Wer in Parnamirim im brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Norte nach der lokalen Touristenattraktion fragt, der findet sich bald in einem Wald wieder. Genauer gesagt in einem 8.500 Quadratmeter großen Dickicht, das sich auf verschlungenen Wegen durchforsten und von einem 25 Meter hohen Aussichtsturm aus überblicken lässt. 

Wie ein Wald und doch nur ein einziger Baum: Der wohl größte Cashew der Welt wächst in Brasilien und wurde vermutlich im Jahr 1888 gepflanzt.
Wie ein Wald und doch nur ein einziger Baum: Der wohl größte Cashew der Welt wächst in Brasilien und wurde vermutlich im Jahr 1888 gepflanzt.

Die Grünoase wird tagtäglich fotografiert, gefilmt und bestaunt. Denn sie besteht nicht aus einer Vielzahl von Pflanzen, sondern aus nur einem einzigen Baum – einem Cashew. Auf seiner Fläche könnten 70 reguläre Artgenossen gedeihen. Dank einer genetischen Besonderheit wachsen die Äste des Naturwunders jedoch nicht nach oben, sondern zur Seite und bilden, sobald sie den Boden berühren, neue Wurzeln und Äste. 

Cashew statt Kuh

Für die Bewohner Parnamirims ist ihr „maior cajueiro do mundo“, portugiesisch für größter Cashewbaum der Welt, eine attraktive Einkommensquelle: Die Touristen zahlen für den Besuch des Waldes und erstehen Mitbringsel in den vielen Läden rund um den grünen Riesen. Für kulinarische Souvenirs sorgt der Baum gleich selbst: Er trägt an die 70.000 bis 80.000 Cashewnüsse im Jahr. Viele Besucher lernen erst vor Ort, wie diese eigentlich wachsen: Cashewnüsse sehen aus wie die Anhängsel des so genannten Cashewapfels, der wiederum an eine kleine Paprika oder Birne erinnert. Der Apfel ist eine Scheinfrucht: Er trägt keinen Samen in sich, sondern ist ein verdickter Fruchtstiel. Der Cashewkern mit seiner harten Schale ist die wahre Frucht des Baums, der zur weiteren Verwirrung auch Elefantenlaus genannt wird.

In Geschmacksrichtungen wie natur, gesalzen oder mit Schokolade überzogen sind Cashewnüsse in heimischen Super- und Drogeriemärkten erhältlich. Auch in Form von Mus, als Milch- und Joghurtalternative sowie als Zutat von Proteinriegeln und Currysaucen sind sie zu finden. „Die globale Nachfrage nach Cashewnüssen wächst beständig um rund fünf Prozent im Jahr. Der Trend zum Veganismus, der neben den USA immer stärker auch in Europa zu beobachten ist, wird auch künftig für steigende Absätze sorgen“, meint Gerard Klijn, Geschäftsführer der Global Trading & Agency, einem holländischen Zwischenhändler im Nuss- und Trockenfrüchtegeschäft. So gibt es bereits mit Edelschimmel überzogenen Cashew-Camembert und Cashew-Foie Gras als innovative pflanzliche Ersatzprodukte für Käse und Gänseleber. 

Der süß-säuerliche Cashewapfel ist in den Obstabteilungen hingegen nicht präsent. Er ist so druckempfindlich und verderblich, dass er schon kurz nach der Ernte zu faulen beginnt. Cashewäpfel werden daher gleich nach der Ernte gegessen – etwa in Scheiben geschnitten und mit Chili, Salz und Zucker gewürzt. Oder sie werden zu Säften, Schnäpsen und Marmeladen weiterverarbeitet. Millionen Tonnen der Früchte verrotten aber jedes Jahr. Im Cashewanbau ist der Apfel eben nur ein Nebendarsteller. 

Aufwändiger Snack

Der Cashewbaum (Anacardium occidentale, auch Kaschu- oder Nierenbaum) ist eine immergrüne Pflanze, wird sieben bis 15 Meter hoch und zählt wie die Mango oder Pistazie zu den Sumachgewächsen. Er ist heute weltweit zu finden. Denn die in Brasilien beheimatete Pflanze wurde im 16. Jahrhundert von den Portugiesen nach Mosambik und Indien gebracht und dort als Maßnahme gegen Bodenerosion gepflanzt. Später verbreitete sich der Cashewbaum in weitere Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Für rund zwanzig Länder sind Cashewnüsse heute ein wichtiges landwirtschaftliches Erzeugnis. Indien und Vietnam zählen zu den größten Produzenten, auch die Philippinen, Kambodscha und Indonesien sind im Cashewanbau aktiv. Mehr als die Hälfte der Weltproduktion der rohen Nüsse stammt aber aus Afrika, allen voran aus Côte d‘Ivoire, Guinea-Bissau und Nigeria in Westafrika sowie aus Tansania in Ostafrika. 

Cash-Crop Cashew

Nur ein Fünftel der rohen Cashewnuss ist verzehrbar, der Rest besteht aus steinharter Schale. Die Weltproduktion für geschälte Cashewnüsse liegt in der Saison 2018/2019 bei 830.000 Tonnen.
Nur ein Fünftel der rohen Cashewnuss ist verzehrbar, der Rest besteht aus steinharter Schale. Die Weltproduktion für geschälte Cashewnüsse liegt in der Saison 2018/2019 bei 830.000 Tonnen (Quelle: International Nut and Dried Fruit Council).

Die Welterntemenge beträgt in der Saison 2018/19 laut Zahlen des International Nut and Dried Fruit Council 3,5 Millionen Tonnen Rohnüsse. Aus diesen rohen Cashews verzehrfertige Nüsse zu gewinnen, ist jedoch ein aufwändiger Prozess. „Kaum ein Konsument, der sich seine Hand mit Cashewnüssen voll lädt, weiß, wie viel Arbeit in dem Snack eigentlich steckt“, so Klijn. 

Cashewnüsse müssen zunächst vom Apfel abgetrennt und getrocknet werden – pro Cashewapfel wird dabei nur ein Kern gebildet. Dann werden die Nüsse mitsamt der steinharten Ummantelung geröstet oder unter Wasserdampf erhitzt. In der doppelwandigen Schale befindet sich die toxische Flüssigkeit CNSL, die durch Hitze austritt. Die brüchige Schale kann dann vorsichtig aufgeknackt werden. Die den weißen Cashew-Kern umgebende zähe Haut wird nach erneutem Erhitzen entfernt. Dann werden die Kerne sortiert, erneut getrocknet und verpackt.

Cashews in Rohform werden in einem aufwändigen Prozess verarbeitet.
Cashews in Rohform werden in einem aufwändigen Prozess verarbeitet.

Für die beste Qualität werden nur ganze Kerne selektiert. Als „W180“ bezeichnet man die Königsklasse der Cashews: W steht für „whole“, also ganz, und 180 bezieht sich auf die Anzahl der Kerne pro Pfund Gewicht. Bei der Farbe gilt: Je heller, desto besser. Entsprechend lassen sich für Bruchstücke in dunkler Farbe die geringsten Preise erzielen. Die gängigste Qualitätsklasse nennt sich White Wholes 320, für die laut Global Trading & Agency Mitte Juni 2019 zwischen 7,25 und 7,60 Euro pro Kilo ab Ursprungshafen zu bezahlen waren.

Made in Vietnam

Auf abgepackten Produkten tauchen bei der Herkunftsangabe meist zwei Namen auf: Indien und Vietnam. Beide Länder erzeugen nicht nur Cashews im großen Stil, sondern importieren Rohnüsse aus Afrika und Asien und exportieren diese in verarbeiteter Form weiter. Indien etablierte sich bereits Anfang des 20. Jahrhunderts als Zentrum der Cashewverarbeitung und profitiert von einem wettbewerbsintensiven Umfeld, langer Erfahrung – und einem starken Heimatmarkt: Der Subkontinent ist global größter Konsument der nierenförmigen Kerne. Auch für Cashews niedriger Qualität gibt es eine lokal hohe Nachfrage, da diese etwa in Pulverform in Currys und Desserts landen. Heute noch arbeiten eine Million Menschen, vorwiegend Frauen, in der Branche, die lange Zeit von Handarbeit geprägt war und nun nach und nach auf Mechanisierung und Automatisierung umstellt.

Im Exportgeschäft ist Vietnam Spitzenreiter: Mehr als 60 Prozent aller Cashewexporte kommen aus dem südostasiatischen Land, weit vor Indien mit 23 Prozent. Importeure geschälter Nüsse sind wiederum vor allem die USA, gefolgt von den Niederlanden und Deutschland – letztere exportieren auch in viele weitere europäische Märkte. Vietnam setzte früh auf vollmechanische Verarbeitungsanlagen, die durch hohe Hygienebeding-ungen die Qualitätsanforderungen der Exportmärkte erfüllten und Kostenvorteile brachten. Denn während ein Arbeiter per Hand acht bis zehn Kilo Cashews am Tag verarbeiten kann, schafft eine Maschine vier bis fünf Tonnen. In punkto Nettoverarbeitungskosten ist Vietnam daher ungeschlagen: Eine Tonne rohe Cashews zu verarbeiten kostet laut dem belgischen Trade for Development Center in Vietnam 217 Dollar, in Indien 254 Dollar – und in Afrika 309 bis 704 Dollar. 

Nicht einmal ein Zehntel der in Afrika angebauten Nüsse wird heute auch lokal verarbeitet. Für viele afrikanische Regierungen steht eine höhere lokale Wertschöpfung im Cashew-sektor daher seit Jahren weit oben auf der Wunschliste. In Tansania, Nigeria oder auch Benin wird dies derzeit recht intensiv gefördert. Ein Grund dafür ist eine zuletzt höhere Preisvolatiltät bei Rohnüssen, die im Vorjahr durch Ernteschwankungen und Preis-spekulationen ausgelöst wurde. Auch könnte „lokale Verarbeitung in den Anbauregionen viele neue und dringend benötigte Jobs entstehen lassen“, erklärt Klijn.

Kein Mainstream

Es gibt schon länger Versuche, den Sektor in Afrika weiterzuentwickeln. Hilfe kommt beispielsweise von der Competitive Cashew Initiative der deutschen Entwicklungs-zusammenarbeit. Die Initiative unterstützt seit 2009 sechs afrikanische Länder dabei, die Produktion über die Verarbeitung und Vermarktung bis hin zum Export zu verbessern. Mit dabei sind lokale Regierungen, internationale Stiftungen und Konzerne wie Olam Inter-national, Intersnack und Walmart. Im Rahmen des preisgekrönten Programms wurden mehr als 400.000 Kleinbauern weitergebildet, die Bildung von Genossenschaften unterstützt und lokale Verarbeitungsbetriebe beraten. 

Heute ist der auf dem Kontinent größte Cashewverarbeiter Olam International, ein in Singapur ansässiger Lebensmittel- und Agrarkonzern, der – neben Fabriken in Indien und Vietnam – Rohnüsse auch in Côte d‘Ivoire, Mosambik und Nigeria verarbeiten lässt.

Cashewverarbeitung in Burkina Faso
Cashewverarbeitung in Burkina Faso

Pionierarbeit leistet seit elf Jahren auch die Global Trading & Agency mit eigenen Cashewfabriken in Burkina Faso und Benin. Ein Großteil der dortigen Produktion ist Bio- beziehungsweise Fairtradeware, für die es auch österreichische Abnehmer gibt. Die niederländische Importagentur CBI geht in einer aktuellen Marktstudie davon aus, dass Investoren aus Indien, China, Vietnam, Brasilien und Europa neue Fabriken in den großen afrikanischen Anbaugebieten errichten werden.

Damit verarbeitete Nüsse aus Afrika irgendwann ein Mainstreamprodukt in westlichen Supermärkten sein können, muss es lokalen Verarbeitern gelingen, mit der asiatischen Konkurrenz preislich mitzuhalten und größere Mengen aus zertifizierten Fabriken zu liefern. „Das ist derzeit noch nicht in Sicht“, bedauert Klijn und hofft, dass eine steigende Nachfrage aus Europa zu mehr Dynamik in Afrika führen könnte: „Es wäre ja auch ökologisch sinnvoll, die Rohnüsse nicht um den halben Erdball zu schicken, sondern verarbeitet direkt nach Europa zu liefern“. 

Ob diese Initiativen erfolgreich sein werden oder nicht: Afrika dürfte eine wichtige Quelle für den Cashewanbau bleiben: Kürzlich haben Tansania, Kenia und Ghana die Anpflanzung Millionen neuer Bäume angekündigt. Vielleicht ist ja auch einer darunter, der nicht nur die Trendnuss hervorbringt, sondern zur fußballfeldgroßen Touristenattraktion heranwächst. 


Mehr als Studentenfutter

Das bekannteste Produkt des Cashewbaums sind die magnesium- und proteinreichen Kerne, die vor allem in Nussmischungen, in Süßwaren oder als Zutat in der asiatischen Küche verzehrt werden. Sie sind außerdem zunehmend in veganen Alternativprodukten zu Käse, Joghurt oder Milch zu finden. Auch ein mildes, hellgelbes Speiseöl (Acajou-, Kaschuöl) lässt sich aus den Kernen herstellen. 

Der Cashew bringt mehr als nur Nüsse hervor. In der Tropenpflanze schlummern einige wertvolle Potenziale.
Der Cashew bringt mehr als nur Nüsse hervor. In der Tropenpflanze schlummern einige wertvolle Potenziale.

Ein anderes Öl ist allerdings wirtschaftlich bedeutender: Das aus der Schale gewinnbare Cashew Nut Shell Liquid CNSL, welches hauptsächlich aus Anacardsäure und Cardol besteht, findet aufgrund seiner polymerisierenden und reibungsmindernden Eigenschaften breite industrielle Anwendung. Das rötlich-braune Schalenöl wird für die Herstellung von Schmierstoffen, Lacken, Imprägnierungsmitteln, Bremsbelägen, Medikamenten und Fungiziden eingesetzt. 

Außerdem liefert der Cashewbaum ein Harz – den Cashewgummi, der mit Gummi arabicum vergleichbar ist. Das Holz ist wiederum sehr hart und dicht, resistent gegen Termiten und witterungsbeständig. Blätter und Rinde des Cashews werden in der Volksmedizin gegen Entzündungen und Schmerzen eingesetzt. Die süß-säuerlichen Cashewäpfel enthalten viel Vitamin C, sind saftig und roh verzehrbar. Aus ihnen werden natürliche und fermentierte Flüssigkeiten wie Säfte, Konzentrate, Wein, Essig und Schnaps (zum Beispiel Cashew-Feni aus Goa) hergestellt. In Brasilien wird dem Getränk Cajuína eine medizinische Wirkung zugesprochen. Das Fruchtfleisch lässt sich zu Gelee, Sirup, Dosenfrüchten, Chutneys und Marmeladen verarbeiten. Dennoch bleibt der Cashewapfel weitgehend ungenutzt – in Indien etwa verrotten 90 Prozent der Äpfel.

Fotos: Claire Cox/Flickr, Rafael Vianna Croffi /Flickr, Daniel Panev/Flickr, Joegoauk Goa/Flickr, Happy Cheeze, Plaza, Cajuína, Lauren Hudgins/Wikimedia, Global Trading & Agency,