Plastikmüll
Nicht zu übersehen: Die Plastifizierung der Umwelt schreitet voran.

Strände, die derart vermüllt sind, dass vom Sand nichts mehr zu sehen ist. Fischerboote, deren Motoren durch schwimmende Abfälle kaputtgehen oder Müll, der vor der Haustür abgefackelt wird: So kann es in einer tropischen Küstenstadt aussehen, in der nur ein Bruchteil des Mülls entsorgt wird. Viele der 130.000 Einwohner von Muncar, einer Hafenstadt im Osten der indonesischen Insel Java, waren lange Zeit gezwungen, eigene Wege zu finden, um Essensreste, Plastiksackerl und Dosen loszuwerden – mit schwerwiegenden Folgen für die Natur. Seit rund vier Jahren haben sie eine andere Option: Offiziell angestellte Müllsammler holen die Haushaltsabfälle gegen eine kleine Gebühr ab und bringen sie zu Verwertungsanlagen. Dort wird der Müll sortiert, für Recyclingzwecke aufbereitet oder an Insekten verfüttert. Auch Säuberungsaktionen am Strand stehen von Zeit zu Zeit an: Sie sollen den Müllteppich in Muncar Stück für Stück abtragen und die Einwohner für Umweltbelange sensibilisieren.

Ausgerechnet ein Kunststoffhersteller mit Sitz in Wien hat diese Neuerungen ins Leben gerufen. Die Borealis Gruppe kreierte 2017 gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Systemiq das Abfallmanagementprogramm Project STOP, das in Muncar an den Start ging. „Wir wollen Abfallsysteme schaffen, die Materialien im Kreislauf behalten und finanziell nachhaltig sind“, sagt Nachhaltigkeitsmanagerin Dorothea Wiplinger (siehe auch Interview). Dass das Vorhaben im südostasiatischen Inselstaat aufgesetzt wurde, erklärt Wiplinger mit der Dringlichkeit zum Handeln an jenen Orten, wo die Hot Spots des Mülleintrags sind: Jedes Jahr sollen in Indonesien schätzungsweise eine Million Tonnen Plastik in die Ozeane geraten. 

Wertstoffe im Müll

Project STOP
In Muncar gibt es dank Project STOP
heute eine kommunale Abfallentsorgung mit Mülltrennung und Recycling.

Project STOP wurde 2017 vom österreichischen Kunststoffhersteller Borealis und dem Umweltberater Systemiq ins Leben gerufen und setzt auf die Schaffung ganzheitlicher Abfallsysteme in Städten mit schwacher Infrastruktur. Die erste Partnerschaft wurde mit der indonesischen Hafenstadt Muncar aufgesetzt. Die Haushalte wurden in Mülltrennung geschult und mit grünen und gelben Kübeln für Bio- und Restmüll ausgestattet. Zudem wurden zwei Abfallsortieranlagen errichtet. Die organischen Reststoffe werden an schwarze Soldatenfliegen verfüttert. 

Project STOP
Angestellte Müllsammler holen die Haushaltsabfälle gegen eine kleine Gebühr ab

 

Die Einnahmen aus den Servicegebühren für die Mülleinsammlung sowie aus dem Verkauf der sortierten Wertstoffe können den laufenden Betrieb im Wesentlichen finanzieren. Ergänzende Einnahmequellen – etwa der Verkauf von Plastic Credits oder die Einführung einer erweiterten Produzentenverantwortung – sind geplant. Mittlerweile läuft Project STOP auch in Pasuruan (Ost-Java) und in Jembrana (Bali). Laut den Projektpartnern werden aktuell 228.000 Menschen erreicht. Mehr als 200 Jobs wurden geschaffen.

Plastikmüll: Wachsendes Umweltproblem

Dabei ist es nicht nur die enorme Menge, die Kunststoffabfälle in Gewässern zu einer Bedrohung werden lassen, sondern auch die Langlebigkeit: Zehn bis zwanzig Jahre braucht es, bis sich ein Einkaufssackerl im Salzwasser zersetzt, während eine PET-Flasche gar 450 Jahre benötigt, ehe sie in Form von Mikroplastik auf den Meeresboden sinkt. Dass man gegen die für Mensch und Natur schädliche Plastifizierung der Umwelt dringend vorgehen muss, hat man in vielen Ländern längst erkannt. Auch Indonesien kündigte an, bis 2025 das Ableiten von Plastikmüll in die Umwelt um 70 Prozent zu reduzieren und bis 2040 gänzlich zu stoppen. 

Doch das ist meist leichter gesagt als getan. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern hinkt der Ausbau der Abfall- und Recyclinginfrastruktur dem steigenden Bedarf oft krass hinterher. Zudem sind Maßnahmen wie das Prinzip der Erweiterten Produzentenverantwortung, das in europäischen Ländern dafür sorgt, dass sich die Befüller von Verpackungen an der Finanzierung der Infrastruktur für Sammlung, Sortierung und Recycling beteiligen, vielerorts nicht oder nicht ausreichend gesetzlich verankert. Project STOP zeigt auf, so hofft Wiplinger, wie sich auch unter schwierigen Rahmenbedingungen ein finanzierbares Abfallmanagement aufziehen lässt – und soll Folgeprojekten als Blaupause dienen.

Bündnis gegen Plastikmüll

Auf die Erfolge in Muncar wurde jedenfalls ein junges, aber finanzstarkes Netzwerk aufmerksam: Die 2019 gegründete Alliance to End Plastic Waste, kurz AEPW, ist weltweit auf der Suche nach Projekten und Ideen, um – wie ihr Name erahnen lässt – das Problem des Plastikmülls zu beenden. Die in Singapur ansässige Alliance beschreibt ihr CEO Jacob Duer als „Nonprofitorganisation, die von gleichgesinnten Unternehmen finanziert wird“. Gemeinsam wolle man „rasch handeln, denn wenn wir heute nichts tun, werden weiterhin Millionen Tonnen Plastik in die Ozeane gelangen“, so Duer. 

Interview mit Jacob Duer, Alliance to End Plastic Waste

Jacob Duer, AEPW

Das Problem ist ernst, aber lösbar

Die Kunststoffbranche muss Teil der Lösung sein, wenn es um den Kampf gegen Plastikverschmutzung geht, sagt Jacob Duer, AEPW.

Zu den heute rund 60 Teilnehmern zählen der Chemiekonzern BASF, der Getränkeriese PepsiCo, die Konsumgüterhersteller Henkel und Procter & Gamble sowie das Mineralölunternehmen Royal Dutch Shell. Ende 2020 gesellte sich mit Greiner Packaging auch das erste österreichische Mitglied dazu. „Jedes Unternehmen für sich ist zu klein, um das Plastikmüllproblem zu lösen. Kooperation ist daher das Gebot der Stunde“, so Manfred Stanek, CEO von Greiner Packaging, über die Motivation zum Beitritt. Die Mitglieder haben jedenfalls eines gemeinsam: „Es sind bedeutende globale Player aus der gesamten Kunststoffwertschöpfungskette“, erklärt Duer. Sie alle hantieren mit einem Material, das in der Öffentlichkeit immer öfter als Fluch denn als Segen wahrgenommen wird. 

Aus Sicht von Umweltschützern besteht die Alliance daher weniger aus Problemlösern, als aus Verursachern. Viele der Mitgliedsunternehmen finden sich beispielsweise im Plastic Waste-Makers Index, den die Minderoo-Stiftung im Mai veröffentlicht hat. Die Rangliste nennt die weltgrößten Hersteller von Einwegplastik, der letzlich als Müll endet – die Top 3 ExxonMobil, Dow und Sinopec sind alle der Alliance beigetreten. Gerade das, so Geschäftsführer Duer, sei aber die Stärke der Organisation: Jene an Bord zu haben, die direkt den rohölbasierten Werkstoff erzeugen oder nutzen – und sie zum „Teil der Lösung“ zu machen. 

Ghana
30 Projekte: Die Alliance to End Plastic Waste ist weltweit tätig. Im Bild: Ghana

Plastikmüll: Den Hahn zudrehen

Für die ersten fünf Jahre stehen der AEPW 1,5 Mrd. Dollar für Projekte und Kooperationen zur Verfügung. Bis dato wurden laut Duer insgesamt 30 Projekte in Ländern wie Mosambik, Ghana, Vietnam oder Indien gestartet. Rund 60 Prozent der Ressourcen der Alliance fließen in Infrastruktur für Abfallsammlung, Abfallmanagement und Recycling. So hat die Alliance die Borealis-Initiative Project STOP auf die beliebte Touristeninsel Bali gebracht. In Jembrana errichtet und finanziert sie derzeit ein Abfallentsorgungssystem nach dem Vorbild in Muncar, das nächstes Jahr eine Reichweite von 160.000 Menschen und eine Kapazität von etwa 3.000 Tonnen Plastikmüll pro Jahr erreichen soll. Ein noch größeres Projekt ist in der Stadt Malang auf Java in Vorbereitung – dort sollen mittelfristig 2,5 Millionen Menschen von einer effektiven Abfallmanagementlösung profitieren und an die 50.000 Tonnen Plastikmüll pro Jahr gesammelt und möglichst für Recyclingzwecke aufbereitet werden.

Zudem investiert die Alliance laut Duer rund 20 Prozent ihrer Ressourcen in die Bereiche Bildung und Engagement sowie Säuberung. Die laufende Clean4Change-Kampagne ruft etwa Unternehmen und Freiwillige dazu auf, Abfälle in der Natur einzusammeln. Dabei setzt sie auf moderne Motivationshilfen: Mit der App „Litterati“ können Müllsammler ihre Erfolge beim Saubermachen via Fotos dokumentieren und mit Gleichgesinnten teilen. Im Hintergrund geht es jedoch um mehr, denn die App gewinnt Informationen darüber, welche Art von Müll wo und wann gefunden wird und zeichnet so ein genaueres Bild von der Abfallproblematik einer Stadt, eines Bezirks oder eines Uferabschnitts – ein womöglich weiterer Puzzlestein bei der Bewältigung der Plastikkrise.

Wertvolle Ressource

Letztendlich will die Alliance den öffentlichen Blick auch darauf lenken, dass Kunststoff trotz enormer Umweltschäden eine wertvolle Ressource ist – und eine Welt ohne ihn derzeit schwer vorstellbar. Schließlich steckt der Werkstoff in Zahnbürsten, Flat Screens, Kontaktlinsen, Haushaltsgeräten, Lebensmittelverpackungen oder Fahrzeugen. Allein 2019 belief sich die globale Kunststoffproduktion laut Statista-Zahlen auf rund 370 Millionen Tonnen – und die Zeichen stehen auf Wachstum. Doch laut Duer ist Business as usual kein wünschenswertes Szenario. So will die Alliance dazu beitragen, dass der riesige Verbrauch von Einwegplastik sinkt, die Wiederverwendung von Kunststoffen forciert und Abfälle möglichst vermieden werden, nicht zuletzt, weil es sich auch um ein ökonomisches Problem handelt: „Jedes Jahr gehen allein bei Kunststoffverpackungen zwischen 80 und 120 Mrd. Dollar verloren“, so Duer. 

Die Alliance investiere daher weitere 20 Prozent ihrer Ressourcen in die Entwicklung von Innovationen. Dazu wurden Hubs im Silicon Valley, in Paris, Singapur, Shanghai, Sao Paulo und Johannesburg eingerichtet, die aussichtsreiche Start-ups rund um Plastiklösungen fördern sollen. Ziel sei es, neue Prozesse, Maschinen und Materialien entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu finden, mit denen der Sprung in die Kreislaufwirtschaft – im Industriemaßstab – gelingen kann. Denn bislang entwickelten Unternehmen beispielsweise Verpackungen aus dünnwandigen, mehrschichtigen Folien mit unterschiedlichen Kombinationen aus Additiven, Hartmachern, Weichmachern oder Pigmenten, die zwar die Qualität und Haltbarkeit von Lebensmitteln verbessern, aber kaum recycelbar sind. Die Alliance will daher ihre Mitglieder motivieren, bereits beim Design die Auswirkungen von Produkten und Verpackungen einschließlich ihrer Nachnutzung zu berücksichtigen. 

Außerdem sucht sie marktfähige Lösungen für schwer zu recycelnde Kunststoffe, die sich rasch skalieren und umsetzen lassen. Gerade im Bereich Innovationen möchte sich auch Verpackungshersteller Greiner stark machen, erzählt Manfred Stanek: „Unsere Kompetenz liegt in der Entwicklung und Produktion von nachhaltigen Verpackungslösungen. Wir fokussieren unseren Beitrag in der Alliance auf die großen Themen chemisches und mechanisches Recycling von Kunststoffabfällen. Hier müssen Fortschritte erzielt werden und dazu können wir substanziell beitragen.“ Selbst für Abfälle, aus denen sich in absehbarer Zeit keine neuen Produkte entwickeln lassen, sucht die Alliance Einsatzgebiete – ein Forschungsprojekt in Thailand geht etwa derzeit der Frage nach, wie umweltfreundlich Plastikmüll als Bestandteil von Asphaltstraßen sein kann.

Teil der Lösung

Die Organisation setzt also sichtlich auf viele unterschiedliche Ansätze, um zur Lösung der globalen Plastikvermüllung beizutragen. Dass sie dabei gerade aufgrund ihrer Mitgliederstruktur sehr skeptisch beäugt wird, ist CEO Jacob Duer bewusst. Er wird wohl rasch beweisen müssen, dass die Alliance den notwendigen Systemwandel im Umgang mit Plastik aktiv vorantreibt – und die Mitgliedsunternehmen diesen in der Praxis tatsächlich umsetzen.

 

Fotos: AEPW, Project STOP/SYSTEMIQ, Borealis