowie Öl- und Gasreserven erschlossen. Mehr als zehn afrikanische Staaten planen zudem Kernkraftwerke und bauen dabei meist auf die Unterstützung Chinas oder Russlands. 

Neben der Erzeugung steht der Kontinent auch mit Blick auf die Verteilung des Stroms vor großen Herausforderungen. Ein flächendeckendes Stromnetz wird es in Afrika so bald nicht geben. Daher muss zugleich eine Strategie mit vielen kleinen, dezentralen und netzungebundenen Energieformen zur Versorgung der Zukunft gefahren werden. Micro-Grid-Anlagen – also autarke Kleinnetze, die primär auf Wind- oder Solarenergie basieren – sind vor allem im ländlichen Afrika vielversprechend und können den langwierigen und kostenintensiven Aufbau überregionaler Stromnetze zumindest teilweise ersetzen. 

Immer noch haben rund 500 Millionen Menschen in Subsahara-Afrika keinen Zugang zu Strom und 800 Millionen kochen über dem Feuer. Die afrikanische Entwicklungsbank errechnete für die Umsetzung ihres New Deals bis 2025 einen jährlichen Finanzierungsbedarf von 60 bis 90 Mrd. Dollar. Klar ist: Für die umfassende Energieversorgung des Kontinents sind enorme Investitionen vonnöten.

Fotos: John Hogg/World Bank, Silinga, Wikimedia Commons, Richard Allaway/Flickr