Die Geburt ihres heute fünfjährigen Sohnes war für Temie Giwa-Tubosun, US-amerikanisch-nigerianische Doppelstaatsbürgerin, eine traumatische Erfahrung: Das Baby kam sieben Wochen zu früh und wurde per Notkaiserschnitt in einem Spital in den Vereinigten Staaten entbunden. Mutter und Kind benötigten danach intensivmedizinische Betreuung. „Hätte die Geburt in Nigeria stattgefunden, wäre ich wohl gestorben“, meint sie. Das Land habe nämlich eine der höchsten Müttersterblichkeitsraten weltweit. Auch wenn die Geschichte gut ausging, so wirkte sie nach: Die Expertin für internationales Gesundheitsmanagement beschloss, in ihrer Heimat Nigeria dafür zu sorgen, dass Frauen mit Schwangerschaftskomplikationen ähnlich gut versorgt werden wie sie selbst. 

Tempomacher

Auch für die britisch-nigerianische Ärztin Ola Orekunrin-Brown wurde ein Schicksalschlag zur Initialzündung ihrer heutigen Tätigkeit: Ihre Schwester starb im Urlaub in Nigeria. Das plötzlich schwer erkrankte zwölfjährige Mädchen konnte nicht schnell genug in ein geeignetes Spital gebracht werden, in ganz Westafrika war kein Rettungsflieger aufzutreiben. Der Ghanese Gregory Rockson wiederum las in einer Zeitung von einer Frau mit schwerer Herz-Kreislauf-Erkrankung, die nur deshalb in einem ghanaischen Spital verstarb, weil ein bestimmtes Medikament nicht rechtzeitig aufzutreiben war.

Was Giwa-Tubosun, Orekunrin-Brown und Rockson eint? Alle drei sind jung, haben im englischsprachigen Ausland studiert und führen heute aufstrebende Unternehmen in Afrika, die Patienten retten – indem sie auf mehr Tempo in der medizinischen Versorgung setzen.

Interview mit Temi Giwa-Tubosun, LifeBank

The Blood Lady

Temie Giwa-Tubosun versorgt mit ihrem Start-up LifeBank nigerianische Spitäler mit Spenderblut.

Giwa-Tubosuns Mitarbeiter sind von der besonders schnellen Sorte: Junge Männer in roten Overalls und Helmen, die auf Motorrädern durch die Megacity Lagos rasen. In ihren am Gepäckträger festgezurrten Kühlboxen transportieren sie lebenswichtige Ware: Spenderblut. In längstens 45 Minuten müssen die Eilkuriere das Blut von einer Blutbank ins Spital schaffen, so die Vorgabe der Chefin. „Wir sind das Amazon der Blutbanken“, sagt die 33-Jährige, die im Dezember 2015 das Logistik-Start-up LifeBank in Nigeria gründete und als „The Blood Lady“ bekannt ist. „Jeder Dritte, der in Nigeria in ein Krankenhaus kommt, benötigt Spenderblut. Dazu zählen Mütter nach schwierigen Geburten, an Malaria erkrankte Kleinkinder, Unfallopfer oder auch chronisch Kranke, die an Sichelzellenanämie leiden“, erklärt sie. Um freiwilliges Blutspenden in Nigeria populärer zu machen, bietet Life Bank unter anderem eine Smartphone-App zur Spenderregistrierung und organisiert hin und wieder Spendenaktionen. Vom Ziel einer Million aktiver freiwilliger Blutspender ist das Start-up allerdings weit entfernt: Erst einige tausend Namen finden sich in der Datenbank. Der Fokus des Unternehmens liegt aber woanders, nämlich in der Distribution des vorhandenen Angebots. Krankenhäuser wissen oft nicht, welche Blutbanken passendes Blut vorrätig halten, erklärt die Gründerin. „Zum einen haben Ärzte Probleme, Blut zu organisieren, zum anderen werfen Blutbanken Spenderblut weg, da dieses nur sechs Wochen haltbar ist.“

LifeBank arbeitet als B2B-Schnittstelle: Es sammelt Echtzeitdaten zu den Lagerbeständen der Blutbanken und bietet Spitälern eine 24-Stunden-Hotline mit Lieferservice. Für die Zustellung verrechnet es rund sieben Euro pro Einheit. Bevorzugen die Spitäler zudem den Transport in einer nur vom Empfänger aufschließbaren Box, kommt ein Aufschlag dazu. „Wir machen alles, um sicherzustellen, dass die Produkte einwandfrei sind. In Nigeria ist beispielsweise HIV ein großes Problem bei Blutspenden“, erklärt die LifeBank-Chefin. Zur Qualitätssicherung setzt sie daher auf zertifizierte Blutbanken, die das Blut sorgfältig testen. Bislang belieferte das Start-up rund 400 Spitäler – seit dem Vorjahr übrigens nicht nur mit Blut, sondern auch mit medizinischem Notfallsauerstoff.

Volle Regale, Bessere Preise

Auch Gregory Rockson, 28, führt ein spannendes Gesundheits-Start-up. Gemeinsam mit zwei Freunden gründete er 2013 mPharma mit Hauptsitz in Accra, der Hauptstadt Ghanas. Der in den USA und Dänemark ausgebildete Politikwissenschafter erkannte, dass viele Afrikaner mit der Behandlung von Krankheiten zuwarten, weil sie nicht krankenversichert sind und Medikamente aus der eigenen Tasche bezahlen müssen. „Medikamente stellen für die meisten Familien gleich nach Lebensmitteln den höchsten Ausgabeposten dar“, erklärt Rockson. Zudem werden Medikamente in Afrika oft deutlich teurer verkauft als in Europa. „Regierungen in den meisten afrikanischen Ländern legen keine Arzneimittelpreise fest“, bemängelt Rockson. Hinzu kommt, dass wichtige Arzneien in den Spitälern und Apotheken oft gar nicht vorhanden sind und nicht rasch genug nachgeliefert werden. Auf der Suche nach leistbaren Medikamenten gelangen Patienten mitunter an skrupellose Händler, die ihnen minderwertige oder gefälschte Produkte verkaufen – in Afrika ist das Risiko dafür höher als anderswo. 

Mit seinem Start-up will Rockson diese Probleme bekämpfen. Es beliefert kleine öffentliche sowie Krankenhausapotheken mit verschreibungspflichtigen Arzneien und kümmert sich um die Verwaltung der Lager. Eine selbstentwickelte Supply Chain Software aggreggiert die Daten der Apotheken und erkennt Nachfragemuster. So lassen sich kleine Bestellungen zu größeren bündeln und bei den Herstellern Rabatte verhandeln. MPharma füllt die Regale der Apotheken auf, vermeidet zu hohe und zu niedrige Bestände – und übernimmt die Finanzierung durch den Verkauf auf Kommission: Die Apotheken zahlen erst für ein Medikament, wenn sie es verkauft haben. 

Volle Regale: mPharma managt die Lager afrikanischer Apotheken

Sein Service habe, so Rockson, viele Vorteile: Die Regale sind mit Originalmedikamenten verlässlich gefüllt, die Preise sinken im Schnitt um ein Drittel, die Apotheker können sich auf die Beratung konzentrieren und Ärzte wissen jederzeit, wo ein Medikament erhältlich ist. Außerdem unterstützt mPharma die Apotheken bei der Modernisierung ihrer Verkaufsflächen.

Gregory Rockson, mPharma

Mit seiner Geschäftsidee habe er sich nicht nur Freunde gemacht, sagt Rockson. „In der Beschaffung von Arzneimitteln gibt es ein großes Problem mit Betrug und Korruption. Menschen, die davon profitieren, mögen uns nicht, weil wir über Lagerbestände und Medikamentenpreise Bescheid wissen und transparent informieren.“ Mit mPharma will er aufzeigen, dass man ein „gutes“ Business und zugleich profitabel sein kann. Das spricht auch Investoren an, die dem Start-up bereits mehr als 24 Mio. Dollar zur Verfügung gestellt haben. Heuer kaufte mPharma Haltons, die zweitgrößte kenianische Apothekenkette, auf – mit dem Ziel, unter der bekannten Marke in bisher unterversorgten Gegenden neue Filialen zu eröffnen. 

Mit 200 Angestellten betreut mPharma inzwischen ein Netzwerk von 400 Apotheken und 50 Spitälern in Ghana, Kenia, Nigeria, Sambia und Simbabwe. Das Unternehmen soll zu einem systemischen Wandel beitragen, sagt Rockson und hofft, bald auch mit afrikanischen Regierungen zu kooperieren, um die Medikamentenverfügbarkeit am Kontinent zu verbessern.

Intensivflieger

Während mPharma und LifeBank medizinische Produkte von A nach B bringen, kümmert sich Ola Orekunrin-Browns Unternehmen um den Transport der Patienten selbst. Vor gut zehn Jahren gründete die in Großbritannien ausgebildete Ärztin und Hubschrauberpilotin Flying Doctors, den ersten nigerianischen Flugrettungsdienst. Die Tragödie ihrer in Nigeria verstorbenen Schwester habe ihr die Augen geöffnet „für die Wichtigkeit, schwerkranke Patienten rechtzeitig in die richtige Einrichtung zu bringen“.

Ola Orekunrin-Brown

Heute leitet sie ein Team von rund 50 Notfallmedizinern, die am größten Flughafen Nigerias, dem Murtala Mohammed International Airport in Lagos, mitsamt einer Flotte von Kleinflugzeugen und Hubschraubern für Notfälle bereitstehen, in denen jede Minute zählt. „Unsere Flieger sehen aus wie Privatjets. Doch im Inneren sind sie Intensivstationen mit Überwachungsmaschinen, Beatmungsgeräten und Inkubatoren für Frühgeborene“, erklärt sie. Zu den häufigsten Einsätzen zählen schwere Schlaganfälle, Lungenentzündungen und Frakturen. Flying Doctors nimmt Aufträge innerhalb West- und Zentralafrikas an, fliegt Patienten bei Bedarf aber auch bis nach Südafrika, Deutschland, Großbritannien und Indien. Zu den Kunden zählen beispielsweise Unternehmen, die in risikoreichen Branchen wie der Öl- und Gasförderung oder im Bergbau tätig sind, auch Veranstalter von Großevents buchen bereitstehende Helikopterteams. Wer für den Fall der Fälle abgesichert sein möchte, kann eine Mitgliedschaft ab 50 Dollar pro Monat abschließen, die den Transport und den Krankenhausaufenthalt im Notfall abdeckt. 

Flugrettung: Flying Doctors Nigeria

Laut Orekunrin-Brown fliegen die Flying Doctors in der Gewinnzone – und haben noch viel Potenzial. „Viele denken, dass Afrikas Gesundheitssystem so viele Probleme hat, dass Luftambulanzen nebensächlich sind. Unserer Meinung nach sind sie für Afrika aber wichtiger als für andere Weltregionen: Hier sind die Distanzen zwischen Patienten und gut ausgestatteten Kliniken besonders groß, es gibt sehr wenige Ärzte und die Straßeninfrastruktur ist oft miserabel“, meint die Unternehmerin. Sie plädiert dafür, dass Nigeria prioritär in die Ausbildung von Ärzten und Ausrüstung investieren und die Behandlung von Schwerkranken in Spezialkliniken ermöglichen soll. Und, wenn notwendig, soll der Transport der Patienten eben über den raschen Luftweg erfolgen. 

Den Radius ausweiten

Mit einem Mythos will Orekunrin-Brown aufräumen, nämlich „dass Flugrettung nur den extrem Reichen zur Verfügung steht“. Das Flying Doctors Team richtet auch temporäre Intensivstationen auf regulären Linienflügen ein, womit sich die Transportkosten um bis zu 90 Prozent reduzieren lassen. Auch Rockson und Giwa-Tubosun suchen Strategien zur besseren Leistbarkeit: LifeBank hat heuer das Spendenprogramm „Blood oxygen access trust“ ins Leben gerufen, das mittellose Patienten mit kostenfreier Blut- und Sauerstoffversorgung unterstützt. Bislang profitierten vor allem Kinder mit Anämie und Lungenentzündung. MPharma setzt auf das Finanzierungsservice „Mutti“, um teure Medikamente wie etwa für die Krebsbehandlung leistbar zu machen. Mutti-Mitglieder bezahlen nur einen Bruchteil der Kosten vorab und können den Rest in zinsenlosen Raten tilgen. 

Eines betonen alle drei Entrepreneure gern und oft: Dass das afrikanische Gesundheitswesen mehr unternehmerisches Engagement benötigt und viele Chancen bereithält. Selbst schmieden die vielfach ausgezeichneten Unternehmer ehrgeizige Expansionspläne, um künftig mehr Menschen medizinische Hilfe zu ermöglichen – und das stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Fotos: LifeBank (2), mPharma, Victuallers/Wikimedia, Ndani TV/ Wikimedia