Interview

Nur ohne Maduro

Ausgabe 78 – November | Dezember 2018

Klaus-Jürgen Gern vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel sieht die Vertreibung ausländischer Investoren als wesentliche Ursache für die Misere Venezuelas. Nun brauche es vertrauensbildende Maßnahmen – und womöglich den US-Dollar.

Klaus-Jürgen Gern, Ökonom am IfW Kiel
Klaus-Jürgen Gern, Ökonom am IfW Kiel
Maduro ließ im August die Währung abwerten und führte den „souveränen Bolivar“ ein. Wann kehren die Nullen auf die Preisschilder zurück?

Gern: Das wird nicht lange dauern, denn neue Geldscheine allein helfen nicht gegen steigende Preise. Die Abwertung hat den monetären Brand sogar noch angefacht. Die neue Währung wird auf dem Schwarzmarkt jetzt schon zu viel niedrigeren Wechselkursen gehandelt als bei ihrer Einführung vor einigen Wochen. Der Präsident hat zwar verkündet, preußische Disziplin im Haushalt üben zu wollen. Aber das sind nur hohle Worte. Die Krise ist vergleichbar mit Simbabwe vor zehn Jahren oder der Weimarer Republik 1923. Eine ökonomische und vor allem soziale Katastrophe für die Bevölkerung. Sie bringt den gesamten Mittelstand um sein Vermögen und das dauerhaft.

Sind Korruption und Misswirtschaft die wesentlichen Ursachen für die Misere?

Gern: Korruption und Misswirtschaft sind natürlich Probleme, aber diese Phänomene können wir ja weltweit beobachten. In Venezuela haben Chávez und Maduro jedoch mit ihrer Politik die Strukturen der Wirtschaft nachhaltig ausgehöhlt. Das Verscheuchen von Auslandskapital und -investoren war dabei wohl der gravierendste Fehler. Technologie und Know-how, die für das Land unglaublich wichtig waren, zogen damit ab. Zudem wurde in den vergangenen Jahrzehnten kaum Geld in die mittlerweile maroden Erdöl-Produktionsanlagen investiert. Die Förderung sinkt bereits seit Ende der 1990er Jahre – trotz der weltweit größten Erdölvorkommen. Solange die Ölpreise hoch waren, konnte sich das Regime durchmogeln. Als aber 2014 der Ölpreis einbrach, war plötzlich die Finanzierungsgrundlage des Staats weg. Inzwischen befindet sich die Ölförderung im freien Fall. Die Produktivität ist heute nur noch halb so hoch wie beim Amtsantritt Maduros vor fünf Jahren. Das Land befindet sich in einer unaufhaltbaren Abwärtsspirale.

Es wird also alles nur noch schlimmer?

Gern: Die Krise wird sich weiter verschärfen. Und je weiter sich die ökonomische Krise zuspitzt, desto näher rückt vielleicht auch ein Regimewechsel. Ohne diesen wird es jedenfalls keinen Weg aus der Krise geben.

Einige Faktoren sprechen aber eher für ein „Weiter so“: Proteste werden brutal unterdrückt, viele Regimegegner haben das Land verlassen, das Militär steht hinter Maduro, und er hat mächtige Verbündete in Peking und Moskau.

Gern: Die Regierung klammert sich an China als Retter. Aber das wird so nicht funktionieren. China hat auf Dauer kein Interesse, in ein Fass ohne Boden zu investieren.

Wie könnte der Weg aus der Krise aussehen?

Gern: Die Währungsabwertung war grundsätzlich richtig. So etwas bringt jedoch nichts ohne flankierende vertrauensbildende Maßnahmen, damit sich mutige Unternehmer wieder nach Venezuela begeben. Andere Länder wie Simbabwe oder Ecuador haben sich in ähnlichen Situationen ganz von ihrer Währung verabschiedet und den US-Dollar eingeführt. Das wäre auch für Venezuela denkbar. Mit der gegenwärtigen Regierung ist das aber nicht zu erwarten. Erst durch eine neue Regierung kann das Vertrauen in die Geldstabilität wieder aufgebaut werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Foto: IFW

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