Interview

Mini-Grid und Maxi-Aufgabe

Ausgabe 88 – Herbst 2020

Kandeh Yumkella, ehemaliger Generaldirektor der Organisation für industrielle Entwicklung UNIDO in Wien, sieht bei der ersehnten Elektrifizierung Afrikas vor allem Schwierigkeiten bei Finanzierungsfragen – und hofft auf Europa.

Kandeh Yumkella, Energieexperte
Afrika steckt neben der Corona- auch mitten in einer Energiekrise. Wird sich der Kontinent aus schierer Notwendigkeit auf neue, nachhaltige Lösungen konzentrieren? 

Yumkella: Ich bin vorsichtig optimistisch. Die aktuellen Energieprobleme bieten die Gelegenheit für eine gewisse Kreativität, um neues Wissen und neue Lösungen hereinzubringen, die anderswo bereits funktionieren. Wir haben in Afrika die Ressourcen. Wir haben die Jugend. Wir müssen nun in die Gänge kommen und auf der Welle reiten. Dabei stehen wir aber vor der Herausforderung, dass wir jetzt bereits für größere Bevölkerungsgruppen planen müssen. In den meisten Ländern in Subsahara-Afrika wird sich die Bevölkerung in den nächsten 30 Jahren verdoppeln. Afrika braucht entsprechend einen fairen Übergang, der dem großen Bedarf an Energie gerecht wird und gleichzeitig das Ziel verfolgt, dass dieser Zugang umweltfreundlicher und ökologisch nachhaltiger ist. Wenn man über die wachsende Besorgnis über den Klimawandel und die Forderung aller Welt redet, Afrika möge zu neuen sauberen Lösungen greifen, muss man auch bedenken, dass der energiebezogene Beitrag Afrikas zu den Treibhausgasen aktuell bei etwa zwei Prozent liegt. 

Wo liegen die Herausforderungen?

Yumkella : In erster Linie bei der Finanzierung. Geld ist zwar grundsätzlich verfügbar, aber es ist sehr schwierig, dieses Geld in netzungebundene Lösungen zu bringen. Ich habe kürzlich mit einigen Freunden aus Europa gesprochen, die Mini-Grid-Anlagen in Afrika realisieren wollen. Sie haben das Wissen und die Technologie, kommen aber nicht an das Kapital heran. Dabei sind Mini-Grids ein essenzieller Bestandteil der afrikanischen Energieversorgung der Zukunft. 30 bis 40 Prozent des Energiezugangs in Subsahara-Afrika könnten zukünftig durch Off-Grid-Lösungen gedeckt werden. Man bekommt zwar Finanzierungen für ein oder zwei Piloten, aber es ist sehr schwierig, auf ein- oder zweitausend Mini-Grids aufzustocken. Hier sind auch die afrikanischen Regierungen gefragt, ihre teils verwirrenden Regularien zu verbessern.

Welche Rolle spielen europäische Unternehmen bei der zukünftigen Energieversorgung Afrikas?

Yumkella: Ich sehe hier eine gute Gelegenheit für eine neue europäisch-afrikanische Partnerschaft. Die Europäische Union hat ihre Energiequellen sehr gut diversifiziert und wird mit dem Grünen Deal auch im Bereich der Energieeffizienz viel erreichen. Einige dieser Ideen können nun auch in Afrika umgesetzt werden. Aktuell prüft die EU etwa die Anpassungskosten für einige europäische Länder, die von der Kohle auf Erneuerbare umsteigen müssen. Eine modifizierte Version dieses Anpassungsprogramms könnte afrikanischen Ländern beim Übergang zu einem kohlenstoffärmeren Wirtschaftssystem, das gleichzeitig den Energiebedarf deckt, helfen. Und vor allem wird der Aufbau der afrikanischen Energieversorgung für europäische Unternehmen und Investoren profitabel. Von diesem Weg dürfen wir uns durch die Coronakrise nicht abbringen lassen.

Die EU will über den Externen Investitionsplan bei nachhaltigen Energieprojekten mit afrikanischen Partnern kooperieren.

Yumkella: Genau solche Impulse braucht es. Die europäischen Staaten können es sich nicht leisten, in 30 Jahren 2,2 Milliarden Menschen neben sich zu haben, von denen 60 Prozent in Städten leben und keine Arbeit haben. Die Frage ist also: Wie kann diese demografische Entwicklung als potenzielle Marktchance für Europa, als potenzielle Investitionsmöglichkeit für europäische Unternehmen genutzt werden, sodass in Afrika Wohlstand geschaffen wird und die Menschen nicht den Drang haben, zu migrieren? Es handelt sich um ein Sicherheitsproblem, ein großes humanitäres Problem – und eine der Antworten darauf könnte im Aufbau der neuen Energieversorgung liegen.

Vielen Dank für das Gespräch!
Foto: Frederik Schäfer

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